Unerwünschte Nebenwirkungen: Die Finanztransaktionssteuer und der Verbraucherschutz

Die große Koalition von Christ- und Sozialdemokraten steht und nun gilt es, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Dieser macht große Versprechungen, doch ist es fraglich, ob die Koalitionäre sie wirklich einhalten und ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden können. Das Ziel der Koalition ist nichts weniger, als „die Grundlagen für unseren Wohlstand und den Zusammenhalt [zu sichern und auszubauen, so] (…) dass alle Menschen in Deutschland (…) ein gutes Leben führen können“. Angesichts der widersprüchlichen Inhalte des Koalitionsvertrags besteht die akute Gefahr, dass dies – wenn es überhaupt zu einer Wohlfahrtssteigerung kommt – nicht allen Menschen gelingen wird, sondern vielmehr gerade schwächere Personengruppen ins Hintertreffen geraten werden. Der Vorstellung einer Sozialen Marktwirtschaft, die allokative Effizienz mit dem Schutz der Schwächeren verbindet, läuft dies in eklatanter Weise zuwider, wie das folgende Beispiel zum problematischen Zusammenspiel von Finanztransaktionssteuer und Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen aufzeigen wird.

Das Ziel der Finanztransaktionssteuer

Laut Koalitionsvertrag verfolgt die geplante Finanztransaktionssteuer in erster Linie ein Aufkommensziel („Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene stärkt die Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Krise und an den Zukunftsaufgaben von Wachstum und Beschäftigung“). Dies ist insofern verwunderlich, als die Idee der Tobin-Steuer, auf der das Konzept der Finanztransaktionssteuer beruht, eher die einer Lenkungssteuer ist, durch die „spekulative“ bzw.  „böse“ Finanzströme zugunsten realwirtschaftlich begründeter bzw. „guter“ Finanzströme zurückgedrängt werden sollen. Denkt man dies konsequent zu Ende, so würde das Aufkommen bei erfolgreicher Implementierung der Steuer recht klein ausfallen, weil es sehr viel umfangreichere „böse“ als „gute“ Finanzströme gibt. Wenn erstere durch die Steuer verschwinden, dann schrumpfen die Steuerbasis und das Aufkommen erheblich.

Wer oder was ist „der Finanzsektor“?

Ebenfalls erstaunlich ist die wenig differenzierte Verwendung des Begriffs „Finanzsektor“. Sie unterstellt, dass der „Finanzsektor“ eine eigenständig handelnde und damit besteuerbare Persönlichkeit darstellt. Was aus der Sicht des Juristen, der hinter dem „Finanzsektor“ eine Anzahl „juristischer Personen“ vermutet, noch sinnvoll erscheinen mag, ist aus ökonomischer Sicht verfehlt. Hinter „dem Finanzsektor“ stehen Menschen, etwa Eigentümer, Mitarbeiter und Kunden der Finanzunternehmen. Eine Steuer, die im politischen und öffentlichen Verständnis vor allem auf „gierige Banker“ abzielt, muss nicht zwangsläufig die Banker im Sinne des Bank-Managements treffen. Sehr wahrscheinlich trifft sie bspw. die Eigentümer stärker als die Manager, was durchaus auch zum Nachteil für den kleinen Sparer ist, der in der Regel – direkt oder indirekt – ein Miteigentümer des Finanzsektors ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn seine Hausbank das Geld, das er auf seinem Sparbuch anlegt, zum Erwerb von Bankaktien nutzt.

Steuerüberwälzung

Besonders interessant wird es, wenn es der Finanzbranche gelingt, die Lasten der Finanztransaktionssteuer auf ihre Kunden zu überwälzen. Die Politik und die Öffentlichkeit neigen dazu, das ökonomische Konzept der steuerlichen Inzidenz konsequent zu ignorieren und davon auszugehen, dass die Belastung einer Steuer stets bei der Person liegt, die die Steuer an den Fiskus abführt (oder die gemäß Gesetzesbeschluss die Steuer tragen soll, wie es bspw. bei der Mehrwertsteuer der Fall ist). Soll also der Finanzsektor für seine Rolle in der aktuellen Krise (steuerlich) zur Verantwortung gezogen werden, dann reicht es nach dieser Logik, ihn mit einer (Finanztransaktions-)Steuer zu belegen. Ökonomisch ist diese Vorgehensweise jedoch wenig zielführend, weil es nahezu immer Überwälzungsprozesse gibt, bei denen es demjenigen, der die Steuer abführt, gelingt, seine Steuerlast durch höhere Preise an die Kunden weiterzugeben. Wie gut oder schlecht die Überwälzung gelingt, hängt dabei in erster Linie von der Reaktionsstärke der Kunden auf die Preisänderung ab, d.h. von der Preiselastizität der Nachfrage.

