Die Werte der Wirtschaft (2)
Wirtschaftliche Freiheit – ein Wert im Niedergang?

Der Wert der Freiheit in unserer Gesellschaft – ist Freiheit heute nicht mehr gewünscht?

Brüderle und die FDP haben in ihrem letzten Bundestagswahlkampf für ein Leben in Freiheit Werbung betrieben. AfD-Chef Lucke warnt auch im Europawahlkampf wieder vor einem zentralen europäischen Überstaat. Er kritisiert die Entwicklung unseres (europäischen) Staatswesens, das auf Steuerung und Kontrolle statt auf dezentrale Entscheidungen der Mitgliedsländer oder des Einzelnen setzt. Die Piratenpartei setzt sich für einen stärkeren Datenschutz ein. Es geht ihr um Privatsphäre, um informationelle Selbstbestimmung, mithin um Freiheit.

Alle drei Parteien wurden 2013 nicht in den Bundestag gewählt. Nach der Wahl setzte dann in den Medien eine Diskussion darüber ein, ob die Menschen überhaupt noch liberale Gedanken als wichtig für die gesellschaftliche Ordnung erachten. Statt mehr Freiheit und Selbstbestimmung setzt die mit breiter Zustimmung gewählte große Koalition derzeit primär Beschlüsse durch, in denen der Staatshaushalt weiter ausgebaut wird und Sozialpolitik und Gerechtigkeitsdenken die Politik bestimmen. Den Bürger scheint es nach den aktuellen Wähler-Umfragen jedoch nicht sonderlich zu stören. Die Umfragewerte der Parteien zeigen unveränderte Zustimmung zur großen Koalition.

Dies kann ein liberales Gemüt bedenklich stimmen. Denn möglicherweise folgt das politische Handeln einer Werteverschiebung in unserer Gesellschaft, die wegführt vom Idealbild der freiheitlichen Ordnung. Doch so einfach ist es wahrscheinlich nicht. Der derzeit fehlende Zuspruch in der Bevölkerung kann (neben möglichen politischen Fehlern der liberalen Parteien) mehrere Ursachen haben. Eine Analyse ist wichtig. Denn wenn es tatsächlich so ist, dass in unserer Gesellschaft der Wert der Freiheit an Gewicht verliert, so wird dies auf kurz oder lang auch unsere auf freiem Wettbewerb basierende Soziale Marktwirtschaft bedrohen.

Wie wichtig ist uns Freiheit im Vergleich zu anderen Werten?

Die Ergebnisse repräsentativer Umfragen in der deutschen Bevölkerung verdeutlichen, wie eminent wichtig den Deutschen der Wert Freiheit auch heute noch zu sein scheint. Im deutschen Wertemonitor – einer Studie der Friedrich-Naumann Stiftung zu unseren Werten – wurden die Befragten gebeten, den vorgegebenen 13 Werten ihre persönlich wahrgenommene Wichtigkeit zuzuordnen (Friedrich-Naumann-Stiftung, 2012). Unter den 13 abgefragten Werten (darunter zentrale gesellschaftliche Werte wie soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung oder Sicherheit) nimmt der Wert der Freiheit deutlich den ersten Rang ein. 74 Prozent der Befragten halten ihn für sehr wichtig (vgl. Abbildung 1). Dieses Gefühl zieht sich durch alle Bevölkerungsgruppen.

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Dann ist ja alles gut. Aber warum wählen wir dann keine liberalen Parteien mehr? Definieren wir Freiheit anders als die?

Allerdings weist die Beantwortung der Frage nach der politischen Partei der Freiheit in derselben Umfrage darauf hin, wie unterschiedlich Freiheit von den Menschen definiert wird. Parteipolitisch gebundene Bürger bezeichnen laut Umfrage jeweils mehrheitlich die Partei ihrer Wahl als jene, welche die eigenen Vorstellungen des Freiheitswertes am besten verkörpert. Die Zahlen sind folglich interpretations-bedürftig: Was meinen die Befragten für eine Freiheit?

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Tabelle 1 gibt hierüber einen ersten Aufschluss: Es sind primär die wirtschaftlichen Verhältnisse und der Zeitmangel, die uns das Gefühl vermitteln, in unserem Entscheidungsspielraum eingeschränkt zu werden. Nur sekundär hingegen fühlen wir uns von Staat und Regierung, Bürokratie und Verwaltung beengt. Die Beantwortung dieser Frage könnte auf ein eklatantes Missverständnis des Freiheitsbegriffs hindeuten.

