Politik(er)beratung (4)
Notizen zur wirtschaftspolitischen Beratung durch die Wissenschaft

Was macht gute Politikberatung aus? Die Frage ist ein Dauerbrenner der Volkswirtschaftslehre. Das hat auch damit zu tun, dass in der Diskussion verschiedene Konzepte vermischt werden.

Wissenstransfer in seiner allgemeinen Form ist mittlerweile ein eigenes Ziel von Universitäten und Forschungsinstituten. Die Universität zu Köln schreibt, typisch für viele Universitäten: „Die Universität zu Köln generiert kontinuierlich neues Wissen in einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen. Die Third Mission bezeichnet den Auftrag der Universität, dieses Wissen für die Gesellschaft verfügbar und für die Wirtschaft verwertbar zu machen und gleichzeitig Impulse aus der außeruniversitären Welt für Forschung und Lehre aufzunehmen.“

Für den Wissenschaftsrat beinhaltet Wissenstransfer die drei Handlungsfelder Kommunizieren, Beraten und Anwenden. Eine saubere Trennung der Begriffe ist dabei nicht immer gegeben, so wird z.B. Wissenschaftskommunikation auch als „Beratung der Öffentlichkeit“ gesehen. Und „Anwenden“ fasst im Sinne des Wissenschaftsrats das, was andernorts allgemein als Transfer, bzw. Technologietransfer bezeichnet wird.

Die „Dritte Mission“ gilt auch für die Volkswirtschaftslehre. Das Fach ist allerdings hinsichtlich aller drei Handlungsfelder besonders.

Kommunizieren: „Wissenschafts“-Kommunikation kommt zu kurz

Wissenschaftskommunikation als „Beratung der Öffentlichkeit“ befördert den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Akteure sind dabei zum einen die Institutionen, sprich Universitäten und Forschungsinstitute bzw. ihre Pressestellen, selbst, zum anderen, und dies im Zeitalter von Social Media in zunehmendem Maße, auch einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die individuell aktiv werden. Klassischerweise, aber längst nicht mehr ausschließlich, fungiert als Vermittler zur Öffentlichkeit dabei der Wissenschaftsjournalismus in Gestalt von Print- und anderen Medien.

Betrachtet man die Wahrnehmung der Volkswirtschaftslehre in der Öffentlichkeit so fällt auf, dass sich ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse meist im Wirtschafts- und Politikteil der Zeitungen und Zeitschriften wiederfinden, und nicht auf den Wissenschaftsseiten. Für die politische und gesellschaftliche Wirkung mag das hilfreich sein, allerdings ist dies auch ein Manko des Faches: Eine intensivere Wissenschaftskommunikation würde dazu beitragen, die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte etwa bei der sogenannten Glaubwürdigkeitsrevolution in der empirischen Wirtschaftsforschung, bei den Möglichkeiten des Marktdesigns oder den immer feineren dynamischen makroökonomischen Methoden mehr in der Gesellschaft zu verbreiten. Häufig wird – im Feuilleton und nicht nur dort – eine Sicht auf die Wirtschaftswissenschaft ausgebreitet, die den Stand aus dem letzten Jahrhundert wiedergibt. Dies erschwert die Kommunikation in der Öffentlichkeit, aber auch in der wirtschaftspolitischen Beratung, da oft zunächst Vorurteile gegenüber dem Fach überwunden werden müssen.

Anwenden: Wissenstransfer durch Ausgründungen ausbaufähig

Die neue Bundesbildungs- und Forschungsministerin, Bettina Stark-Watzinger, will den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis fördern. Dazu soll eine eigene „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation“ gegründet werden. Ziel ist es, Unternehmensgründungen der Universitäten und Forschungsinstitute zu fördern. „Wir wollen die vielen guten Ideen in den Regalen unserer Hochschulen schneller in die Gesellschaft und Wirtschaft übertragen.“

Hier zeigt sich das oft unterschiedliche Verständnis des Begriffs „Transfer“: Während viele politische Akteure hier an Tech-Start-ups und erfolgreichen Technologietransfer à la Biontech denken, sehen manche in den VWL Fakultäten den Transfer eher im Twitterkanal.

Aber auch aus der Volkswirtschaftslehre sind einige Unternehmensgründungen hervorgegangen. Es gibt Beratungsfirmen etwa für die Anwendung der Methoden der Verhaltensökonomie oder des Marktdesigns; aus dem ZEW wurde ein Unternehmen gegründet, das hochfrequent und vollautomatisiert Unternehmensinformationen online auswertet.

