Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat kürzlich eingeräumt, dass Griechenland künftig zusätzliche Hilfen von den Euro-Rettern benötigen wird. Damit möchte er den Wählern reinen Wein einschenken und wohl auch einen Schlusspunkt setzen unter die aktuelle Debatte dazu, ob Griechenland über die bisherigen Hilfen hinaus einen weiteren Schuldenschnitt benötigt oder nicht. Dabei hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.
Bei den von Schäuble in Aussicht gestellten zusätzlichen Hilfen, die nach Aussage von Schäuble keine „Riesensumme“ betragen werden und die nach Schätzung der griechischen Regierung in einer Größenordnung von zehn Milliarden Euro liegen sollen, geht es im Wesentlichen um die Anschlussfinanzierung, die Griechenland nach Ablauf der derzeitigen Hilfsprogramme benötigen wird. Insgesamt summieren sich die beiden von den Euroländern, der EU und dem Internationalem Währungsfonds bereitgestellten Griechenland-Pakete auf 237 Mrd. Euro. Sie sind bis Ende des Jahres 2014 befristet, d.h. danach gibt es keine neuen Kredite der Euro-Retter mehr und die bereits gewährten Kredite aus den alten Rettungsprogrammen laufen sukzessive aus.
Vermutlich hatte schon im Jahr 2010, als das erste Rettungspaket geschnürt wurde, kaum jemand wirklich geglaubt, dass Griechenland seine Staatsschuld nach Auslaufen der Hilfen wieder selbständig finanzieren könne. Vollends verflogen ist diese Hoffnung spätestens im März 2012, als es zum Schuldenschnitt kam, bei dem private Gläubiger auf rund 53 Prozent ihrer Forderungen verzichteten mussten und darüber hinaus längere Laufzeiten und niedrigere Zinsen als ursprünglich vereinbart auferlegt bekamen. Private Investoren werden kaum geneigt sein, noch einmal ähnliche Erfahrungen zu machen und ab 2015 wieder neue griechische Staatsanleihen zu kaufen. Es wird also – wie von Schäuble erklärt – unvermeidlich sein, nach Auslaufen der gegenwärtigen Rettungspakete ein neues, drittes Rettungspaket zu schnüren. Ob die in diesem Zusammenhang genannte Summe von zehn Milliarden Euro dafür ausreichen wird, darf abgewartet werden.
Auf einem völlig anderen Blatt steht die Frage, ob Griechenland – mit oder ohne drittem Rettungspaket – jemals in der Lage sein wird, seine bisher aufgelaufenen Schulden zurückzuzahlen. Diese Schulden betragen derzeit knapp 300 Mrd. Euro, das entspricht 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Abb. 1). Wenn für diesen Schuldenstand die am Kapitalmarkt geforderten Zinsen von derzeit 11 Prozent zu zahlen wären, müsste die griechische Regierung etwa 20 Prozent des Sozialprodukts für Zinsen aufwenden – das entspricht etwa den gesamten Steuereinnahmen des Landes.
Zweifel an der Schuldentragfähigkeit Griechenlands wecken zunächst einmal die Erfahrungen mit dem Schuldenschnitt vom März 2012, der dazu dienen sollte, die griechische Staatsschuldenquote von damals 170 Prozent auf 120 Prozent zu reduzieren. Im Gefolge dieser Maßnahme ging die griechische Staatsschuldenquote aber nur auf knapp 160 Prozent zurück. Das lag zum einen daran, dass der Entlastungseffekt durch den Schuldenschnitt relativ gering war, weil die privaten Schuldner damals nur noch rund ein Drittel der griechischen Staatsschuldtitel hielten. Vor allem aber gelang es der griechischen Regierung nicht, die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben im Staatshaushalt zu decken, d.h. die Entlastung durch den Schuldenschnitt wurde durch die Neuverschuldung rasch wieder aufgefressen.
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Noch gravierendere Zweifel wecken die Fundamentaldaten des griechischen Staatshaushalts: Um den Zinsverpflichtungen nachkommen zu können, müssen zunächst einmal die laufenden Staatsausgaben ohne Zinszahlungen geringer ausfallen als die laufenden Staatseinnahmen. Bisher war die griechische Regierung weit davon entfernt, überhaupt einen solchen sogenannten Primärüberschuss zu erzielen. Erst in jüngster Zeit ist aus dem Primärdefizit ein Primärüberschuss geworden – allerdings nur deshalb, weil der griechische Staat derzeit weitgehend darauf verzichtet, seine Rechnungen gegenüber der Privatwirtschaft zu bezahlen. Der griechische Staat lebt also nach wie vor weit über seine Verhältnisse, wozu vor allem der immer noch überdimensionierte öffentliche Dienst beiträgt.
