Der Koalitionsvertrag und die Schulden

Die Ampelkoalition steht vor dem Problem, erhebliche Investitionsausgaben finanzieren zu wollen. Diese werden im Zuge des Übergangs hin zur CO2-Neutralität nötig. Zwar kann man kritisch darüber diskutieren, ob die von Interessensvertretern ins Spiel gebrachten öffentlichen Investitionsbedarfe von 500 oder gar 1000 Mrd. Euro über die nächsten zehn Jahre in diesem Umfang wirklich nötig sind. Aber dass einige Spielräume für Investitionen geschaffen werden müssen, ist unstrittig.

Die Schuldenbremse limitiert die Möglichkeiten, sich solche Spielräume über neue Defizite zu verschaffen, in normalen Zeiten recht stark. Daher wird die Ampelkoalition kreativ. Für 2021 bestehen Kreditermächtigungen in Höhe von 240,2 Mrd. Euro, für 2022 noch in Höhe von 81,5 Mrd. Euro. Diese sind der Corona-Notlage geschuldet, die 2023 auch finanzpolitisch beendet sein wird. Dann bindet die Schuldenbremse wieder.

Der Plan ist nun, den Energie- und Klimafonds (EKF), ein schon seit 2010 bestehendes Sondervermögen des Bundes, aufzustocken und hierzu nicht genutzte Kreditermächtigungen zu nutzen. Bisher finanziert sich der EKF vor allem aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten. Er dient der Förderung von Projekten zur Umsetzung der Energiewende. Die nicht volle Inanspruchnahme der Kreditermächtigungen für 2021 und 2022 ist zu erwarten, da diese für die Corona-Krise sehr großzügig angesetzt wurden. So wurden auch bereits 2020 nur 130,5 Mrd. Euro der ursprünglich veranschlagten 217 Mrd. tatsächlich in Anspruch genommen.

Bisher wird kolportiert, dass die Koalitionäre für 2021 mit gut 50 Mrd. Euro rechnen, die als ansonsten nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigung für den EKF verwendet werden können. 2022 könnte der Spielraum ebenfalls noch groß sein, sofern die prognostizierten höheren Wachstumsraten des BIP und der Steuereinnahmen eintreten.

Nun ist es aber umstritten, ob ein solches Aufstocken des EKF verfassungsrechtlich unproblematisch ist. Eine wegen der Notlagenklausel der Schuldenbremse zulässig gewordene hohe Nettokreditaufnahme darf nämlich eigentlich auch nur im direkten Zusammenhang mit der entsprechenden Notlage genutzt werden. Rhetorisch hat die Ampel im Koalitionsvertrag zwar vorgesorgt und eine entsprechende Verknüpfung hergestellt. Ökonomisch ist dies aber eher zweifelhaft. Nach der Coronakrise getätigte Investitionen in einem dann auch konjunkturell erholten Umfeld sind nur mit Mühe überzeugend mit der in Anspruch genommenen Corona-Notlage zu verknüpfen.

Sollte der Kunstgriff aber gelingen und juristisch Bestand haben, so schafft die Ampel sich mit dem angeschwollenen EKF einen Vorrat, von dem für den Rest der Legislaturperiode und darüber hinaus hohe zusätzliche Investitionen finanziert werden können, ohne dass diese Ausgaben in der Normallage ab 2023 in der Schuldenbremse wirksam werden. Hierzu wurde extra auch noch vereinbart, dass Entnahmen aus Sondervermögen nicht mehr unter der Schuldenbremse zu berücksichtigen sind, sondern dass zukünftig der Zeitpunkt der schuldenfinanzierten Aufstockung des Sondervermögens zählen soll. Da die Aufstockung des EKF aber nun in der Corona-Notlage mit nicht bindender Schuldenbremse geschieht, kommt man diesmal ohne weitere Probleme davon.

Damit ist es aber noch nicht getan. Nach den ursprünglichen Planungen wären ab 2023 die ersten, noch niedrigen Tilgungszahlungen im niedrigen einstelligen Milliardenbereich für die Corona-Schulden fällig gewesen. Ab 2026 wären dann die vollen Tilgungszahlungen von rund 20 Mrd. Euro pro Jahr angefallen. Diese Zahlungen verschiebt die Ampel nach hinten und streckt sie, indem sie sich nun am Tilgungsplan des Europäischen Wiederaufbaufonds orientiert. Dieser läuft von 2028 bis 2058. Die Ampel verschiebt also den Beginn der Tilgung der Corona-Schulden bis weit in die nächste Legislaturperiode.

