Gastbeitrag
Können wir die Energiewende meistern?

In drei Jahren sollen die letzten Atomreaktoren vom Netz gehen, der Kohleausstieg ist nun auch beschlossene Sache. Deutschlands Tempo ist atemberaubend – doch hat die Bundesregierung diese Veränderungen eigentlich richtig durchdacht?

Ohne größere Aufmerksamkeit wurde in den vergangenen Wochen die Grundlage dafür gelegt, die deutsche Gesellschaft dem größten Stresstest seit der Gründung der Bundesrepublik zu unterziehen. Dieser Test wird verniedlichend als Energiewende bezeichnet. Es steht außer Frage, dass zukünftige Generationen auf fossile Brennstoffe verzichten werden (müssen). Dennoch muss das Tempo und die Sequenz der Ausstiege aus Kohle, Erdöl und Atomenergie so organisiert werden, dass Verwerfungen vermieden werden.

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Das in Deutschland angeschlagene Tempo ist atemberaubend, die Sequenz der Veränderungen scheint nur mittelmäßig durchdacht zu sein. Auch fehlt es an einer vernünftigen Umsetzung; die bloße Ankündigung, auf bestimmte Technologien zu verzichten, sorgt nicht automatisch für Ersatz.

Und so sieht es kompakt formuliert aus: In drei Jahren sollen die letzten Atomreaktoren vom Netz gehen. Der Kohleausstieg bis 2038 ist seit dem vergangenen Wochenende ebenfalls beschlossen, zumindest wenn die Bundesregierung der Empfehlung der Kohlekommission folgt. Hinzu kommt, dass die Mobilität bis 2050 spätestens ohne Verbrennungsmotoren auskommen soll. Anders gewendet: In nur einer Generation sollen die Grundlagen der Energieversorgung ausgetauscht sein, ohne dass klar ist, wie dieser Plan umgesetzt wird. Erstens wird die Stromnachfrage wegen der anvisierten Elektromobilität erheblich steigen. Zweitens wird ein signifikanter Anteil der Stromerzeugung zu ersetzen sein – und zwar durch erneuerbare Energien. Das wird nicht einfach.

– Denn erstens erzeugen die erneuerbaren Energieträger heute schon etwa die gleiche Strommenge wie Kohlekraftwerke. Atomstrom macht nur noch ein Viertel der Kohle aus, scheint also wirklich verzichtbar zu sein. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass ein Ausbau von Wind- und Solarenergie teurer sein dürfte als die bisherigen Anlagen, wenn man davon ausgeht, dass die Anlagen zunächst dort platziert sind, wo der Wind kräftig weht und die Sonne dauerhaft scheint. Die Grenzproduktivität des Anlagenbaus ist vermutlich abnehmend; wenn nicht, wurde bisher verschwendet.

– Zweitens – und das mag damit zusammenhängen – ist der Ausbau der Windenergie seit 2018 rückläufig, und auch für das laufende Jahr wird mit stagnierendem Ausbau gerechnet.

– Drittens gibt es nach wie vor nicht ausreichende Speichermöglichkeiten für den Strom, so dass eine Reservekapazität nötig wäre. Ob dies durch Gaswerke oder Wasserkraft ausreichend gewährleistet werden kann, muss bezweifelt werden.

– Viertens ist das Problem der Stromallokation insgesamt nicht gelöst. In Schleswig-Holstein weht der Wind und in Baden-Württemberg braucht man den Strom. Um den Strom aus Dithmarschen in der Schwäbischen Alb verwenden zu können, braucht man Leitungen. Allerdings gestaltet sich der Leitungsausbau aufgrund des – zumeist umweltpolitisch begründeten – Widerstands sehr schwierig. Hier besteht natürlich ein logischer Widerspruch, der trotzdem verständlich ist: Wer will schon eine Hochspannungsleitung über dem Garten haben?

– Fünftens muss auch die verteilungspolitische Dimension des Kohle-, Erdöl- und Atomausstieges betrachtet werden. Schon jetzt sind die Strompreise in Deutschland am oberen weltweiten Rand. Dies trifft ärmere Haushalte natürlich stärker als wohlhabende, und es sorgt für Preisanstiege lokaler Dienstleistungen. Weitere Verknappung preisgünstiger Energie beziehungsweise deren weitere Verteuerung verstärken Verteilungskonflikte. Schon jetzt ist absehbar, dass Dieselfahrverbote dazu beitragen und damit der gesellschaftlichen Spaltung Auftrieb geben.

Vor diesem Hintergrund kann man die politischen Entscheidungsträger nur beschwören, wieder rational über die Themen Klimaschutz und lokalen Schadstoffausstoß nachzudenken. Der jetzt eingeschlagene Pfad kann zu enormen Verteilungskämpfen und erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führen, ohne dass der deutsche Beitrag zum Klimaschutz signifikant wäre.

Denn Nachhaltigkeit bedeutet nicht, in einem Klimarausch zu versinken und zu ignorieren, was anderswo passiert. Vielmehr ist gerade mit Augenmaß die Verbindung zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten in den Blick zu nehmen.

Dies ist nicht so schwierig, wie es scheint. Gegen ambitionierte Pläne ist zunächst nichts zu sagen. Diese kann man am besten dadurch umsetzen, dass man einen klar definierten Pfad wählt. Mehrere Maßnahmen sind nötig:

– Erstens muss die Förderung der erneuerbaren Energien technologieneutral – zum Beispiel durch Quoten – vollzogen werden.

– Zweitens kann durch eine im Zeitablauf langsam, aber stetig steigende Benzinsteuer (einschließlich Diesel) das Fahrverhalten geändert werden. Wenn sowohl die Autohersteller als auch die Kraftfahrer heute genau wissen, um welche Summe der Spritpreis in den kommenden Jahren automatisch ansteigt, stellt dies einen klaren Anreiz dar, sich entsprechend auf niedrigeren Kraftstoffverbrauch beziehungsweise Elektromobilität oder andere Alternativen umzustellen. Mit pretialer Lenkung lässt sich die gewünschte Verhaltensänderung eher erzielen als mit Verboten oder festgezurrten, aber nicht energiepolitisch begleiteten Ausstiegsdaten.

Wer wirklich am Klima interessiert ist, beharrt nicht auf Glaubenssätzen oder grün angehauchtem Populismus, sondern sorgt für funktionierende Lösungen. Konzepte dafür gibt es schon lange. Sie werden zum Teil sehr erfolgreich bereits anderswo ausprobiert. Mit den bisherigen Plänen meistern wir die Energiewende nicht!

Hinweis: Der Beitrag erschien am 1. Februar 2019 in der Online-Ausgabe der Wirtschaftswoche.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert