Gastbeitrag
De-Globalisierung ist keine Lösung!

In der Vorweihnachtszeit merken es Verbraucher bei der Suche nach Geschenken, beim Adventsausflug die Autofahrer an der Zapfsäule: Manche Waren sind knapp, teuer oder schlicht nicht lieferbar – eine Welt, wie man sie sich  hierzulande vor zwei Jahren nicht vorstellen konnte. Funktionierende globale Lieferketten und die jederzeitige Verfügbarkeit von Rohstoffen, Vorprodukten und Waren erschienen selbstverständlich. Doch der durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen massiv beeinträchtige Welthandel hat Konsumenten, Produzenten und Politik ihre Abhängigkeit vom globalen Güterhandel deutlich vor Augen geführt. Produktion nach Deutschland zurück zu verlagern, wie bisweilen in der öffentlichen Diskussion gefordert, ist allerdings keine Lösung. Dies würde die Effizienz von Produktionsprozessen spürbar reduzieren und so zu enormen Einkommenseinbußen führen. Unternehmen sollten stattdessen ihre Lieferketten weiter diversifizieren und robuster gestalten. Die Politik sollte den EU- Binnenmarkt vertiefen, die multilaterale Zusammenarbeit in der WTO stärken und Handelskosten durch bilaterale Handelsabkommen senken.

Die traditionell sehr exportstarke deutsche Wirtschaft ist in großem Maße auf einen freien, funktionierenden Welthandel angewiesen. Dieser kannte in den letzten Jahrzehnten trotz Subprime- und Finanzkrise nur eine Richtung: höher, schneller, weiter. Deutlich machen das insbesondere zwei Entwicklungen in der Containerschifffahrt: Die Steigerungsrate der Ladekapazität neuer  Containerschiffe  beläuft  sich   auf 1.500 Prozent in den letzten 50 Jahren – ein deutliches Zeichen für die zunehmende Bedeutung des internationalen (See-)Handels und Beleg für das Funktionieren der globalen Arbeitsteilung. Im gleichen Zeitraum hat allerdings auch die Konzentration der weltweit wichtigsten Reedereien massiv zugenommen: Allein in den letzten zehn Jahren stieg der Marktanteil der drei großen Allianzen, die insgesamt neun Anbieter umfassen, von 29 auf 83 Prozent. Dies weist einerseits auf einen harten Wettbewerbsdruck hin, bei dem nur die effizientesten Anbieter überleben, deutet andererseits aber auch auf die Gefahr von Marktkonzentration aufgrund oligopolistischer Tendenzen hin.

Nachdem der Welthandel durch die Corona-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 massiv eingebrochen war, kam es insbesondere in den asiatischen Ländern zu einer schnellen Erholung; die USA und die EU folgten verzögert. Die anziehende Weltnachfrage im Frühjahr und Sommer 2021 hat zusammen mit Corona-bedingten Störungen der Produktion und der Logistik dazu geführt, dass Materialien und Vorprodukte auf einmal knapp wurden, so dass die Nachfrage nicht ausreichend bedient werden konnte und die Preise stiegen. Die deutsche Volkswirtschaft hat aufgrund ihrer im internationalen Vergleich sehr stark auf das nachbarschaftliche, d.h. europäische Umland ausgerichteten Wertschöpfungsketten (73 Prozent der Importe besonders relevanter, sog. „abhängiger“ Güter stammen aus der EU) und ihrer  ausgeprägten Diversifikation die jüngsten Handelsturbulenzen bislang vergleichsweise gut überstanden. Deutlich geworden ist aber, dass überall dort, wo Produzenten auf Zulieferer bzw. Vorprodukte aus Übersee angewiesen sind – beispielsweise im Bereich der Halbleiterelektronik – die Gefahr enorm groß ist, dass Lieferbänder in Deutschland stillstehen und es zu Ausfällen und Verzögerungen kommt.

Welche Lehren lassen daraus für die globalisierte deutsche Wirtschaft und ihre Wertschöpfungsketten ziehen? Resilienz heißt das Schlagwort: Globale Krisen wie die Corona- Pandemie sind zwar nicht vorhersehbar; Maßnahmen zur Abfederung der damit einhergehenden Verwerfungen sind dagegen aber planbar. So kommt es darauf an, dass Unternehmen ihre Lieferketten intensiver überwachen und in Teilen noch stärker als bislang diversifizieren, um unabhängiger von einzelnen Marktakteuren zu werden und ins- besondere einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Europäische Gemeinschaftsprojekte wie GAIA-X können – mit entsprechender Begleitung auf politischer Ebene – dazu beitragen, dass kritische Infrastrukturen direkt im europäischen Binnenmarkt angesiedelt sind und einseitige Abhängigkeiten von Anbietern in Amerika oder Asien reduziert werden. Gleichzeitig sollten Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten dahingehend kritisch überprüfen und kontinuierlich überwachen, dass ihre Lagerhaltung ausreichend dimensioniert ist, um globalen Turbulenzen noch besser zu trotzen. Hier lohnt es sich, dass Für und Wider der damit verbundenen steigenden Fixkosten genau abzuwägen gegen das Risiko längerfristiger Produktionsunterbrechungen.

Unternehmen werden ihre Lieferketten nur dann weiter diversifizieren, wenn sie langfristig planen können, ob in Europa oder dem Rest der Welt. Die Politik sollte daher die Unternehmen unterstützen, indem sie für verlässliche Rahmenbedingungen sorgt und die Kosten des internationalen Handels reduziert. Dazu sollte sie multi- und bilaterale Handelsabkommen schließen bzw. ratifizieren, den EU-(Dienstleistungs-)Binnenmarkt vertiefen und die WTO stärken. Dies käme insbesondere auch kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) zugute, die besonders unter den Kosten von Handelshemmnissen leiden und oft weniger diversifizierte Lieferketten haben.  Politik, Verbände und andere Institutionen könnten sie zudem mit Informations- und Schulungsangeboten unterstützen. So wäre die deutsche Wirtschaft auch für die nächste Krise gut gewappnet, denn De-Globalisierung ist keine Lösung!

Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCHMeetings Perspektiven der Globalisierung nach der CoronaPandemie“ mit Prof. Dr. Lisandra Flach (ifo Institut und LMU München).

Susanne Cassel und Michael Zibrowius
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