Dies ist zwar legal, da das Grundgesetz keine feste Tilgungsfrist definiert. Ein Bundesland wie NRW nimmt sogar einen Tilgungszeitraum von 50 Jahren in Anspruch. Es wäre aber eigentlich sinnvoll, zur Abfederung möglicher weiterer Notlagen in der Zukunft nach der Rückkehr zu einer konjunkturellen Normallage möglichst schnell zu tilgen. Denn auch in der nächsten Krise, die so überraschend kommen kann wie die aktuelle Pandemie, würde ein niedriger Schuldenstand die flexible Reaktion auf die Notlage erleichtern. Und die Verschiebung der Lasten aus der eigenen Regierungszeit hinaus hat auch politisch einen unguten Beigeschmack.

Auch die zuvor schon länger diskutierte Nutzung privatrechtlicher Investitionsvehikel, die von der Schuldenbremse nicht erfasst werden, wird kommen. Insbesondere die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wird genutzt, aber auch ein Staatsunternehmen wie die Deutsche Bahn. Vor allem sind hier vom Bund finanzierte Eigenkapitalaufstockungen geplant, die es den Staatsunternehmen wiederum erleichtern, sich selbst günstig zu verschulden und so Investitionen zu finanzieren. Da eine solche Eigenkapitalaufstockung als finanzielle Transaktion gilt, belastet auch sie den Spielraum der Schuldenbremse nicht.

Schließlich, und bisher in der Diskussion weitgehend unbeachtet, fordert der Koalitionsvertrag aber auch eine Priorisierung von Ausgaben und nötigenfalls eine Kürzung anderer Staatsausgaben, um Spielraum für Investitionen zu schaffen. Der Vertrag enthält aber keine Informationen über die Gewichtung der bisher diskutierten Werkzeuge. Hier stehen der Ampel noch kontroverse Diskussionen bevor, wenn im Laufe der Regierungszeit konkret entschieden werden muss, wie Ausgabenspielräume eröffnet werden.

Ein der breiten Öffentlichkeit nur schwer zu vermittelndes, weiteres Instrument behält die Ampel sich außerdem noch vor, indem sie eine Evaluierung des Verfahrens der Konjunkturbereinigung in der Schuldenbremse vereinbart hat. Auch dieses ist im Grundgesetz nicht fixiert und kann problemlos geändert werden. Hier besteht die Gefahr, dass durch politisch motivierte, aber ökonomisch wenig plausible Annahmen z.B. das Produktionspotential gezielt überschätzt wird. Macht man dies, so ergibt sich eine größere Outputlücke zwischen dem tatsächlichen und dem potentiellen BIP, woraus wiederum ein höherer jährlicher Verschuldungsspielraum unter der Schuldenbremse folgt. Zu hoffen ist, dass ein FDP-Finanzminister, der für die Evaluierung der Konjunkturkomponente verantwortlich sein dürfte, hier keine allzu große Willkür walten lassen wird.

Bezüglich der Finanzen auf der EU-Ebene ist der Koalitionsvertrag schließlich etwas vage. Zwar erfolgt ein grundsätzliches Bekenntnis zur finanzpolitischen Stabilität und zu Fiskalregeln, die diese in der Währungsunion gewährleisten. Gleichzeitig wird aber auch eine Weiterentwicklung und Vereinfachung der Regeln angestrebt. Das kann viel bedeuten; vor allem ist es ein weiterer Punkt, der für Konfliktstoff in der Koalition sorgen wird, wenn die Diskussionen in Brüssel konkreter werden und Deutschland sich positionieren muss.

Dies ist auch insgesamt ein Problem der wirtschafts- und finanzpolitischen Abschnitte der Koalitionsvereinbarung. Oft werden zwar Ziele und Instrumente genannt, aber der konkret anzustrebende Instrumentenmix bleibt offen. Hier wurden Diskussionen vertagt, vielleicht auch vor allem, um die Akzeptanz der Vereinbarung in den Parteigremien und -basen nicht durch zu konkrete Festlegungen zu gefährden. Damit ist aber auch sichergestellt, dass die Legislaturperiode kein langweiliges Abarbeiten des Koalitionsvertrages bringen, sondern noch einigen Konfliktstoff und lebhafte Debatten bieten wird.

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