PKV für alle! Zur wiederkehrenden Dualitätsdebatte um PKV und GKV

Die Gesundheitspolitik, die in den Bundestagswahlkämpfen der jüngeren Zeit immer eine besondere Rolle gespielt hat, ist bei der anstehenden Bundestagswahl kein besonderes Wahlkampfthema. Einen Ausreißer davon hat Bundesgesundheitsminister Bahr mit seiner Forderung nach einer Öffnung der PKV für alle geliefert (vgl. Süddeutsche Zeitung oder Ärzteblatt 27. August 2013). Sollte hier eine Blaupause für eine größere Gesundheitsreform langsam lanciert werden? Eine tiefergehende Konkretisierung dieser Ankündigung müsste dann gegebenenfalls nach der Wahl erfolgen, doch hat Minister Bahr schon das eine oder andere Mal seine Perspektive zu den Vorteilen einer PKV-Mitgliedschaft deutlich gemacht. So verwies er beispielsweise darauf, dass ein Versicherter in der PKV frei wählen könne und seinen Versicherungsschutz selbständig zusammenstellen könne. Darüber hinaus erhalte der Versicherte noch einen Bonus, wenn er nicht so oft zum Arzt gehe (vgl. Die Welt vom 30.05.2011)? Ist die Forderung nach einer Öffnung der PKV für alle nun ein Plädoyer für mehr Wahlfreiheit im Gesundheitswesen?

Diese Frage zu beantworten, heißt an den Zielen von Gesundheitssicherung anzusetzen. Auch wenn die gesundheitspolitische Diskussionen in den letzten Wochen und Monaten eher gering war, so hat es doch in der Wissenschaft unterschiedliche Ausarbeitungen zur Zukunft eines dualen Krankenversicherungssystems GKV-PKV gegeben. Wie vor geraumer Zeit an anderer Stelle formuliert (vgl. Blogbeitrag „Bürgerversicherung ahoi! Vom 5. Mai 2013), bleibt im Vergleich zwischen beiden Sicherungssystemen häufig die Frage ungenügend ausgelotet, wie sich diese hinsichtlich ihrer Steuerungsvor- und Steuerungsnachteile begegnen. Unabhängig von den Unterschieden in der Effektivität des Sicherungsversprechens und in der wirtschaftlichen Effizienz, die sich beide immer am Sicherungsziel messen lassen müssen, etwa an einer ausreichenden und effizienten Gesundheitsversorgung, bleibt die gesundheitsökonomisch bedeutsame Frage offen, ob ein einheitliches Krankenversicherungssystem geboten scheint oder eine Trennung in zwei Systeme im Zweifel volkswirtschaftlich wirksame Nettoeffekte hervorbringen würde. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung formuliert beispielsweise, dass ein einheitlicher Krankenversicherungsmarkt die Grundlage für einen funktionierenden Kassenwettbewerb sei (vgl. SVR-W 2009), wohingegen der PKV-Verband gerade in der Einführung eines einheitlichen Kassenwettbewerb – beschrieben als Sorge vor einer Bürgerversicherung – den Abbau von Wahlmöglichkeiten für den Versicherten und in der Folge für Wettbewerblichkeit im Gesundheitswesen befürchtet. Unabhängig von der begründeten Annahme, dass beide Stellungnahmen wohl eine inhaltlich andere Perspektive des Wettbewerbs im Sinn haben und somit ein unmittelbarerer Vergleich nicht möglich ist, bleibt doch die Frage offen, die Jacobs in einer jüngeren Veröffentlichung stellt, welche Wettbewerbsdimension eigentlich gemeint sei, wenn der Hinweis des Ministers auf Wahlfreiheit und Auswahlmöglichkeiten ein wesentliches Kriterium für die ordnungspolitische Bewertung des Krankenversicherungssystems ist. (vgl. Jacobs 2013).

