Auf die Frage, welche drei Bücher er den Skeptikern des Liberalismus als Bekehrungslektüre empfehle, hat Otto Graf Lambsdorff einmal folgende Antwort gegeben:
„Ganz vorne steht Adam Smith. Denn der schottische Moralphilosoph zeigt mit bestechender Logik und einfacher Sprache, wie der Eigennutz des Menschen dafür eingesetzt werden kann, dem Gemeinwohl zu dienen. An zweiter Stelle nenne ich Friedrich Hayeks ,Weg zur Knechtschaft’, das den Sozialisten in allen Parteien gewidmet ist. Für meine eigene Biographie augenöffnend war Wilhelm Röpkes ,Jenseits von Angebot und Nachfrage’. Dieses Buch, 1958 erschienen, kommt mir heute wegen des quasireligiösen Pathos merkwürdig fremd vor.“
Adam Smith und Friedrich Hayek verstehen sich also von selbst. Aber Röpke? „Jenseits von Angebot und Nachfrage“, in Deutschland 1979 zuletzt erschienen, ist längst vergriffen. [Wilhelm Röpke: Jenseits von Angebot und Nachfrage. 5. Aufl. Bern 1979] Sein Autor, stets genannt, aber kaum gelesen, zählt zu den Gründervätern der Freiburger Schule. „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ war der Versuch, in der von intellektueller Positionsbestimmung geprägten Nachkriegszeit die geistigen Grundlagen der Marktwirtschaft zu erklären. Schon damals musste der Autor erleben, dass er sich dabei mit allen angelegt hatte: hartgesottene Ökonomisten, unbekehrbare Rationalisten und prosaische Utilitaristen zählten ebenso zu den Skeptikern wie die reinen Moralisten und Romantiker, vermerkt Röpke im Vorwort zur dritten Auflage (1961). Auch Liberale, allen voran Ludwig von Mises, bezichtigten Röpke des Verrats am liberalen Glauben. Selbst Hayek, der zu jener Zeit an seiner „Verfassung der Freiheit“ schrieb und bei dem Röpke auf mehr Verständnis hoffte, zugleich aber „ernste Vorbehalte“ befürchtete, wendet sich ab. Bald darauf kommt es zur Trennung der beiden liberalen Denker. Röpke verlässt 1962 enttäuscht die Mont-Pélérin-Gesellschaft. Hayek und Röpke hatten fortan miteinander keinen Kontakt mehr.
Lambsdorff ist somit in bester Gesellschaft; Röpke vermochte von Anfang an zu irritieren. Doch Lambsdorffs ambivalente Antwort lässt offen, ob er nun eigentlich zur Lektüre rät oder nicht. Denn im selben Atemzug, in dem er Rökpe als Dritten im Bunde liberaler Verführer anpreist, schränkt er ja eben kräftig ein: Religion, Pathos und Fremdheit können auch als Tafeln der Abschreckung gemeint sein. Bei soviel Gegenwind – von Mises über Hayek bis Lambsdorff – bleibt somit nur die Probe aufs Exempel: die Lektüre von Röpkes vor 50 Jahren erschienenem Buch.
Und siehe da: „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ ist aufregend aktuell. Das Buch ist – aus heutiger Sicht – weder Verrat noch Verwässerung des Liberalismus. Im Gegenteil: „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ könnte die an „argumentativer Materialermüdung“ (Christian Lindner, Generalsekretär der FDP in NRW) leidende liberale Bewegung in Deutschland aufrütteln und ihr zugleich Anschluss bieten an die neuere sozialwissenschaftliche Debatte über die geistigen Grundlagen der Marktwirtschaft. Die scharfe Kritik des überbordenden Wohlfahrtstaates und die beißende Polemik gegen den linken antikapitalistischen Moralismus, welche die Röpke-Lektüre heute wieder zu einem intellektuellen Vergnügen machen, sind eingebettet in eine zuvorkommende Theorie der Märkte, welche die „geistig-moralische Klammer“ für Angebot und Nachfrage rekonstruiert. Röpke zeigt wie kein zweiter, dass eine liberale Marktordnung von Voraussetzungen zehrt, die sie selbst nicht erzeugen kann. Sind diese Voraussetzungen aber verschüttet, kommen Märkte nicht in Gang. Das genau macht Röpke zum Konservativen und unterscheidet ihn von Hayek, der der Meinung war, dass unpersönliche Märkte selbst eine von mehreren Quellen von Moralität in einer erweiterten Ordnung darstellen. „Märkte als Moralverzehrer“ (Röpke) oder „Märkte als Moralgenerierer“, das präzise markiert den Unterschied zwischen konservativem Liberalismus und liberalen Liberalismus.
