Die Aktienrente
Ein Schuss nach hinten!

Fragt man junge Menschen der Generationen XYZ nach Ihrer Altersvorsorge, so kommt uniform eine klare Antwort: Wir werden von der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ohnehin nichts mehr bekommen. Tatsächlich haben jene, die so antworten das Problem auch nicht im Ansatz verstanden. Zwar wurde ihnen bereits zu Schulzeiten die demographische Entwicklung der kommenden Jahrzehnte erläutert, aber immer noch haben sie ihr Problem nicht erkannt. Dies liegt eben nicht in ihrer Altersvorsorge – die kann mit einer Basisrente aus der GRV und dem langjährigen Aufbau von ersetzender betrieblicher oder privater Vorsorge eigentlich ganz gut funktionieren. Zumindest haben die XYZ es noch jedenfalls in der Hand richtig zu reagieren durch mehr Kinder und Kapital. Ihr eigentliches Problem liegt darin, dass sie als immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentner und das auch immer noch länger zu finanzieren haben. Konkret liegt ihr Problem also bei den eigenen Eltern, die, wenn sie auf den derzeitigen Leistungsansprüchen beharren, für sie zum Belastungsproblem werden. Beiträge und Steuern für den Bundeszuschuss summieren sich auf fast 30 Prozent des Einkommens – ein bislang nicht gekanntes Ausmaß.

Um die zukünftigen Beitragserhöhungen zu begrenzen, greift die Ampel-Koalition auf die bereits seit Ende der 80er Jahren vorgeschlagenen Maßnahmen zur Ergänzung des bestehenden Umlagesystems durch eine kapitalgedeckte Altersvorsorge zurück. Dies ist jedenfalls der gedankliche Kern der sog. Aktienrente, die ursprünglich nach schwedischem Vorbild in Deutschland zumindest im Miniaturformat eingeführt werden sollte. Vom Vorbild Schweden, also einem beitragsfinanzierten Kapitalstock in Staatshand, war man bereits in den Anfängen der politischen Debatte innerhalb der Koalition weit abgewichen. Schweden hat eine Absenkung des Rentenniveaus zur Refinanzierung der Kapitaldeckung vorgenommen – in Deutschland eine unvorstellbare Variante. Der nunmehr vorliegende Vorschlag hat aber nun gar nichts mehr mit irgendeinem skandinavischen oder sonst einem Vorbild zu tun. Wir gehen neue Wege, die eher das Label «Irrweg» tragen.

Tatsächlich wird der Bund 10 Milliarden zusätzliche Schulden aufnehmen, um daraus einen Kapitalstock in Höhe eben jener 10 Milliarden Euro aufzubauen. Da die Schuldaufnahme als Darlehen zur Refinanzierung investiver Ausgaben verbucht wird, handelt es sich – jedenfalls nach der Finanzstatistik – nicht um eine für die Schuldenbremse relevante Nettokreditaufnahme. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes sieht das zwar anders, aber Schwamm drüber. Verwaltet wird der Fonds dann durch eine bereits bestehende öffentlich-rechtliche Stiftung, der KENFO, die die Kapitalanlagen zur Refinanzierung der Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle aus der gewerblichen Nutzung der Kernenergie beaufsichtigt. Ihr Asset-Liability-Management weist Parallelen zum schwedischen Kapitalfonds auf und soll nunmehr auch den neuen Staatsfonds übertragen werden. Die erzielten Renditen sollen dann ab 2030 zweckgebunden zur Entlastung der Rentenversicherung verwendet werden. Soweit die Theorie – und kommen wir nun zu den Tatsachen.

Erstens werden die Renditen nur so weit der Rentenversicherung zukommen, wie sie den Darlehnszins des Bundes übersteigen. Die tatsächliche Rendite ist also nur die Differenz aus den Kapitalmarkterträgen und den faktischen Zinsen aus Staatsanleihen. Ohne Berücksichtigung der Gewinne bzw. Verluste aus den Aktienanlagen sind die Nettoerträge aller Wahrscheinlichkeit nach minimal und würden bei selbst leichten Wertverlusten im kommenden Jahrzehnt wohl eher negativ ausfallen. Dieses Vorgehen ist unverantwortlich und gleicht eher der Aufnahme von Krediten zur Finanzierung von Aktienkäufen im Vorfeld des “Black Friday” im Jahre 1929 als einer verantwortungsbewussten Kapitaldeckung nach skandinavischem oder angelsächsischem Vorbild. Aber, selbst wenn eine leichte Entlastung der Rentenversicherung unterm Strich resultiert, das Ausmaß ist zu vernachlässigen. Zum Vergleich: Die notwendigen Rückstellungen zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung beziffern sich auf etwa 3.000 Mrd. Euro. Damit ist der Fonds von 10 Mrd. Euro nicht einmal als Tropfen auf dem heißen Stein zu bezeichnen.

