Nach der Bekanntgabe der Europäischen Kommission vom 18.07.2018, dass selbige die Firma Alphabet, besser bekannt für ihren wichtigsten Teil Google, mit einer Strafe von 4,34 Mrd € für Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht belegt (EU Kommission 2018), kam es verständlicherweise zu einer großen medialen Aufmerksamkeit und zu zahlreichen Kommentaren, die den Fall teilweise als Antwort zu Trumpscher‘ Handelspolitik sehen (Becker 2018). Da sich der Rauch verzogen hat, geht es darum, abseits von politischen Motivationen den Fall aus einer nüchternen wettbewerbsökonomischen Perspektive zu betrachten, insbesondere da ich bereits an dieser Stelle die vorherige Entscheidung bzgl. der Integration der Google-Suche dargestellt und vielfach aufgezeigt habe, dass die Entscheidung komplexer ist als man im allgemeinen annehmen mag (Klein 2017).
Auch in dieser Entscheidung ist der erste Schritt der Marktdefinition nicht einfach, wenngleich in der Logik der bereits diskutierten Entscheidung nicht überraschend. Zum einen wird marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Internet Suchdienste, sowie die marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für lizenzpflichtige Betriebssysteme für Smartphones dargelegt (EU Kommission 2018). Da bereits im vorherigen Beitrag die Definition des Marktes für allgemeine Internet Suchdienste kritisch gewürdigt worden ist, kann an dieser Stelle darauf verzichtet werden. Allerdings wird der Markt für lizenzpflichtige Betriebssysteme etwas genauer betrachtet. Die Kommission argumentiert, dass der Markt für lizenzpflichtige Betriebssysteme (z.B. Android) sich von den Märkten für mit den Endgeräten verknüpften Betriebssystemen (z.B. Apple oder Blackberry) grundsätzlich unterscheidet. So seien diese Märkte als grundsätzlich voneinander getrennt anzusehen, wenngleich wettbewerbliche Effekte eingeräumt werden.
Diese Betrachtung entzieht sich aus einer reinen Angebotssicht nicht jeglicher Logik, d.h. wenn ein Endgerätehersteller ein solches anbieten möchte, kann er auf dem Markt fast nur dieses Betriebssystem erwerben. Tatsächlich aber stellt sich die Frage, ob ein Hersteller nicht noch alternative Möglichkeiten, und sich eine Make-or-Buy Entscheidung ergibt. D.h. wenn auch mit Aufwand kann ein Hersteller ein eigenes System anbieten (wie in der Entscheidung genannt z.B. Apple oder Blackberry). Als entscheidende Frage kristallisiert sich heraus, ob diese Systeme aus Kundensicht austauschbar, bzw. hinreichend austauschbar sind. Dies ist letztlich eine empirische Frage, die einer empirischen, nicht wie hier vorgenommenen anekdotischen, wenngleich logisch schlüssigen, Darstellung bedarf. Trotz dieser Fragen ist die Marktabgrenzung ggf. weniger kritisch als im Suchmaschinen Fall. Selbst unter der Annahme, dass der Markt auch vertikal integrierte Hersteller von Endgeräten, die ihr eigenes Betriebssystem anbieten umfassen würde, so liegt die Vermutung nahe, dass auch hier mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Sachverhalt einer marktbeherrschenden Stellung vorliegen kann.
Wie sind nun die Vorwürfe zu bewerten? Hintergrund der Vergehen ist dabei das Verhalten von Google hinsichtlich des mobilen Betriebssystems Android (vgl. EU Kommission 2018). Google soll Anbieter, bei Installation des Android App-Store dazu gezwungen haben, die Apps Google Suche und den Browser Chrome vorzuinstallieren. Darüber hinaus wurden Zahlung dafür geleistet, dass nur Google-Such-Apps und keinerlei andere Such-Apps installiert wurden. Schlussendlich wurden Hersteller gehindert Google-Apps zu installieren, soweit sie auch Geräte mit sogenannten Fork-Androids, d.h. nicht von Google genehmigte modifizierte Betriebssysteme (z.B. von Amazon) anbieten.
So speziell diese Vorwürfe scheinen mögen, so wenig einzigartig und wenig vorhersagbar sind diese. Bereits vor einigen Jahren hat die EU-Kommission die Firma Microsoft aus ähnlichen Gründen mit einer hohen Strafe belegt. Der Fall ist zudem ein Musterbeispiel, dass sich in typischen Lehrbuchtexten widerfindet. Dabei wird im Standardbuch „Competition Policy – Theory and Practice“ von Motta (2004, S. 511 ff) dargestellt, wie die ökonomische Logik hinter den Vergehen ist. In diesem Fall ging es unter anderem um die Bündelung des Betriebssystems Windows mit dem Internet-Browser Microsoft Internet Explorer. Diese Bündelung wurde als Angriff auf den damals dominierenden Netscape Navigator gesehen, der Marktführer im Browsermarkt war. Tatsächlich wurde angenommen, dass es hier darum ging Marktmacht im Betriebssysteme Markt von Windows zum Browsermarkt auszuweiten, bzw. diesen zu monopolisieren. Diese Logik unterliegt auch wieder der aktuellen Entscheidung. Durch unzulässige Bündelung und Exklusivitätsvereinbarungen soll nach Ansicht der Kommission Marktmacht auf weitere Märkte ausgeweitet, bzw. bestehende Marktmacht gesichert werden.
