„Denn wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seinem Lohn leben können“
Betrachtungen zu einer politischen Kampfparole

Vor nicht allzu langer Zeit führte ich mit einem engagierten, seriösen und kompetenten Lokalpolitiker (sic!) eine Diskussion zum Thema Mindestlöhne. Wir tauschten die üblichen Argumente aus und alles deutete darauf hin, dass ich ihn und die anderen Anwesenden in Kürze überzeugt haben würde. Ich spürte das normale Sträuben, dass mein Gegenüber seine Position nicht sofort und vollständig räumen wollte (das würde ich natürlich auch nicht), er aber doch einsah, auf verlorenem Posten zu stehen. Zumindest stimmte er den meisten meiner Einzelargumente zu.

Dann geschah das Unerwartete: Plötzlich leuchteten seine Augen, ein Lächeln huschte über seine Lippen und er sagte (sinngemäß) zu mir: „Sie mögen ja in vielem Recht haben, aber Sie übersehen das Entscheidende: ,Wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seinem Lohn leben können!“˜“ Die Zuhörer unserer Diskussion wirkten plötzlich wie befreit, sie nickten zustimmend. Man hatte ein wenig das Gefühl, alle wollten sich umarmen und es war nur meine Anwesenheit, die des kalten, herzlosen Ökonomen, die sie davon abhielt.

Dies wollte ich natürlich so nicht stehen lassen und spulte sofort eine Vielzahl weiterer Argumente und Richtigstellungen ab. Doch es war zu spät. Er hatte eine Formel gefunden, der ich kaum widersprechen konnte, und was immer ich sagte, verblasste vor dem Argument, dass ich das Entscheidende – die Formel – übersehen hätte.

Selbstverständlich war mir die Formel als politische Kampfparole nicht unbekannt. Politiker diverser Parteien, zum Beispiel Peer Steinbrück oder Volker Kauder, nutzen Sie gern und ausgiebig. Aber was soll man dagegen sagen? Wem möchte man absprechen, dass er von seinem Lohn leben kann, und dies vor allem dann, wenn er den ganzen Tag arbeitet?

Hat man die Wirkungskraft solcher Parolen einmal verstanden, dann erkennt man, wie wichtig es ist, sie einmal ein wenig eingehender zu betrachten. Dies werde ich im Folgenden versuchen.

1. Was ist mit der Parole gemeint?

Klären wir zunächst, was mit der Parole ausgesagt werden soll, und beginnen wir mit der zweiten Hälfte. Was heißt das: „muss von seinem Lohn leben können“? Es werden zwei Elemente angeführt, (1) man muss leben können und (2) der Lebensunterhalt ist vom Lohn zu bestreiten.

Um das „leben können“ zu verstehen, muss es präziser definiert werden. Zunächst einmal könnte man hierunter verstehen, dass das physische oder das kulturelle Existenzminimum gewährleistet sein muss. Doch wäre diese Interpretation richtig, dann wäre die Einbettung der Parole in den Mindestlohnkontext unangebracht. Das Existenzminimum wird in unserer Gesellschaft über das Arbeitslosengeld I bzw. II und andere Formen von Sozialleistungen gesichert. Auch die Höhe der Mindestlohnforderungen, zumeist werden Stundenlöhne von 7,50 € oder 8,50 € diskutiert, hat wenig Bezug zu einem Existenzminimum (anderenfalls müssten Studierende unter dem Existenzminimum leben).

Wenn es also nicht um das Existenzminimum geht, worum dann? Vermutlich geht es darum, Armut zu vermeiden. In diesem Fall ist zu klären, was unter dem Begriff Armut zu verstehen ist. Üblicherweise definiert man Armut in Bezug auf das Nettoäquivalenzeinkommen (NÄE), das dem um die personelle Zusammensetzung korrigierten pro-Kopf-Einkommen des Haushalts entspricht. Als armutsgefährdet gelten zumeist Haushalte, deren NÄE geringer als 60 % des durchschnittlichen NÄE (Medianwert) ausfällt. Erzielt der Haushalt nur ein NÄE von 50 % des Durchschnittswertes oder weniger, so gilt er nach den Kriterien der OECD als arm.