Es stünde dem Fach sicher gut an, die Kompetenzen, die es vorzuweisen hat, vermehrt auch über Ausgründungen in Politik und in der Unternehmenspraxis einzusetzen. Nicht ohne Grund sind im angelsächsischen Bereich „applied economists“ auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt. Andere Fächer weisen ihre Anwendungsrelevanz u.a. durch Ausgründungen nach. Warum nicht auch die Volkswirtschaftslehre?

Beraten: Gutachtenbasierte wissenschaftliche wirtschaftspolitische Beratung etabliert und wertgeschätzt

Will man wissen, ob eine Brücke hält, beauftragt man ein Ingenieursbüro mit einem Gutachten. Zur Gestaltung von Gesetzesnovellen kommen Gutachten aus den Rechtswissenschaften. Gutachten sind auch das Mittel der Wahl der wissenschaftlichen wirtschaftspolitischen Beratung aus der Volkswirtschaftslehre. Diese Form der Beratung zeichnet sich dadurch aus, dass sie wissenschaftsbasiert, unabhängig und transparent erfolgt.

Die Verankerung in der Wissenschaft ist durch die an der Gutachtenerstellung beteiligten Personen gegeben, die in der Wissenschaft tätig sind. Dies ist der Fall etwa im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in der Monopolkommission, dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz oder dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Finanzen. Bei Forschungsinstituten wird diese Wissenschaftlichkeit durch regelmäßige Evaluierungen sichergestellt. Dies gilt insbesondere für die Wirtschaftsforschungsinstitute der Leibniz-Gemeinschaft, aber auch das IAB etwa hat sich (auf eigenen Wunsch) wissenschaftlich evaluieren lassen. Diese Form des institutionellen Wissenschaftsbezugs ist ein Differenzierungsmerkmal zwischen wissenschaftlichen Forschungsinstituten und etwa Think Tanks.

Unabhängigkeit ist in Deutschland für die wissenschaftliche wirtschaftspolitische Beratung kennzeichnend. Alle vorher genannten Institutionen sind in der Ausübung ihrer Aufgaben unabhängig. Dadurch wird sichergestellt, dass – anders als etwa bei der amerikanischen Form des Council of Economic Advisors, das in die Regierungsarbeit eingebunden ist – auch Themen und Erkenntnisse, die der jeweiligen Regierung nicht genehm sind, zur Sprache kommen können.

Transparenz ist notwendig, damit sich das Ergebnis der Beratung dem wissenschaftlichen Diskurs stellen kann. Die Studien bzw. Gutachten werden deshalb grundsätzlich veröffentlicht.

Gutachten als Produkt der wissenschaftlichen wirtschaftspolitischen Beratung entstehen entweder aus eigenem Anlass (wie bei den Beiräten der Ministerien), durch gesetzlichen Auftrag (wie beim Sachverständigenrat oder der Monopolkommission), oder als Auftragsgutachten von politischen Institutionen wie Ministerien, Behörden, oder Fraktionen.

Der Adressat ist dann auch durch den (gesetzlichen) Auftrag unmittelbar oder mittelbar gegeben. So sind dies bei der Monopolkommission die Bundesregierung und die gesetzgebenden Körperschaften, beim Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums der Wirtschaftsminister.

Diese Form der Beratung ist in Deutschland gut etabliert und wird in der Politik geschätzt. So wurden gerade erst die Rechte der Monopolkommission in der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gestärkt. Es wurde klargestellt, dass die Monopolkommission zusätzliche Stellungnahmen abgeben kann, und dass sie im Rahmen der Akteneinsicht Daten auswerten darf. Wesentlich ist die Änderung in §44, Absatz 3, dass sich „die jeweiligen fachlich zuständigen Bundesministerien und die Monopolkommission … auf Verlangen zu den Ergebnissen der Gutachten“ austauschen. Dies gemeinsam mit der Auflage, dass die „Bundesregierung … zu den Gutachten nach Absatz 1 Satz 1 in angemessener Frist Stellung [nimmt], zu sonstigen Gutachten nach Absatz 1 kann sie Stellung nehmen“ stellt sicher, dass die Ergebnisse im politischen Diskurs reflektiert werden.

