Brauchen wir eine Helmpflicht beim Radfahren?

Ein Fahrer öffnet seine Autotür, eine Radfahrerin kann dieser nicht ausweichen, stürzt und verletzt sich schwer am Kopf. Diese Kopfverletzung hätte uU. vermieden werden können, wenn die Radfahrerin einen Helm getragen hätte. Da dies nicht der Fall war, entschied das  OLG Schleswig, daß der Radfahrerin eine Teilschuld an ihren Verletzungen zu geben sei, obgleich es keine Helmpflicht gebe. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß man als Radfahren wissen müsse, daß ein Helm vor Kopfverletzungen schütze.

Vor diesem Hintergrund stellt sich analog zum Gurt die Frage, ob man Radfahrer zum Helmtragen verpflichten sollte.

Wirft man einen Blick auf die Empirie, so zeigen sich teilweise sehr widersprüchliche Ergebnisse:

  • Tatsächlich vermindert bei einem konkreten Unfall der Helm das Ausmaß der Kopfverletzung.
  • Eine Helmpflicht kann allerdings dazu führen, daß weniger mit dem Rad gefahren wird. Hier werden oftmals Erfahrungen aus Australien ins Feld geführt, nach denen durch die Helmpflicht in Städten zwischen 20 und 40 Prozent weniger mit dem Rad gefahren wird (Robinson, 1996; Dambeck, 2013). Eine Verminderung der gesundheitsfördernden sportlichen Betätigung mit entsprechenden Auswirkungen auf kardio-vaskuläre Erkrankungen etc. dürfte die Folge sein.
  • Kanadische Erfahrungen zeigen, daß – hier wurde in sechs von zehn Provinzen eine Helmpflicht eingeführt – die Helmpflicht nicht zu einer günstigeren Quote bei Kopfverletzungen geführt hat (Dambeck, 2013). Diese Erfahrungen sind jedoch mit Vorsicht zu bewerten, da die Studie methodische Probleme aufweist.

Tatsächlich scheinen sich aber Autofahrer etwas rücksichtsloser zu verhalten, wenn sie sich Radfahrern mit Helm gegenüber sehen, und Radfahrer gehen offenbar mit Helm ein größeres Risiko ein. Fakt ist, daß also offenbar die Studienlage und die Erfahrungen keine ausreichende Begründung für das Einführen einer Helmpflicht hergeben.

Die unklare Studienlage sollte daher den Gesetzgeber vor einer Intervention abhalten, es sei denn, er ist an einer Förderung der Helmindustrie interessiert – was natürlich aus ordnungsökonomischer gänzlich abzulehnen wäre.

Wie wäre jedoch der Sachverhalt zu beurteilen, wenn sich tatsächlich erwiese, daß bei einer Helmpflicht der Nutzen die Kosten klar überwöge? Aus der Perspektive eines liberalen Paternalismus, wie ihn Thaler & Sunstine (2009) propagieren, wäre dann die Situation ganz klar: Die Helmpflicht müßte her!

Aus liberaler Sicht sieht die Situation etwas anders aus. Hier muß die Entscheidungsfreiheit des mündigen Individuums im Mittelpunkt stehen; Einschränkungen derselben sind allerdings dann zu akzeptieren, wenn dadurch andere Individuen in ihrer Freiheit eingeschränkt oder gar in Mitleidenschaft gezogen werden. Beim Radfahren trägt die Folgen der Barhäuptigkeit der Radfahrer zunächst selbst; Auswirkungen auf andere Individuen – etwa durch die Belastung der Krankenversichertengemeinschaft – können analog zum obigen Urteil begrenzt oder gar ausgeschlossen werden. Insofern würde sich aus dieser Sicht eine Helmpflicht verbieten; allenfalls die Information über eine erhöhte Verletzungsgefahr durch den Verzicht auf einen Helm wäre als angemessenes Instrument anzusehen. Im Falle von nicht mündigen Individuen wäre hier ebenfalls kein Handlungsbedarf zu sehen, da davon auszugehen ist, daß Eltern für einen entsprechenden Schutz ihrer Zöglinge Rechnung tragen.

Eine andere Situation offenbart sich im professionellen Radsport. Hier treten die oben aufgezeigten nachteiligen Wirkungen der Helmpflicht nicht auf, allerdings ist davon auszugehen, daß der Helm den Radfahrer behindert, in dem er etwa die Rundumsicht einschränkt. Der einzelne Radfahrer wird daher tendenziell auf das Tragen eines Helmes verzichten, da er dadurch seine Siegchancen vermindert, obwohl er sicherlich weiß, daß das Tragen eines Helms die Gefahr von Kopfverletzungen erheblich reduzieren dürfte. Der Radfahrer ist damit in einer Gefangenendilemmasituation: Trägt er einen Helm, seine Konkurrenten verzichten aber darauf, dann hat er im Wettbewerb Nachteile – also wird er ebenfalls darauf verzichten und hoffen, daß er nicht verunfallt. Eine Intervention kann dieses Gefangenendilemma auflösen, ohne daß es negative Auswirkungen auf Dritte etwa wie bei einem Preiskartell gibt. Durch eine Helmpflicht in derartigen Wettbewerben werden alle Konkurrenten gezwungen, den Helm zu tragen und damit mit dem gleichen Handicap belastet zu werden. Da der Helm einen verbesserten Schutz bei Unfällen gewährt, ist davon auszugehen, daß alle Wettbewerber einer Helmpflicht zustimmen würden, zumal hier eben auch das Handicap egalisiert wird. Aus liberaler Sicht ließe sich somit eine Helmpflicht bei derartigen Wettbewerben rechtfertigen.

Damit kann folgendes Fazit gezogen werden: Im Straßenverkehr sollte es dem einzelnen Fahrer selbst überlassen bleiben, ob er einen Helm trägt oder nicht. Im sportlichen Wettbewerb hingegen hat die Helmpflicht ihre Berechtigung.

 

Dambeck, H. (2013), Reine Kopfsache, in Spiegel Online, 13. Juni 2013, abgerufen am 11. Juli 2013 unter: http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/helmpflicht-fuer-radfahrer-helm-frage-laesst-forscher-verzweifeln-a-905466.html.

Robinson, D. L. (1996), Head injuries and bicycle helmet laws, in: Accident Analysis & Prevention, Vol. 28 (4): pp. 463 – 75.

Thaler, R. H., Sunstine, C. R. (2009), Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness

Frank Daumann

2 Antworten auf „Brauchen wir eine Helmpflicht beim Radfahren?“

  1. Wenn man davon ausgeht, dass der Staat das Individuum grundsätzlich zwangsweise vor potenziellen Gefahren schützen muss, in dem er ihm Schutzmaßnahmen gegen seinen Willen aufzwingt, dann muss das logischerweise auch für Fußgänger, Rodler, Boxer und Hockeyspieler gelten.

    Ich habe gehört, dass sich Harley-Fahrer und ähnliche „Easy Rider“ in Australien vehement der Helmpflicht widersetzen, wenn sie Motorrad fahren. Offenbar schreitet die Polizei nur unwillig oder gar nicht ein, wenn sie einen ganzen Schwarm ohne Helme antrifft …

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