Röpke insistiert darauf, dass der „bürgerliche Geist“ den Kapitalismus allererst ermöglicht. Es sind die Tugenden der „Arbeitssamkeit, der Rührigkeit, der Sparsamkeit, des Pflichtgefühls, der Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Vernünftigkeit“, auf welchen eine marktwirtschaftliche Ordnung aufbauen muss:
„Ihre letzten Voraussetzungen bleiben Präzision, Verlässlichkeit, Zeitsinn, Fleiß, Pflichttreue und jene Liebe zur Sache, die im Englischen als ,Sense of Workmanship’ bezeichnet wird und offenbar nur in wenigen Ländern der Erde beheimatet ist.“
Keine Frage: Hinter dem „bürgerlichen Geist“ schimmert Max Webers Geist des Kapitalismus durch. Doch anders als bei Weber macht das christliche Ethos nur einen Teilaspekt unternehmerischer Motivation aus. Viel entscheidender ist für Röpke der Aufstieg des christlich motivierten tugendhaften Bürgertums, welches seine Werte zur politischen Waffe gegen die Aristokratie einzusetzen vermochte. Das ist zugleich eine schlüssige Antwort auf die Frage, warum gerade in England im 19. Jahrhundert (und später dann auch in Deutschland) der Kapitalismus so überaus erfolgreich sein konnte. Es brauchte eben zuvor ein bürgerliches Ethos, damit sich Unternehmergeist und Arbeitsdisziplin in Wachstumszahlen übersetzen ließen. Noch in den Komödien Molières werde der Bürger als lächerliche Figur behandelt, bemerkt Röpke, und wenn Shakespeare ausnahmsweise einen Kaufmann als solchen auf die Bühne bringe, so sei es allenfalls Shylock:
„Welch ein Weg von hier bis zu Goethes ,Wilhelm Meister’, wo uns die Welt des bürgerlichen Handelns umgibt und sogar die doppelte Buchführung philosophisch-poetisch verklärt wird.“
Ideengeschichtlich hat der Kapitalismus nämlich seine Wurzeln in der bürgerlichen Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Das haben Max Weber und Werner Sombart vor Röpke schon eindrucksvoll dargestellt. Die industrielle Revolution, Grundlage unseres heutigen Wohlstands, setzte sich durch, weil es der von christlicher Haltung getragenen Klasse des europäischen Bürgertums gelungen war, mit ihren Werten die Aristokratie moralisch in die Enge zu treiben und weil die christlich-bürgerlichen Haltungen sparsamer Askese und nachhaltiger Arbeitsethik für die auf Humankapital angewiesene Logik des Kapitalismus ziemlich förderlich war. Die industrielle Revolution war nämlich mehr als nur eine Revolution von Kapitalakkumulation und Wachstum. Sie bedeutete zugleich eine politische und soziale Transformation der gesamten westlichen Welt, welche ihre Werte und Hierarchien in der Gesellschaft neu definierte und die Verteilung von Wohlstand und Einkommen radikal veränderte. Die industrielle Revolution war nicht nur eine Revolution der Produktionsbedingungen. Sie war auch eine Klassenrevolution.[Außerordentlich anregend hierzu: Matthias Doepke/Fabrizio Zilibotti: Occupational Choice and the Spirit of Capitalism. UCLA Economic Online Papers No. 419. Vgl. auch Jens Beckert: The Social Order of Markets. Discussion Paper 07/15 Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung Köln.]
