Im Oktober 2010 wurde vom Bundeskabinett die Nationale Engagementstrategie beschlossen. Sie soll im Zusammenspiel mit der Nationalen Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (dem „Aktionsplan CSR“) auf das immer wichtiger werdende gesellschaftliche Bedürfnis nach sich engagierenden Bürgern, Unternehmen und anderen Institutionen der Gesellschaft aufmerksam machen respektive reagieren. Das eher vage formulierte Ziel der Engagementstrategie ist es, einen Weg zu ebnen, auf dem die zukünftige Entwicklung bürgerlichen Engagements positiv weitergehen soll. Zu den einzelnen Zielen der Strategie zählen
- erstens die Förderung der Abstimmung engagementpolitischer Vorhaben seitens der Bundesregierung, Länder und Kommunen.
- Weiterhin wird im zweiten Punkt die Einbindung von Stiftungen bereits engagierter Unternehmen verlangt.
- Drittes Ziel ist eine größere Anerkennung und Wertschätzung der Leistungen Engagierter.
- Abschließend verlangt die Regierung in ihrer viergliedrigen Zielsetzung bessere Rahmenbedingungen für das freiwillige bürgerschaftliche Engagement.
Nun wirkt der Begriff Engagementstrategie für die Formulierung dieser Ziele hoch gegriffen: Strategie ist – so die Definition des aus dem altgriechischen stammenden Wortes – ein längerfristig ausgerichtetes Anstreben eines Ziels unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Ressourcen. Die einzelnen Ziele sind aber bislang nicht nur sehr unpräzise formuliert, es fehlt auch weithin an einer Festlegung von Mitteln und Ressourcen zu ihrer Erfüllung. Zurecht wird insofern von manch einem moniert, dass sich in der Engagementstrategie keinerlei Maßnahmen finden, wie die öffentliche Hand Unternehmen, Stiftungen oder Privatpersonen dazu anhalten möchte, Programme des bürgerschaftlichen Engagements zu unterstützen respektive hierfür finanzielle Mittel bereitzustellen.
Die Ziele der Engagementstrategie erscheinen auf den ersten Blick positiv; natürlich wird niemand widersprechen, dass freiwilliges, unentgeltliches Engagement für die Gesellschaft lobenswert ist und deshalb gefördert, eingebunden, anerkannt oder überhaupt erst möglich gemacht werden sollte – vor allem dann, wenn für diese Förderung niemand Ressourcen bereitstellen muss. Bei dem ersten der vier aufgeführten Ziele ist dennoch zunächst zu überlegen, warum die Abstimmung politischer Vorhaben zum Thema Engagement zwischen staatlichen Institutionen gefördert werden sollte, da es soweit kaum solche (staatlichen) Vorhaben gibt, beziehungsweise, wenn es sie gibt, dann sind sie bislang weitgehend unklar definiert und strategisch nicht ausgerichtet. Das zweite Ziel erklingt beim ersten Hören ebenfalls plausibel, besagt jedoch, dass Akteure, die sich in notwendigen Bereichen bereits engagieren, zunehmend in Tätigkeitsfelder „eingebunden“ werden sollen, in denen die Bundesregierung möchte, dass sie sich dort engagieren. Es kann oder soll mithin von der Regierung zukünftig bestimmt werden, in welchen Bereichen Handlungsbedarf für Engagement besteht, womit sich unmittelbar die Frage stellt, warum die Regierung denn – so sie doch Handlungsbedarf erkennt – nicht selber handelt, um die Defizite zu beheben. Eine größere Anerkennung und Wertschätzung – das dritte Ziel der Engagmentstrategie – erscheint ebenfalls wünschenswert. Dieses Vorhaben, so es erfolgreich in die Tat umgesetzt wird, wird unzweifelhaft die Marketingqualität von bürgerschaftlichem Engagement fördern und verspricht insofern, weitere Anreize für noch mehr Engagement zu schaffen. Resultat – so darf man mit der Bundesregierung hoffen – ist eine Wirtschaft voller barmherziger Samariter. Dank der besseren Rahmenbedingungen (die ja laut viertem Ziel demnächst gesetzt werden) kann nun bald auch jeder der Samariter sich unbeschwert engagieren. Möglicherweise versteckt sich hinter dem Ziel der Formulierung besserer Rahmenbedingungen ja zukünftig auch ein betriebliches Engagement mit staatlicher Finanzierung.
