Der Austragungsort im Kreuzfeuer der Berichterstattung
Die Fußballweltmeisterschaft 2022 findet in Katar statt. Dabei wird dieser Ausrichtungsort von verschiedener Seite als ungeeignet betrachtet: Es habe bei der Vergabe der Spiele keine ausreichende Infrastruktur und dabei insbesondere keine geeigneten Ausrichtungsstätten gegeben; dies hätte erst alles neu errichtet werden müssen. Katar habe bislang keine Fußballtradition gehabt. Das Land sei mit seinen etwa 2,9 Mio. Einwohner zu klein. Die Temperaturen seien für die Sportart zu hoch, so daß sich infolge der notwendigen Kühlung in den Stadien Umweltschutzprobleme ergäben. In dem Land würden die Menschenrechte nicht eingehalten. Ebenso seien die Arbeitsschutzmaßnahmen defizitär, was insbesondere zu zahlreichen Todesfällen von Arbeitern bei der Errichtung der Infrastruktur geführt hätte. Das Land betreibe Sportswashing, um von problematischen Zuständen im Innern abzulenken. Und schließlich seien Mitglieder des Entscheidungsgremiums bestochen worden, so daß Katar den Zuschlag für die Errichtung der WM bekommen habe.
Unabhängig davon, ob diese Vorwürfe zutreffen, wollen wir uns dem Problem aus einer ökonomischen Perspektive nähern und den Blick auf die Anreizstrukturen des Vergabeprozesses richten. Hierauf aufbauend schlagen wir vor, die Vergabe der FIFA-Weltmeisterschaft künftig zu versteigern.
Der Vergabeprozeß im Lichte der FIFA-Regularien
Die FIFA plant für die Vierjahresperiode 2019 bis 2022 Einnahmen von rund US-$ 6,4 Mrd., die zu einem sehr großen Teil im Zusammenhang mit der Fußball-WM der Herren in Katar entstehen (FIFA 2022). Diesen Einnahmen stehen freilich auch Ausgaben gegenüber; so plant die FIFA etwa US-$ 1,7 Mrd. für die Fußball-WM zu verausgaben. Insgesamt scheint also dieses sportliche Großereignis zu einer recht großen Wertschöpfung zu führen.
Durch die Veränderungen bei der Entscheidung über den Austragungsort, die bis ins Jahr 2016 durch das FIFA-Exekutiv-Komitee – eines 25-köpfigen Gremiums – gefällt wurde, kommen gemäß Art. 69, Abs. 2 der FIFA-Statuen vom Juni 2019 dem FIFA-Rat und dem FIFA-Kongreß die maßgebliche Rolle zu. Der FIFA-Rat soll aus dem Präsidenten, acht Vizepräsidenten und 28 weiteren Mitgliedern bestehen, die von den Mitgliedsverbänden für jeweils vier Jahre gewählt werden. Die Mitglieder des Rates beziehen dabei eine durchaus ansehnliche Vergütung (o. V. 2018). Dem Kongreß selbst gehören sämtlichen Mitgliedsverbände an; dabei hat jeder Nationalverband eine Stimme.
Die Vergabe der Weltmeisterschaft verläuft gemäß Art. 69, Abs. 2 der FIFA-Statuen vom Juni 2019 wie folgt:
„a) Auf der Grundlage eines speziellen, vom Rat erlassenen Reglements legt das FIFA-Generalsekretariat ein faires und transparentes Bewerbungsverfahren fest, das alle qualifizierten Mitgliedsverbände einlädt, eine Bewerbung einzureichen, und im Detail die Bewerbungs- und Austragungsanforderungen sowie Kriterien für die Bestimmung des Ausrichters definiert.
b) Nach bestem Gewissen legt das FIFA-Generalsekretariat dem Rat einen öffentlichen Bericht vor, der alle Bewerbungen auf die Einhaltung des Bewerbungsverfahrens und der Austragungsanforderungen überprüft und dabei die festgelegten Kriterien für die Bestimmung des Ausrichters berücksichtigt.
c) Der Rat prüft den Bericht und wählt nach bestem Gewissen in einer offenen Abstimmung bis zu drei Bewerbungen aus, die dem Kongress zur endgültigen Entscheidung vorgelegt werden. Das Resultat jeder Abstimmung wird veröffentlicht.
d) Der Kongress bestimmt unter den vom Rat ausgewählten Bewerbungen den Austragungsort. In der ersten Abstimmung ist eine absolute Mehrheit (über 50 %) der anwesenden und stimmberechtigten Mitgliedsverbände erforderlich. Wird in der ersten Abstimmung keine absolute Mehrheit erzielt, scheidet die Bewerbung aus, die in der ersten Abstimmung am wenigsten Stimmen erhalten hat. In der zweiten Abstimmung oder wenn dem Kongress weniger als drei Kandidaturen vorgelegt werden, genügt die einfache Mehrheit (über 50 %) der abgegebenen und gültigen Stimmen.“
Im Prinzip trifft der FIFA-Rat eine Vorselektion und präsentiert dem Kongreß maximal drei Vorschläge für die Auswahl.