Voraussetzung für diese Veränderung war der Aufstieg eines neuen Wirtschaftsbürgertums, welches seine eigenen Werte zur Durchsetzung der neuzeitlichen naturwissenschaftlich-technischen Erfindungen und der modernen Produktionsweisen offensiv zu nutzen wusste. Die bürgerlichen Einstellungen reüssierten, die aristokratischen Werte gerieten ins Hintertreffen. Während die herrschenden Landbesitzer – unwillig zu sparen, schlecht gerüstet für den Handel und unfähig, Geld als ein Mittel anzusehen, welches profitabel investiert werden konnte – vom sozialen und materiellen Abstieg bedroht wurde, verstand das aufstrebende Bürgertum es glänzend, seine Werte des Maßes, der Bescheidenheit, der Sparsamkeit und der harten Arbeit als Promotor des gesellschaftlichen Aufstieg zu nutzen und zugleich – Erfolg der unsichtbaren Hand – den Wohlstand des ganzen Volkes zu mehren. Eltern, die davon ausgehen, dass ihre Kinder künftig zu weiten Teilen von ihrem Arbeitseinkommen werden leben müssen, werden ihnen in der Erziehung eine strenge Arbeitsdisziplin nahe bringen und sie zu Sparsamkeit, Fleiß und Ausdauer anhalten. Das waren die Werte des aufstrebenden Bürgertums. Eltern hingegen, die erwarten, dass ihre Kinder später einmal als Rentiers die Früchte ihres Landeigentums genießen werden, lehren ihre Kinder die Kulturtechniken der gepflegten Muße: Denn Jagen, Spielen, Musik machen oder die feine Konversation sind Werte, die in den Schlössern und Ballsälen der Aristokratie den „feinen Unterschied“ heraus streichen und der Unterscheidung und Reputation der Oberschicht dienen. Damit war aber seit der Französischen Revolution bekanntlich kein Staat, aber auch kein Markt mehr zu machen. Listig hatte das Bürgertum mit seiner Tugend Politik gemacht und die Geburt des modernen Kapitalismus beherzt vorangetrieben.
Die bürgerliche Ethik Wilhelm Meisters als notwendige Voraussetzung des kapitalistischen Erfolgs? Röpkes Diskurs über „die geistig-moralische Klammer“ einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist lange Zeit auch unter Liberalen in Vergessenheit geraten. Die Standardantwort der Ökonomen auf die Frage nach den außerökonomischen Voraussetzungen der Märkte in der Nachfolge von Friedrich Hayek, Douglass North oder James Buchanan lautet: Märkte brauchen gute Institutionen. Demnach ist es der rechtliche Ordnungsrahmen, von dem entsprechende Anreize für die unternehmerische Dynamik und langfristige Innovationen ausgehen. Vertragsfreiheit, stabile Eigentumsrechte, dezentrale Entscheidungen oder niedrige Steuern bringen das Wirtschaften in Fahrt, so hieß lange Zeit der liberale Konsens: Wo eine stabile Rule of Law gegeben ist, da erwachen Unternehmergeist, Innovation und Handel wie von alleine. Oder anders gesprochen: Sofern eine Wirtschaftsordnung entscheidende Freiheitsrechte seiner Bürger garantiert, wird sich diese Erfahrung alsbald in Unternehmergeist niederschlagen. Andere Akteure fühlen sich herausgefordert, als Kreditgeber oder Investoren aufzutreten, um die Projekte der Unternehmer in der Aussicht auf eigenen Profit zu finanzieren.