Nicht aufzufinden in der Strategie sind konkrete Handlungsempfehlungen an Bürger, nichtstaatliche Institutionen oder Unternehmen. Zwar fordert die Bundesregierung eine quantitative sowie qualitative Verbesserung des Engagements, doch wie dies möglich sein soll, lässt sich soweit nicht aus der Engagementstrategie ablesen. Der Wille, Engagement zu fördern, ist also da, der Weg jedoch noch nicht angelegt. Die Bundesregierung – so könnte man böswillig sagen – läuft demnach noch in den Kinderschuhen ihrer Strategie.
Dies ändert auch der Erste Nationale Engagementbericht, der im August erschienen ist, nicht. Zwar beschäftigt er sich auf mehr als 1.300 Seiten mit dem Engagement in der Gesellschaft sowie insbesondere dem der Unternehmen, doch bleiben die Handlungsempfehlungen an den Staat, wie er die Unternehmen zu mehr Engagement motivieren kann, vorsichtig formuliert.
Der Erste Engagementbericht formuliert elf zentrale Handlungsempfehlungen (siehe Kasten). Folgende Empfehlungen addressieren die Staatstätigkeit:
- Initiierung eines Diskurses über Bedeutung, Bedingungen und Herausforderungen für die Zivilgesellschaft
- Verlässliche Staatstätigkeit unter dem Leitmotiv der Subsidiarität
- Bildungs- und Beschäftigungspolitik (denn Bildung und Beschäftigung fördern die Engagementbereitschaft)
- Einrichtung von Anlaufstellen für gesellschaftliche Akteure zur besseren strategischen Ausrichtung von Engagement
- Ausdehnung der bundesweiten Cluster- und Netzwerkpolitik
- Einführung von Wirtschaftsethik als verpflichtendem Bestandteil der Managementausbildung
- Verbesserung der empirischen Datenbasis zum Engagement in Deutschland
Als ein Grund für fehlendes bürgerschaftliches Engagement wird im Bericht insbesondere auf das aus der Spieltheorie bekannte Gefangenendilemma aufmerksam gemacht. Viele Unternehmen befürchten bei Investitionen in bürgerschaftliches Engagement, dass andere (möglicherweise sogar ihre direkten Konkurrenten) ebenfalls von der Investition profitieren, ohne jedoch selber dafür etwas  opfern zu müssen. Das hemmt, so der Bericht, die Bereitschaft, überhaupt solche Investitionen von Geld und Zeit leisten zu wollen, da es möglich erscheint, daraus den gleichen Profit zu schlagen oder die gesellschaftlichen Ziele zu erreichen, ohne selbst Kosten zu tragen. Als Handlungsempfehlung in dieser Dilemma-Situation verweist der Bericht auf die Möglichkeit der Gründung oder des Beitritts in Kooperationen und Verbände, da in solchen Gemeinschaften das Dilemma überwunden wird. Auch das zweite im Bericht identifizierte Hindernis – die fehlende kritische Größe mancher Kleinunternehmen für sinnvolle Aktivitäten zur Förderung des Gemeinwohls – kann so überwunden werden. Den Bericht kann man damit so lesen, als gäbe es (aufgrund der aufgeführten Hindernisse) zu wenig bürgerschaftliches Engagement in Deutschland. Zwar können Kooperationen, Vereine und Verbandswesen die Hindernisse teilweise überwinden, dennoch wird das Engagement geringer ausfallen, als wenn man diese Hindernisse beseitigen könnte.
Trotzdem widersteht der Engagementbericht der Versuchung zu empfehlen, hier mit Gesetzen, Sanktionen oder Subventionen zur Motivation der Unternehmen beitragen zu wollen. Im Gegenteil: Er fordert die Unternehmen zu freiwilligem Engagement auf und verbietet in seinen Handlungsempfehlungen staatliche Bevormundung.
