Staatsmänner, Feuerwehren und Brandstifter

„Feuergefährlich ist viel,
Aber nicht alles, was feuert, ist Schicksal,
Unabwendbares“
(Max Frisch: „Biedermann und die Brandstifter. Ein Lehrstück ohne Lehre“, Prolog)

Es brennt! An den Finanzmärkten wurde weltweit Anlegergeld in ungeahnter Höhe verbrannt. Der Staat muss nun löschen; mit Steuergeld in ungeahnter und unbekannter Höhe. Finanz- und Geldpolitiker rufen nun weltweit: „Unsere Wache hat begonnen“ – wie am Ende des Prologs vom Frischs „Biedermann und die Brandstifter“.

Die letztlich unfreiwillige (eben: staatliche) Feuerwehr muss sich aber auch Fragen gefallen lassen wie: welche Brandherde wurden politisch gelegt oder geduldet, welche Brandmelder wurden staatlich entfernt, und: welche politischen Rettungsmanöver könnten neue gefährliche Strohfeuer und Glimmherde entstehen lassen? Die grundsätzliche Notwendigkeit der momentanen Löschaktionen (Kreditgarantien und vorübergehende Eigenkapitalspritzen) und der unermüdliche Einsatz der staatlichen Feuerwehren verdienen Anerkennung und Respekt. Während es brennt, sind zuerst Opfer zu retten; Gedanken über Brandverursacher und Wasserschäden bleiben zunächst zweitrangig. Wenn der Rauch aber einmal verzogen ist, und bevor sich ein neuer Brand entfacht, sollten sich Brandexperten ernsthafte Fragen der Strategie der Brandprävention in der Zukunft stellen. Das fängt mit einer Klärung bisheriger Flächenbrände an.

Der Brandherd der Finanzmarktkrise lag, vor allem, in den USA. Gerade die amerikanische Immobilien- und Kreditkrise hat aber ihre Ursachen nicht zunächst in einem „laissez-faire“, sondern in interventionspolitischem, marktwidrigem Aktionismus. Konkret: (a) geldpolitischem Expansionismus, (b) sozialpolitischem Dirigismus und (c) rechtspolitischen Einladungen zur betriebswirtschaftlichen Verantwortungslosigkeit (moral hazard). Dieses Argument habe ich in meinem vorigen Beitrag zu belegen versucht.

Die meisten politischen Brandstifter der Vergangenheit treten heute als Brandschützer auf, ohne sich auch nur einen Teil des verbrannten Geldes als Asche auf ihr eigenes Haupt zu streuen. Stattdessen löscht man mit Feuer. Wieder soll politisch verbilligtes Geld in die (noch weitgehend unbekannte) nächste Blase gepustet werden. Wieder wollen Politiker mit Schulden, den Steuern künftiger Generationen, Investitionen lenken. Und tatsächlich schielen schon wieder einige Politiker nach protektionistischen Wegen aus der Krise – um so auch noch einen schlimmen Brandbeschleuniger der Krise von 1929 zu reaktivieren.

Am selben Tag (15. Oktober 2008), an dem zumindest den Medien bekannt wurde, dass sich das amerikanische Haushaltsdefizit im Vergleich zum schon alles andere als sparsamen Vorjahr beinahe verdreifachen dürfte, wurde in den selben Medien und auf den Börsenplätzen gehofft und zutreffend spekuliert, die amerikanische Notenbank würde deshalb (!) die Zinsen weiter senken (d.h.: auf 1,0%). Hier wird deutlich, dass elementare ökonomische Gesetzmäßigkeiten (explodierende Kreditnachfrage führt zu höheren Kapitalmarktzinsen) außer Kraft gesetzt wurden – und weiter werden. Und zwar nicht vom „Markt“ der diese Gesetze jedem normalen Akteur blind zur Befolgung aufnötigt, sondern seitens der Verantwortlichen einer Geld- und Fiskalpolitik, die sich anmaßt, diese Gesetze der „unsichtbaren Hand“ durch eine „sichtbare Hand“ des politischen Willens in fast jeder Legislaturperiode aufs Neue umgehen zu können. Anders gesagt: das Nachfragegesetz wurde und wird von einem Kartell kurzfristig denkender Angebotstheoretiker in der (vor allem: US-) Notenbank und kurzfristig denkender Nachfragetheoretiker in den (nicht nur: US-) Administrationen hoheitlich außer Kraft gesetzt – mit langfristig fatalen Folgen. Ein funktionierender Markt, der auf unverfälschtem Ausgleich von Angebot und Nachfrage beruht, kam so doppelt unter die Räder. Und nun müssen die gleichen Politiker das selbstverschuldete Problem lösen. Ihre Aufgabe ist eine doppelte: rasch die am Rande des Kollaps stehenden Finanzmärkte (vor allem: für kurzfristige inter-Banken-Kredite) wieder aufzurichten, und dann eine unvermeidliche Marktbereinigung im Finanzsektor, aber auch im realen Sektor so zu gestalten, dass von der „kreativen Zerstörung“ (Joseph Schumpeter) nicht nur Zerstörung bleibt, sondern eine langfristig wettbewerbsfähige Volkswirtschaft.