Es ist als Ausdruck der Wertschätzung dieser Form der Politikberatung zu sehen, dass die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat, „die wissenschaftlichen Beratungsgremien der Bundesregierung nach dem Vorbild der Monopolkommission stärken und deren Unabhängigkeit garantieren [zu wollen]. Die Berichte der Sachverständigenräte werden wir nach ihrer Veröffentlichung im Bundestag als eigenständigen Tagesordnungspunkt diskutieren.“

Beraten: Wirtschaftspolitische Beratung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen Wissenschaft und Politik

Von dieser Gutachten-basierten wirtschaftspolitischen Beratung ist – zumindest konzeptionell – die Beratung durch Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler zu trennen, die durch individuelle Gespräche, Vorträge, oder durch Beteiligung in ministeriellen oder parteiinternen Arbeitsgruppen erfolgt.

Diese Form der Beratung erfolgt tendenziell weniger wissenschaftsnah – die Aussagen geben nicht unbedingt den Stand der Wissenschaft sondern den Erkenntnisstand der jeweiligen Person wieder. Sie ist auch weniger unabhängig – die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zwar in der Ausübung der Wissenschaft unabhängig, aber persönlich nicht unpolitisch. Transparenz ist teilweise gegeben, wenn Aussagen, etwa bei Ausschüssen, veröffentlicht werden.

Auch diese Form der Beratung von Politik und Öffentlichkeit stellt einen wichtigen Beitrag aus den Wirtschaftswissenschaften dar. Gerade bei sehr aktuellen Themen besteht im politischen Prozess nicht die Zeit, Erkenntnisse über Gutachten einzuholen. Da werden Gespräche und Workshops zu einem wichtigen Instrument des Wissenstransfers. Ein gutes Beispiel dafür war in der Corona-Pandemie die regelmäßige Video-Konferenz von Personen aus der Wissenschaft und aus Ministerien, organisiert durch die Grundsatzabteilung im Bundesfinanzministerium, in der Stabilisierungs- und Konjunkturmaßnahmen besprochen wurden. Durch die Teilnahme mehrerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurde auch ein gewisses wissenschaftliches Korrektiv erzielt.

Wertbasierte Positionierungen sind bei individuellen Aussagen nicht unüblich. Solche Positionierungen können im politischen Diskurs hilfreich sein, sie werden aber dann problematisch, wenn der Eindruck entsteht, dass die Positionierung „der Wissenschaft“ entspringt. Durch die Pandemie ist das Vertrauen in die Wissenschaft angestiegen. Sagten vor der Pandemie etwa 50% der Befragten, dass sie voll und ganz bzw. eher Vertrauen in Wissenschaft und Forschung hätten, waren es 2021 gut 60% (nach einem Peak von über 70% im April 2020). Die Virologen und Epidemiologen haben sicher zu diesem Anstieg beigetragen. Sie haben auch vorgemacht, dass es im öffentlichen Diskurs hilfreich sein kann, den Stand der Wissenschaft und die Grenzen der Erkenntnis aufzuzeigen. Dies könnte auch in der wirtschaftspolitischen Beratung noch mehr erfolgen. Der Verein für Socialpolitik formuliert dies in seinem Ethikkodex so: „Bei wirtschaftspolitischer Beratung oder Kommunikation mit den Medien soll sorgfältig auf den Unterschied zwischen Tatsachenbeschreibung und wissenschaftlich gestützter Aussage einerseits und Werturteil andererseits geachtet werden.“

Blog-Beiträge der Serie “Politik(er)beratung”

Friedrich Schneider: Politikberatung in Österreich im Unterschied zu Deutschland. Einige persönliche Anmerkungen

Gert G. Wagner: Mehr Forschungsbasierung der (Bundes)Politik (?)

5 Antworten auf „Politik(er)beratung (4)
Notizen zur wirtschaftspolitischen Beratung durch die Wissenschaft“

  1. Gutachtenbasierte wissenschaftliche wirtschaftspolitische Beratung etabliert und wertgeschätzt

    ==> alles schön und gut, aber: Ohne verbindliche rechtlich verankerte politische Handlungsverpflichtungen, die über die oft „weichen“ Handlungsempfehlungen (beispielsweise aus dem sogenannten Frühjahrsgutachten der „Fünf Weisen“) hinausgehen, wird es weiter so bleiben -vermeintliche Aphatierchen neigen zeitweise zu diesem kontraproduktiven Verhalten- , dass wertvolle teure engagierte Beratung aus wissenschaftlicher Erkenntnis mit einem KanzlerInnenentscheid dagegen kaum nützlich für’s Gemeinwohl „versandet“ 🙁

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