Röpke macht deutlich: Gute Institutionen mögen notwenig sein für das Entstehen von Märkten. Hinreichend sind sie nicht. Kulturtheorien des wirtschaftlichen Wachstums haben heutzutage wieder Zulauf und ergänzen die Institutionentheorie offensiv. Von David Landes über Robert Barro bis zu Edmund Phelps gilt es nicht mehr als häretisch, neben der Bedeutung des Rechts auch die Rolle der Moral (Haltungen und Werte) für den wirtschaftlichen Erfolg herauszustreichen. „Wenn wir irgendetwas lernen können aus der Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung, dann das: Culture makes all the difference.“, schrieb David Landes in seinem Bestseller über den „Wohlstand und die Armut der Nationen“ (1998). Und Edmund Phelps bekennt: „Noch vor ein paar Jahren hätte ich nicht gewusst, ob ich an die Bedeutung von Kultur glauben sollte oder nicht. Doch seit kurzem habe ich in vielen Untersuchungen heraus gefunden, dass unterschiedliche kulturelle Werte (der Wert des Wettbewerbs, der Wert der Arbeit) und insbesondere unterschiedliche Einstellungen zum Arbeitsplatz (hinsichtlich der Übernahme eigener Initiativen, des Befehlens und Gehorchens, der Akzeptanz von Verantwortung etc.) überraschend signifikant sind für die Erklärung der Unterschiede ökonomischer Leistungsfähigkeit der OECD-Länder.“ Neben den formalen Rahmenbedingungen sind offenbar auch informelle Voraussetzungen (Gebräuche, Tabus, Glauben, Normen etc.) ausschlaggebend für das wirtschaftliche Wachstum und die langfristigen Entwicklungschancen einer Gesellschaft. Mit anderen Worten: Es ist das Ethos, das die Ökonomie treibt. „Kapitalismus ist das Produkt einer Ehe zwischen entscheidenden wirtschaftlichen Freiheitsrechten und kulturellen Werten“, sagt Phelps.
Für „hartgesottene Ökonomisten“ (Wilhelm Röpke) mag das auch heute noch schwer zu akzeptieren sein. Sie hatte Röpke schon 1958 daran erinnert, „dass das Leben keine Gleichung ist, die ohne Rest aufgeht“. Auf den Wert dieser bürgerlichen Haltungen zu verweisen, ist aber auch für den Liberalen unabdingbar. Geraten diese Tugenden – und die historischen Kämpfe, die zu ihrem wirtschaftlichen Erfolg führten – in Vergessenheit, bedeutet dies auch das Ende einer unternehmerischen und dynamischen Marktwirtschaft. Kein Wunder, betont Edmund Phelps immer wieder, dass in Deutschland in den vergangenen 100 Jahren kaum neue international erfolgreiche Unternehmen entstanden sind (Ausnahme: SAP), während das in den Vereinigten Staaten nach wie vor zum Alltag gehört (siehe Microsoft, Google oder Facebook). „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ bringt in Erinnerung, dass der Liberalismus nicht nur eine kritische Analyse des Wohlfahrtstaates (eine „komfortable Stallfütterung der domestizierten Massen“) braucht, sondern zugleich angewiesen ist auf eine bürgerliche Ethik, die der Markt selbst nicht zu bieten hat, ohne welche er aber auch nicht möglich wäre.
Ist das nun eine konservative Haltung? Eindeutig Ja: Märkte brauchen und verzehren Moral. Ein Blick auf Hayeks berühmtes Nachwort „Why I am not a Conservative“ in der „Verfassung der Freiheit“ vermag den Gegensatz zu profilieren. Hayek bezeichnet dort die Konservativen mit einem berühmten Ausdruck von Collingswood als die „Bremse am Fahrzeug des Fortschritts“. Sie haben keine wirkliche Alternative zum Sozialismus, weswegen es ihr Schicksal bleibt, auf einem nicht selbst gewählten Weg mitgeschleppt zu werden. Als „Befürworter des Wegs der Mitte ohne eigenes Ziel“ sind sie Opportunisten ohne eigene Prinzipien. Ihnen fehlt jegliches Vertrauen in die Kräfte der Anpassung und das kreative Versprechen der Innovation. Es bleibt das Schicksal der Konservativen, keine Alternative parat zu haben zur Falle des Freiheit unterdrückenden Wohlfahrtsstaates, in welche sie zusammen mit den Linken laufen. Es bleibt ihr trauriges Schicksal, gelegentlich ihr „Nicht so schnell!“ rufen zu dürfen.
Keine Frage. Hayeks Charakteristik des Konservatismus trifft die Politik der CDU von Adenauer (nicht Erhard!) über Kohl bis Merkel ziemlich präzise. Noch das Lavieren zwischen dem Programm des Leipziger Parteitags und dem derzeitigen Schwadronieren von der Mitte wäre mit Hayek, anders als derzeit üblich, nicht als Abrücken vom Liberalismus und Linksruck zu diagnostizieren, sondern als Ausdruck programmbedingter Orientierungs- und Prinzipienlosigkeit zu deuten. Man marschiert mit den Linken in deren Richtung, nur nicht ganz so weit.
