1. Eine Wirtschafts- und Währungsunion kann als erstrebenswertes Ziel des europäischen Integrationsprozesses angesehen werden. Die Beschlüsse von Maastricht sind allerdings in entscheidenden Punkten ungeeignet, dieses Ziel angemessen zu verwirklichen.
2. Eine funktionsfähige Wirtschafts- und Währungsunion erfordert als Vorbedingung eine dauerhafte – über mehrere Jahre hinweg nachgewiesene – Angleichung der relevanten Wirtschaftsstrukturen der Mitgliedsländer. Eine einmalige – stichtagsbezogene – und damit mehr oder weniger zufällige Erfüllung einzelner Kriterien ist kein Nachweis der erforderlichen Konvergenz.
3. Die in Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien sind zu weich. So ist unter anderem nicht irgendeine relative, sondern allein eine in absoluten Werten definierte Preisniveaustabilität als ökonomische Vorbedingung für den Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion zu fordern.
4. Der endgültig fixierte Termin für die Realisierung der Währungsunion (1. Januar 1999) wird eine politische Eigengesetzlichkeit gegenüber den vereinbarten Konvergenzkriterien nach sich ziehen: Ist der Zeitpunkt erreicht, besteht die Gefahr, dass insbesondere das Inflationskriterium und das Defizitkriterium einer ,tragbaren Finanzlage der öffentlichen Hand’ politisch verwässert werden, um Diskriminierungen einzelner Länder zu vermeiden.
5. Die europäische Zentralbank wird – trotz weitgehender Unabhängigkeit – Preisstabilität in Europa nicht durchsetzen, weil es für sie aufgrund unterschiedlicher Interessen der nationalen Entscheidungsträger keinen genügend starken Anreiz gibt, dies zu wollen. Die persönliche Unabhängigkeit der Gouverneure ist nicht gesichert, und Sanktionen bei Verletzung des Stabilitätsziels fehlen.
6. Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Politik der Preisstabilität müsste die Europäische Zentralbank auch die Wechselkurskompetenz gegenüber Drittlandswährungen besitzen. Da diese Kompetenzübertragung nicht vorgesehen ist, besteht die Gefahr, dass über politische Einflussnahme auf die Wechselkurse die Geldpolitik stabilitätswidrig konterkariert wird. Dies gilt gleichermaßen für die Tatsache, dass Kapitalverkehrskontrollen gegenüber Drittländern immer noch möglich sind.
7. Einen Konsens, Preisstabilität als Priorität zu betrachten, wie er traditionell in Deutschland vorliegt, gibt es in Gesamteuropa bisher noch nicht. Nur mit einem solchen Konsens, den Notenbank, Regierung und Bevölkerung gemeinsam tragen, kann jedoch eine konsequente Stabilitätspolitik verfolgt werden, da diese unter anderem der Unterstützung der Lohnpolitik und der Finanzpolitik des Staates bedarf.
8. Die ökonomisch schwächeren europäischen Partnerländer werden bei einer gemeinsamen Währung einem verstärkten Konkurrenzdruck ausgesetzt, wodurch sie aufgrund ihrer geringeren Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit wachsende Arbeitslosigkeit erfahren werden. Hohe Transferzahlungen im Sinne eines „Finanzausgleichs“ werden damit notwendig. Da bisher noch keine Vereinbarungen über die Struktur einer politischen Union existieren, fehlt hierfür jedoch ein demokratisch hinreichend legitimiertes Regelungssystem.
9. Zur Zeit gibt es daher kein ökonomisch zwingendes Argument dafür, von oben eine monetäre Einheit auf ein wirtschaftlich, sozial und interessenpolitisch noch uneiniges Europa zu stülpen. Die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes benötigt oder erzwingt keineswegs eine gemeinsame europäische Währung.
10. Die überhastete Einführung einer Europäischen Währungsunion wird Westeuropa starken ökonomischen Spannungen aussetzen, die in absehbarer Zeit zu einer politischen Zerreißprobe führen können und damit das Integrationsziel gefährden.
11. Die Beschlüsse von Maastricht, nicht die Kritik an ihnen, gefährden ein konfliktarmes Zusammenwachsen in Europa.
Das Memorandum ist unterzeichnet von folgenden Wirtschaftswissenschaftlern:
Ulrich Baßeler, Berlin; Dieter Bender, Bochum; Hartmut Berg, Dortmund; Norbert Berthold, Würzburg; Reinhold Biskup, Hamburg; Rolf Caesar, Hohenheim; Wolfgang Cezanne, Berlin; Dietrich Dickertmann, Trier; Dieter Duwendag, Speyer; Hans-Hermann Francke, Freiburg; Wilfried Fuhrmann, Paderborn; Günter Gabisch, Göttingen; Otto Gandenberger, München; A. Ghanie Ghaussy, Hamburg; Herbert Giersch, Kiel; Heinz Grosseketteler, Münster; Harald Hagemann, Hohenheim; Karl-Heinrich Hansmeyer, Köln; Karl-Hans Hartwig, Bochum; Rolf Hasse, Hamburg; Klaus Herdzina, Hohenheim; Franz Holzheu, München; Lothar Hübl, Hannover; Harald Jürgensen, Hamburg; Dietmar Kath, Duisburg; Wim Kösters, Bochum; Franz Peter Lang, Braunschweig; Hans-Otto Lenel, Mainz; Helga Luckenbach, Gießen; Klaus Mackscheidt, Köln; Manfred J. M. Neumann, Bonn; Peter Oberender, Bayreuth; Renate Ohr, Hohenheim; Hans-Georg Petersen, Gießen; Reinhard Pohl, Berlin; Rudolf Richter, Saarbrücken; Klaus Rose, Mainz; Gerhard Rübel, Passau; Bert Rürup, Darmstadt; Wolf Schäfer, Hamburg; Karl Schiller, Hamburg; Hans-Jürgen Schmahl, Hamburg; Ingo Schmidt, Hohenheim; Dieter Schmidtchen, Saarbrücken; Jürgen Schröder, Mannheim; Jochen Schumann, Münster; Friedrich A. Sell, Gießen; Jürgen Siebke, Heidelberg; Heinz-Dieter Smeets, Düsseldorf; Johann von Stein, Hohenheim; Gunter Steinmann, Paderborn; Jörg Thieme, Düsseldorf; Roland Vaubel, Mannheim; Hans-Jürgen Vosgerau, Konstanz; Christian Watrin, Köln; Johannes Welcker, Saarbrücken; Robert von Weizsäcker, Halle; Eberhard Wille, Mannheim; Manfred Willms, Kiel; Artur Woll, Siegen; Werner Zohlnhöfer, Mainz.
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Erschreckend, wie recht sie hatten.
Nur eins fehlt in allen Veröffentlichungen: Der enorme Druck der Währungsspekulanten, und ihr Einfluss auf die politischen Entscheidungen seinerzeit.