Nach dem „Schuldenbarometer“ des Instituts für Weltwirtschaft müsste der griechische Staat einen Primärüberschuss (Differenz zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben ohne Zinszahlungen) von mehr als zehn Prozent seines Bruttoinlandsprodukts erzielen, um die Schuldenquote zumindest stabil halten zu können. Das ist, wie alle historischen Erfahrungen zeigen, schlichtweg illusorisch.
Trotz aller Beteuerungen der Politik führt also kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Die griechische Staatsschuld ist untragbar hoch. Eine Rückzahlung der ausstehenden internationalen Kredite wird die griechische Regierung aus eigener Kraft nie schaffen können. Wir sollten also nicht allzu überrascht sein, wenn uns nach der Bundestagswahl verkündet werden sollte, ein Schuldenschnitt für Griechenland sei „alternativlos“. Erst nach diesem Eingeständnis wird der den Bürgern eingeschenkte Wein tatsächlich rein sein.
Wie hoch der Schuldenschnitt ausfallen muss, lässt sich nicht auf die Nachkommastelle genau angeben. Jedenfalls sollte er nicht zu zaghaft und mit zittriger Hand erfolgen, denn nichts wäre schlimmer als wenige Monate später mit einem weiteren Schuldenschnitt nachbessern zu müssen. Geht man von der vom Internationalen Währungsfonds genannten 120-Prozent- Grenze aus, bis zu der eine Staatsschuldenquote tragfähig ist, dann ergäbe sich angesichts der aktuellen Quote von rund 180 Prozent ein notwendiger Schnitt von einem Drittel. In einer aktuellen Studie des Instituts für Weltwirtschaft wird nicht auf diese 120-Prozent- Grenze abgestellt, sondern auf den erreichbaren Primärüberschuss (Schrader/Bencek/Laaser, 2013). Daraus leiten die Autoren ab, dass der Schuldenschnitt (je nach Szenario zu den griechischen Wachstumsperspektiven) in einer Größenordnung von 64 Prozent bis 71 Prozent liegen müsste.
Um die daraus resultierenden finanziellen Folgen für Deutschland abschätzen zu können, wird als „best guess“ der folgenden Überschlagsrechnung von einem Schuldenschnitt von 50 Prozent ausgegangen. Als weiteres Element der Überschlagsrechnung werden Informationen dazu benötigt, wie sich die griechischen Staatsschulden auf die verschiedenen Gläubiger verteilen. Nach Schätzung des Instituts für Weltwirtschaft entfallen 67 Mrd. Euro der Gesamtsumme von 297 Mrd. Euro auf IWF und EZB, die sich gemäß ihrer Statuten nicht an einem Schuldenschnitt beteiligen dürfen (Abb. 2). Die übrigen Gläubiger müssten demnach entsprechend höhere Einschnitte hinnehmen – nach unserer Überschlagsrechnung wären das 65 Prozent, um für die Gesamtschuld auf einen Satz von 50 Prozent zu kommen.
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Die Beteiligung Deutschlands an den Griechenland-Hilfen entspricht seinem Kapitalanteil an der EZB – das sind 27,15 Prozent. Bei einem Abschreibungsbedarf von 65 Prozent auf die von den Euro-Ländern gehaltenen Schulden von 161 Mrd. Euro würden sich also für Deutschland Abschreibungen in Höhe von 28 Mrd. Euro ergeben.
Ob die zu erwartende Entschuldung tatsächlich als expliziter Schuldenschnitt erfolgen wird, ist dabei aus ökonomischer Sicht von untergeordneter Bedeutung. Stattdessen könnte sich die Politik auch dafür entscheiden, dem griechischen Staat auf Dauer die Zinszahlungen zu erlassen und die Laufzeit der Kredite ins Unendliche zu verlängern (entsprechende Vorschläge hat der griechische Finanzminister Giannis Stournaras bereits gemacht). Das wäre reine Kosmetik, mit der sich das Unwort Schuldenschnitt formal vermeiden ließe, de facto aber ebenso wie bei einem expliziten Schuldenschnitt auf die Rückzahlung der Kredite verzichtet würde.
Eine notwendige Schlussbemerkung: Ein (expliziter oder impliziter) Schuldenschnitt ist unvermeidlich, aber er reicht nicht aus, die griechische Staatsschuldenkrise nachhaltigen zu lösen. Solange die laufenden Ausgaben im Staatshaushalt die laufenden Einnahmen übersteigen, werden immer wieder neue Schulden nachwachsen, die dann über kurz oder lang neue Rettungspakete und neue Schuldenschnitte notwendig machen werden. Der eigentliche Schlüssel liegt bei den notwendigen Strukturreformen, die einen eigenen Beitrag in diesem Forum wert wären. Der zu erwartende Schuldenschnitt kann die Strukturreformen nur begleiten – nicht ersetzen.
Literatur
SCHRADER, K./BENCEK, D./LAASER, C.-F. (2013), IfW-Krisencheck: Alles wieder gut in Griechenland? Kieler Diskussionbeiträge 522/523.
- Chinas Subventionen
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