Letzte Woche äußerte der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung über eine neue, regierungskritische Partei, es fehle ihr „offensichtlich an ökonomischem und politischem Sachverstand“; ihre führenden Ökonomen seien „Außenseiter unserer Zunft“ (Rheinische Post, 25.05.13). Dieser erstaunliche Vorfall wirft drei Fragen auf:
- Steht es dem Vorsitzenden oder überhaupt einem Mitglied des Sachverständigenrats zu, wissenschaftlichen Kollegen den ökonomischen Sachverstand abzusprechen?
- Steht es dem Vorsitzenden oder den anderen Mitgliedern des Sachverständigenrats zu, sich parteipolitisch zu äußern?
- Wie unabhängig sind der Vorsitzende und die anderen Mitglieder des Sachverständigenrats?
Gemäß Paragraph 1 des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist der Sachverständigenrat „ein Rat von unabhängigen Sachverständigen“. Die Mitglieder des Sachverständigenrats werden bekanntlich von der jeweiligen Bundesregierung ausgewählt, und Wiederberufungen sind zulässig (§ 7). Es ist daher nicht überraschend, dass die Ratsmitglieder – sieht man von dem Gewerkschafts- und dem Arbeitgebervertreter einmal ab – grundsätzlich die Linie der Parteien vertreten, denen sie ihre Ernennung verdanken. Die Regierung setzt sich keine kritischen oder unruhigen Geister in den Pelz. Nicht selten möchten die Sachverständigen wieder ernannt werden.
Besonders problematisch ist, dass der derzeitige Vorsitzende des Sachverständigenrats und zwei seiner Kollegen – also die Mehrheit – Forschungsinstitute leiten, die sich u.a. über Gutachtenaufträge der Berliner Ministerien finanzieren. Auch die Apologie der Regierungspolitik, die die Süddeutsche Zeitung am 01.06.13 unter der Überschrift „Ökonomen attackieren ,Alternative für Deutschland“˜“ veröffentlichte, stammte von vier Institutspräsidenten plus einem meiner Mannheimer Kollegen. Umso höher ist es Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn (65) anzurechnen, dass er unermüdlich den Euro-Austritt der überschuldeten südeuropäischen Mitgliedstaaten fordert.
Dass der Sachverständigenrat in seiner Mehrheit aus Institutspräsidenten besteht, ist eine neuere Entwicklung – und ein Skandal. Als mein Doktorvater Herbert Giersch 1969 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel wurde, war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, sofort den Sachverständigenrat zu verlassen. Dass heute im Sachverständigenrat die Institutspräsidenten das Sagen haben, ist natürlich in erster Linie die Schuld der zuständigen Bundesminister (Finanzen und Wirtschaft), die im Sachverständigenrat möglichst willfährige Wissenschaftler haben wollen.
Neben dem Sachverständigenrat gibt es die wissenschaftlichen Beiräte der Ministerien – zum Beispiel den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium und den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium. Ihre Mitglieder werden nicht von der Bundesregierung ausgewählt, sondern von den wissenschaftlichen Kollegen kooptiert. Nach meiner Erfahrung führt diese Lösung zu einer weniger parteipolitischen und stärker wissenschaftlich orientierten Auswahl der Berater. Beide Beiräte halten nichts von dem Vorschlag des Sachverständigenrats, in der Eurozone einen Altschuldentilgungsfonds einzurichten, für den die Steuerzahler aller Mitgliedstaaten haften. Denn dieser Plan ist mit gravierenden Anreizproblemen verbunden. Er hat in der „Ökonomenzunft“ – wenn man von den Chefökonomen der Banken einmal absieht – so gut wie keine Zustimmung gefunden.
Was für Konsequenzen sind zu ziehen?
- Die Mitglieder des Sachverständigenrats sollten nicht mehr von der Bundesregierung ernannt werden.
- Präsidenten von Forschungsinstituten, die sich über staatliche Gutachtenaufträge finanzieren, dürfen nicht mehr in den Sachverständigenrat berufen werden.
- Christoph Schmidt sollte zurücktreten, damit der Sachverständigenrat einen neuen Vorsitzenden wählen kann, der nicht für ein Forschungsinstitut Verantwortung trägt.
Herr Vaubel hat mit der Stoßrichtung seiner Kritik völlig recht, unabhängig von der Frage, welche Seite über den größeren ökonomischen Sachverstand verfügt.
Was die Auftraggeber der Forschungsinstitute angeht, ist das Beispiel des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aufschlussreich. Der soeben erschienene Jahresbericht 2012 vermeldet, dass 34 der 2012 abgeschlossenen oder noch laufenden Projekte von Bundesministerien finanziert wurden (davon 14 vom Bundeswirtschafts- oder Bundesfinanzministerium). Weitere 17 Projekte wurden von der Europäischen Union in Auftrag gegeben.
Da die (von Joachim Scheide geleitete) Konjunkturabteilung des Instituts für Weltwirtschaft, Kiel, die Bailout-Politik der Bundesregierung kritisiert hat, hat die Bundesregierung das Institut nicht wieder in die Gemeinschaftsdiagnose berufen, sondern dafür das Berliner DIW, das von dem ehemaligen EZB-Ökonomen Marcel Fratzscher geleitet wird. So Malte Faber in der Wirtschaftswoche vom 06.06.13.
Den Forderungen kann man, unabhängig von ökonomischen Konkretbeurteilungen, aus demokratietheoretischen und -praktischen Gründen zustimmen.