Dies ist richtig und sinnvoll: Denn Engagement kann wohl kaum freiwillig sein, wenn der Staat dazu verpflichtet. Lücken in der Rahmenordnung sind für staatliche Akteure zunächst nicht ersichtlich, sie öffnen sich erst im Prozess von Globalisierung und Fortschritt. Werden sie offenkundig, liegt es an den politisch Verantwortlichen, diese Lücken umgehend zu schließen. Unmittelbar von den Lücken in den Rahmenordnungen (ob positiv oder negativ) Betroffenen hingegen fallen die Schwachstellen in Gesetzen und Staatshandeln direkt auf, es gehört also zu ihren Aufgaben, Schwachstellen zu erkennen, zu melden und zu ihrer Behebung beizutragen. Dies steht im Kern bürgerschaftlichen Engagements. Erkennt ein Unternehmen eine solche Lücke in der Rahmenordnung, genügt es keineswegs, wenn es auf eine profitorientierte Ausnutzung dieser Lücke verzichtet (und so aufgrund seiner moralischen Handlungsweise direkte Nachteile gegenüber seinen Konkurrenten erleidet). Verzicht bedeutet lediglich, die amoralische Nutzung der vom Gesetzgeber ungewollt gelassenen Gesetzeslücke anderen zu überlassen. Bürgerschaftliches Engagement ist aber dadurch gekennzeichnet, den Staat auf die Mängel in seinem System hinzuweisen und ihn damit zu Verbesserungen aufzurufen. Dieser Aufruf respektive diese Informationsweitergabe ist mit Kosten für Lobbyaktivitäten verbunden, sie ist freiwillig, und sie ist häufig aus individueller Sicht der betroffenen Akteure nicht lohnenswert. Trotzdem benötigt die Gesellschaft diese Form freiwilliger Mitverantwortung. Denn die Regierung ist selbst nicht in der Lage, dieses bürgerschaftliche Engagement zu substituieren. Es liegt lediglich in ihrer Hand, auf die Verbesserungsvorschläge der Unternehmen und nichtstaatlichen Institutionen zu reagieren, sie anzunehmen, zu prüfen und zu fördern. Gesetze, Sanktionen oder Subventionen zur Motivation von engagiertem Handeln würden insofern lediglich die notwendige Freiwilligkeit von bürgerschaftlichem Engagement behindern.
Damit ist es auch richtig, dass der Erste Engagementbericht und die Engagementstrategie beide auf eine weitere Präzision von Zielen und Wegen verzichten und die Ausrichtung des bürgerschaftlichen Engagements dort belassen, wo sie hingehört: Nämlich bei den nichtstaatlichen Akteuren.
Die Handlungsempfehlungen des Ersten Nationalen EngagementberichtesDie Sachverständigenkommission hat eine Reihe von Handlungsempfehlungen für die Akteure des bürgerschaftlichen Engagements in Politik, Wirtschaft, Bürger- und Zivilgesellschaft formuliert:1. Bürgerschaftliches Engagement stärkt Vertrauen und bedeutet Mitverantwortung. Bürgerschaftliches Engagement und Vertrauen als Sozialkapital sind miteinander verwoben. Sozialkapital ist eine Voraussetzung für bürgerschaftliches Engagement, Engagement schafft wiederum Sozialkapital. Zu seinem weiteren Ausbau empfiehlt die Kommission, bürgerschaftliches Engagement in der Gesellschaft verstärkt zu würdigen und als gesellschaftliche Praxis zu stärken. Der Staat wird aufgefordert, einen breit verankerten Diskurs „Für eine Kultur der Mitverantwortung“ über Bedeutung, Bedingungen und Herausforderungen der Zivilgesellschaft zu initiieren. Dabei sind Unternehmen einzubinden.
2. Engagement braucht verlässliche Rahmenbedingungen. Engagement benötigt verlässliche Staatstätigkeit unter dem Leitmotiv der Subsidiarität. Eindeutigkeit, Transparenz, Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der staatlichen Rahmenordnung sind fundamentale Voraussetzungen für die Bildung von institutionellem Vertrauen und Sozialkapital. Die Freiwilligkeit des bürgerschaftlichen Engagements verbietet staatliche Bevormundung. Gesetzliche, steuerliche oder bürokratische Hindernisse in der Ausübung des Engagements sind zu vermeiden bzw. abzubauen. 3. Bildung und Erwerbstätigkeit stärken bürgerschaftliches Engagement. Die starke Korrelation zwischen Bildung, Einkommen und Engagement zeigt, dass Bildungs- und Beschäftigungspolitik auch die beste Politik zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements und einer Kultur der Mitverantwortung sind. 4. Mehr individuelle Teilhabe durch Mitverantwortung. Die Kommission empfiehlt, individuelle Teilhabemöglichkeiten unterschiedlicher Zielgruppen zu stärken, insbesondere auch bürgerschaftliches Engagement von Personen mit Zuwanderungsgeschichte zu würdigen und zu unterstützen. 