Der zentrale Wert in einer Marktwirtschaft ist die individuelle Freiheit als Chance zur Selbstverwirklichung. Der Mensch erhält die Möglichkeit, sich frei zwischen Alternativen zu entscheiden. Dabei hat er natürliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Die Endlichkeit der verfügbaren Ressourcen und die begrenzte Dauer des eigenen Lebens bedingen eine Knappheit, die eine Erfüllung bestimmter Wünsche ausschließen kann. Zudem sind bei der Verfolgung des individuellen Ziels der Selbstverwirklichung die Wünsche und Bedürfnisse anderer Mitglieder der Gesellschaft zu beachten. Diese Wünsche sind – soweit es sich um kollektive gemeinsame Interessen der Gesellschaftsmitglieder handelt – in einer gesetzlichen Rahmenordnung verankert. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen schützen die Interessen anderer. Eine Politik der Freiheit ist damit keine Laissez-faire Politik. Handelt es sich um Wünsche einzelner, die es zu beachten gilt, wird ihr Einfluss auf die Entscheidungen in einer Marktwirtschaft hingegen über ein Preissystem abgebildet. Ist eine Ware oder Dienstleistung sehr begehrt, so ist ihr Preis hoch. Damit ist sie für den Einzelnen teuer. Nichtsdestotrotz besteht die Möglichkeit, sich für die Bezahlung des Preises und damit für den Kauf zu entscheiden.

Vielfach wird nun argumentiert, die Wahl- oder Entscheidungsfreiheit des Einzelnen sei keine wirkliche Freiheit, sondern nur eine formale. Viele Menschen verfügten – so argumentieren Kritiker der Umsetzung des Wertes Freiheit in einer Marktwirtschaft gerne – nicht über ausreichende Mittel, um sich ihre Wünsche erfüllen zu können. Dies stimmt. Aber es bedeutet nicht, dass die Entscheidungsfreiheit dadurch an Substanz verliert.

Denn erstens folgt aus der Endlichkeit der Ressourcen, dass eine unbegrenzte Erfüllung aller menschlichen Wünsche ohnehin niemals und an keinem Ort (wenn man vom Paradies absieht) möglich ist. Eine solche Erfüllung aller Wünsche kann weder im System der Marktwirtschaft noch in irgendeinem anderen Allokations- und Distributionssystem erreicht werden. Die Knappheit unserer Ressourcen führt dazu, dass jede Entscheidung mit Opportunitätskosten einher gehen muss. Es ist ein Missverständnis, Freiheit als Abwesenheit von Not, als Befreiung aus dem Zwang äußerer Umstände, die unsere Wahl an Gütern begrenzen, zu verstehen. Freiheit in letzterem Sinne wäre nur ein anderer Ausdruck für Macht oder für Reichtum (vergleiche hierzu Hayek, 2003, S.46). Das Versprechen einer solchen Freiheit lässt sich durch die Überwindung der naturgegebenen Knappheit unserer Ressourcen nicht erreichen, sondern lediglich durch die Beseitigung der Unterschiede zwischen den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Individuen, auf diese Ressourcen zuzugreifen. Freiheit in diesem Sinne würde also nichts anderes als gleichmäßige Besitzverteilung bedeuten, und diese würde Freiheit im eigentlichen Sinne als Möglichkeit zur Entfaltung und Selbstverwirklichung wiederum einengen.

Zweitens bedeutet eine momentane Einschränkung des Entscheidungsspielraumes aufgrund der Knappheit eigener Ressourcen ja nicht, dass diese Einschränkung dauerhaft sein muss. Im Gegenteil: Marktwirtschaft ist ein dynamischer Prozess. Schumpeter (1942, S.137) spricht vom Prozess der schöpferischen Zerstörung, Hayek (1969, S. 249ff) vom Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. Wem also sein gegenwärtiger Entscheidungsspielraum zu klein ist, der kann versuchen, diesen durch Investitionen in der Zukunft zu vergrößern. Hierzu muss er freilich eine (aus Sicht der anderen Gesellschaftsmitglieder) relevante Leistung erbringen. Dies (und damit der Versuch der Selbstverwirklichung) ist in einer offenen Marktwirtschaft jedem Gesellschaftsmitglied freigestellt.