Bei der ersten Aufgabe scheint die Politik, vor allem in Europa, eher richtig gehandelt zu haben. Als Maßnahme gegen die drohende Kreditklemme sind Kreditangebote der Notenbanken und Eigenkapitaleinlagen der Kämmerer zwar ordnungspolitisches „Gift“, aber als Notfallmedizin wohl notwendig, auch wenn die Frage nach der richtigen Dosierung und den langfristigen Nebenwirkungen noch nicht beantwortet werden kann. Das süße Gift des billigen Geldes und der Steuerzahlerhaftung, zu lange verabreicht, dürfte aber die Krankheit verschleppen und neue Infektionsherde bilden. Mit anderen Worten: die Notenbanken (auch die EZB) müssen auf mittlere Frist die Geldmenge wieder in den Griff bekommen; das Inflationsziel alleine gibt keine Gewähr gegen die nächste Vermögenspreisblase. Und die Einlagen des Staates bei privaten Banken sollten, sobald sich der Bankensektor wieder stabilisiert hat, schnell wieder veräußert werden (mit Gewinn oder nicht). Politiker sollten sich jetzt um klare und allgemeine Spielregeln für den Bankensektor insgesamt kümmern (Transparenz, Eigenkapitalquoten, Produkthaftung, Insolvenzrecht…) und nicht in den Banken unter ihrem „Rettungsschirm“ die Geschäftspolitik an sich reißen wollen. Ein politisiertes Finanzsystem nach dem Modell von KfW oder Bayerischer oder Sächsischer Landesbank ist sicher kein Erfolgsmodell .

Das Groteske an den aktuellen Politisierungsversuchen von Bankgeschäften zeigt sich zumindest deklaratorisch wieder einmal in Frankreich. Die französische Finanzministerin möchte nun im Einvernehmen mit dem nationalen „Banken-Mediator“ und in Zusammenarbeiten den jeweiligen Präfekten der Departements allzu „geizige“ Banken an den Pranger stellen (FAZ vom 10.11.2008, S. 14). Vor wenigen Wochen wurde noch die „Gier“ der Banken angeprangert, nun ist es deren „Geiz“. Banken, die weniger Kredite vergeben, als vom Präfekten gewünscht, drohen zwei Arten von Sanktionen: entweder den Entzug der Staatseinlagen (also Privatisierung) oder das Gegenteil – Verstaatlichung.

Wieder werden also Banken unter politischem Druck in (un)bestimmte Risiken und Investitionen geradezu gedrängt. Das gleiche gilt für Steuergelder und damit die zweite aktuelle Herausforderung der Politik: Konjunkturpolitik. Auch mit diesem Mittel will die Politik wieder Investitionen lenken und den Märkten zeigen, wofür es sich zu verschulden lohnen sollte. Solange dies nur grüne Kühlschränke oder erneuerbare Energieträger sind, dürfte der Schaden geringer ausfallen als auf den US-Immobilienmärkten. Schädlicher dürften die immer wiederkehrenden staatsmonopolkapitalistischen Pläne sein, wie sie zurzeit der Französische Staats- und Europäische Ratspräsident Sarkozy den Europäern empfiehlt. Die staatliche Beteiligung an „Schlüsselindustrien“ zum Schutz vor ausländischen Kapitalanlegern solle als „mächtiger Hebel der Industriepolitik“ genutzt werden (Sarkozy am 23.10.2008). Ob sein staatlicher Investitionsfonds im internationalen Subventionswettbewerb einen so mächtigen „leverage“ haben wird wie bis vor kurzem noch die Derivate von Immobilienkrediten, wird sich noch zeigen müssen. Dass staatliche Investitionslenkung und billiges Geld genau die Auslöser der aktuellen Krise waren, scheinen Sarkozy und andere Industriepolitiker nicht verstanden zu haben, die jetzt erneut genau diese Maßnahmen fordern. Das Modell Freddie und Fanny soll nun auf alle Schlüsselindustrien erweitert werden! Was Schlüsselindustrien oder -betriebe sind, wo der Fonds wie viel Geld der unfreiwillig zu Aktionären mutierten Steuerzahler investiert, bestimmt dann die Regierung. Sie ist dann Schiedsrichter, der den Wettbewerb zwischen Unternehmen überwachen soll und gleichzeitig Spieler, der Anteile am Gewinn bestimmter Unternehmen hält – und soll nebenbei noch ihre originäre Funktion des Regelgebers unparteiisch erfüllen. Wenn das der „neue Kapitalismus“ (Sarkozy, op.cit) sein soll, dann wird man bald sehen, dass die Feuerwehrstaatsmänner wieder einmal Brandstifter waren. Das aktuelle Drama sollte nicht enden wie Max Frischs „Lehrstück ohne Lehre“.