Die mögliche antikompetitive Wirkung des Ausschlusses von Wettbewerbs scheint hier deutlich zu sein und als Tatbestand hinreichend für die Untersagung und die folgende Strafe. Die Argumentation weist starke Ähnlichkeit zu der Logik der Beschränkung im Suchmaschinenfall (Klein 2017) auf. Die Furcht vor einer wettbewerbseinschränkenden Wirkung scheint hier im Grundsatz begründet zu sein. Wie die Literatur (Choi und Stefanidis 2001) aufzeigt, kann Bündelung von Produkten dazu führen, dass es für Marktneulinge schwieriger sein kann erfolgreich in Märkte einzutreten, wenn Sie aus komplementären innovativen Produkten bestehen. Die Logik ist hierbei in der zitierten Forschungsarbeit, dass durch die Produktbündelung eine Innovation in zwei statt nur in einem Markt erfolgreich sein muss. Insbesondere in dynamischen Märkten, in denen eine hohe Unsicherheit bzgl. des Innovationserfolgs besteht, stellt dies eine erschwerende Hürde für den Markterfolg dar. Trotz der klaren Problematik, muss allerdings beachtet werden, dass dies aus einer ökonomischen Sicht noch nicht hinreichend für eine Untersagung ist. Es bleibt die Frage, ob die Tatsachen nicht primär dem Ausschluss der Wettbewerber, sondern der Steigerung der Effizienz dienen. Hier gilt es zu fragen, ob mögliche Effizienzvorteile existieren, die wie im Fall der Google-Suche dafürsprechen, dass der Kunde hier besonderen Nutzen erhält, der eine Wettbewerbseinschränkung rechtfertigt (vgl. Argumentation im vorherigen Beitrag, Klein 2017). An dieser Stelle lassen sich wesentliche Unterschiede der geschilderten Sachverhalte identifizieren. Während im Such-Fall eine recht offensichtliche Abwägung von Effizienzvorteilen und Wettbewerbsrestriktionen nötig ist, da durch die Suchintegration eine Erhöhung des Kundennutzen plausibel erscheint, ist eine Effizienzverteidigung hier nicht direkt einsichtig. Während das erste vorgeworfene Vergehen, die gezwungene Vorinstallation, noch durch Effizienzerwägungen zu rechtfertigen sein mag und dies auch für die Zahlungen für angeführt werden könnte (das kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden), so drängt sich spätestens bei dem Ausschluss der Google-App Installation wenn es auf irgendwelchen Endgeräten (nicht den Endgeräten auf dem es den Ausschluss gibt) modifizierte Versionen von Android gibt der Verdacht auf, dass das Ausschlussmotiv das Effizienzkriterium überwiegt.
In der Summe lässt sich festhalten, dass die Marktabgrenzung in diesem Fall zwar auch diskutabel ist, dies aber wahrscheinlich wesentlich geringere Auswirkungen auf die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung haben sollte als es im Suchmaschinenfall der Fall ist. Mögliche Effizienzverteidigungen für Wettbewerbseinschränkungen sind in diesem Fall weniger offensichtlich, sodass die aktuelle Entscheidung im Fall Google besser und stärker begründet werden kann, als im Fall der Google-Suche. Für ein abschließendes Urteil ob die Strafen gerechtfertigt sind, bedarf es allerdings einer detaillierten Analyse aller internen Falldetails inkl. der tatsächlichen Daten.
Literatur:
Becker, M. (2018), Rekord-Bußgeld für Google Brüssels 4,3-Milliarden-Euro-Botschaft an Trump, Spiegel Online, 18.07.2018, http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/google-bussgeld-eu-kommission-eskaliert-konflikt-mit-donald-trump-a-1219098.html [letzter download 24.09.2012]
Choi, J.P. und C. Stefanidis (2001), Tying, investment, and the dynamic leverage theory, RAND Joumal of Economics, 32(1), 2001, pp. 52-71.
EU Kommission (2018), Pressemitteilung: Kommission verhängt Kartellbuße von 4,34 Milliarden Euro gegen Google wegen Missbrauch der Marktmacht bei Android-Mobilgeräten, 18.07.2018, https://ec.europa.eu/germany/news/20180718-kommission-google-android-strafe-von-434-milliarden-euro_de [letzter download 24.09.2012]
Klein, G. (2017), Der Fall Google – Nicht so einfach wie es aussieht, Wirtschaftliche Freiheit, 17.8.2018, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=21300, [letzter download 24.09.2012].
Motta, M. (2004), Competition Policy – Theory and Practice, Cambridge University Press, Cambridge, 2004.
Blog-Beiträge zum Thema:
Henning Klodt: Wettbewerbspolitik für digitale Märkte. Zwei Davids gegen Goliath
- Mindestpreise für Lebensmittel - 4. Februar 2020
- Über Aufgaben und Grenzen moderner Industriepolitik - 26. Juni 2019
- Der Fall Google – 2. Runde - 29. September 2018