Unsere gefühlte und die von den Ökonomen gemessene Freiheit: Passen sie denn zueinander?

Freiheit messen zu wollen ist ein nahezu vermessenes Unterfangen. Trotzdem werden solche Versuche unternommen, um Vergleiche zwischen unterschiedlichen Regelsystemen verschiedener Länder vornehmen zu können. Das kanadische Frazer Institute legt mit dem Economic Freedom Index jährlich eine solche Messung der ökonomischen Freiheit vor. Relevant für die quantitative Bestimmung der Freiheit im Economic Freedom Index sind die Größe des öffentlichen Sektors, die Umsetzung des Rechtsstaates und die Garantie der Eigentumsrechte, ein intakter monetärer Sektor (mithin keine Inflation), die Existenz von Handelsbarrieren sowie die Qualität der Regulierungen auf den Märkten (vergleiche für genaue Definitionen die Studie des Frazer Institutes von Gwartney et al., 2012, S.4).

Deutschland belegt nach dem Index von 2011 Platz 19 im weltweiten Vergleich. Hong Kong ist auf Platz 1 das Land mit der größten ökonomischen Freiheit, gefolgt von Singapur, Neuseeland und der Schweiz. Die USA landen auf Platz 17, die Niederlande auf Platz 30 und Frankreich auf Platz 40. Ökonomische Freiheit in Deutschland ist also im Vergleich zu anderen entwickelten Volkswirtschaften laut Frazer Institute in einem hohem Maße vorhanden, aber im internationalen Vergleich immer noch ausbaufähig (Gwartney et al., 2013).

Abbildung 2 veranschaulicht das Freiheitsgefühl der Menschen verschiedener Länder im Hinblick auf die gemessene ökonomische Freiheit des jeweiligen Landes. Die vertikale Achse zeigt dabei den Anteil der Bevölkerung auf, die sich mehr oder weniger in ihrem Land frei fühlen, während die horizontale Achse den tatsächlich gemessenen Wert der Freiheit im jeweiligen Land abträgt, wie er vom Frazer Institute erfasst und bewertet wurde.

In einer empirischen Befragung des World Values Survey wurde mit der Frage „Wie frei oder unfrei fühlen Sie sich in Ihrem Land?“ das persönliche Freiheitsgefühl der Bürger in ihrem Land beleuchtet. Mithilfe einer Skala von eins bis zehn konnten die Befragten angeben, wie frei sie sich in ihrem Land fühlen, wobei die Werte von acht bis zehn den Anteil der Bevölkerung mit ausgeprägtem Freiheitsgefühl zusammenfassen. Dieser Anteil wird in der Abbildung 2 auf der vertikalen Achse dargestellt.

Für einige der dargestellten Länder lässt sich feststellen, dass sich die gemessene ökonomische Freiheit nicht mit der gefühlten Freiheit des Volkes deckt. Während in Mexiko knapp 80% der Bevölkerung ein sehr hohes Freiheitsgefühl empfinden, obwohl der ökonomische Freiheitsindex einen im Vergleich niedrigen Wert aufweist, fühlen sich nur ca. 30% der Bevölkerung in Hong Kong frei, obwohl die gemessene Freiheit mit einem Indexwert von neun sehr hoch ist. Deutschland lässt sich mit einem Index von ungefähr 7,8 und einer gefühlten Freiheit von 40% in der Mitte der aufgeführten Länder einordnen. Dies zeugt davon, dass sich im Gegensatz zu Mexiko oder Hong Kong die Deutschen entsprechend der ökonomisch gemessenen Freiheit auch als relativ frei einschätzen. Die in einigen Ländern aufgezeigten Widersprüche zwischen gefühlter und gemessener Freiheit werfen die Frage auf, ob uns unser Gefühl trügt, ob die Freiheit falsch vermessen wurde, oder ob die Definition von Freiheit in der Gesellschaft und der Freiheitsbegriff unter Ökonomen einfach doch sehr unterschiedlich sind.

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Ist unser Freiheitsgefühl denn über die Jahre gleich geblieben? Oder wie hat sich das Freiheitsgefühl verändert?

