Viele länderübergreifende Studien zeigen einen negativen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und dem Zugang eines Landes zum Meer. Ganze UN-Berichte widmen sich diesem Thema und unterstreichen die Bedeutung der Küstenlage für den Handel und das Wirtschaftswachstum. Andere Ökonomen dagegen bezweifeln die Bedeutung von Geografie für die Entwicklung eines Landes und weisen auf die Relevanz von politischen Rahmenbedingung und anderen landesspezifischen Merkmalen wie Kultur hin, die sich über die Zeit nicht oder nur wenig verändern. Um den möglichen Einfluss des Zugangs zum Meer auf die Wirtschaftsleistung eines Landes zu schätzen, würden empirisch arbeitende Forscher diesen Effekt gerne von anderen landesspezifischen Charakteristika – wie Institutionen, Geschichte, Kultur und weiteren unbeobachteten Faktoren – trennen. Dazu werden im Regelfall landesspezifische fixe Effekte mit ökonometrischen Methoden konstant gehalten.
Leider ist diese Strategie im Falle der Berechnung des Effekts eines Zugangs zum Meer auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht möglich. Die Lage am Meer ist nämlich selbst ein landesspezifisches Charakteristikum, das sich über die Zeit nicht ändert. Aus diesem Grund kann der geografische Effekt eines Meereszugangs auf nationaler Ebene nicht eindeutig identifiziert werden. Sprich, es ist unklar, ob sich tatsächlich die Binnenlage eines Landes negativ auf das Einkommensniveau auswirkt oder ob eben unzählige andere landestypische Merkmale für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg verantwortlich sind. Was also tun? Die Lösung ist denkbar einfach: Man verschiebt das Problem auf regionale beziehungsweise subnationale Ebene. Diese Vorgehensweise hat einen entscheidenden Vorteil: institutionelle, politische oder kulturelle Charakteristika variieren eher zwischen Ländern als zwischen Regionen innerhalb eines Landes. Daher kommt man der Identifikation des Einflusses vom Zugang zum Meer einen großen Schritt näher, wenn Regionen innerhalb eines Landes analysiert werden.
In einer aktuellen Untersuchung (vgl. https://ssrn.com/abstract=3100019) nutzen wir daher regionale Daten um den Effekt eines regionalen Zugangs zum Meer empirisch zu isolieren. Falls die Lage direkt am Meer tatsächlich eine Determinante des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf und damit der wirtschaftlichen Entwicklung sein sollte, müssten auch Regionen innerhalb eines Landes, die nicht an einer Küste liegen, niedrigere Einkommensniveaus aufweisen als Regionen desselben Landes, die direkten Zugang zum Meer haben. Durch die Verwendung regionaler Paneldaten können wir für landes- und jahresspezifische nicht beobachtbare Faktoren mit ökonometrischen Methoden vollständig kontrollieren. Wir berücksichtigen in unserer Analyse also beispielsweise alle Einflüsse, die kennzeichnend für Indonesien im Jahr 2000 oder 2010 sind. Das heißt: unsere Untersuchung kontrolliert für Faktoren wie nationale Politik, Kultur, Institutionen und damit politische Rahmenbedingung sowie für landesweite Schocks zu bestimmten Zeitpunkten und vieles andere, was in länderübergreifenden Studien mit nationalen Daten bisher nicht beachtet werden konnte. Für unsere Analyse nutzen wir das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und weitere Variablen für über 1.500 Regionen in 83 Ländern weltweit für einen Zeitraum von über 60 Jahren. Für diese Regionen bestimmen wir unter anderem, ob sie direkt am Meer liegen, ihre kürzeste Entfernung zur Küste sowie die Länge der Küste im Fall von Regionen am Meer.
Unsere Analysen liefern überraschende Ergebnisse: Regionen ohne Zugang zum Meer sind durchschnittlich über 3.000 US-Dollar ärmer als Küstenregionen in demselben Land und sie wachsen darüber hinaus langsamer (vgl. Abbildung 1).
