1 Einleitung[1]
Seit der Eurokrise und wird in regelmässigen Abständen von verschiedener Seite die Einführung einer Fiskalunion in der Eurozone gefordert. Die Vorschläge reichen von der Verschärfung fiskalpolitischer Regeln mit automatischen Sanktionsmechanismen bis hin zur Einführung eines Steuer- und Transfersystems. Allen Forderungen gemein ist die Vorstellung, dass eine Fiskalunion die Lösung für die wirtschaftlichen Probleme Europas ist. Zu den prominentesten Verfechtern einer Fiskalunion gehört der französische Präsident Emmanuel Macron. Er vertritt seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017 die Ansicht, dass die Währungsunion eine politische Union brauche, was für ihn unter anderem die Einführung einer Fiskalunion bedeutet. Die EU, so Macron, benötige einen Eurofinanzminister und ein Eurozonenbudget, das mit einer eigenen Steuer finanziert werden soll. Seine Forderungen hat er in einer vielbeachteten Rede vor dem Europaparlament im Jahr 2018 wiederholt, in der er angesichts des Brexit und dem Aufschwung von euroskeptischen Protestparteien in EU-Mitgliedsländern vor einer politischen Spaltung Europas warnte.
Doch was sind die institutionellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Europäische Fiskalunion? Gibt es Lehren aus der Geschichte? Als der Schweizerische Bundesstaat 1848 gegründet wurde, standen die Verfassungsväter vor ähnlichen Fragen wie die EU heute. Der vorliegende Beitrag beschreibt den Einigungsprozess rund um die finanzpolitischen Aspekte der Schweizerischen Verfassungsgebung und die Kompetenzübertragung von den Kantonen auf den Bund. Nach einer kurzen Einleitung über die politische Lage am Vorabend der Bundesstaatsgründung wird im zweiten und dritten Abschnitt dieses Beitrages der Frage nachgegangen, welche Kompetenzen die Kantone dem Bund übergaben und wie diese finanziert werden sollten. Der dritte Abschnitt behandelt die Entschädigungsforderungen der Kantone, die sie für die Übertragung von Fazit wird der Frage nachgegangen, ob die Schweizer Bundesstaatsgründung Anhaltspunkte für die Beantwortung von institutionellen Fragen bieten kann und Hinweise auf problematische Aspekte liefert.
2 Verfassungsgebung in revolutionären Zeiten
Die Verfassungsgebung der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1848 wurde kurz nach der Beendigung des letzten Schweizer Bürgerkrieges, des sogenannten Sonderbundkrieges, in Angriff genommen und fiel mitten in die Zeit der Europäischen Revolutionen. Im Sommer 1847 war es den Liberalen gelungen, die Mehrheit in der Tagsatzung, der Versammlung der Abgesandten der Kantone, zu erringen. Damit konnten sie ihre Forderungen nach der Aufhebung des Sonderbundes, der Ausweisung des Jesuitenorderns und einer Revision der Bundesverfassung durchsetzen, was schliesslich zum Sonderbundskrieg führte. Wegen der Sonderbundskrise musste neu gebildete Kommission für die Verfassungsrevision, an der sich ausschliesslich Vertreter der liberalen Kantone beteiligten, musste ihre Arbeit vorerst ruhen lassen. Nach dem Ende des Krieges, aus dem die Liberalen als Sieger hervorgegangen waren, traten der Kommission auch Gesandte aus den ehemaligen Sonderbundskantonen bei. Dort hatten sich die politischen Verhältnisse zwischenzeitlich neu geordnet, weshalb die grosse Mehrheit der Mitglieder der Revisionskommission aus liberalen Kreisen stammte (His, 1938, S. 15; Kölz, 1992, S. 547).
