Die Schweden und Dänen haben es getan und auch die Bank of England denkt offen darüber nach: negative Einlagenzinssätze zur Belebung des Interbankenmarktes. Der Einlagenzinssatz ist der Zins, zu dem Geschäftsbanken überschüssige Liquidität bei der EZB kurzfristig hinterlegen können. Aktuell beträgt dieser 0%. Nichtsdestotrotz wird die Einlagefazilität immer noch genutzt: statt die Zentralbankliquidität über Kredite an die Wirtschaft weiterzugeben, parken Geschäftsbanken diese immer noch in nennenswertem Umfang bei der EZB. Man darf nun gespannt sein, ob die EZB in diesem Jahr mit einem solchen Schritt ökonomisches Neuland betreten wird. Insbesondere vor den schwachen Konjunkturaussichten für die Eurozone – zahlreiche Institute und Institutionen haben in jüngster zeigt ihre Wachstumsprognosen gesenkt. Schließlich gab EZB-Präsident Mario Draghi auf der EZB-Pressekonferenz Anfang Dezember auf Nachfrage zu, dass die EZB einsatzbereit sei; das konkrete Thema eines negativen Einlagensatzes sei aber nur am Rande thematisiert worden. Stattdessen seien vor allem die Unwägbarkeiten eines solchen Szenarios erörtert worden. Worin diese Unwägbarkeiten bestehen und welche Konsequenzen eine Senkung des Einlagensatzes haben könnten, soll dieser Beitrag skizzieren.
Lange Zeit galt für Ökonomen eine Untergrenze für Nominalzinsen von null. In der aktuellen Situation wäre damit der geldpolitische Spielraum für die meisten großen Zentralbanken ausgereizt. Entsprechend sah man in den letzten Jahren immer mehr Zentralbanken unkonventionelle Maßnahmen ergreifen. So hat die EZB bspw. die Anforderungen an ihre Sicherheiten gesenkt, Laufzeiten und Zuteilungsverfahren bei ihren Tendergeschäften geändert und sich sogar mit dem Ankauf von Staatsanleihen in eine rechtliche Grauzone vorgewagt.
Aufgrund der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken sind die Realzinsen nun schon einige Zeit negativ. Auch Taylor-Regeln, die zur Beschreibung der Zinssetzung von Notenbanken herangezogen werden, legen schon seit geraumer Zeit negative Nominalzinsen nahe. Folglich scheint auch die Nominalzinsuntergrenze von null nicht mehr lange Stand halten zu können. Die Debatte um den negativen Einlagensatz rührt daher, dass für den Beginn des kommenden Jahres durchaus eine Leitzinssenkung der EZB erwartet wird. Sollte daraufhin der Zinssatz der Einlagefazilität anders als bisher nicht parallel angepasst werden, würde der Abstand zwischen Leitzins bzw. dem Geldmarktzins (der ohnehin schon unter dem Leitzins liegt) zu gering. Banken hätten dann quasi keinerlei Interesse mehr überschüssige Liquidität anderen Banken zur Verfügung zu stellen. Sie würden es stattdessen bei der EZB parken, da hier der Ertrag zwar minimal geringer aber dafür sicher wäre. Diesem Verhalten könnte eine negative Verzinsung der Einlagen bei der Zentralbank entgegenwirken.
Ein negativer Zinssatz der Einlagefazilität entspräche einem Strafzins für Banken, die Geld bei der Zentralbank hinterlegen, statt es der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Den Banken würde damit eine risikolose Anlagemöglichkeit genommen. Ein solcher Strafzins soll die Kreditvergabe auf dem Interbankenmarkt beleben und damit die Konjunktur stärken. Offen ist aber, ob ein Zinssatz von -0,25% dies wirklich leisten könnte. Schließlich leihen sich die Banken bereits jetzt Geld zu 0,75% bei der EZB, um dieses dann in großem Umfang zu 0% bei der EZB anzulegen. Ökonomisch ist dies also ein Verlustgeschäft, welches aufgrund der immer noch hohen Unsicherheit im Interbankenmarkt aber zu erklären ist. Insofern dürfte ein leicht negativer Zinssatz möglicherweise immer noch nicht zu einer Belebung des Interbankenmarktes beitragen.