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Direkter Küstenzugang scheint demnach förderlich für die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen zu sein und dies ist interessanterweise unabhängig davon, wie gut die politischen Institutionen oder andere Einflussfaktoren auf Landesebene sind. Der fehlende Meerzugang dämpft die regionale Wirtschaftsleistung pro Kopf um 10 bis 13 Prozent. Dies ist auch der Fall, wenn man für alle potentiellen landesspezifischen Einflussfaktoren zu jedem Zeitpunkt kontrolliert (mittels sogenannten Länder-Zeit-Fix-Effects). Darüber hinaus beziehen wir bei unserer Analyse nicht nur länder- und jahresspezifische Faktoren mit ein, sondern auch gewisse regionale Charakteristika wie die Lage der Hauptstadt, die regionale Bevölkerungsdichte, den regionalen Bildungsstand, die regionale Rohstoffproduktion sowie gewisse regionale geografische und ökologische Eigenschaften. Was wir aufgrund fehlender Daten leider nicht berücksichtigen können sind andere subnationale Merkmale, wie regionale politische Faktoren, regionale Kultur, etc. Unsere Analysemethode verlagert das technische Problem der Identifikation des Effektes eines Zugangs zum Meer von der Länderebene auf die Ebene der Regionen, womit viele bestehende Analyseprobleme gelöst werden.
Der negative Effekt eines fehlenden Zugangs zum Meer auf regionale Entwicklung ist auch deshalb erstaunlich, da Unterschiede zwischen den Regionen innerhalb eines Landes, im Hinblick auf institutionelle aber auch für den Handel relevante Faktoren, wohl bedeutend kleines sind als Unterschiede zwischen Ländern. Tatsächlich sind für Regionen ohne Zugang zum Meer innerhalb von Küstenstaaten mehrere Hindernisse nicht relevant, unter denen Nationen ohne Zugang zum Meer gemäß UN Berichten und der bestehenden Literatur leiden. So fallen beispielsweise keine Zölle bei der Grenzüberschreitung auf dem Weg zu Häfen an. Trotzdem scheinen Küstenregionen im gleichen Land reicher zu sein als Regionen ohne Zugang zum Meer.
Wieso sind Regionen ohne Meerzugang benachteiligt und was könnte dagegen unternommen werden? Unsere Daten und Analysen liefern uns gewisse Anhaltspunkte, dass nationale politische Institutionen den Effekt von einem fehlenden Zugang zum Meer nicht kompensieren können. Gute Institutionen und wirtschaftliche Rahmenbedingungen sind zwar zentral für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes, aber zwischen Regionen innerhalb eines Landes gibt es mit Ausnahme sehr dezentraler Länder nur wenig Varianz in der institutionellen Qualität. Ein vielversprechenderer Erklärungsansatz scheint der internationale Handel und die Struktur einer Volkswirtschaft zu sein: Je offener ein Land, d.h. je höher der Anteil von Exporten und Importen am Bruttoinlandsprodukt, desto weiter fallen Binnenregionen gegenüber Küstenregionen innerhalb desselben Landes zurück. Darüber hinaus ist der negative Effekt eines fehlenden Meerzugangs stärker, je höher der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt ist. Sind also Regionen ohne Zugang zum Meer in einer globalisierten und industrialisierten Welt automatisch die Verlierer? Nicht notwendigerweise, denn unsere Ergebnisse zeigen auch, dass gute Infrastruktur den negativen Einfluss eines fehlenden Zugangs zum Meer kompensieren kann. Das ist zwar eine erfreuliche Botschaft. Allerdings müssten wir nun nur noch besser verstehen, welche institutionellen Rahmenbedingungen und anderen Faktoren dazu beitragen, die Infrastruktur zu verbessern – sicher keine kleine Aufgabe für die zukünftige Forschung.
Dem an Rohstoffen reichsten Land der Erde nützen seine ganze Rohstoffe nichts, wenn es keine Handelswege hat um seine Rohstoffe zu verkaufen. Für Staaten in Konkurrenz zu anderen Staaten, ist eine gute Infrastruktur unerlässlich. Infrastruktur sind Kommunikationswege, Versorgungswege und Handelswege.
Mahnung:
Wo wir auch immer die Infrastruktur gebrauchen müssen, oder glauben sie gebrauchen zu müssen, ob für eine Demo oder den Weg zur Arbeit, sind wir in Ohnmacht der Macht der Politiker und ihrer Drahtzieher ausgeliefert. Die Infrastruktur der Macht, die heute mittels Handy durch die Überwachung von dem selben, bis ins Private hinein reicht, ist die Macht die alles durchdringt.
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