Um diese Idee noch etwas zu verdeutlich, soll an dieser Stelle ein kurzer Exkurs zu einer anderen Absurdität des Koalitionsvertrags, die ganz ähnlich gelagert ist, gemacht werden. Auch hierbei geht es um eine Last, die sich ähnlich einer Steuer zwischen Verkäufer und Käufer schiebt: die Maklergebühr. Bei den Großkoalitionären und bei vielen Bürgern herrscht der Glaube vor, dass man geplagten Wohnungssuchenden einen Gefallen tue, wenn bei Maklerdienstleistungen die Regel „wer bestellt, der bezahlt“ eingeführt wird. Wer also eine Wohnung vermieten will, soll demnach den Makler selber zahlen. Es gäbe keinen Grund, den Mieter damit zu belasten (wie es momentan noch der Regelfall ist). Doch ändert sich dadurch die Belastung der Mieter wirklich? Nein, denn in einem engen Markt (wie z.B. in München) führt jede Entlastung des potenziellen Mieters, die durch eine Verschiebung der Maklerkosten auf den Vermieter scheinbar „gewonnen“ wird, zu einem höheren Mietzins. Der entlastete Mieter gewinnt zusätzlichen finanziellen Spielraum, eine höhere Miete zu zahlen. Tut er dies nicht, findet sich in dem engen Markt ein anderer Mieter, der den geforderten höheren Preis zahlen wird. Mit anderen Worten: vor der Neuregelung hat der Mieter ganz offiziell die vollen (oder je nach Stadt halben) Maklergebühren gezahlt. Mit der Neuregelung zahlt er nun einen höheren Mietzins, mit dem der Vermieter seinerseits die Maklergebühren begleicht. Geändert hat sich also nichts (übrigens auch nicht in der Uckermark, Ostfriesland oder anderen Teilen Deutschlands, in denen der Mechanismus wegen der schwachen Nachfrage gerade andersherum abläuft).

Für den Fall der Finanztransaktionssteuer bedeuten diese Überlegungen zunächst einmal, dass die Finanzbranche selbstverständlich versuchen wird, die Lasten der Steuer auf die Kunden zu überwälzen. Wie gut dies gelingt, hängt entscheidend davon ab, ob die Nachfrage elastisch ist, d.h. davon, ob die Kunden bei steigenden Preisen für Bankdienstleistungen und Kredite ihre Bank wechseln. Tun sie dies, lassen sich die höheren Preise nicht durchsetzen und die Kunden müssen die Lasten nicht tragen (dafür die Eigentümer und die Mitarbeiter). Wie realistisch ist dies? Betrachtet man die Bankenlandschaft, dann erkennt man keine besonders ausgeprägte Wechselbereitschaft, die die Banken in einen besonders scharfen Wettbewerb zwingen würde. Das Wort „Hausbank“ spricht hierbei Bände! Wenn überhaupt, dann findet ein Wettbewerb bei den Grundgebühren für Girokonten („kostenloses Girokonto“) und Kreditkarten sowie bei den Kreditzinsen für Konsumentenkredite statt. Hier würde demgemäß die Überwälzung der Finanztransaktionssteuer am wenigsten gelingen.

Basisprodukte und Zusatzleistungen

Nun ließe sich an dieser Stelle argumentieren, dass dann ja kein großes Problem vorläge, denn bei Girokonten oder Kreditkarten handele es sich schließlich um diejenigen Finanzdienstleitungen, die für die Kunden die relativ größte Bedeutung haben, während alles andere Nebensächlichkeiten seien. Doch diese Betrachtungsweise greift zu kurz. Schaut man sich (Finanz-)Produkte wie Girokonten und Kreditkarten genauer an, dann zeichnen sich diese dadurch aus, dass sie aus einem Basisprodukt und Zusatzleistungen bestehen. Ein Girokonto ermöglicht kostenlosen Zahlungsverkehr, solange es nicht überzogen wird, denn dann wird ein kurzfristiger Kredit zu zumeist recht ungünstigen Konditionen aufgenommen. Ähnlich funktionieren auch Kreditkarten. Darüber hinaus werden zahlreiche kostenpflichtige Zusatzleistungen angeboten. Viele kostenlose Girokonten können nur online genutzt werden, während die Filialnutzung mit gesonderten Kosten verbunden ist. Spezielle Dienstleistungen (wie bspw. Überweisungen nach Übersee) können enorme Kosten verursachen. Auch bei Kreditkarten sind verschiedenste kostenpflichtige Zusatzleistungen möglich. Typischerweise werden auf diese Weise die Basisprodukte, die – wettbewerblich bedingt – sehr günstig angeboten werden müssen, durch teure Zusatzleistungen quersubventioniert. Dieses Phänomen ist auch von anderen Produkten wie (sehr günstigen, mit Verlust verkauften) Tintenstrahldruckern und (überteuerten) Tintenpatronen bekannt.