Vor diesem Konservatismus müssen Liberale sich mit aller Macht hüten. Doch dieser leere Konservatismus hat sich zugleich verabschiedet von der bürgerlichen Tugendethik Wilhelm Meisters. Dass es einer historisch gegründeten moralischen Ressource „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ bedürfe, um Märkte lebendig zu halten und Wohlstand zu sichern und zu mehren, hat dieser Konservatismus noch nie gewusst. Unternehmerische Risikofreude, Arbeitsethos und Arbeitsfreude gelten auch in den Unionskreisen als hoffnungslos gestrig. Von der Überzeugung Max Webers, Werner Sombart oder Edmund Phelps’, dass hier die Voraussetzungen der Marktwirtschaft auf dem Spiel stehen, ist nichts mehr übrig geblieben. Aber auch die Hayek- und Mises-Tradition des Liberalismus hat diese Erkenntnis vergessen: Haltungen und Werten wird mit verständlicher Skepsis begegnet, stehen sie doch wie alles Religiöse immer im Verdacht eines voraufgeklärten Dogmatismus, welchen der Freiheitsliebhaber nur schwer erträgt.
Das freilich hat einen hohen Preis. Es könnte sein, dass sowohl die anhaltende Wachstumsschwäche Deutschlands wie auch der anschwellende Antikapitalismus hierzulande eine entscheidende Ursache in der Geschichtsvergessenheit des bürgerlichen Erbes haben, welche den Markt erst möglich macht: Es geht um eine positive Einstellung zu Risiko, Unternehmerfreude und Abenteuerlust. Nur in der Verbindung von institutionenökonomischen und kulturökonomischen Ansätzen lassen sich hinreichende und notwendige Bedingungen für das Entstehen erfolgreicher Marktwirtschaften finden. Wenn die parteipolitisch Konservativen der CDU nur noch als Fortschrittsbremser und Umverteilungsmehrer agieren, wäre es an der Zeit, dass sich die Liberalen dieser konservativen Tradition bürgerlicher Werte annehmen. Denn es sind ihre eigenen Voraussetzungen, die sie zu retten haben, leben wir doch alle ein wenig „von der Frucht besserer Zeiten“ (Novalis). Der Liberalismus muss wieder konservativ werden, um liberale Märkte zu retten. Eine Relecture von Wilhelm Röpke wäre dafür schon einmal ein Anfang.
- Ordnungspolitische Denker heute (3)
Was wir von Wilhelm Röpke lernen sollten – und was lieber nicht. - 26. Januar 2014 - Über den Umgang mit Unsicherheit und Offenheit
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Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun? - 2. August 2013
Puh,
geistreich und ausgestattet mit einem Freischwimmer in Allgemeinbildung, dazu die notwendigen Synapsen, um Zusammenhänge zu erahnen, bin ich in diesen Blog gestolpert. Erstmals und interessiert mich weiter hinein zu lesen. Während ich eher aus dem Bauch heraus und via persönlicher Erlebnisse Kompetenz besitze, reizt mich der akademische Hintergrund hier.
Gern komme ich wieder und lade ein meine eher subjektiven Gedanken zu zerfleischen.
Freundlichst Cornelius H.
Genial. Es besteht also doch noch Hoffnung, dass der kontinentale Liberalismus aus seiner rationalistischen Sackgasse herausfindet und im Wettbewerb der Religionen die Quelle freiheitlicher, lebens- und damit auch leistungsbejahender Werte findet. Genial dazu zu lesen und zu Ihrer Röpke-Rezeption passend: Die Hayek- Lecture von Oberrabbiner Jonathan Sacks „Markets and Morals“:
http://www.chiefrabbi.org/speeches/morals.htm
Bitte, denken, forschen und schreiben Sie auf diesem Wege weiter!
Herzlichst, Ihr
Michael Blume
Gratulation, Herr Dr. Hank, zur Wiederentdeckung von Wilhelm Röpke.