Nur fünf Tage nachdem die Kommission zum ersten Mal zusammengetreten war, brach in Paris die Revolution aus, die schnell auf die Nachbarländer übergriff und sich zu den Europäischen Revolutionen ausweitete. Dies begünstigte die Arbeit der Revisionskommission. In Europa war man nun mit innerstaatlichen Konflikten beschäftigt und konnte sich nicht auf die Vorgänge in der Schweiz konzentrieren, was die Arbeit der Revisionskommission erleichterte und ihnen die Möglichkeit bot «[…] Ideen ins Leben zu führen, welche zu andern Zeiten von Manchem als Utopien betrachtet worden wären.» (Druey, 1848, S. 6). Diese Aussage von Henri Druey, der später in den ersten Bundesrat gewählt wurde, verdeutlicht, dass eine Verfassungsgebung in ihrem geschichtlichen Kontext betrachtet werden muss. Dass die Verhandlungen in diesem begrenzten Zeitrahmen stattgefunden haben, hat deren Ausgang entscheidend beeinflusst.
3 Die Übertragung kantonaler Kompetenzen auf den Bund …
Während die Schweizer Kantone 1848 mit der Frage konfrontiert waren, welche Kompetenzen sie dem Bund übertragen wollen, dreht sich die Diskussion um den Ausbau der EU zur Fiskalunion um die Frage, ob die oberste Staatsebene neuer Kompetenzen bedarf – und wenn ja, welcher. Während die Fiskalunion selbst keinen vorbehaltslosen Rückhalt innerhalb der EU geniesst, lassen die Reaktionen auf die Forderungen von Emanuel Macron, dass die EU-Mitgliedstaaten mehr Kompetenzen an Europa abgeben sollten, die Widerstände um deren Zuordnung bereits erahnen. Anders war die Situation 1848 in der Schweiz. Gemäss den Ansichten der Revisionskommission hatte sich das Schweizer Volk bereits weit über die bestehenden Bundeseinrichtungen hinaus entwickelt: «Diese Institutionen genügten nicht mehr, weil sie nicht genug Rechte garantiren [sic], weil sie nicht genug Interessen zur gemeinsamen Sache machen, weil die Bundesbehörden übel organisiert und in ihrer Thätigkeit [sic] gehemmt sind, und besonders weil die Behörden ausschliesslich aus den Kantonen, oder vielmehr ihren Regierungen […] hervorgehen; […] während das nationale oder allgemeine Element kein eigenes und direktes Organ hat.» (Druey, 1848, S. 7). Über die Frage der Kompetenzübertragung auf den Bund, herrschte innerhalb der Revisionskommission eine relativ grosse Einigkeit. Zu Kontroversen kam es über die Frage nach dem Grad der Zentralisierung – auf diesen Aspekt wird weiter unten eingegangen. Die Revisionskommission wollte dem Bund die ausschliesslichen Befugnisse in der Aussenpolitik übertragen (Recht über Krieg und Frieden, Staatsverträge, Ver- kehr mit anderen Staaten), die es ihm ermöglichen sollten, seine Interessen nach Aussen wirksam zu vertreten. Weiter sollten die Kompetenzen in den Bereichen des Zoll- und des Postwesens, der Vereinheitlichung von Mass und Gewicht und der Münzhoheit an den Bund übergehen sowie das Recht zur Errichtung oder Unterstützung von öffentlichen Werken. Diese Bundeskompetenzen standen in einem engen Zusammenhang mit dem Ziel der Liberalen, die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz voranzutreiben. Mit der Zentralisierung des Militärwesens sollte dem Bedürfnis nach nationaler Sicherheit entsprochen werden. All diese Motive fanden als Bundeszwecke auch Eingang in die Verfassung (Schweizerische Eidgenossenschaft, 1848; Rappard, 1848, S. 112, 118, 149 f.; Kölz, 1992, S. 574, 579).
