Die 50+1-Regelung im deutschen Profifußball besagt, dass immer der Hauptverein und damit die Mitglieder mehr als die Hälfte der Stimmanteile an einem Profiklub halten muss. So soll finanzkräftigen Investoren Einhalt geboten werden. Diese Regulierung ist innerhalb der höchsten europäischen Ligen einzigartig.
In England oder Spanien sind die Profiklubs teilweise sogar in der Hand eines einzigen Eigners, der dadurch eine relativ große Macht über den Verein hat. Auch hierzulande gibt es immer wieder Forderungen, die 50+1-Regelung abzuschaffen, etwa von Fußball-Managern der sportlich führenden Klubs. Sie erhoffen sich dadurch, die Lücke zur ausländischen Konkurrenz zu schließen. Die Sportökonomen Jörn Quitzau und Frank Daumann sind unterschiedlicher Meinung, ob die 50+1-Regel im deutschen Profifußball sinnvoll ist oder nicht.
Pro von Jörn Quitzau
Dr. Jörn Quitzau ist leitender Volkswirt bei der Hamburger Berenberg Bank mit Schwerpunktthemen wie Wirtschaftspolitik und Wirtschaftstrends. Er unterhält auch die Webseite fussball-oekonomie.de und einen Podcast.
In seiner vorläufigen Einschätzung zur 50+1-Regel hat das Bundekartellamt festgestellt: „Die Begrenzung der Liga-Teilnahme auf vereinsgeprägte Klubs ist unzweifelhaft eine Wettbewerbsbeschränkung.“ Dennoch könne die 50+1-Regel wegen ihrer sportpolitischen Ziele kartellrechtlich unbedenklich sein. Zu diesen Zielen gehören (1) der Erhalt der Vereinsprägung und (2) eine gewisse Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs.
Ad (1): Im Unterschied zur „regulären“ Wirtschaft lebt der Fußball in hohem Maße von den Emotionen und von der Identifikation der Fans mit ihren Lieblingsklubs. Die Kommerzialisierung hat schon zu einer weitgehenden Austauschbarkeit in wichtigen Bereichen der Klubs geführt: Spieler, Trainer, Funktionäre, Stadionnamen – alles ist austauschbar. Identifikation ist so kaum noch möglich. Würden jetzt noch (wechselnde) Mehrheitsinvestoren die Klubpolitik bestimmen, stiege die Gefahr, dass sich die Fans abwenden. Ob Klubs das Fanverhalten antizipieren und deshalb freiwillig auf Mehrheitsinvestoren verzichten, ist fraglich, denn die finanziellen Anreize, einen Investor an Bord zu nehmen, sind für jeden einzelnen Klub zu groß. Es weht ein Hauch von Gefangenendilemma: Wenn jeder die Trittbrettfahrerposition wählt, steht am Ende ein Ergebnis, das niemand angestrebt hat.
Ad (2): Ohne die 50+1-Regel wären die Bundesligisten für Investoren interessanter. Gleichwohl: Die Investoren würden sich auf die ohnehin schon großen Klubs bzw. Marken konzentrieren, sodass die Finanzschere sich noch weiter öffnete. Ein Problem ist tatsächlich die Ausnahmeregel für langjährige Förderer. Das Kartellamt beklagt diese Wettbewerbsverzerrung zu Recht.
Fazit: Die 50+1-Regel wäre nur dann entbehrlich, wenn man auf die „Herzblut-Fans“ verzichten und den Fußball als seelenloses Unterhaltungsprodukt betreiben möchte.
Contra von Frank Daumann
Prof. Dr. Frank Daumann ist Lehrstuhlinhaber am Institut für Sportwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Regulierung des Fußballs, aber etwa auch Fragen in der Gesundheitsökonomie.
Die 50+1-Regel bezweckt explizit, (1) die Vereinsprägung des Profifußballs und (2) die Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs zu gewährleisten. Implizit soll zudem (3) die Integrität der Spiele durch Unterbindung von Mehrbesitz von Klubs (Multi Ownership) erreicht werden.
Ad (1) Der Profifußball produziert eine Unterhaltungsdienstleistung; er ist in dem zu beobachtenden Maße kommerzialisiert und professionalisiert, weil dieses Produkt auf eine entsprechend große Nachfrage stößt. Wenn nun die Vereinsverbundenheit ein wichtiges Merkmal auf diesem Markt ist, dann wäre es im ureigensten Interesse der Klubs, dieses Merkmal zu erhalten. Die 50+1-Regel ist dafür nicht nötig.
Ad (2) Die sportliche Dominanz einiger weniger Klubs in der Bundesliga – und damit die geringe Ausgeglichenheit – resultiert vor allem daraus, dass manche Klubs die ihnen zur Verfügung stehenden Ertragspotenziale erfolgreicher als andere ausgeschöpft und diese Vorteile wirksam perpetuiert haben. Insofern könnten Großinvestoren eher zu einer stärkeren Ausgeglichenheit der Liga führen – ein Beispiel ist die TSG 1899 Hoffenheim. Die 50+1-Regel ist hierfür nicht nötig. Zudem stellt sich die Frage, ob die Ausgeglichenheit der nationalen Liga nicht zwangsläufig die Erfolglosigkeit deutscher Klubs in internationalen Wettbewerben zur Folge hätte.
Ad (3) Um das Multi-Ownership-Problem zu lösen, bedarf es ebenfalls dieser Regel nicht. Entweder löst es sich von selbst (wie etwa bei der Major League Soccer in den USA), da es von den Zuschauern abgelehnt wird, oder – falls man auf die Marktkräfte nicht vertrauen möchte – wäre es mit einer einfachen Verbotsregelung zu realisieren.
Fazit: Alles in allem kann man also gut auf die 50+1-Regel verzichten.
Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg. Es erschien in Heft 10 (2021) der Fachzeitschrift WiSt.