Ich verstehe nur nicht, wie Sie darauf kommen, daß Röpke ein konservativer Liberaler und Hayek, sein überaus liebenswürdiger „Gegenspieler“ (Sie wissen, was ich damit meine) ein liberaler Liberaler war.
Ich würde eher den Unterschied zwischen weltfremden Liberalen und die Welt und die sich in ihnen bewegenden Menschen wahrnehmenden Liberalen sehen.
War es nur Röpke, der die Märkte und viele Marktteilnehmer als Moralverzehrer wahrnahm und wertete? Haben Ludwig Erhard und Franz Böhm etwa andere Ansichten vertreten? Oder Alexander Rüstow?
Natürlich sind auf dem Markt viele Markteilnehmer aktiv, deren eigene Moral verzehrt ist und die die Moral anderer Marktteilnehmer verzehren. So wie der Adler die Leber des Prometheus. Moral entsteht selten im Markt. Wer sie nicht mehr besitzt, wird gierig, neidisch und maßlos. Eigenschaften, die äußerst selten als Tugenden wahrgenommen werden. Welche Tugenden den Kapitalismus fördern, hat ja Röpke aufgezählt.
Marktteilnehmer müssen die erodierte Moral und die erodierten Tugenden jenseits von Markt und Nachfrage regenerieren. Wenn sie überhaupt bemerken, daß sie sie verlieren. Dazu muß man nicht konservativ sein, um es ähnlich wie Röpke und Erhard wahrzunehmen und zu bewerten.
wenn man an andere Menschen Maßstäbe anlegt, muß man sich die Frage gefallen lassen, ob man selbst diese Maßstäbe erfüllt. Honorige Menschen führen die zu Herzen gehende Klage über den mangelnden Unternehmergeist in Deutschland. Wie unternehmend sind die Klagenden selbst, welche Unternehmen gründeten sie selbst? In welchen Unternehmen, in welchen Wirtschaftszweigen haben sie eine persönliche Lebenserfahrung gewonnen?
Die Amerikaner sind unternehmender. Die Amerikaner? Der Amerikaner als Einzelperson? Reicht es nur, den einzelnen Menschen zu betrachten? Wie unterscheidet sich ein unternehmender Amerikaner und die auf ihn reagierenden Menschen seiner Umgebung von einem unternehmenden Deutschen und dem auf ihn reagierenden Umfeld? Welche Tugenden spielen da eine Rolle? Nur die Tugenden der Agierenden oder nicht auch die Tugenden der Reagierenden?
Man gewinnt dann neue Erkenntnisse, wenn man die richtigen Fragen stellt. Wenn man unbefangen die Welt wahrnimmt und nicht mit den Augen des bereits Wissenden.
Ich zitiere hier einmal aus „Das eigentliche Amerika II“ von Rudolf Maresch (2005), worin er sich mit Samuel Huntingtons Gedanken zur kulturellen Identität Amerikas („American Creed“) beschäftigt:
„Sollten der Zustrom aus dem Süden und die Geburtenrate dieser Einwanderer unvermindert anhalten, dann könnte es Schätzungen zufolge bald sein, dass Los Angeles in fünf Jahren und Amerika in einem halben Jahrhundert hispanisch sind. Das Land der Siedler hätte binnen eines halben Jahrhunderts seinen kulturellen Charakter verändert. Die prägende Kraft, die das europäische Erbe auf Amerikaner einst ausgeübt und sie dermaßen erfolgreich in die Moderne geführt hatte, ginge verloren. Statt angloprotestantischer Arbeitsethik dominierten anti-individualistische Werte, statt Leistungswillen, Energie und Arbeitseinsatz Bequemlichkeit, Gelassenheit und Müßiggang.“
(…)
„Ob Amerika in naher Zukunft multikulturell sein und von Prinzipien des American Creed regiert; ob es seinen Weg zweisprachig, bi-kulturell geteilt in weiß und hispanisch suchen; ob es seine Identität retroaktiv und exklusiv wieder auf Rasse und Ethnizität gründen; oder ob es vom Angloprotestanismus inspiriert sich kulturell erneuern wird – Huntington zufolge sind alle vier Varianten und Zukünfte gleich möglich.“
„Das eigentliche Amerika II“
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20402/1.html