Von besonderer Wichtigkeit war die ausschliessliche Übertragung des Zollwesens auf den Bund. Damit sollte ein einheitlicher Wirtschaftsraum geschaffen werden, wovon sich die Verfassungsväter positive Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz versprachen. Mit der zunehmenden aussenwirtschaftlichen Verflechtung, dem Ausbau des Strassennetzes und der gesteigerten industriellen Produktion war auch der Warenverkehr angestiegen, der durch die kantonalen Zollgrenzen sowie mehrere hundert Weg- und Brückenzölle stark behindert wurde. Die Kantone «[…] verscheuchten dadurch den Durchzug von Kaufmannsgütern beinahe ganz vom schweizerischen Boden.» (Druey, 1848, S. 29). Das Problem waren nicht nur die Zollkosten, sondern die Formalitäten und der Zeitverlust, die ihre Erhebung verursachten. Deswegen mieden nicht nur ausländische Händler die Schweizer Transportwege, auch der Binnenhandel nahm gerne längere Wege über das Ausland in Kauf (Berlepsch, 1864, S. 829). Gleichzeitig war die Beseitigung der kantonalen Zollgrenzen auch eine Voraussetzung für den Aufbau eines Eisenbahnnetzes, das im Warentransport eine immer wichtigere Rolle einnahm (Rupli, 1949, S. 199; Huber 1890, S. 190 f.).
Wie die Revisionskommission in ihrem Bericht festhielt, hing auch «[…] eine grössere Centralisation der militärischen Einrichtungen auf’s Engste mit einer Bundesrevision zusammen, […].» Allerdings gelang es ihr nicht, sich auf eine umfassende Zentralisierung des Militärwesens zu einigen. Gemäss dem Vorschlag der Revisionskommission sollte dem Bund bloss der Unterricht übertragen werden, während die Kantone weiterhin für die Lieferung des «Kriegszeugs» verantwortlich bleiben sollten (Druey, 1848, S. 21). Dies entsprach nicht den Vorstellungen des Standes Bern, der in den Verhandlungen der Tagsatzung für die vollständige Zentralisierung des Militärwesens eintrat. Die mit dieser Forderung betraute Tagsatzungskommission stellte fest, dass die Kosten einer umfassenden Zentralisierung nur mit einer Erhöhung der Zolltarife oder durch Beiträge von den Kantonen finanzierbar wären – beides Massnahmen, die eine Mehrheit der Kantone ablehnte (Druey, 1848, S. 21 f.; Eidgenössische Tagsatzung, 1847 IV S. 70, 167-169). Wie wichtig die Bereitstellung von ausreichenden Finanzmitteln gewesen wäre, die eine konsequente Kompetenztrennung ermöglicht hätte, sollte sich während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 zeigen. Erst die Berichte von General Hans Herzog, in denen die mangelnde Kriegsbereitschaft der kantonalen Truppenkontingente scharf kritisiert wurden, führten im Rahmen der Verfassungsrevision von 1874 zu einem weiteren Schritt in Richtung Zentralisierung (Kurz, 1985, S. 41-50).
4 …und die Vorschläge für deren Finanzierung
Bei der Übertragung von Aufgaben auf die Staatsebenen muss auch deren Finanzierung geregelt werden. Dabei stellt sich die Frage, ob auch Steuerkompetenzen übertragen werden sollen. Der EU wurde bei ihrer Gründung keine Finanzhoheit übertragen. Sie kann weder Steuern erheben noch Kredite aufnehmen und ist somit von den Beiträgen der Mitgliedstaaten abhängig. Dieses System ist kompliziert und führt zu Schwierigkeiten bei der Kompromissfindung beim EU Haushalt. Gleichzeitig provozieren die Beiträge der Mitgliedstaaten eine Nettozahlerdebatte, da die Einnahmen der EU bestimmten Mitgliedstaaten zurechenbar sind. Derweil ist es interessant festzustellen, dass eine Mehrheit der Mitglieder der Revisionskommission der Schweizer Bundesverfassung forderte, der Bundesstaat solle seine Aufgaben durch reguläre Einnahmen finanzieren. Es herrschte die Überzeugung, dass der Bund finanziell unabhängig sein müsse. Nur noch in ausserordentlichen Fällen sollte er sogenannte Kantonskontingente, auf finanzielle Beiträge der Kantone, zurückgreifen (Druey, 1848, S. 84 f.). Damit wurde die Beseitigung eines seit Jahrzehnten bestehenden Missstandes angestrebt. Bereits die Finanz- und Steuerpolitik der Helvetischen Republik war, um es mit den Worten des