Die Menschen in Ost- und Westdeutschland wurden in den letzten 15 Jahren regelmäßig vom Institut für Demoskopie Allensbach befragt, wie frei sie ihr gegenwärtiges Leben auf einer Skala von null bis zehn empfinden. Ein Wert von zehn bedeutet, die Antwortenden haben das Gefühl, in ihrem gegenwärtigen Leben ganz freie Menschen zu sein. Null bedeutet, die Menschen haben das Gefühl, vollkommen unfrei zu sein. Die ausgewerteten Ergebnisse zeigen erstens, dass sich die Westdeutschen im Gegensatz zu den Ostdeutschen subjektiv bis vor kurzem im Schnitt freier fühlten. Das gefühlte Freiheitsempfinden der Ostdeutschen nimmt seit 2005 stetig zu. Zwischen 2011 und 2012 lag der gemessene Wert sogar über dem der Westdeutschen. Diese Tendenz könnte ihren Ursprung darin haben, dass die Ostdeutschen in den letzten Jahren mehr Vertrauen in ihr Land und dessen Ordnung aufgebaut haben – und sich daher auch mittlerweile frei fühlen. Es kann aber auch am wirtschaftlichen Aufschwung im Osten seit 2005 liegen: Dann wird möglicherweise der steigende Wohlstand von den Menschen als Zuwachs an Freiheit fehlinterpretiert.

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Was können wir aus den Umfragen schlussfolgern?

Es ist vor dem Hintergrund der bisher geführten Umfragen gar nicht einfach, Rückschlüsse zu ziehen, ob die Deutschen tatsächlich dem Freiheitswert verändert gegenüber stehen.

  • Erstens ist zu konstatieren, dass Freiheit in einschlägigen Umfragen von einer großen Mehrheit der Bevölkerung als zentraler Wert für unsere Gesellschaft angesehen wird – Freiheit liegt dabei sogar vor Werten wie Gerechtigkeit und Wohlstand.
  • Zweitens fühlen wir uns genauso frei wie früher. Auch wenn von ordoliberalen Ökonomen der Ausbau des Staates – der Leviathan oder Überstaat – immer wieder als Freiheitsbedrohung hingestellt wird. Vielleicht sind wir ja trotz der Unkenrufe vieler Ökonomen auch in mancher Hinsicht freier geworden (wenn man an die Errungenschaften der Europäischen Union denkt, die gerade im Bereich internationaler Mobilität auch für viele neue Freiheiten gesorgt haben). Und vielleicht ist dies der Grund, warum liberale Parteien es derzeit bei Wahlen schwer haben. Wir fühlen uns bereits so frei, dass wir Verbesserungen als nicht notwendig ansehen.
  • Drittens jedoch wird Freiheit (in Umfragen) auch allzu oft von uns missverstanden als Wohlstand oder Macht. Ganz klar: Auch diese beiden sind Ziele und Werte, die sich in einer Marktwirtschaft konkretisieren lassen. Aber sie haben nichts mit jenem Freiheitsbegriff zu tun, den wir Ökonomen meinen, wenn wir von Freiheit als Grundlage unserer Marktwirtschaft sprechen.

Quellen:

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (2012): Deutscher Wertemonitor – Die Freiheit der Gesellschaft, Ergebnisse der Befragung im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Berlin.#

Gwartney, James und Lawson, Robert (2007): Economic Freedom of the World, Herausgeber: Frazer Institute, Vancouver B.C.

Gwartney, James, Lawson, Robert, Hall, Joshua (2012): Economic Freedom of the World, Herausgeber: Frazer Institiute, Vancouver B.C.

Gwartney, James, Lawson, Robert, Hall, Joshua (2013): Economic Freedom of the World, Herausgeber: Frazer Institiute, Vancouver B.C.

Hayek, Friedrich A. von (1969): Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Tübingen

Hayek, Friedrich A. von (2003): Der Weg zur Knechtschaft, Sonderausgabe, München

Institut für Demoskopie Allensbach (2012): Der Wert der Freiheit in der Freiheit – Eine Dokumentation des Beitrags von Prof. Dr. Renate Köcher, Frankfurt

Schumpeter, Joseph A. (1942): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, New York/London

World Values Survey, Datenbankabruf am 05.01.2014

 

Beiträge der Serie „Werte der Wirtschaft“:

Michael Neumann: Der Leistungsgedanke in unserer Gesellschaft – Einige Anmerkungen

 

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