Der Niedergang der deutschen Korbindustrie

Der Niedergang des traditionsreichen Gewerbes der deutschen Korbindustrie war die Folge einer Veränderung der Konsumentenpräferenzen und einer hohen Personalintensität der Fertigung; ein wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf, diesen Strukturwandel zu verlangsamen oder gar zu verhindern, bestand aus ordnungspolitischer Sicht nicht.

Geflochtene Überreste und Abdrücke in Keramik aus neolithischen Siedlungen entlang der Flüsse Mitteleuropas zeigen, daß die Korbmacherei zu den ältesten Handwerken gehört. In diesen Gebieten waren organische Materialien wie Weide, Hasel, Schilf und Stroh in ausreichendem Maße vorhanden, was fruchtbare Voraussetzungen für die Entwicklung dieses Gewerbes bot.

Die Wurzeln der deutschen Korbindustrie liegen im 17. Jahrhundert, als Familien insbesondere entlang des Obermains (Lichtenfels, Michelau usw.) und auch in anderen Regionen Deutschlands begannen, in den Wintermonaten Körbe aus Weiden zu flechten. Diese Tätigkeit, ursprünglich als Nebenerwerb durchgeführt, etablierte sich im 18. Jahrhundert als Handwerk, in dem regional vergleichsweise viele Arbeitskräfte Beschäftigung fanden und das sich bald in Form einer Zunft organisierte. So wurde im Jahre 1770 in Michelau eine Korbmacherzunft gegründet, der bis 1795 bereits 110 Meister angehörten. Diese frühe Phase war geprägt durch Heimarbeit und eine dezentrale Produktionsstruktur, die sich in das ländliche Wirtschaftsleben integrierte.

Im 19. Jahrhundert erlebte die Korbwarenherstellung einen deutlichen Aufschwung und es entstanden industrielle Strukturen: So wurden größere Unternehmen, wie die Korbmöbelfabrik Reinhold Rädlein im Jahr 1865 in Ebersdorf bei Coburg und die AG für Korbwaren- und Kinderwagen-Industrie Hourdeaux-Bergmann im Jahr 1890 in Lichtenfels, gegründet. Das Entstehen dieser großen Unternehmen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein Großteil der Produktion nach wie vor dezentral in Heimarbeit erfolgte, was eine flexible und kostengünstige Produktion ohne den Aufbau kapitalintensiver Produktionsanlagen ermöglichte. In die Heimarbeit waren regelmäßig auch Frauen und Kinder neben der Hausarbeit und der Schule eingebunden, wobei die Korbmacherei sich als Handwerkszweig darstellte, in dem Frauen traditionell stark vertreten waren. So waren im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Obermain-Region etwa 7.500 Korbflechter in Heimarbeit beschäftigt. Das System der Heimarbeit bot den dort beschäftigen Arbeitskräften zwar auf der einen Seite ein sehr großes Maß an Flexibilität und wirtschaftlicher Unabhängigkeit, auf der anderen Seite waren die Heimarbeiter jedoch abhängig von Zwischenhändlern und standen unter einem großen Wettbewerbsdruck, der zu niedrigen Erträgen führte. Die nicht nur regionale Bedeutung dieses Wirtschaftszweigs wird daran ersichtlich, daß auch Exporte in größerem Umfang in die USA getätigt wurden.

Im Zuge des Ersten Weltkriegs fand eine Umstellung der Korbwarenindustrie auf kriegswirtschaftlich wichtige Produkte wie Geschoßkörbe für die Rüstungsindustrie, die dem Transport und der Aufbewahrung von Munition dienten, statt. In der Zwischenkriegszeit florierte die Korbindustrie wieder. Dabei erfolgte eine verstärkte Differenzierung des Sortiments, wobei man sich auf Transportkörbe, Korbmöbel und Kinderwagen spezialisierte, und es läßt sich eine wachsende Exportorientierung identifizieren. Im Zweiten Weltkrieg wurden dem Wirtschaftsbereich, der ebenfalls wieder in die Kriegsproduktion eingebunden war, nicht nur im erheblichen Ausmaß Arbeitskräfte entzogen, sondern es wurden auch Teile der Produktionsanalagen zerstört.

In der unmittelbaren Nachkriegsphase (ca. 1945–1955) belebte sich die Nachfrage nach Korbwaren erheblich. In Ermangelung industriell gefertigter Konsumgüter erfüllten handgeflochtene Produkte – insbesondere Wäsche-, Einkaufs- und Lagerkörbe – eine zentrale Alltagsfunktion. Produktionsengpässe für die deutsche Korbwareindustrie ergaben sich jedoch durch die teilweise Zerstörung der Infrastruktur und der Produktionsmittel sowie durch die territoriale Neugliederung Deutschlands. Insbesondere die neue Grenzlage zur DDR führte in angestammten Zentren wie Michelau und Lichtenfels zu einer Desintegration vormals etablierter Handels- und Lieferketten. Gleichwohl blieb die Korbwarenherstellung in vielen Regionen eine bedeutende Erwerbsquelle im ländlichen Raum.