Historikers Andreas Staehelin auszudrücken: «[…] im grossen und ganzen gesehen, erfolglos und unglücklich.» (1980, S. 820). Nachdem Napoleon den eidgenössischen Staatsschatz geplündert hatte und daraufhin das Vermögen der Kantone per Gesetz zum Nationalgut erklärte wurde, konnte sich der Staat gerademal für ein paar Monate über Wasser halten. Da es nicht gelang, ein effektives Steuergesetz auf nationaler Ebene zu implementieren, wurden 1801 alle Zahlungen eingestellt und damit de facto der Staatsbankrott erklärt (Staehelin, 1980, S. 820 f.). Auch in der Mediationszeit gestaltete sich die finanzielle Situation des Bundes nicht besser. Eine reguläre Einnahmequelle fehlte, da alle Regalien und Zollrechte an die Kantone zurückgefallen waren. Um seine Ausgaben zu decken, war der Bund wieder auf Beiträge der Kantone angewiesen, welche diese über das Budget nur zögerlich bewilligten. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die Helvetische Nationalschuld erst 1814 durch eine Verfügung des Wiener Kongresses getilgt wurde (Frei, 1980, S. 848; Staatsarchiv des Kantons Zürich, 2003, S. 26–31). Auch unter dem Bundesvertrag von 1815 bestand keine eigentliche Finanzhoheit des Staatenbundes: «Der Bundesvertrag von 1815 gab, ähnlich wie die Vermittlungsakte, dem Bunde bloss die Rolle eines Kassiers der Kantone.» (His, 1929, S. 478). Dabei kam es häufig vor, dass einzelne Kantone die geschuldeten Kontingente gar nicht ablieferten (His, 1929, S. 478-484). Der Rechtsprofessor Eduard His kam in seinem umfassenden Werk zur Schweizer Verfassungsgeschichte zum Urteil, dass der Staatenbund: «[…] in staatswirtschaftlicher Hinsicht völlig ohnmächtig [war].“ (1938, S. 238). Diese Situation sollte sich für den Bundesstaat ändern.
Für die Finanzierung der Bundesaufgaben schlug die Revisionskommission die Übertragung von fünf Einnahmequellen vor: Die Erträge aus dem Zollwesen sowie der Post- und der Pulververwaltung, die Zinsen aus dem eidgenössischen Kriegsfonds und Kantonskontingente. Am wichtigsten war das Zollwesen, das die Haupteinnahmequelle des Bundes werden sollte (Druey, 1848, S. 78–85). Die damit verbundenen Entschädigungsfragen gehörten zu den problematischsten Aspekten der Staatsgründung, auf die im folgenden Abschnitt näher eingegangen wird. Von den übrigen Einnahmequellen waren einzig die Kantonskontingente umstritten. Sie hatten viele Gegner innerhalb der Kommission. Eine Einigung kam nur zu Stande, weil darauf spekuliert wurde, dass die Zolleinnahmen die Erhebung von Kontingenten seltener oder gar ganz überflüssig werden lässt und «[…] weil man in dem Ständerat für die Kantone eine Garantie erblickte, sich gegen Ausgaben zu sichern, deren Nothwendigkeit und Nützlichkeit sie nicht anerkennen könnten.» (Druey, 1848, S. 85). Womit die Verfassungsväter der Schweiz nicht gerechnet hatten, war der ausserordentliche Anstieg der Zolleinnahmen, der in den folgenden Jahrzehnten zu hohen Überschüssen in der Bundeskasse führen sollte. Die gute Finanzlage des Bundes weckte Begehrlichkeiten bei den Kantonen. Diese gipfelten 1894 in der sogenannten Beutezug-Initiative, die eine Beteiligung der Kantone an den Zolleinnahmen forderte. Zwar scheiterte die Volksinitiative an der Urne mit über 70 % Nein-Stimmen deutlich, dennoch begann der Bund, den Kantonen in zunehmendem Mass Subventionen zu gewähren – meist gestützt auf der Bundeskompetenz zur Errichtung öffentlicher Werke. Dadurch setzte ein Prozess schleichender Zentralisierung ein, der die Auswirkung des Popitzschen Gesetzes der Anziehungskraft des zentralen Etats illustriert (Popitz, 1927, S. 338-375; Schaltegger, C. A. & Studer, T. M., 2018). Denn der Bund stellte den Kantonen die Gelder nicht bedingungslos zur Verfügung, vielmehr erliess er meist Bestimmungen für die Verwendung der Gelder und behielt sich regelmässige Kontrollen vor. Damit weitete sich der Einflussbereich des Bundes immer stärker aus und ging teilweise weit über den verfassungsmässigen Rahmen hinaus (His, 1938, S. 662-667).
