Das Vorstandsmitglied von Thyssen-Krupp, Jürgen Claassen, hat sich, folgt man einschlägigen Presseberichten, nicht „compliant“ zu den Regeln des Konzerns verhalten. Soweit es sich nicht um eine jener haltlosen Verdächtigungen handelt, bei denen der Skandal eher in der Verdächtigung als im skandalisierten Sachverhalt liegt, ist die Aufdeckung des Sachverhalts grundsätzlich zu begrüßen. Die Art und Weise, wie nun wieder einmal alles Mögliche zu einem Empörungseinheitsbrei verrührt wird, sollte allerdings nachdenklich stimmen. Vielleicht gelingt es mit den folgenden Zeilen, zu differenzierten Urteilen anzuhalten.
- Der Sachverhalt
Unstrittig ist, dass Herr Claassen darum gebeten hat, von seinen Amtspflichten vorerst und bis auf Weiteres entbunden zu werden und dass die Staatsanwaltschaft Essen gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue ermittelt. Weniger klar ist, welcher substantielle Sachverhalt dem ganzen genau zu Grunde liegt. Relativ eindeutig scheint es, dass Herr Claassen Journalisten auf Kosten des Konzerns zu Luxusreisen einlud, an denen er selbst teilnahm.
In den meisten Presseberichten zum Thema wird auf eine übermäßig luxuriöse Betreuung mitreisender Journalisten abgehoben. Diese Betreuung entspricht alt-hergebrachten Praktiken auch deutscher Unternehmen. Diese hat man an vielen Orten mittlerweile aufgegeben hat, im Konzern Thyssen-Krupp aber wohl noch nicht eliminiert hatte. Das ist fragwürdig. Es ist aber eher harmlos und es müsste genauer geprüft werden, wieviel daran wirklich rechtlich und moralisch fundamental zu kritisieren ist. Soweit es, wie das Handelsblatt (01.12.2012) berichtet, um eine übermäßig luxuriöse Selbstbetreuung des einladend mitreisenden Herrn Claassen gehen sollte, wären allerdings weit strengere Maßstäbe anzulegen. Sollte eine solche Selbstbegünstigung vorliegen, hätte man es mit einem ganz anderen Sachverhalt zu tun, der mit der luxuriösen Journalistenbetreuung als solcher nichts zu tun hätte.
2. Zur ersten Bewertung des Sachverhaltes
Sollte es tatsächlich so sein, dass Herr Claassen die teuerste Suite eines Luxushotels für sich buchte, diese weit über das geschäftlich veranlasste nutzte und damit die Reise zum Anlass nahm, sich selbst eine besondere Behandlung auf Konzernkosten zu gönnen, dann ist das nicht rechtfertigungsfähig. Der Anfangsverdacht der Veruntreuung von Konzernmitteln wäre dann gewiss berechtigt. Sollte es allerdings so gewesen sein, dass der mitreisende Vorstand für sich und die Journalisten einen jeweils vergleichbaren Aufwand trieb bzw. treiben ließ, so ist die moralische und auch die rechtliche Beurteilung weitaus schwieriger. Zwar ist auch eine Mitreise zu gleichen Konditionen dann nicht gerechtfertigt, wenn etwa eine persönliche Luxusreise durch „Beipackung“ einiger Journalisten als dienstlich veranlasst getarnt wird. Aber der Fall liegt keineswegs mehr eindeutig. Denn die Pflege der „Medienlandschaft“ vollzieht sich auch heute noch häufig entlang der betreffenden oder ähnlicher Bahnen. Automobilkonzerne etwa führen ihre neuen Kraftwagen ja auch gern an schönen Orten vor und laden die Fachpresse dann zur Reise an diese Orte ein. Nun kann man auch in solchen Fällen über den dabei getriebenen Luxus zweifeln. Die Nähe zur „Bestechung“ durch Sachleistungen scheint bei solchen Vorgängen nicht immer völlig von der Hand zu weisen. Dennoch ist es etwas ganz anderes, sich in diesen Graubereichen als im eindeutigen schwarzen Verbotsbereich zu bewegen.
3. Untreue gegenüber Stakeholdern oder Shareholdern?
Insbesondere jene sollten mit ihrer Kritik vorsichtig sein, die ansonsten gern gegen die einseitige Berücksichtigung der Interessen der Shareholder protestieren. Die Gruppe, deren Mittel veruntreut werden könnten und die sich beschweren darf, sind in erster Linie die Shareholder. Diese könnten als Eigentümer allerdings auch das Problem heilen.