Die zweite und noch entscheidendere Fehlkonstruktion liegt allerdings darin, dass der Fonds als klassischer Staatsfond ohne individuelle Zuordnung der Vermögenswerte organisiert werden soll. Im Gegensatz zum schwedischen Fond oder auch zur amerikanischen 401k-Lösung kann ein Individuum also nicht seinen Anteil am Gesamtvermögen einsehen. Ähnlich wie die Versorgungsfonds der deutschen Beamtenschaft oder die aktienbasierte Fondslösung für die ehemaligen Postbeamten ist damit aber Tür und Tor zur missbräuchlichen Verwendung des Kapitals geöffnet worden. Natürlich gibt es auch ehrliche Sachverwalter zum Wohle der Gemeinschaft in den Reihen der Politik; aber genauso gibt es in jeder Krisensituation Begehrlichkeiten, die eine bessere Verwendung des Staatsfonds, als die zur Rentenfinanzierung das Wort reden. Merke: Einem Staat Geld zur Aufbewahrung anzuvertrauen ist so, als ob man seinem Hund zwei Knochen hinschmeißt und ihm dann zu sagen – einer ist für morgen. Das diese These auch für die derzeit aktive Politik nicht unbegründet ist, kann man an zwei Beispielen deutlich erkennen.

Beispiel 1: Das Versprechen die Beamtenversorgung der ehemaligen Postbeamten durch die Verkaufserlöse der zurückgehaltenen Telekom-Aktien zu finanzieren wurde insofern gebrochen, als diese Bestände zur Finanzierung der Abwrackprämie 2008 im Zuge der Finanzkrise bereits veräußert wurden. Beispiel 2: Der rheinland-pfälzische Versorgungsfonds der Landesbeamten wurde aus Lohnverzicht finanziert und fast ausschließlich in Landesschuldverschreibungen des eigenen Bundeslandes “investiert”. Für einen Unternehmer wäre dies ein sogenanntes In-sich-Geschäft und damit eine Straftat; für die meisten Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer ist dies eine gängige Praxis. An dieser Stelle sei auf weitere Beispiele verzichtet, man könnte damit tatsächlich noch Seiten füllen. Der Schutz eines Staatsfonds vor missbräuchlichem Zugriff kann nur auf zwei Arten sichergestellt werden. Zum einen über die unbedingte individuelle Kontenführung bei Verwaltung durch politisch unabhängige Institutionen (z,B. USA, Schweden, Dänemark) und zum zweiten durch die Tatsache, dass alle Haushalte der Gebietskörperschaften ohnehin Überschüsse aufweisen und dadurch erst gar nicht Begehrlichkeiten entstehen (z.B. Norwegen). Aber auch diese Beispiele verdeutlichen nur die notwendigen Bedingungen für die Verhinderung eines Missbrauchs, hinreichend sind sie zumindest in langfristiger Perspektive auch nicht.

Es bleibt also festzuhalten, dass die von der Ampel nunmehr vorgeschlagene Aktienrente bestenfalls eine doppelte Fehlkonstruktion darstellt. Tatsächlich hilft sie weder der jungen Generation die hohen Beitragslasten zu schultern noch entlastet sie die geburtenstarken Jahrgänge, denn für die kommt eine Kapitaldeckung ohnehin zu spät. Ein ausgereiftes Kapitaldeckungsverfahren benötigt etwa drei Jahrzehnte der Akkumulation – so viel Zeit haben die Babyboomer aber nicht mehr. Die Kapitaldeckung für die geburtenstarken Jahrgänge hätte man also in den 90er Jahren einführen müssen, so wie dies die weit überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler damals vertreten haben. Jetzt wäre es nur noch die Verabreichung eines Medikaments, das seine Wirkung nach Eintritt des Todes entfaltet. Kapitaldeckung könnte jedoch denjenigen helfen, die der Generation XYZ angehören und damit hinlänglich Zeit für eine Aktienrente haben. Hier kommt das einzig positive Element der Aktienrente zum Tragen – die Signalwirkung. Allerdings sollten diese ihre Aktienrente besser selbst organisieren und das Geld eher nicht dem Staat zur Aufbewahrung anvertrauen. In dem Zusammenhang sollte aber auch eines klar sein: Auch der private Finanzdienstleistung ist mit Vorsicht zu begegnen. Nicht weil diese mit ihren Kunden Geld verdienen will – das will jeder Dienstleister. Aber es gibt immer und überall die weißen und die schwarzen Schafe. Vor Letzterem hilft nur eines: Selbstverantwortung und ein gesundes Maß an Misstrauen gegenüber alles und allem.

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