Mit Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Bundesrepublik Deutschland veränderten sich die ökonomischen Rahmenbedingungen für das Flechthandwerk grundlegend. Die zunehmende Industrialisierung, steigende Einkommen und sich wandelnde Präferenzen der Konsumenten führten zur Substitution traditioneller Korbwaren durch Polstermöbel, Metall- und später Kunststoffprodukte etwa im Bereich der Übertöpfe. Dieser Prozeß wurde durch eine zunehmende Verflechtung der internationalen Handelsströme beschleunigt: Der Import preisgünstiger Massenware zunächst aus ost- und südosteuropäischen Staaten (insbesondere aus Polen und Jugoslawien) und später aus Asien (China, Taiwan) setzte die in kleinteiligen Strukturen organisierte deutsche Produktion unter erheblichen Wettbewerbsdruck. Vor allem das historisch gewachsene Heimarbeitssystem erwies sich unter diesen Bedingungen als ökonomisch obsolet, zumal junge Menschen in besser bezahlte Industriezweige abwanderten und dem traditionellen – schlecht entgoltenen – Flechthandwerk den Rücken kehrten.

Etwa ab den 1970er-Jahren vollzog sich daher ein struktureller Wandel innerhalb der Branche. Die industrielle Fertigung wurde weitgehend zurückgedrängt und viele Betriebe stellten ihre Produktion ein; überlebensfähig blieben vor allem Betriebe, die die individuellen Kundenbedürfnisse mit hoher Qualität und ansprechenden Design adressieren konnten. Parallel dazu etablierte sich die Korbwarenproduktion als Teil einer kulturwirtschaftlich aufgeladenen Regionalökonomie. In traditionell handwerksaffinen Regionen wie dem Obermaintal wurde das Korbflechterhandwerk zunehmend in den Kontext musealer Vermittlung (Deutsches Korbmuseum in Michelau), touristischer Vermarktung (z. B. Korbmarkt Lichtenfels) und kultureller Identitätsstiftung eingebettet.

Seit den 2010er-Jahren läßt sich als Folge eines gesellschaftlichen Reorientierungsprozesses hin zu Nachhaltigkeit, Ressourcenbewusstsein und handwerklicher Qualität eine begrenzte Wiederbelebung der Korbwarenproduktion beobachten. Korbwaren aus natürlichen Materialien wie Weide und Rattan werden im Zuge der Abkehr von Kunststoffen vermehrt als ökologische Konsumalternativen betrachtet. Zudem eröffnen digitale Distributionskanäle – insbesondere im Bereich des E-Commerce – neuen Zugang zu überregionalen und internationalen Nischenmärkten. Einige Betriebe haben auf diese Entwicklung mit einer gezielten Positionierung als Hersteller hochwertiger, handgefertigter Unikate reagiert. Insgesamt ist die heutige Marktstruktur der deutschen Korbindustrie durch eine starke Fragmentierung und Spezialisierung geprägt. Nach dem Niedergang der industriellen Massenproduktion im 20. Jahrhundert konzentriert sich die Branche nunmehr auf Nischenmärkte, Handwerkskunst und hochwertige Produkte; ihr ökonomischer Stellenwert ist jedoch gegenwärtig marginal.

Damit stellt sich aus ordnungsökonomischer Sicht die Frage, ob in diesem Falle eine staatliche Intervention mit dem Ziel des Erhalts der Produktionsstrukturen sinnvoll gewesen wäre und wenn ja, welches Instrumentarium hierzu hätte eingesetzt werden sollen.

Aus ordnungsökonomischer Sicht kommen dem Privateigentum an den Produktionsmitteln, der Vertragsfreiheit, dem Preismechanismus als zentralen Lenkungssystem und damit der Einheit von Handlung und Haftung konstituierende Rollen zu (Eucken, 1952). Nach diesem normativen Ansatz hat Wirtschaftspolitik stetig zu sein, für offene Märkte zu sorgen und sich auf die Setzung stabiler Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln zu beschränken; ein direkter Eingriff in die Marktprozesse (Prozeßpolitik) ist abzulehnen.

Es zeigte sich, daß der Niedergang der Korbwarenindustrie in Deutschland Ergebnis eines sich wandelnden Geschmacks der Konsumenten bei hoher Preissensibilität für Alltagsgüter, eines zunehmenden internationalen Handels und einer personalintensiven Fertigung mit geringem Automatisierungspotential verbunden mit einem erheblichen Anstieg der Entgelterwartungen verursacht wurde. Die Produktionsstrukturen der deutschen Korbwarenindustrie vor dem Hintergrund dieser veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren somit nicht mehr wettbewerbsfähig, weswegen – so schade das sicherlich sein mag – der Großteil der Produktionsbetriebe aus dem Markt ausgeschieden ist und die Beschäftigungsverhältnisse in diesem Bereich massiv zurückgegangen sind.

Da zudem ein Marktversagen als notwendige Voraussetzung eines staatlichen Handelns nicht identifizierbar war und sich zudem der Strukturwandel über einen längeren Zeitraum hinzog, bestand aus ordnungsökonomischer Sicht zu keiner Zeit ein wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf.

Quellen

Dippold, G. (1994), Deutsches Korbmuseum Michelau. Begleitbuch zur Dauerausstellung, Michelau i. OFr.

Eucken, W. (1952). Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Tübingen: Mohr Siebeck.

o. V. (o. J.), Coburger Korbwarenindustrie: Geflochtene Tradition. Zugriff am 21.06.2025 unter: https://www.regionalmanagement-coburg.de/coburger-korbwarenindustrie/

Przybilla, O. (2014), Frankens Flechter, Zugriff am 21.06.2025 unter: https://www.sueddeutsche.de/bayern/lichtenfels-frankens-flechter-1.2123717.

Sievers, A.-C. (2016), Altes Handwerk neu entdeckt: Verflochten, Zugriff am 21.06.2025 unter: https://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/altes-handwerk-zu-besuch-bei-einem-korbflechter-14094534.html

Gespräche mit zahlreichen Zeitzeugen

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