Wenn jemand beispielsweise einziger Eigentümer eines Unternehmens ist und dessen Mittel verwendet, um Journalisten einzuladen, könnten wir wenig einzuwenden haben. Allein eine Vortäuschung von Kosten, deren Geltendmachung zur Entziehung von Gewinnsteuern führen könnte, käme in Frage. Aber diese steuerliche Frage hat erkennbar nichts mit Untreue gegenüber einem Prinzipal zu tun, der sein Kapital einem Agenten anvertraut. Der Unternehmer handelt ja für sich selbst und auf eigene Rechnung als Eigentümer.
Wenn man nun annimmt, dass die Spitze eines Aktien-Unternehmens dem Aufsichtsrat gegenüber entsprechende Praktiken der Medienarbeit offenlegt und transparent dokumentiert hat, dann macht der Vorwurf der Veruntreuung gegenüber den Eigentümern keinen Sinn. Sie haben sich die Handlungen ihres ausführenden Organs zurechnen zu lassen. Interessant ist es, dass trotzdem im Falle von Aktien-Unternehmen der Vorwurf erhoben wird, dass durch eine solche Art des Handelns nicht nur die Besitzer, die Aktionäre, sondern auch andere Stakeholder geschädigt würden. Diesen Akteuren würden, indirekt Mittel entzogen, die das Unternehmen zum Beispiel auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen einsetzen könnte.
Diese Art der Argumentation ist nicht ohne Ironie. Folgte man ihr allgemein, könnte man auch nicht mehr in der üblichen Weise dafür plädieren, dass Arbeitsplätze erhalten werden müssen. Denn wäre es eine Verfehlung gegenüber Beschäftigten des Unternehmens und nicht nur den Eigentümern, wenn etwa Mittel für Luxusreisen zur Journalisten-„Betreuung“ ausgegeben würden, weil dadurch dem Unternehmen Mittel zur zukünftigen Bestandssicherung entzogen werden, dann müsste das auch für Quersubventionen von Arbeitsplätzen gelten. Man müsste auch argumentieren, dass die Erhaltung verlustbringender Arbeitsplätze in einem Unternehmen nicht nur potentiell die Gelder der Shareholder verschwendet, sondern auch Mittel, die andere Arbeitnehmer, die auf rentablen Arbeitsplätzen beschäftigt werden, erwirtschaften. Wenn man anderen Arbeitnehmern Stakeholder-Ansprüche zugesteht, dann lässt sich diese Verwendung von Mitteln für unrentable Arbeitsplätze nicht rechtfertigen. Eine Art der Veruntreuung läge vor.
In diesem Falle gäbe es nicht die Heilungsmöglichkeit durch Zustimmung der Eigentümer. Denn deren Priorität hat man ja gerade zugunsten der Stakeholder aufgehoben. Ebenso wie im Falle der Medienarbeit bestünde diese Möglichkeit bei Festhalten an der Shareholderprivilegierung durch das Eigentum natürlich ansonsten für beliebige Aktionen. Sofern man von einer Shareholder-Konzeption ausgeht, kann man durch eine Offenlegung der Quersubventionen von Arbeitsplätzen gegenüber dem Aufsichtsrat und den Aktionären eine Legitimation der betreffenden Handlungen erreichen. Wenn die Eigentümer zustimmen, ist das Handeln aus dem Eigentum der Shareholder legitimiert. Diese Rechtfertigungsmöglichkeit ist nicht gegeben, wenn man einer Stakeholderkonzeption anhängt, die auch andere Interessenten und damit insbesondere die Arbeitnehmer in die Betrachtung einbezieht. In einer Stakeholderkonzeption wäre ironischerweise ein Anfangsverdacht der Untreue gegenüber denjenigen Stakeholdern, die auf rentablen Arbeitsplätzen sitzen, immer gegeben, wenn die Interessen dieser Arbeitnehmer durch den Erhalt von unrentablen Arbeitsplätzen negativ betroffen wären.
Kehren wir nach dieser Überlegung zum Thema der Luxusreisen zurück. Das Ressentiment der breiteren Öffentlichkeit dagegen hat weniger mit der Parteinahme für die Aktionäre und deren Schädigung zu tun. Die Öffentlichkeit lehnt es vielmehr ab, dass sich bestimmte Personen Luxus auf Kosten anderer gönnen. Dabei schwingt latent die Auffassung mit, dass nicht nur Privateigentum, sondern allgemeine Belange betroffen sind. Damit kommen wir zum Kern der Sache: Wozu verpflichtet Eigentum und wie verhält sich dies zu Fragen den „compliance“ mit bestimmten Standards wirtschaftlichen Verhaltens?