Veranschlagt man das durchschnittliche NÄE auf etwa 1600 € pro Monat, dann liegt die Armutsschwelle bei einem Monatseinkommen von 800 €. Dementsprechend ist etwa ein Student, der den ganzen Tag für sein Studium arbeitet und vom BAföG-Höchstsatz (670 €) lebt, als arm einzustufen. Wäre es das Ziel des Mindestlohns, eine derart definierte Armut zu vermeiden, so müsste der Mindestlohn für einen alleinstehenden Arbeitnehmer etwa 5 € pro Stunde (800 €/40 Stunden pro Woche/4 Wochen pro Monat) betragen. Erneut ist festzustellen, dass die Höhe der derzeit diskutierten Mindestlöhne (7,50 € bis 8,50 €) weit oberhalb dieser Armutsschwelle liegt.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Befähigung zum Leben auf die Größe des Haushalts bezogen werden muss. Ginge es wirklich darum, dass ein Mindestlohn ein Armut vermeidendes Einkommen sicherstellen soll, so müsste dieser Mindestlohn mit der Haushaltsgröße variieren. Üblicherweise gewichtet man zur Bestimmung der Haushaltsgröße den „Haushaltsvorstand“ mit dem Wert eins, jedes weitere Familienmitglied, das älter als 14 Jahre ist, mit dem Wert 0,5 und alle weiteren Familienmitglieder mit dem Wert 0,3. Betrachtet man nun ein Ehepaar mit zwei Kindern (eines älter und eines jünger als 15 Jahre), so ergibt sich ein Wert für die Haushaltsgröße in Höhe von 1+ 0,5 +0,5 + 0,3 = 2,3. Für diesen Haushalt wäre dann ein Mindesteinkommen von 2,3 x 800 € = 1840 € bzw. ein Mindestlohn von 2,3 x 5 = 11,5 € pro Stunde anzusetzen. Versetzt man sich nun in die Lage eines potentiellen Arbeitgebers, so spricht manches dafür, dass er lieber einen Single für 5 € pro Stunde beschäftigt als einen alleinverdienenden „Haushaltsvorstand“ für 11,50 €. Abgesehen davon, dass man mit einer solchen Regelung Arbeitnehmer mit angeschlossener Familie in die Arbeitslosigkeit treibt, verletzt man auch das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, das nicht zuletzt von vielen Anhängern der Mindestlöhne mit großem Nachdruck gefordert wird.

Damit wird klar, dass Mindestlöhne, die mit der Haushaltsstruktur variieren, nicht praktikabel sind. Beschränkt man sich somit auf einen einheitlichen Mindestlohn, so kann das Kriterium der Armutsvermeidung allenfalls für eine sehr spezielle Familienstruktur realisiert werden. Richtet man die Mindestlöhne zum Beispiel an einem Ehepaar mit einem Kind und einer erwerbstätigen Person aus, dann müsste der Mindestlohn (1 + 0,5 + 0,3) x 5 = 9 € betragen. Dies hätte allerdings zur Folge, dass ein alleinstehender Arbeitnehmer ein weit über der Armutsgrenze liegendes Mindesteinkommen realisieren würde, während eine kinderreiche Familie (ein Alleinverdiener, ein Ehepartner, zwei Kinder, die älter als 14 Jahre sind, und drei Kinder, die jünger als 14 Jahre sind) auf ein NÄE von 424 € käme und damit weit unter der Armutsgrenze bliebe. Treffsichere Sozialpolitik sieht vermutlich anders aus!

Was immer die wahlkämpfenden Politiker unter dem Ziel „leben können“ verstehen mögen, hat somit allenfalls einen sehr schwachen Bezug zu Mindestlöhnen.

Kommen wir nun zum zweiten Aspekt der Parole: „von seinem Lohn“. Ist damit gemeint, dass ein Arbeitnehmer über ein hinreichend hohes Einkommen verfügt, oder ist es zentral, dass ein hinreichend hoher Stundenlohn bezahlt wird? Wäre Ersteres der Fall, dann wäre die Realisierung des Ziels „leben können“ problemlos über ein „Aufstocken“ möglich. Offensichtlich wird jedoch ein Mindestwert für den Stundenlohn angestrebt. Damit stellt sich jedoch die Frage, aus welchem nachvollziehbaren Grund das eigentliche Ziel („leben können“) notwendigerweise über einen gesetzlichen Mindestlohn realisiert werden muss?