5. Engagementpotenzial älterer Menschen mobilisieren. Politik, soziale Dienstleistungsträger, aber auch nicht berufliche Hilfesysteme von Familie und Nachbarschaft sollten alles tun, was älteren Menschen den Weg zur Selbstverantwortung wie zur Mitverantwortung im öffentlichen Raum eröffnet. Einen möglichen Ansatz dafür bieten Projekte, die Ältere als soziale Ressource begreifen. 6. Gewinnung und Bindung des Ehrenamts im Vereinswesen verbessern. Die Kommission empfiehlt der Bundesregierung, der Bedeutung und Rolle von Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern in Vereinen eine höhere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, da diese Akteure das Rückgrat der selbstorganisierten, zivilgesellschaftlichen Infrastruktur speziell in Form der Vereine vor Ort sind. 7. Unternehmen sind zu freiwilligem Engagement aufgefordert. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft erfordert einen gesellschaftlichen Diskurs, in dem die Kommunikation mit der Wirtschaft zwingend erforderlich ist. Informationsweitergabe, Austausch und gesellschaftliche Partizipation können jedoch nur auf der Basis von Freiwilligkeit stattfinden, wobei nicht das Motiv entscheidend ist, sondern die tatsächliche Wirkung. 8. Strategisches Engagement von Unternehmen unterstützen. An alle gesellschaftlichen Akteure richtet sich folgende Aufforderung zur Unterstützung und besseren Information der Unternehmen: a) Anlaufstellen für Unternehmen zum Einholen relevanter Informationen zu Engagementformen und Fördermöglichkeiten etc. einzurichten, b) regionale Netzwerke zu bilden und zu stärken, c) Schnittstellen zwischen Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen zu schaffen und d) mehr empirisches Wissen über Erfolgsfaktoren des Engagements zu ermitteln. 9. Ausbau der Cluster- und Netzwerkpolitik. Kooperationen zwischen Unternehmen und anderen Akteuren können die Engagementbereitschaft und -quote erhöhen. Um die Suche nach geeigneten Kooperationspartnern für die Ausübung bürgerschaftlichen Engagements zu erleichtern, rät die Kommission, die Transparenz in der Zivil- bzw. Bürgergesellschaft zu erhöhen und eine Ausdehnung der bundesweiten Cluster- und Netzwerkpolitik zu fördern. 10. Wirtschaftsethik in der Managementausbildung. Die Eliten in den Unternehmen tragen als Führungskräfte besondere Verantwortung dafür, sich für die Stärkung des Wettbewerbs, die Weiterentwicklung der demokratischen Ordnung und die Vertrauensstärkung in die soziale Marktwirtschaft einzusetzen. Dies setzt voraus, dass sie den ordnungspolitischen Kontext von Freiheit, Haftung und Mitverantwortung kennen und ihr Handeln daran ausrichten können. Die Lehre hierüber sollte durch Veranstaltungen zur Wirtschafts- und Unternehmensethik einen verpflichtenden Teil der Managementausbildung darstellen. 11. Verbesserung des Wissensstandes. Bessere empirische Datenbestände sind die Grundlage dafür, verlässliche Aussagen zur Entwicklung und zu den Wirkungen des bürgerschaftlichen Engagements sowie Förderentscheidungen treffen zu können. Dies gilt auch im Hinblick auf die Bedarfsentwicklung und die Erfolgsmessung in Unternehmen. Die Kommission empfiehlt daher den Ausbau der empirischen Forschung auf diesem Themenfeld.
Quelle: BMFSFJ (hrsg.), 2012, Erster Engagementbericht 2012 – Für eine Kultur der Mitverantwortung, Engagementmonitor 2012, Berlin, S.34f
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Besonders erstaunlich finde ich am Engagementbericht, dass das Bundeskabinett 2009 die Federführung für Corporate Social Responsibility (CSR) eigentlich dem BMAS zugewiesen hat, um den „Wildwuchs“ in den Bundesministerien etwas einzudämmen. Mit dem Nationalen CSR-Forum , das vom BMAS organisiert wird, wurde dann 2010 der erste Empfehlungsbericht an die Bundesregierung verabschiedet. Nun kommt, fast zeitgleich zum zweiten Bericht des CSR-Forums der „Engagementbericht“ auf den Markt. In der Wirtschaft kann man verwundert sein. Zwar wird der Begriff CSR sorgsam vermieden, aber letztlich geht es um die gleichen Themen. Respekt, dass Sie die 1300 Seiten (!) bewältigt haben – das dürfte kaum ein Unternehmen schaffen.