5 Keine Leistung ohne eine Gegenleistung
Eine der grössten Herausforderung, der sich Merkel, Juncker und die übrigen Befürworter der Fiskalunion werden stellen müssen, wird das Aushandeln von Gegenleistungen sein, welche die EU-Mitgliedsstaaten für die Abgabe von Kompetenzen unzweifelhaft fordern werden. Diese Erfahrung musste die EU bereits 2011 machen, als sich der britische Premierminister David Cameron weigerte, einer Änderung des EU-Vertrags in Richtung mehr Haushaltsdisziplin zuzustimmen, weil die EU nicht auf die von den Briten geforderten Gegenleistungen eingehen wollte. Nicht anders präsentierte sich die Situation bei der Schweizer Bundesstaatsgründung. Während ein Grossteil der Vertreter der Stände mit der Übertragung der Zollhoheit auf den Bundesstaat einverstanden war, stellten ihre Entschädigungsforderungen die Revisionskommission vor Schwierigkeiten, die gemäss Druey «[…] die Kommission einen Augenblick fast für unüberwindlich hielt.» (Druey, 1848, S. 30). Die Kantone teilten sich mit ihren Forderungen grob in zwei Lager. Die erste Gruppe bestand auf einer umfassenden Entschädigung ihres Zollertrags durch den Bund, da ihr Finanzhaushalt weitgehend auf Zolleinnahmen beruhte. Die zweite Gruppe bezog ihre Einnahmen zu einem grossen Teil aus Steuern. Sie wollte nicht, dass ihre Einwohner durch höhere Zölle an der Schweizergrenze die Entschädigungen für die anderen Kantone mitfinanzieren. Die Revisionskommission einigte sich schliesslich auf einen Kompromiss. Der Bund sollte den Kantonen jährlich eine Entschädigung in der Höhe ihrer durchschnittlichen Zolleinnahmen der Jahre 1842 bis 1846 bezahlen, mindestens aber drei Batzen pro Einwohner. So erhielten auch jene Kantone, die nur geringe Zölle erhoben, einen Anteil an den Bundeseinnahmen (Rupli, 1949, S. 188 f.; Druey, 1848, S. 29-33). Damit war der Startschuss für einen bundesstaatlichen Finanzausgleich bereits vor der Gründung des Bundestaats gefallen.