Im Gesundheitswesen, zumindest in einem System mit einer Verpflichtung zu einer Mindestversorgung, die Krankenversicherungen anvertraut ist, sind zwei, strenggenommen drei Wettbewerbsebenen zu unterscheiden. Neben der Beziehung Arzt-Patient, spielen die Beziehungen der Versicherung zum Versicherten (Versicherungsmarkt) und der Versicherung zu den Leistungserbringern (Versorgungsmarkt) eine entscheidende Rolle, was häufig dazu führt, die Vertragsbeziehungen im Gesundheitswesen in Form eines Vertragsdreiecks darzustellen. Im Lichte dieser Kategorisierung fokussiert der Minister mit seinem Appell für Wahlfreiheit also primär auf den Versicherungsmarkt. In der Tat sind im PKV-Versicherungsmarkt mehr Ausgestaltungsoptionen als im GKV-Kontext möglich. So erlaubt schon allein die risikoorientierte Prämie, wie sie im Grundsatz in der PKV angeboten wird, eine größere Differenzierung an unterschiedliche Risikosituationen und erhöht somit ceteris paribus den Risikospielraum des Versicherers. Ob dieser versicherungsökonomische Differenzierungsvorteil aber auch für die einzelnen Versicherten als vorteilhaft gilt, ist jedoch nicht zwingend. Auch in einer versicherungsökonomischen Modellbetrachtung würde nämlich gelten, dass ein Versicherungsnehmer vor allem die Schwankungen um seinen individuell eingeschätzten Erwartungsschaden reduzieren will, wenn – Risikoaversion des Versicherten grundsätzlich vorausgesetzt – ein Versicherungsvertrag kontrahiert werden soll. Eine risikoorientierte Prämie kann daher nur seine Vorteilhaftigkeit aus Sicht eines Versicherungsnehmers durch den Preis-Leistungsvergleich entfalten. Dieser theoretischen Bedingung sind aber im deutschen Gesundheitsmarkt zwei wesentliche Schranken entgegen zu halten: Einerseits würde ein derartiger Preis-Leistungs-Vergleich einen Systemwettbewerb zwischen dem GKV- und dem PKV-System voraussetzen, den es aber – Stichwort Versicherungspflichtgrenze – so gar nicht bzw. nur an den Rändern zwischen Pflichtversicherung und freiwilliger Versicherung gibt. Andererseits legt auch eine theoretische Betrachtung  nahe, dass einem Vergleich zwischen PKV und GKV in einem Regelversicherungssystem nur in der simultanen Betrachtung des Versicherungs- und des Versorgungsvertrages adäquat Rechnung getragen werden kann, da die Umsetzung des Regelversorgungsanspruchs im Zweifel aus Sicht des Versicherten genauso relevant ist wie die Möglichkeit zur (freien) Kontrahierung von Versicherungspaketen.

In der gesundheitsökonomisch relevanten Literatur gilt es daher grundsätzlich als unbestritten, das eine allgemeine Versicherungspflicht sich sehr wohl rechtfertigen lässt, aber keine Vorgabe für eine Pflichtversicherung. Somit wäre die ordnungspolitische Konsequenz innerhalb eines einheitlichen Regulierungsrahmens keine politischen Vorgaben zur Unternehmensstruktur von Versicherungen zu geben, sondern lediglich die Einhaltung der Regulierungsbedingungen als Bedingung für den Marktzutritt zu formulieren. Vor diesem Hintergrund steht die Systemdualität zwischen GKV und PKV schon auf tönernen Füßen. Wenn die allgemeine Versicherungspflicht also für die gesamte Bevölkerung gelten sollte, letztendlich ist niemand vor einem krankheitsbedingten Vermögensschaden im Zweifel ausreichend geschützt, ist damit aber noch keine Antwort gegeben, mit welchem Regulierungssystem dies umgesetzt werden soll. Die PKV hat, Vorteile der Wahlfreiheit im Versicherungsmarkt zum Trotz, die Problematik, auch durch die strenge Orientierung am Kostenerstattungsprinzip begründet, keine ausreichenden Instrumente zur Eindämmung des Ausgabenanstiegs etwa in Folge von Moral-Hazard-Phänomenen und angebotsinduzierter Nachfrage zu haben. Wenn aber auch die Hypothese nicht von der Hand zu weisen ist, dass aufgrund von Budgetierungen im GKV-Bereich es zumindest teilweise zu Substitutionseffekten im PKV-Bereich kommt, verstärkt sich dieser Effekt noch. Vor diesem Hintergrund hat die PKV zwar zunächst den Vorteil als prämien- und preisnähere Versicherungslösung die Risikozuordnung im Versicherungsmarkt zumindest theoretisch besser zu lösen. Die Verknüpfung des in der PKV innewohnenden Kapitaldeckungsgedankens mit einer Prämienlösung ist sicherlich ein weiteres wertvolles Argument in der Debatte um eine Fortentwicklung einer nachhaltig finanzierten Gesundheitsstruktur. Es gilt hierbei die Frage zu beantworten, wer bei Annahme wachsender Ausgaben im Gesundheitswesen bei verlängerter Restlebensspanne anreizkompatibel tragen kann. Jedoch greift auch diese Betrachtung zu kurz, wenn die Rückkoppelung auf die Leistungsstrukturen, die wesentlich die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen definieren, unterbleibt. Wenn also beispielsweise der Versicherte sein Versicherungsrisiko teilweise auf die Assekuranz übertragt, so ist es aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive nur logisch, wenn die Versicherung ihre Spezialisierungsvorteile die sie beispielsweise gegenüber dem einzelnen Versicherten besitzt, etwa in der Qualitätseinschätzung der Leistungserbringer, auch zugunsten des Versicherten nutzen kann (vgl. Oberender/Zerth 2007). So greifen Vertragslösungen zwischen Leistungserbringer und Versicherungen einerseits und Wettbewerbslösungen im Versicherungsmarkt andererseits ineinander. Gerade im Bereich der Versorgungssteuerung ist aber, auch wenn nur sehr zaghaft, mehr Bewegung im GKV-Kontext zu konstatieren.