Unterstellt man, dass ein negativer Zinssatz tatsächlich die Kreditvergabe anregen würde, bleibt aber die Frage, wofür das Geld ausgegeben wird. Es ist fraglich, ob ausschließlich lohnenswerte Investitionen getätigt würden oder ob es nicht zu Fehlinvestitionen und erneuten Spekulationsblasen käme.
Ein grundsätzliches Problem negativer Zinssätze ist allerdings, dass zu einem solchen Zinssatz niemand bereit sein dürfte, Geld zu verleihen. Da Bargeldhaltung einen Zinssatz von null abwirft, würden die Wirtschaftssubjekte überschüssiges Geld horten anstatt es als Kredit zu vergeben. Insofern müsste dann auch Geldhaltung durch Besteuerung oder eine anderweitige Maßnahme an Attraktivität einbüßen. Die eine unkonventionelle Maßnahme dürfte also weitere Eingriffe zur Folge haben. Gregory Mankiw von der Universität Harvard schlägt hierzu vor, die Gültigkeit von Banknoten einzuschränken. So könnte die Zentralbank ankündigen, dass ab einem bestimmten Datum Banknoten mit einer zufällig ausgewählten Endziffer nicht mehr gültig wären, so dass Geldhaltung einen erwarteten Ertrag von -10% hätte. Damit wäre die Kreditvergabe bei leicht negativen Zinssätzen wieder attraktiv.
Willem Buiter, Chefvolkswirt der Citigroup, schlägt sogar eine Abschaffung des Bargeldes vor. Abgesehen von wegfallenden Seigniorageeinnahmen und möglichen technischen Problemen sei dies ohne weiteres möglich. Es würde damit nicht nur die Implementierung negativer Zinssätze ermöglicht, vielmehr würde auch wirksam gegen Kriminalität und Schwarzmarktaktivitäten vorgegangen, da Transaktionen mit Bargeld nicht mehr möglich wären.
Ein weiteres Problem negativer Zinssätze ergibt sich, wenn sich diese auf breiter Front einstellen, letztendlich also auch Einlagen der Sparer negativ verzinst würden. Dadurch dürfte die Sparneigung zurückgehen, was negative Konsequenzen für den Kapitalerhalt und –aufbau und damit letztendlich für das Fundament des Wirtschaftswachstums hat. Ein negativer Einlagensatz dagegen würde erst mal nur die Geschäftsbanken treffen, die in großem Maße Liquidität bei der EZB nachgefragt haben. Diese Banken könnten aufgrund der langen Laufzeiten der Refinanzierungsgeschäfte die Liquidität auch nicht ohne weiteres zurückfahren. Um also nicht den Strafzins in Kauf zu nehmen, würden möglicherweise riskante Anlagen getätigt.
Um einen Ausblick auf die Geldpolitik der EZB für dieses Jahr zu wagen, bleibt festzuhalten, dass die EZB einen negativen Einlagensatz sicherlich in Betracht ziehen wird. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, erscheint allerdings fraglich – insbesondere vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen Wochen immer wieder positive Nachrichten aus den Krisenländern kamen. Die beträchtlichen Unwägbarkeiten einer solchen Maßnahme scheinen eher dagegen zu sprechen. Auch sollte Bedacht werden, dass die zahlreichen Maßnahmen zur Belebung des Interbankenmarktes bisher keinen durchschlagenden Erfolg gehabt haben. Insofern scheint ein negativer Einlagensatz ein eher wenig geeignetes Mittel, um die immer noch hohe Unsicherheit und das fehlende Vertrauen zwischen den Banken zu beseitigen.
Literatur
Buiter, W. (2009): Negative interst rates: when are they coming to a central bank near you?.
Draghi, M. (2012): Introductory statement to the press conference (with Q&A), Press Conference of the ECB, 06 December, Frankfurt/M.
Hinrichsen, S. and Kaminska, I. (2012): The „natural experiment“ of negative deposits rates in Denmark.
Mankiw, G. N. (2009): It might be time for the Fed to go negative.
Hinweis
M.A. Econ. Florian Verheyen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik an der Universität Duisburg-Essen.
„unkonventionelle Maßnahmen“
Wohl kaum, nennt sich gerade heraus Geld drucken oder auf VWLerisch „Monetarisierung von Staatsschulden“.
Jeder der die offiziellen Umschreibungen nutzt, stimmt Ihnen offenbar zu oder getraut sich nicht die Dinge beim Namen zu nennen.