Als die fiskalischen Belange der Bundesstaatsgründung in der Tagsatzung behandelt werden sollten, kritisierte Ulrich Ochsenbein, Vertreter des Kantons Bern und späterer Bundesrat, die Vorschläge der Revisionskommission und stellte die Entschädigungen für das Post- und das Zollwesen grundsätzlich in Frage. Seiner Einschätzung nach würden die Entschädigungen die Staatskasse zu stark strapazieren, so dass der Bund wieder auf Beiträge der Kantone angewiesen wäre – wobei die Kantone wiederum kaum gewillt wären, allfällige Verluste zu decken. Aus diesem Grund schlug Ochsenbein der Tagsatzung eine vollständige Aufgabenteilung vor. Er plädierte dafür, dass nicht nur das Zoll- und das Postwesen, sondern auch das Militär vollumfänglich auf den Bund übergehen sollten. Ebenso sollte der Bund auch die Verantwortung über die Hauptstrassen übernehmen, anstatt die Kantone für ihren Unterhalt zu entschädigen (Eidgenössische Tagsatzung, 1847, IV S. 68 f.). Einem Antrag Ochsenbeins entsprechend, wurden die «materiellen Fragen» einer speziellen Tagsatzungskommission übergeben, die diese vorgängig behandelte. Die Kommission kam zum Schluss, dass der Vorschlag von Ochsenbein dem Bund zu hohe Ausgaben und damit ein zu hohes Defizit verursachen würde. Sie schlugen vor, das ursprünglich vorgesehene Transfersystem umzusetzen, dabei aber die minimale Entschädigung für alle Kantone von drei auf vier Batzen pro Einwohner zu erhöhen (Eidgenössische Tagsatzung, 1847, IV S. 167-170). Als darauf die Entschädigungsfrage in der Tagsatzung behandelt wurde, meldeten sich acht Kantone zu Wort. Zustimmung fand nur ein Antrag von Zürich. Dieser sah vor, dass der Bundesstaat Zölle, die zur Amortisation von Baukosten bewilligt worden waren, nur im Umfang des aufgewendeten Kapitals und der Zinsen entschädigen muss. Die anderen Vorschläge der Kantone, die Modalitäten der Auszahlung und der Verteilung nach ihren Interessen zu gestalten, fanden nicht genügend Unterstützung (Eidgenössische Tagsatzung, 1848, IV S. 208–213). Im Juli und August erfolgten die Abstimmungen in den Kantonen. 15½ stimmten der Verfassung zu, während sie von 6½ (Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Zug, Wallis, Tessin und Appenzell Innerrhoden) abgelehnt wurde. Am 12. September 1848 erklärte die Tagsatzung die Bundesverfassung für angenommen (Kölz, 1992, S. 610 f.).
6 Fazit
Der Beitrag zeigt, dass es einige Parallelen zwischen der Schweizer Bundesstaatsgründung von 1848 und der aktuellen Diskussion in der EU gibt. Dabei bietet die Schweizer Verfassungsgebung einige Anhaltspunkte über institutionelle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Fiskalunion – auch wenn zwischen der Schweiz vor 1848 und der heutigen Situation der EU wesentliche Unterschiede bestehen. Dazu zählt, dass der Sieg der Liberalen im schweizerischen Sonderbundskrieg ein wichtiger Faktor war, der die Überwindung des Widerstands der katholischen Kantone gegen die Bundesstaatsgründung ermöglichte. Dies zeigt, wie wichtig es ist, ein sich bietendes Momentum zu nutzen. Ebenfalls zentral ist, dass zwischen den Kantonen seit mehreren hundert Jahren ein politischeres Bündnis bestand und die Schweiz lange ein Staatenbund war, bevor die Bundesstaatsgründung und die Währungsunion von 1850 angegangen wurden. Betrachtet man die Verfassungsgebung der Schweiz, wird offensichtlich, dass sich ähnliche Entwicklungen vollzogen, wie sie heute in der EU zu beobachten sind – um mit dem Kompetenzgerangel zwischen den Staatsebenen über die institutionellen Zuordnungen nur ein Beispiel zu nennen. Bereits der sogenannte Franzoseneinfall von 1798 hatte die Eidgenossenschaft schmerzlich erfahren lassen, dass geteilte Kompetenzen zu teuren Lösungen und einem ohnmächtigen Bund führen können – eine Erfahrung, die sich ein Vierteljahrhundert nach der Bundesstaatsgründung durch die mangelhafte Kriegsbereitschaft