Am Ende bleibt somit die Schlussfolgerung im Kontext der Dualitätsdebatte, dass eine sinnvolle ordnungspolitische Lösung nur in einer ganzheitlichen Wettbewerbs- und Regulierungsordnung für das Gesundheitswesen liegen kann, die sich der Interdependenzen zwischen Versicherung und Leistungssteuerung bewusst ist. Eine Reformdebatte der Zukunft muss sich daher zunächst an der Frage messen lassen, welche Rolle der Wettbewerb für alle Beteiligten im oben skizzierten Gesundheitsdreieck einnehmen soll. Ordnungsökonomisch gilt es daher (einmal wieder) deutlich zu machen, dass Ziel einer Reform des Gesundheitswesens – GKV und PKV im Blick – sein muss, Entscheidungskompetenzen auf die Ebene der einzelnen Akteure (zurück) zu verlagern, gleichzeitig aber eine anreizkompatible Umverteilung zu gewährleisten. Dabei sind Wahlfreiheiten im Versicherungsmarkt nur die eine Seite der Medaille, wenn nicht gleichzeitig die Weiterentwicklung von dezentralen Vertragslösungen im Versorgungsmarkt – Stichwort Selektivverträge – vorangetrieben wird. Hier können GKV und PKV voneinander lernen und es bleibt weiterhin kritisch zu hinterfragen, inwiefern die PKV ein Leitbild für die Weiterentwicklung einer projektieren Wettbewerbsordnung sein kann, wenn die Bedeutung von Leistungssteuerung im Versorgungsprozessen, etwa durch Care- oder Case-Managementstrategien an Bedeutung gewinnt (vgl. nochmals Blogbeitrag „Bürgerversicherung ahoi! Vom 5. Mai 2013). Eine Öffnung der PKV ist daher als Blaupause zu gering und ist somit lediglich eine mögliche Option innerhalb eines ordnungspolitischen Raumes, den es in erster Linie zu beschreiben und teilweise noch zu begründen gilt.

Literatur:

Jacobs, K. Wettbewerb im dualen Krankenversicherungssystem in Deutschland –Fiktion und Realität, in: Jacobs, K./Schulze, S. (Hrsg.): Die Krankenversicherung der Zukunft. Anforderungen an ein leistungsfähiges System, WidO-Institut Berlin, 2013, S. 7-73.

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR-W), Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen. Jahresgutachten 2009/2010, Bundestags-Drucksache 17/44 vom 18.11.2009.

Oberender, P. und Zerth, J. Wirtschaftspolitisches Forum: „Zur Zukunft der privaten Krankenversicherung“, in Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 56. Jg. 2007, S. 200-209.

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