Die beiden ehemals großen Volksparteien verlieren kontinuierlich an Wählerstimmen und Mitgliedern. Es fällt ihnen zunehmend schwer, bei jungen Bürgern Zustimmung und Nachwuchs zu gewinnen. Viele bewerten den Ist-Zustand, dass insbesondere junge Menschen sich wenig in der Politik engagieren, als dezidiert negativ. Eine alternative Interpretation ist jedoch naheliegender.
Politik hat mindestens zwei Elemente: Ein Element der Umverteilung und eins der Effizienz. So kann es durchaus ein positives Zeugnis für die Politik des Landes sein, wenn junge Leute keine dringende Notwendigkeit eines politischen Engagements für Umverteilung verspüren und sich daher nicht in Parteien engagieren. Plakativ gesprochen ergibt dieses Narrativ Sinn: Eine junge Bayerin, die im Speckgürtel der Landeshauptstadt München wohnt, verspürt vermutlich einen geringeren Umverteilungsbedarf und eine geringere Dringlichkeit zur politischen Aktivität, als ein Berliner aus Neukölln, der gegen sogenannte Immobilienspekulanten protestiert. Beide sehen vermutlich das zweite Element der Politik – bewusst oder unbewusst – nämlich, dass es in Deutschland viele Möglichkeiten für Verbesserungen gibt. Ökonomisch ausgedruckt: Es gibt auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene reichlich Potential zur Steigerung der Effizienz.
Leider ist das Engagement für mehr Effizienz, also um den Kuchen größer zu machen, aufwändiger, langwieriger und mit weniger direkten Gewinnen für die sich engagierenden Personen verbunden, als der Einsatz für Umverteilung. So sehen wir selbst von politisch engagierten Personen selten Mobilisierung für weniger bürokratische Prozesse, eine sinnvollere Verwendung von Steuereinnahmen, Monopolbekämpfung oder dergleichen. Wenn Bürger sich politisch engagieren, dann beobachten wir eher Mobilisierung für Umverteilung. Das ist nachvollziehbar, denn einmal wird das Leben für alle besser, das andere Mal nur für eine gewisse Gruppe zu der man oft selbst gehört.
Geringe politische Partizipation von jungen Menschen kann daher auch als ein Indikator für soziale Gerechtigkeit verstanden werden. Denn erst anfängliche Verteilungskonflikte befördern den Verteilungskampf und dieser wiederum befeuert das politische Engagement. Spielt Umverteilung keine zentrale Rolle, weil das System im Großen und Ganzen als gerecht empfunden wird, dann wird politische Beteiligung weniger notwendig erachtet. Zugleich ist Politik aber nicht nur Verteilungskampf und somit Nullsummenspiel, sondern ein Prozess zur Verbesserung der Gesellschaft – ein Prozess zur Erhöhung der Effizienz. Die Kunst ist es nun, die junge Generation für ein Engagement für staatliche Effizienz zu begeistern. Dazu braucht es mehr politischen Wettbewerb, in dem sich die Jungen sich mit ihren Vorstellungen langfristig durchsetzen können.
Mehr Wettbewerb wird durch eine Öffnung politischer Märkte erreicht. Weil Lokalpolitiker heute typischerweise in den Gebietskörperschaften wohnen müssen, wo sie ihre Ämter ausüben, wird der Wettbewerb unnötig eingeschränkt. Mit einer Abschaffung solcher Wohnsitzpflichten wird es insbesondere jungen, mobilen Politikern erleichtert, in anderen Gebietskörperschaften zu kandidieren. Dadurch wird nicht nur die Konkurrenz zwischen den Politikanbietern gestärkt, sondern ein Problem kleinräumiger politischer Strukturen gelöst. Während es heute besonders kleinen Gemeinden zuweilen schwer fällt, qualifizierte (Teilzeit-)Politiker aus der Mitte ihrer Einwohner zu rekrutieren, erlaubt ihnen eine Öffnung des politischen Marktes, auswärtige Politikanbieter einzubeziehen. Dadurch werden diese politischen Ämter für fachlich spezialisierte, jüngere Politiker attraktiv, erste Erfahrungen können besser genutzt werden und Effizienz erhöhende politische Lösungen werden begünstigt. Jungpolitiker können sich in einer Kleingemeinde einen Ruf als erfolgreiche Bürgermeister aufbauen und mit ihrem gewonnenen Wissen nach ein paar Jahren in einer größeren Stadt kandidieren.
Wem die Abschaffung von Wohnsitzpflichten in der Politik seltsam erscheint, nehme kurz an, ähnliche Einschränkungen würden in anderen Bereichen existieren. Wie wäre es wohl, wenn der FC Bayern München nur Spieler aus der Landeshauptstadt verpflichten dürfte? Vermutlich wäre der Club dann weniger erfolgreich. Warum sollten sich also die Bürger nur aufgrund mangelnder Alternativen mit einem Kreisklasse-Bürgermeister zufriedengeben, wenn ihr politisches Personal genauso gut in der Champions League spielen könnte? Ohne Wohnsitzpflichten könnte die Politik auch weiblicher werden, denn insbesondere Frauen zogen wenigstens in der Vergangenheit bei Familiengründung oft in die Gemeinden ihrer Partner – sie könnten nun weiterhin politische Ämter in ihrer Heimatgemeinde wahrnehmen und dort wieder kandidieren.
Man mag vielleicht einwenden, Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde würden keine jungen, auswärtigen Politiker wählen. Doch selbst wenn das stimmen sollte, ist dies kein Grund gegen eine Öffnung politischer Märkte, da die Bürger ja weiterhin einheimische Politiker wählen können. Die Abschaffung von Wohnsitzpflichten weitet nur den Kandidatenkreis aus. Darüber hinaus belegen die Erfahrungen aus den wenigen, heute schon offenen Märkten – etwa für Bürgermeister in Baden-Württemberg – das pure Gegenteil. So sind dort rund 80 Prozent der Bürgermeister nicht ortsansässig. Eine derartige Öffnung der Politik ist zudem noch billig und leicht umsetzbar. Für alt, aber insbesondere für jung, würde politisches Engagement attraktiver. Junge Politiker wären bei einer Kandidatur nicht mehr an ihren Wohnort gebunden. Darüber hinaus könnten Politiker ihr Wissen in mehreren Gebietskörperschaften und vor allem dort einsetzen, wo sie am meisten gebraucht werden. So hätten potentielle Nachwuchspolitiker und insbesondere Nachwuchspolitikerinnen stärkere Anreize ihre Ideen einzubringen. Das zwänge auch die Alten mit Sachkompetenz statt schönen Reden zu glänzen und im Sinne der Bevölkerung für mehr Effizienz zu politisieren.
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