Da singt der Chor in Feuerwehrhelmen:

„Was nämlich jeder voraussieht
Lange genug,
Dennoch geschieht es am End:
Blödsinn,
Der nimmerzulöschende jetzt,
Schicksal genannt.

Weh uns! Weh uns! Weh uns!“

4 Antworten auf „Staatsmänner, Feuerwehren und Brandstifter“

  1. Lieber Michael. Es ist richtig, der Staat kann nicht durch direktes Eingreifen die Krise beheben. Schon gar nicht zukünftige Krisen dieser Art verhindern. Die Krise ist aber da, und die Suche nach dem Schuldigen führt uns schließlich nur auf Pfade, die uns allen längst bekannt sind. Aber die Lösung kann ja – und das ist doch der Ansatz der Freiburger – in der Gestaltung der Rahmenordnung liegen. Nun ist der richtige Zeitpunkt, hier kreative und richtungsweisende Vorschläge vorzulegen. In der G20-Deklaration vom Wochenende haben sich die Regierungschefs nicht nur zu Marktwirtschaft und Freihandel und gegen Protektionismus bekannt, was ich sehr erfreulich finde. Sondern sie haben auch einen Zeitplan zur Ausarbeitung neuer Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte und darüber hinaus vorgelegt. Detaillierte und ordnungspolitisch durchdachte Vorschläge sind jetzt besonders gefragt. Alles Gute, Christoph

  2. Lieber Christoph Sprich,

    Michael Wohlgemuth ist nicht nur zuzustimmen. Man darf auch mehr als deutlich sagen, daß der Weltfinanzgipfel am Wochenende versagt hat.

    Hierzu der Kommentar „Geld, Kredit und Konjunktur. Warum der Weltfinanzgipfel gescheitert ist“ im Forum Ordnungspolitik:

    http://www.forum-ordnungspolitik.de/content/view/481/1/

    Herzlicher Gruß nach Freiburg und Berlin,
    Norbert F. Tofall

  3. Lieber Norbert Tofall.

    Tatsächlich wäre es schön gewesen, eine derartige Fundamentalkritik in eienr hochrangigen G20-Erklärung zu finden. Allerdings bedarf es tatsächlich, wie von Herrn Scheffler angeführt, neuer mental models. Um diese zu etablieren müssten aber die relevanten ordnungspolitischen Zusammenhänge, angewendendet auf die (komplexe) (Finanzmarkt-)Ordnung in den politischen Diskurs einfließen. Leider höre ich aber wenig fachlich untermauerte Aussagen von den hier gefragten MdBs. Leute wie Herr Scheffler wären nämlich gefragt, um marktwirtschaftliches Verständnis zu etablieren. Aber so verhallt ordnungspolitische Mahnung im luftleeren Raum, den die Finanzmarktpanik hinterlässt, auch weil sie selten durch Fachkenntnis bzgl. der internationalen Finanzmärkte unterlegt ist. Deklarationen, die weit an den (etablierten) shared mental models vorbeigehen, kann man also auf höchster politischer Ebene wohl erst recht nicht erwarten. Und insofern bin ich doch recht zufrieden mit G20 und dem Bekenntnis zu Marktwirtschaft, Privateigentum, freiem Handel und dem Verzicht auf weitere protektionistische Mahnungen.

    Herzlicher Gruß von Berlin nach Berlin (?),

    Christoph Sprich

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