Die Versteigerung als Alternativvorschlag
Einen Ansatzpunkt für die Erklärung für das Korruptionsphänomen bei der Vergabe der FIFA-Weltmeisterschaft liefert die ökonomische Betrachtung kollektiver Entscheidungen. Follert et al. (2020) betrachten das bekannte Modell von Buchanan und Tullock (1962) und übertragen das Grundkonzept auf die Entscheidungsfindung innerhalb des FIFA-Kongresses, der über die WM-Vergabe zu befinden hat. Der Ausgangspunkt der Analyse von Buchanan und Tullock ist, daß i.S. des methodologischen Individualismus akzeptiert wird, dass Menschen, selbst wenn sie Mitglieder einer Gruppe sind, subjektive Ziele, Wünsche und Vorstellungen haben, die regelmäßig von den Zielen anderer Gruppenmitglieder abweichen können. Grundsätzlich ist bei der Analyse einer Gruppenentscheidung – wie der Vergabe eines Sportevents – also zu berücksichtigen, daß die Akteure in der Regel heterogene Interessen haben und es nicht selten zu Zielkonflikten kommt. Nichtsdestoweniger muß das Gremium eine Entscheidung präsentieren. Wenn nicht ein Mitglied für alle anderen Mitglieder entscheiden darf (sog. „every man rule“, Buchanan und Tullock 1962), bedeutet dies, daß einerseits diskutiert und argumentiert werden muß, um andere Entscheider von der eigenen Position zu überzeugen. Dies führt zu Entscheidungskosten (sog. decision-making costs). Ihr Maximum erreichen diese Entscheidungskosten, wenn eine einstimmige Entscheidung herbeigeführt werden muß. Offensichtlich sind die decision-making costs umso höher, je weiter die Interessen der Entscheider voneinander entfernt liegen. Je mehr Mitglieder überstimmt werden, desto höher sind die externen Kosten, da die Interessen der Überstimmten nicht befriedigt wurden. Bezogen auf die Vergabeentscheidung im FIFA-Kongress führt die erforderliche absolute Mehrheit zu höheren Entscheidungskosten, während in der zweiten Runde, in der eine einfache Mehrheit ausreicht, die externen Kosten eine bedeutendere Rolle spielen dürften.
Die FIFA ist ein globaler Verband mit Mitgliedsverbänden, deren Nationalstaaten teils erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Rahmenbedingungen und des Wohlstandsniveaus aufweisen und mithin tendenziell unterschiedliche Ziele verfolgen. Diese Heterogenität führt bei gleichem Stimmrecht folglich zu hohen Entscheidungskosten. Korruption fungiert hier als Entscheidungsbeschleuniger (Follert et al. 2020). Einerseits reduzieren sich dadurch die decision-making costs und andererseits kompensiert die Zahlung externe Kosten.
Es zeigt sich, daß die Entscheidungsstrukturen Anreize setzen, die Korruption tendenziell begünstigen. Wenn wir also annehmen, daß Transferzahlungen an bestimmte Entscheider ohnehin stattfinden, um die Entscheidungskosten zu reduzieren, stellt sich die Frage, warum die FIFA nicht zu einem offenen Versteigerungssystem der Turniere übergeht. Hier könnten die präsumtiven Ausrichter ihre Zahlungsbereitschaft offen darstellen, indem sie Geldbeträge bieten, die mindestens ihrem subjektiven Wert – z.B. volkswirtschaftliche Effekte durch Infrastrukturbau, Tourismus usw. aber auch Reputationsaufbau – entsprechen. Die FIFA könnte den Betrag, der durch die Versteigerung des Rechts, das Turnier auszurichten, eingeworben wird, für karitative Zwecke verwenden und beispielsweise für Maßnahmen einsetzen, die die im Augenblick kritisierten Zustände im Ausrichterland reduzieren. Der Vorteil eines solchen Verfahrens wäre die Transparenz. Freilich kann kritisiert werden, daß finanzstarke Länder als Bewerber bessere Chancen haben werden. Diesem Umstand könnte die FIFA möglicherweise dadurch begegnen, daß ein Teil der Einnahmen der letzten Versteigerungsrunde genutzt wird, um jene Bewerbungen bei ihrem Gebot zu unterstützen. Ebenfalls wäre es denkbar, die Versteigerung nicht anhand absoluter Beträge, sondern z.B. relativ zum Bruttoinlandsprodukt durchzuführen. Zudem wäre es denkbar, daß die FIFA bestimmte Anforderungen an den Austragungsort definiert – z.B. Einhaltung der Menschenrechte, Sicherheitsgarantien für Besucher des Events usw.
Literatur
Buchanan, J.M., Tullock, G. (1962), The Calculus of Consent: Logical Foundations of Constitutional Democracy. Ann Arbor: University of Michigan Press.
Follert, F., Richau, L., Emrich, E., Pierdzioch, C. (2020), Collective decision-making: FIFA from the Perspective of Public Choice. The Economist’s Voice 17, 20190031.
FIFA (2019), Statuen, Ausgabe Juni 2019.
FIFA (2022), Finanzen 2020 und Budget 2022, Zugriff am 18.11.2022 unter: https://publications.fifa.com/de/annual-report-2020/2020-financials-and-2022-budget/2022-budget/.
V. (2018), Großzügiger Fifa-Rat. 250.000 Dollar – für drei Treffen im Jahrhttps://www.spiegel.de/sport/fussball/fifa-rat-250-000-dollar-fuer-drei-treffen-im-jahr-a-1186879.html.
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