1. Meine Tätigkeiten in der Politikberatung
Von 1995 bis 2018 war ich neben meinen Aufgaben als Hochschullehrer in der Forschung und Lehre auch in der Politikberatung hauptsächlich in den Feldern der Finanz-, Forschungs-, Innovations- und in der Umweltpolitik auf der Bundes- und Landes-Ebene (hier in Oberösterreich) tätig. Die hauptsächlichen Bereiche waren: Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung, Förderalismus, ökosoziale Marktwirtschaft und Politische Ökonomie (Public Choice). Zusätzlich habe ich auch beratend bei Parlamentsausschüssen im österreichischen Nationalrat, im deutschen Bundestag und in EU-Kommissionen mitgewirkt. Die Beratung erfolgte in Form von schriftlichen Stellungnahmen/Gutachten und Diskussionen sowie Gesprächen mit den betroffenen Politikern oder Spitzenbeamten.
2. Stellenwert der Politikberatung in meiner wissenschaftlichen Tätigkeit
Die Politikberatung nimmt bei mir eindeutig Platz 2 neben meinen klassischen Forschungs- und Lehr-Aktivitäten ein. Manchmal ist eine tages- und wirtschaftspolitische Relevanz gegeben, z.B. die Eindämmung der Schattenwirtschaft durch anreizorientierte Politik, aber meistens beginnt die Politikberatung aus den Veröffentlichungen und Diskussionen über meine Forschungsgegenstände.
3. Warum mache ich Politikberatung?
Als Hochschullehrer fühle ich eine gewisse Verpflichtung, mein Wissen auch in den politischen Prozess einzubringen. Zum einen, um Informationen und neue Erkenntnisse weiterzugeben, und zum anderen, um Diskussionen auszulösen. Die Hoffnung ist, dass die Politik dadurch ein Stück sachgerechter und auch, wie wir Ökonomen sagen, wohlfahrtssteigernd wirken kann. Wichtig für mich ist, den einen oder anderen Impuls zu geben, um etwas zu ändern Natürlich ist die persönliche Anerkennung auch ein Motiv, da sich diese auch in wissenschaftlichen Rankings wiederspiegelt.
4. Wie läuft Politikberatung in Österreich ab?
Österreich ist ein kleines Land. Die laufende Politikberatung wird primär seit langem von den zwei großen Wiener Forschungsinstitutionen (WIFO und IHS) gemacht. In den letzten 10 Jahren haben sich aber auch Think-Tanks, wie beispielsweise die Agenda Austria, in diesen Bereich eingebracht. Die wichtigsten Interessensverbände, die Sozialpartner, also die Wirtschaftskammer, die Arbeiterkammer, die Industriellenvereinigung und die Gewerkschaften, haben ihre eigenen „Think Tanks“, die sie regelmäßig für wirtschaftspolitische Beratung nutzen. Wirtschaftspolitische Beratung entsteht aber auch (so war es bei mir!) durch Diskussionen bei Abendempfängen und am Podium, bei denen interessierte Politiker mich ansprachen, ob wir uns über das eine oder andere Thema noch einmal im Detail unterhalten könnten. Diskutiert man dann mit Spitzenpolitikern unter vier Augen oder im kleinsten Kreis (zu dritt oder zu viert), dann sind zwei Dinge wichtig:
(1) Entscheidend ist es, die Message in den ersten 10 Minuten zu vermitteln. Denn meistens, und insbesondere wenn die Gespräche am Vormittag stattfinden, schalten viele Politiker nach 10-15 Minuten ab, selbst wenn sie das Thema stark interessiert, weil der nächste Termin drängt oder ihnen andere Dinge durch den Kopf gehen. Hat man die Gelegenheit, am Abend mit einem Politiker zu diskutieren, dann bekommt man, je nachdem wie spät es ist, bis zu einer Stunde Aufmerksamkeit.
(2) Was aber in Österreich eine spezifische Besonderheit ist, ist der die Kabinettchef und sein Stab. Das ist das entscheidende Beratungsgremium des Ministers für seine Alltagsarbeit und den jeder Minister mit seinen eigenen Vertrauten besetzt. Darüber hinaus ist Kabinettchef der „Agenda-Setter“; d.h. er bestimmt mehr oder weniger den Terminkalender des Ministers, beispielsweise legt er fest, wer wann zum Minister vorgelassen wird. Dadurch ist es ebenso wichtig, auch ihn von einem Änderungsvorschlag zu überzeugen. Der Kabinettchef spricht den Minister am nächsten Morgen wieder an, sagt ihm, der Vorschlag sei gut und da müsse man etwas machen. Wenn er das nicht tut, ist der Vorschlag sehr schnell vergessen. Selbst die besten Argumente/Studien verschwinden dann einfach. Im Zuge meiner Politikberatung habe ich einige Zeit gebraucht, um zu merken, wie wichtig der Kabinettchef auch als Agenda-Setter ist, und dass ohne ihn gar nichts läuft.