Mitunter wird argumentiert, es sei einem Vollzeitarbeitnehmer nicht zuzumuten, einen Antrag auf Hilfsleistungen zu stellen. Er würde damit zu einem Bittsteller degradiert, und das sei unwürdig. Nicht klar ist allerdings, warum dies unwürdig sein soll. Tatsächlich ist die Beantragung von Hilfsleistungen, Subventionen und anderen Privilegien alles andere als eine Ausnahme. Unternehmen beantragen regelmäßig Forschungssubventionen, Erhaltungssubventionen und Sonderbehandlungen bei diversen Formen von Steuern, Abgaben oder Auflagen. Erhalten Sie die beantragten Mittel, werden sie dafür gefeiert. Jahrzehntelang haben Millionen Familien die unterschiedlichen Formen der Eigenheimförderung beantragt und dies niemals als ehrenrührig angesehen. (Hoffentlich) hart arbeitende Studierende beantragen BAföG und die Befreiung von der GEZ-Gebühr, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, dabei ihre Würde verlieren zu können.

Warum sollte dann die Beantragung der Einkommensaufstockung unzumutbar sein? Ich denke, die Beweislast liegt bei den Vertretern der Unzumutbarkeitsthese!

Betrachten wir nun den zweiten Teil der Parole („muss von seinem Lohn leben können“) in seiner Gänze, so kommen wir zu den folgenden Ergebnissen: (a) das Ziel der Armutsbekämpfung wird bestenfalls gestreift; (b) es bleibt völlig unbestimmt was unter „leben können“ zu verstehen ist; (c) die Fokussierung auf den Mindestlohnsatz anstelle des Mindesteinkommens ist nicht zielführend. Insgesamt erweckt die Argumentation den Eindruck, es gehe nicht um Armutsbekämpfung, sondern um eine schlichte Einkommensumverteilung nach den persönlichen Vorlieben der Politiker bzw. der von ihnen anvisierten Wählergruppen.

Abschließend sei noch ein kurzer Blick auf die erste Hälfte der Parole geworfen („Wer den ganzen Tag arbeitet“). Ist damit gemeint, dass nur diejenigen, die den ganzen Tag arbeiten, „leben können“ sollen? Meines Erachtens gibt es viele gute Gründe dafür, dass alle Menschen in einer Gesellschaft leben können sollen, und ich denke, dies ist auch ein gesellschaftlicher Konsens. Doch welchen Sinn hat dann die Einschränkung der ersten Hälfte der Parole? Sie dient wohl eher dazu, das Opfer zu betonen, das mit der Erbringung von Arbeitsleistung verbunden ist, um damit Gerechtigkeitsgefühle zu wecken, die der politischen Durchsetzung einer verstärkten Einkommensumverteilung förderlich sind.

2. Polit-ökonomische Aspekte

Ohne Zweifel ist die Bekämpfung von Armut ein wichtiges und lohnendes Ziel der Sozial- und der Wirtschaftspolitik. Hat man einmal ein derartiges Ziel erkannt, stellt sich die Frage, wie es umgesetzt werden kann und wer die gegebenenfalls anfallenden Lasten zu tragen hat. Grundsätzlich ist es naheliegend, dass die Lasten eines die gesamte Gesellschaft betreffenden Ziels auch von der Gesellschaft in ihrer gesamten Breite getragen werden müssen. Eine Verteilung der Last über das allgemeine Steuer-und Abgabensystem bietet sich dabei an.

Wie steht es jedoch mit dem Ziel der Armutsbekämpfung durch Mindestlöhne? Unmittelbarer Adressat der Belastung sind die Unternehmer. Abgesehen davon, dass ein Teil dieser Lasten (etwa durch Arbeitslosigkeit) auf andere Teile der Gesellschaft überwälzt wird, stellt sich die Frage, warum gerade diese Teilmenge der Bürger zur Umsetzung des gesamtgesellschaftlichen Ziels herangezogen wird? Möglicherweise ist die Vorstellung, Unternehmer seien reich und könnten diese Zusatzlast bequem tragen, ein Grund. Diese Sichtweise ist jedoch nicht nur vereinfachend, sondern gefährlich. Zum einen gibt es durchaus eine große Anzahl von Unternehmen, die am Rande der Wirtschaftlichkeit operieren und durch zusätzliche Belastung (etwa durch Mindestlöhne) in die Verlustzone gedrängt werden. Es sind also nicht alle Unternehmer reich. Zum anderen können Unternehmen, die im Fall höherer Löhne nicht mehr wettbewerbsfähig sind, in die Insolvenz gedrängt werden, was letztlich zum Abbau vieler Arbeitsplätze führen kann.

Was auch immer der Grund dafür sein mag, warum ausgerechnet die Teilgruppe der Unternehmer diesen spezifischen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten soll, es bleibt zu klären, ob nicht andere gesellschaftliche Teilgruppen besser dazu in der Lage wären oder ob eine allgemeine Steuerfinanzierung angemessener wäre.

Es gibt jedoch polit-ökonomische Gründe, warum gerade Vertreter der großen Volksparteien Sympathien für Mindestlöhne bekunden. In Zeiten weit verbreiteter Staatsschuldenkrisen stößt eine schuldenfinanzierte Armutspolitik auf eine breite Skepsis in der Wählerschaft. Eine Finanzierung durch Steuererhöhung wiederum ist grundsätzlich unpopulär, schließlich würde den Betroffenen bewusst, dass sie ein Opfer zu bringen hätten. Die Einführung von Mindestlöhnen erweckt hingegen den (falschen) Anschein, weder den Staatshaushalt noch den normalen Bürger zu belasten. Betrachtet man darüber hinaus den Wirtschaftsprozess (fälschlicherweise) als Null-Summen-Spiel, in dem die Lohnhöhe primär einen Parameter für die Verteilung des in jedem Fall vorhandenen und vorgegebenen Einkommens darstellt, dann erzeugt die mit dem Mindestlohn verbundene gleichere Verteilung der Einkommen ein höheres Maß an Verteilungsgerechtigkeit. Auch wenn diese Sicht auf falschen Annahmen beruht, ist sie populär, so dass ein Politiker, der offen für Mindestlöhne eintritt, damit schnell und wirksam sein Image in der Wählerschaft verbessern kann.

3. Alternativen zu Mindestlöhnen

Dass Mindestlöhne schädlich sind, wurde in diesem Blog bereits mehrfach gezeigt (z.B. hier und hier). Im Wesentlichen gilt, dass höhere Löhne einen negativen Einfluss auf die Nachfrage nach Arbeitskräften ausüben, sodass ein Mindestlohn oberhalb des marktträumenden Niveaus (nur dort hat er eine Auswirkung) unfreiwillige Arbeitslosigkeit erzeugt. Diese betrifft vorrangig gering qualifizierte Arbeitnehmer, insbesondere Jugendliche. Mindestlöhne sind somit nicht nur ungeeignete Instrumente zur Bekämpfung von Armut, sie verursachen auch noch hohe Kosten: Sie belasten die Arbeitslosenversicherung, verringern die Steuereinnahmen und grenzen vor allem junge Menschen vom Arbeitsmarkt aus. Insbesondere Letzteres ist tatsächlich eine Zumutung und für die Betroffenen unwürdig (im Gegensatz zu einem Antrag auf Einkommensaufstockung).

Will man tatsächlich Armutsprobleme, die aus niedrigen Lohnsätzen resultieren, bekämpfen, kann man getrost auf dem Mindestlohn eindeutig überlegene Instrumente zurückgreifen. Zu nennen sind hier insbesondere Kombilöhne und das Bürgergeld. Beide basieren auf der Idee, niedrige Markteinkommen durch staatliche Ergänzungszahlungen aufzustocken, ohne gleichzeitig die Anreize zur Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses zu zerstören.

Im Falle von Kombilohnmodellen werden die am Markt erzielten Einkommen buchstäblich durch staatliche Zahlungen ergänzt. Im Bereich sehr geringer Einkommen sehen zum Beispiel das amerikanische System des Earned Income Tax Credit (EITC) oder das Modell der „Aktivierenden Sozialhilfe“ (ifo- Institut) eine Zunahme der Hilfszahlungen bei steigendem Einkommen vor. Mit anderen Worten: Erhält ein Geringverdiener ein leicht gestiegenes Einkommen, so erhöht sich sogar der Zuschuss. Dies gilt jedoch nur im Bereich sehr geringer Einkommen. Steigen die Einkommen über ein bestimmtes Niveau, dann sinken die Zuschüsse immer weiter bis sie schließlich ganz eingestellt werden. Es gibt eine Vielfalt von konkreten Ausgestaltungsvorschlägen, die sich unter anderem darin unterscheiden, wer die Zuschusszahlung erhält (der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer), wie die Sozialversicherungsabgaben berücksichtigt werden, wer zur Teilnahme am Programm berechtigt ist und wie die konkreten Tarifverläufe gestaltet sind.