der kantonalen Truppen im Deutsch-Französischen Krieg bestätigte. Wieder haben unklare Kompetenzzuweisungen die politische Verantwortlichkeit verwischt. Diese Streitigkeiten erinnern an die Auseinandersetzungen zwischen der EU-Kommission und den Nationalstaaten, die regelmässig zu Blockaden führen – wie es beispielsweise bei den langwierigen Verhandlungen zwischen der EU und Kanada über das Freihandelsabkommens CETA der Fall war. Auch die Reaktionen auf den jüngsten Vorschlag der EU-Kommission, die Abschaffung des Vetorechts in Steuerfragen, wird aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer politischen Blockade führen. Ein weiteres Beispiel ist die schleichende Zentralisierung, die mit der Übertragung der Kompetenz zur Unterstützung der Errichtung öffentlicher Werke prominent Eingang in die Schweizer Bundesverfassung fand und die Kantone im Verlauf der Zeit immer stärker vom Bund abhängig machte (His, 1938, S. 664–667). Auch dies ist eine Entwicklung, die gerade während den Krisenjahren innerhalb der EU stetig zunahm. Doch gibt es Lehren aus der Schweizer Bundesstaatsgründung? Ein wichtiger Punkt ist, dass bei der Gründung des Bundes eine umfassende politische Union geschaffen wurde, die nicht nur eine gemeinsame Währung, sondern auch eine gemeinsame Regierung, ein gemeinsames Parlament und eine einheitliche Aussenpolitik umfasste. Dazu gehörte auch, dass ein wichtiger erster Schritt in Richtung einer gemeinsamen Armee gemacht wurde, der letztlich zur weitgehenden Übernahme der Armee durch den Bund führte. So wurde wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung eines einheitlichen Staatswesens geschaffen. Indessen herrschen in der EU unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft der Währungsunion. Die Gegner einer Fiskalunion argumentieren, dass eine Fiskalunion die strukturellen Probleme einiger Euroländer nicht lösen kann und werfen den Befürwortern vor, dass sie einzig an der Umverteilung interessiert seien. Dass die Gründung des Bundesstaates auch eine Finanzhoheit des Bundes geschaffen wurde, die eine klare, institutionelle Trennung der Finanzquellen umfasste, war ein Fortschritt. Dass die Verfassungsväter der Schweiz den Bund mit der Übertragung der Zollhoheit gemäss dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz zum Nutzen- und Entscheidungsträger machten und ihm die Verantwortung für die Leistungsfinanzierung übergaben, befreite den Bund aus seiner Abhängigkeit von den Kantonen und erlaubte ihm, eigene Kompetenzen zu definieren. Zusätzlich stärkte es die kantonale Verantwortlichkeit für ihre eigenen fiskalischen Ressourcen, da sie sich nicht auf Rückflüsse von der Bundesebene konzentrieren konnten. Die klare Zuordnung der Kompetenzen gelang dann im Bereich der Steuerkompetenzen rund hundert Jahre später nicht mehr so mustergültig wie in der Gründungsphase. Beim Blick auf die EU zeigen sich ähnliche Entwicklungen. Die EU ist von den Beiträgen ihrer Mitgliedstaaten abhängig und diese wollen wiederum einen möglichst grossen Einfluss auf die Verwendung der EU-Mittel nehmen. Sie sind darauf bedacht, dass die Gelder möglichst in die eigenen Kassen zurückfliessen. Dies hat den Nachteil einer schwerfälligen Verbundlösung, welche die Entscheidungsfindung durch Streuung von Risiko, Verantwortung und Kompetenzen erschwert sowie die Politikverflechtung und Reformblockaden stärken.
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Staehelin, A., Helvetik, in: H. Helbling et al (Hrsg.), Handbuch der Schweizer Geschichte. Band 2, Zürich 1980, S. 785–839.
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[1] Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung eines gleichnamigen Beitrages, der im November 2015 in der Zeitschrift WiSt – Wirtschaftswissenschaftliches Studium erschienen ist.
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