@FDominicus
Der Begriff „unkonventionelle Maßnahmen“ ist einfach eine objektive Bezeichnung. Ich verstehe daher nicht, warum die Nutzung dieses Begriffs gleichbedeutend mit einer Zustimmung zu dieser Politik oder Feigheit sein soll.
Allerdings ist es zutreffend, dass man über die (Teil-)Ziele dieser Maßnahmen durchaus diskutieren kann. Der Begriff der „Financial Repression“ ist aktuell geradezu omnipräsent und beschreibt ja im Kern, dass Refi-Kosten für Staaten oder die (reale) Schuldenbelastung reduziert wird. Und das geht dann wieder in Richtung „Monetarisierung von Staatsschulden“.
beim negativen einlagenzins ist in der tat fraglich, ob er das leisten kann, was man sich erhofft. man darf nicht vergessen, dass banken nur solche geschäfte durchführen, die den ertrag steigern (damit unterstelle ich rationales handeln). kann also ein negativer einlagezins der EZB auch zu – wenigstens zu erwartenden – ertragssteigerungen der banken führen? hier habe ich so meine zweifel. in den letzten jahren wurden die kreditabteilungen der privatbanken personell drastisch verkleinert. man hat also insgesamt die kreditvergabe an unternehmen und private haushalte zurückgefahren, weil die risiken ungleich größer sind, als die margen. wenn die marge – wie aktuell – bei geschäftskrediten bei ca. 1,5% liegt, und im passivgeschäft nichts mehr zu verdienen ist, dann erwarte ich eher weiter schrumpfende bankbilanzen. die bankenwelt steht kurz bis mittelfristig aufgrund der aktuellen zinssituation vor einer radikalen wende. die geschäftsmodelle werden sich wandeln, und anbieter werden vom markt verschwinden. die banken zur eigengeldschöpfung zu zwingen, wird hier nicht funktionieren, weil dann einige das kreditgeschäft komplett sein lassen werden.
wie kann nun also eine zentralbank an den geschäftsbanken vorbei die wirtschaft direkt mit geld versorgen? richtig: monetisierung der staatsschulden.
vielleicht steht unsere westliche welt ja auch insgesamt vor einem wandel?schrumpft sich die weltwirtschaft gesund?
@Thomas: eine reale Schuldenreduzierung würde aber nicht in rezessiven Zeiten funktionieren. Japan zeigt eindrucksvoll, dass es gar nicht so einfach ist, Schulden wegzuinflationieren. Dabei hätten gerade die Japaner ein außerordentliches Interesse daran. Ich persönlich sehe die Gefahr von Deflation, trotz direkter Staatsfinanzierung – also Monetisierung der Staatsschulden – größer, als Inflation.
Ein negativer Einlagenzins lässt sich wohl nur durch extreme Zwangsmaßnahmen durchsetzen. Es müsste ein Verbot geben Gold oder Devisen zu besitzen und dann immer weiter diejenigen Waren verbieten, die grade als Notgeld verwendet werden.
@Frankonia
Es ist mit Sicherheit schwieriger, das stimmt. Man sieht ja auch in Europa, dass trotz der expansiven Maßnahmen der EZB (noch) keine sonderlichen Inflationstendenzen vorhanden sind. Würde die EZB jedoch noch einen Schritt weitergehen, und ihr Inflationsziel auf 4% setzen, wie bspw. von Blanchard angedacht, dann sollten sich schon über Inflationserwartungen Effekte ergeben.
Aber selbstverändlich ist die EZB primär auf das Ziel der Preisstabilität ausgerichtet, sodass sich die Frage eines „Weginflationieren“ ja gar nicht stellt, oder vllt. doch?
„Der Begriff “unkonventionelle Maßnahmen“ ist einfach eine objektive Bezeichnung. “
Ist es nicht. Es ist verschleiernd. Es geht nur darum die Staatschulden „tragbarer“ erscheinen zu lassen. Und Insgesamt zeigt es einfach nur Zentralbanken sind auch nur Handlanger des Staates. Denn die EZB hätte für Ihren Auftrag sicher nicht Anleihen von Staaten kaufen dürfen. Sie hat es getan, damit gegen das Gesetz verstoßen und es dann mit „unkonventionell“ umschrieben.