Das Bürgergeld basiert zumeist auf der Idee einer negativen Einkommensteuer, d.h. bei geringen Einkommen sieht der Einkommensteuertarif anstelle einer Zahlung den Empfang einer Steuerleistung durch den Arbeitnehmer vor. Auch für das Bürgergeld wurde eine große Anzahl von Varianten entwickelt. Diese unterscheiden sich unter anderem darin, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt oder ob eine Bedürftigkeitsprüfung vorgenommen wird, in welcher Weise das Kindergeld und die Sozialversicherungsleistungen berücksichtigt werden oder die Steuerlast auf Einkommen- bzw. Umsatzsteuer verteilt wird. Das Hauptproblem des Bürgergeldkonzeptes dürfte darin bestehen, dass eine Finanzierbarkeit nur dann gegeben sein wird, wenn das Grundeinkommen, das ein Arbeitnehmer bezieht, wenn er am Markt überhaupt kein Einkommen realisieren kann, deutlich unter das Niveau des Arbeitslosengeldes II absinken müsste.

Wie immer man zu den Detailproblemen der Kombilöhne oder des Bürgergeldes steht, das Problem der Armut trotz Beschäftigung (der „Working Poor“) wird mit ihrer Hilfe deutlich bedarfsgerechter angegangen als mit Hilfe der Mindestlöhne.

Kommen wir zum Fazit: Die Aussage „Denn wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seinem Lohn leben können“ mag höchst populär sein, doch lässt ihre übermäßige Unbestimmtheit derartig weitreichende Interpretationsspielräume, dass man hierunter alles oder nichts verstehen kann. Sie ist eine reine Leerformel. Weder ist klar, was unter „leben können“ zu verstehen ist, noch gibt es irgendeine zwingende Notwendigkeit, die Fähigkeit „leben zu können“ an einen Mindest-Stundenlohn zu koppeln. Die Einführung von Mindestlöhnen verursacht hohe soziale Kosten, sie kann Armutsprobleme nicht wirksam bekämpfen und schon gar nicht aus der Leerformel abgeleitet werden. Leerformeln wie diese dienen dazu, Zustimmung zu politischen Reformen zu erheischen, wenn die inhaltlichen Probleme nur zu offenkundig sind. Deshalb sollten sich Ökonomen noch stärker darum bemühen, den Leerformelcharakter vieler politischer Kampfparolen zu entlarven. Ich selbst muss mir nun schnell einen Termin bei unserem Lokalpolitiker geben lassen, unsere Diskussion ist noch nicht beendet!

5 Antworten auf „„Denn wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seinem Lohn leben können“
Betrachtungen zu einer politischen Kampfparole

  1. Ein toller Artikel, den ich mit Freude gelesen habe. Dennoch bin ich „geheilt“, was Diskussionen mit Politikern betrifft. Es ist am Ende des Tages vertane Zeit, weil Politiker doch nur narzisstische Egomanen sind, die die Augen vor der Wahrheit verschließen, weil sie ja Wahlen gewinnen wollen. Ihnen scheint dabei wichtiger zu sein, ihre häßlichen Visagen in irgendwelche Kameras zu halten, als die drängenden Probleme der Zeit anzugehen. Zudem scheint der überwiegende Teil unserer Bevölkerung nicht in der Lage zu sein, strukturiert zu denken. Anders kann ich mir auch nicht die Wahlergebnisse in der Vergangenheit erklären.
    Wahrscheinlich wird es auch beim Mindestlohn-Problem am Ende so ausgehen, dass die Warnungen der Ökonomen in den Wind geschlagen werden, ähnlich wie bei EURO-Krise, ESM & Co. Flächendeckende Mindestlöhne werden m.E. erzwungen, auf Teufel-komm-raus. Die politischen Rädelsführer werden sich Forschungsinstitute suchen, die sie bei ihren Mindestlohnfantasien unterstützen (IAB etc.) und deren Meinung dann als „Meinung der meisten Ökonomen“ verkaufen…falls durch Mindestlöhne „nur“ 100.000 Arbeitslose +/- X zu beklagen sind, wird man dies als „Collateral-Damage“ hinnehmen, solange die Wiederwahl gesichert ist…