Für die Verbraucher ist es zumeist sehr schwierig, die wahren Kosten des Basisprodukts in Kombination mit den zu erwartenden Kosten für Zusatzleistungen abzuschätzen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Kunden sich eher kurzsichtig verhalten und sich mit den (zukünftigen) Kosten durch Zusatzleistungen kaum beschäftigen. Sie sind zumeist vor allem auf den Signalpreis des Basisprodukts fokussiert (vgl. Armstrong / Vickers 2012). Dies erlaubt es den Banken, die Kosten der Zusatzleistungen relativ leicht zu variieren. Mit anderen Worten: die Belastungen durch die Finanztransaktionssteuer ließen sich somit auch weiterhin relativ einfach überwälzen, wobei die Überwälzung eben in erster Linie bei den Zusatzleistungen und nicht beim Basisprodukt erfolgen wird. Ein schärferer Wettbewerb im Bereich der Zusatzleistungen, wie ihn etwa Shapiro (1995) als mögliche Lösung ins Spiel bringt, ist angesichts der großen Zahl und der Komplexität von Bankdienstleitungen sowie der letztlich individuell sehr unterschiedlichen Auswahl dieser Leistungen kaum zu erreichen (anders als bspw. bei Tintenpatronen). Insofern muss davon ausgegangen werden, dass es tatsächlich gelingen wird, nicht unerhebliche Teile der Finanztransaktionssteuer auf diesem Wege zu überwälzen.

Zahlen werden die Schwächsten

Die Literatur (z.B. Gabaix / Laibson 2006; Armstrong / Vickers 2012) weist in diesem Zusammenhang auf einen weiteren kritischen Aspekt hin, der verteilungspolitischer Natur ist. Nicht alle Menschen sind – aus den unterschiedlichsten Gründen – gleich gut „informiert“, d.h. es gibt Menschen, die besser mit den kostenpflichtigen Zusatzleistungen umgehen können als andere. Sie sind daher in der Lage, Kosten zulasten der weniger informierten Menschen einzusparen. Ein informierter Mensch nutzt gerne das subventionierte Basisprodukt Girokonto oder Kreditkarte, wird aber konsequent versuchen, auf die damit verbundenen Zusatzleistungen zu verzichten, etwa indem er auf Kontoüberziehungen verzichtet oder seine Kreditkarte nicht für Käufe auf Kredit nutzt. Besteht die Notwendigkeit eines Kredits, dann wird er einen günstigen Konsumentenkredit wählen und nicht den teuren Überziehungskredit. Die Mischkalkulation der Banken kann unter diesen Umständen nur dann aufrechterhalten werden, wenn entweder das Basisprodukt teurer wird (dann jedoch verliert die Bank im Wettbewerb zahlreiche Kunden) oder die Preise der Zusatzleistungen steigen. Letzteres trifft jedoch nur die uninformierten Kunden. Geht man nun davon aus, dass Informiertheit positiv mit dem Einkommen und Bildungsstand korreliert, was sehr wahrscheinlich ist, dann folgt daraus, dass die Überwälzung der Finanztransaktionssteuer in Form teurerer Zusatzleistungen in erster Linie die einkommensschwächeren Bürger trifft.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass eine Finanztransaktionssteuer ihr Ziel, die Finanzbranche zur Finanzierung der Krisenlasten heranzuziehen, wenn überhaupt, dann allenfalls sehr begrenzt erreichen wird. Den Banken wird es gelingen, einen nicht unerheblichen Teil der Steuerlast auf ihre Kunden abzuwälzen, wobei die Hauptleidtragenden die ärmeren Bevölkerungsschichten sein werden. Aus verbraucherpolitischer Sicht ist die Finanztransaktionssteuer also verfehlt. Das politische Ziel des Koalitionsvertrags, alle Bürger besser zu stellen, kann unter diesen Umständen nicht erreicht werden. Dies verdeutlicht, wie wenig kohärent und konsistent der Koalitionsvertrag gestaltet worden ist. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung in ihrer tatsächlichen Politik solche Widersprüche vermeiden wird. Noch ist die Finanztransaktionssteuer ja nur ein Plan…

3 Antworten auf „Unerwünschte Nebenwirkungen: Die Finanztransaktionssteuer und der Verbraucherschutz“

  1. Hinzu kommt, daß seitens der Politik und „wohlmeinenden“ Medienvertretern immer auf den geringen Steuersatz von 0,1% hingewiesen wird. Verschwiegen wird dabei aber, daß hinter vielen Produkten, etwa auch bei solchen zur Altersvorsorge, eine ganze Reihe von jeweils einzeln steuerpflichtigen Transaktionen steht, so daß sich die 0,1% ganz rasch aufsummieren. Dies kann nach Berichten der FAZ aus dem letzten Jahr zu einer steuerlichen Belastung von bis zu 1% anwachsen. Die Rentabilität der (zumindest früher einmal) politisch gewollten privaten Altersvorsorge wird weiter eingeschränkt.

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