4. Muss Eigentum compliant sein und wenn ja womit?
Jedes Verhalten von Konzernvorständen, das gegen explizite Konzern-Regeln verstößt, ist abzulehnen. Die Regeln sind die Regeln und compliance mit diesen dürfen die Eigentümer von ihren Agenten erwarten, soweit sie nicht ausdrücklich anderes verfügten (im Bereich ihrer legitimen Verfügungsrechte). Vorstände haben insoweit besondere Pflichten. Sie haben diese aber nicht wegen eines besonderen öffentlichen Interesses, sondern wegen der besonderen Verpflichtungen gegenüber den Eigentümern. Deshalb und nur deshalb können die Eigentümer ihre Agenten auch von einer entsprechenden Verantwortung freistellen. Mit der Betonung von „Compliance“ kann man die Eigentumsrechte im Prinzip stärken. Die Möglichkeit der Freistellung von Verantwortung durch Verfügung der Eigentümer und/oder die von ihnen dafür eingesetzten Kontrolleure geht damit einher. Für die Fälle etwa, in denen die Eigentümer ihre Agenten nicht von der Pflicht zu sparsamem Wirtschaften entbanden, kommt es durch entsprechende Untreuetatbestände zu einer Stärkung der Verfügungsrechte der Eigentümer. Dies Stärkt das Privateigentum.
Wenn man mit Compliance eine Stärkung der Verpflichtung auf übergreifende „Gemeinwohlziele“ meint, dann unterminiert man das Privateigentum. Abhängig vom persönlichen Standpunkt mag man eine solche Erosion des Privateigentums begrüßen. Das kann man kohärent tun, doch sollte man sich auch offen dazu bekennen. Den Sachverhalt zu verschleiern, indem man Compliance-Regeln in unheiliger Allianz mit einer unklaren Stakeholder-Konzeption gebraucht, ist inakzeptabel. Das politische Mitbestimmenwollen, das sich hinter „Compliance“ auch verschanzt, ist etwas, dem man als Anhänger einer Privatrechtsgesellschaft entschieden entgegentreten sollte.
Herr Claassen ist wegen des nicht gedeckten Luxus für sich selbst – falls dieser vorlag – zu kritisieren. Insoweit hat (oder hätte) er gegen Grundregeln der Privatrechtsordnung verstoßen. Wenn die Shareholder oder besser deren Vertreter im Thyssen-Krupp-Konzern – das sei angenommen – allgemein bekannte und überkommene Praktiken der Journalisten-Betreuung toleriert haben, dann ist insoweit nicht vom Verdacht der Untreue auszugehen (allenfalls auf Seiten der beaufsichtigenden Aufsichtsräte gäbe es ein Fehlverhalten).
Vermutlich ist die ganze Angelegenheit weniger dramatisch als sie scheint und möglicherweise auch Ausdruck eines Machtkampfes im Konzern. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass unseren gesellschaftlichen Praktiken eine genauere Durchleuchtung immer wieder gut tut. Das vorangehende ist kein Plädoyer gegen „Compliance“ und die häufig pingelige Regeldurchsetzung. Im Gegenteil ist das Beharren auf Regeln korrekten Verhaltens höchst wünschenswert. Es ist im Sinne der Stärkung der Eigentumsordnung. Abzulehnen ist es, wenn Compliance benutzt werden soll, eine öffentliche Mitsprache in Unternehmen dort durchzusetzen, wo sie nichts zu suchen hat. Wenn es darum geht, Compliance mit Gemeinwohlzielen im Bereich der privaten Verfügungen durchzusetzen, gefährdet das latent die Privatrechtsordnung, deren Kern gerade eine Entpflichtung von der Verfolgung derartiger Ziele beinhaltet. Natürlich bleibt es zugleich zutreffend, dass im öffentlichen und vor allem im politischen Raum möglicherweise strengere Maßstäbe anzulegen sind, weil legitime kollektive Interessen zu schützen sind. Und natürlich gibt es auch Grenzen privater Verfügungsrechte. Es muss aber darauf beharrt werden, dass die Grenzen klar gezogen werden und nicht unter dem Vorwand der Durchsetzung übergeordneter Anstandsziele überschritten werden.
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