5. Politikberatung in Österreich – Bewirkt sie etwas?
Ich glaube, dass Politikberatung in Österreich schon etwas bewirkt. Aber ob man wirklich erfolgreich ist, ist auch mit einer Portion Glück verbunden bzw. ein Thema im richtigen Moment anzusprechen. Wenn beispielsweise in der deutschen Energiepolitik einige gravierende Fehler gemacht wurden, und Österreich alleine aufgrund seines etwas trägen Beharrens (häufig ist die Devise: „erst einmal abwarten und schauen“) erst 1-2 Jahre später darüber diskutiert, dann kann dies bewirken, dass so mancher Fehler, der in Deutschland gemacht wurde, bei uns nicht oder weniger stark gemacht wird. Ein gutes Beispiel hierzu sind die Abwrackprämien für PKWs nach der Weltwirtschaftskrise, die ja in Deutschland zu einem Boom beim Kauf neuer Autos geführt haben. In Österreich wurden diese Prämien auch kurz eingeführt, aber dann aufgrund von überzeugenden Argumenten (auch von mir) sehr rasch wieder eingestellt.
Institutionalisierte Wissenschaftsberatung ist in Österreich weniger ausgeprägt als in Deutschland: es gibt keinen Sachverständigenrat und keine wissenschaftlichen Beiräte in den Ministerien. Daher ist auch die Chance eines Einzelnen, wenn er in einem Feld bekannt ist, größer, in der Politikberatung ernst genommen zu werden.
6. Worauf kommt es in der Beratung an?
In der Beratung kommt es darauf an, dass der Politiker und sein Kabinettchef vom Argument des Beraters überzeugt werden, denn nur dann prüfen sie einen ent-sprechenden Vorschlag. Gut ist es auch, wenn man zumindest rudimentäre Überlegungen anstellt, ob ein Vorschlag realistisch und in repräsentativen Demokratien mit der erforderlichen Mehrheit durchsetzbar ist, denn der Minister verhält sich NICHT wie ein wohlwollender Diktator. Sein Handeln wird maßgeblich von ihrer Chance, wiedergewählt zu werden, bzw. im Amt zu bleiben, geprägt und seine subjektiven Einschätzung, wie sich die vorgebrachten Änderungsvorschläge darauf auswirken. Die Ökonomen, die in der Politikberatung in einer optimalen Welt leben und dem Politiker z.B. aus Sicht der Finanzwissenschaft Verzerrungen bei Steuern erklären wollen, laufen sehr schnell ins Leere und es besteht kaum eine Chance, dass ein Politiker diesem Argument auch nur fünf Minuten folgt.
Auch die wirtschaftspolitischen Berater haben eigennützige Interessen. Sie wollen möglicherweise an Projektaufträge herankommen. Sie wollen mediale Aufmerksamkeit und sie sind natürlich genauso wie jeder andere für Ideologien empfänglich. Das heißt auch die Berater verhalten sich als Eigennutz-Maximierer und dies sollte entsprechend beachtet werden. Für mich war entscheidend, dass über meine Vorschläge eine öffentliche bzw. politische Diskussion stattfand, dass man zu den Parlamentshearings geladen wird und dass es möglich war, bestimmte Vorschläge durchzusetzen.
7. Was sind meine persönlichen Erfahrungen aus der Politikberatung – Ein Resümee
(1) In der Politikberatung wird man „nur“ ernst genommen, wenn es einem neben einer sehr guten Forschungsleistung auch gelingt, in den öffentlichen Medien breit vertreten zu sein und provokante Thesen zu formulieren, über die die Politiker stolpern und über die sie mehr wissen wollen.
(2) Im Zuge einer persönlichen Politikberatung sind immer der Politiker und sein Kabinettchef von der vorgebrachten Idee zu überzeugen. Gelingt dies nicht, hat die Politikberatung kaum Aussicht auf Erfolg.
(3) Die ausgearbeiteten Vorschläge müssen praktikabel und umsetzbar sein, zumindest in dem Sinn, dass sie die ersten parlamentarischen Hürden bestehen. Gelingt dies, wird man auch bei anderen Fragen ernst genommen.
(4) Was ist also anders in Österreich?
Persönliche Nähe, persönliches Engagement, eine andere Art von Vertrauensverhältnis zu Spitzenpolitikern sowie die Möglichkeit, im Dienstwagen des Politikers mit ihm von Wien nach Linz zu fahren. Dann hat man gut zwei Stunden Zeit und kann viele Dinge diskutieren.
(5) Politikberatung findet meistens auf der persönlichen Ebene statt; dann werden Gutachten in Auftrag gegeben, um das Gesagte wissenschaftlich zu untermauern.
* Überarbeitete und aktualisierte Fassung. Eine erste Version dieses Beitrages war die Grundlage für einen Vortrag auf der Konferenz zum Thema Politische Ökonomie der Wirtschaftsberatung am 8.10.2015, der Handelskammer Hamburg. Der Inhalt gibt die persönlichen Erfahrungen des Autors im Zeitraum von 1995 bis 2018 wieder.
Blog-Beiträge der Serie „Politik(er)beratung“
Gert G. Wagner: Mehr Forschungsbasierung der (Bundes)Politik (?)
4 Antworten auf „Politik(er)beratung (3)
Politikberatung in Österreich im Unterschied zu Deutschland
Einige persönliche Anmerkungen* “