  2. Ich habe den Artikel auch gelesen, aber ich fand ihn nicht so toll. Ehrlich gesagt habe ich schon nach der Hälfte aufgegeben. Wenn jemand mit so einem emotionalen Argument kommt, dann kann man doch nicht rational weiter argumentieren. Dann hat man schon verloren.
    Wenn jemand sagt: ,Wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seinem Lohn leben können!“˜, dann muss man knallhart zurück blaffen und sagen:
    „Natürlich nicht! Ganz im Gegenteil! Wenn er eine Arbeit macht, die keiner haben will, dann DARF er nicht von seiner Arbeit leben können. Sonst sucht er sich doch nie etwas Sinnvolles und lebt immer nur auf Kosten von anderen!“
    Mindestlöhne, Kombilöhne, negative Einkommenssteuer und all diesen Kram kann man danach immer noch anführen.

  3. Ich möchte hier meine Gedanken und Meinung zu dem Artikel Prof. Erlei äüßern: mein Grundgedanke: Mindestlöhne, finanziert im endeffekt durch Kunden, justieren das Preisniveau, die Preise steigen aber nur unmerklich die Nachfrage geht sinkt nur wenig, Gewinne bleiben konstant. „Davon leben können“ interpretiere ich als „angemessener Stundenlohn“.

    Sozial?

    Unsere Marktwirtschaft soll sozial sein. Dazu gehört für mich auch, dass die Käufer einer Dienstleistung / eines Produktes so sozial eingestellt sind, so dass ihre Zahlungsbereitschaft für ein Produkt oder eine Dienstleistung so hoch ist, dass diejenigen, die es produzieren einen angemessnen Studenlohn erhalten. Evenutell, was zu beweisen wäre, liegt das Problem aber weniger in der Zahlungsbereitschaft der Kunden, sondern in der Lohn-Zahlungsbereitschaft der Unternehmer. Ist deren Arbitrage / sind deren Gewinne im Verhältnis zu den Löhnen nicht doch oft unverhältnismäßig hoch? Das wäre ebenfalls unsozial.

    Sozial: Finanzierung der Löhne über Preise durch Kunden, nicht durch Steuerzahler:

    Es wurde vorgeschlagen, dass die Allgemeinheit über Steuern den Studenlohn quasi mitfinanzieren könnte. Das finde ich ungerecht. Die Preise müssen so hoch sein, dass davon anständige Löhne gezahlt werden können. Wenn sich Preise durch Mindestlöhne erhöhen, weil die Gewinne gleich bleiben sollen, so wird sich eben ein höheres Preisniveau einstellen. Das kosten Haarschnitte statt 25 Euro eben 27 Euro, aber die Friseuse bekommt statt 5 Euro dann 7 Euro pro Stunde, der Ladeninhaber kann weiter Porsche fahren, der Kunde merkt fast keinen Preisunterschied und Steuerzahler bleibt unbehelligt. Die Nachfrage nach Haarschnitten wird vermutlich nur wenig absinken, den der Preis steigt nur um 2 Euro.

    Funktionieren 3. Welt Siegel für Kaffee nicht ähnlich gut? Indem der Preis des Produkts künstlich erhöht wird und somit das Preisniveau anders justiert wird, können entsprechende Löhne gezahlt werden.

    weitere Gedanken:

    Problem Leiharbeit: Arbeitsagenturen fungieren nur als Arbitageure, erzeugen selbst keine Werte, schöpfen aber Gewinne ab und verschieben die Machtverhältnisse in einer Marktwirtschaft zugunsten der Unternehmer. Besser wäre es, die Arbeiter direkt einzustellen und das Geld, was an die Agenturen fliesst nun als Lohn auszuzahlen.

    Problem Altersarmut: Wenn Leute zu wenig verdienen, schlittern Sie automatisch in die „Altersarmut“ und liegen dem Steuerzahler dann auch wieder auf der Tasche.

    Fazit:

    Der Staat kann den Ur-Kapitalismus-artigen Lönen von 3 oder 5 Euro pro Stunde meiner Meinung nach effektiv und gerecht mit Mindestlöhnen begegnen. Mindestlöhne sollten sich als probates Mittel der sozialen Marktwirtschaft etablieren.

    ein Student aus Clausthal.

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