Eigentum als Garant der Freiheit

1. Staat und Wohlfahrtsstaat

Auf einer grundsätzlichen Ebene muss man feststellen, dass jeder Staat auch der minimalste Nachtwächterstaat bereits wohlfahrtsstaatliche Elemente enthält. Insbesondere die Abwehrrechte, die die individuellen Sphären gegenüber anderen Individuen und gegenüber dem Staat schützen sollen, werden vom freiheitlichen Rechtsstaat nicht gegen Gebühren durchgesetzt. Der Bürger zahlt nicht für einzelne Leistungen des Rechtsschutzes je nach Inanspruchnahme wie bei einem Dienstleister. Es gehört zum Wesen des Rechtsstaates, dass auch diejenigen den vollen Schutz ihrer Rechte erhalten, die entweder nicht in der Lage oder nicht bereit sind, für diese Rechte zu zahlen. Der Staat ist seiner Natur nach, sofern er jene die Freiheit definierenden Grundrechte überhaupt für jedermann durchsetzt, grundlegend umverteilender Natur. Diese Form der Umverteilung gehört notwendig zur freiheitlichen Rechtsstaatlichkeit hinzu. Denn es geht für den Anhänger des Rechtsstaates darum, die Freiheit für jeden Bürger und nicht nur für sich selbst gesichert zu sehen. Auch die Nettozahler dieser Umverteilung müssen diese als Anhänger des freiheitlichen Rechtsstaates befürworten, weil sie den Rechtsstaat, den sie meinen, nur haben können, wenn alle anderen ebenso, wie sie selbst geschützt werden. Wir können nur in einer freien Gesellschaft leben, wenn auch die anderen und nicht nur wir selbst frei sind.

Der freiheitliche Rechtsstaat ist zugleich auch von bestimmten Regulierungen gekennzeichnet. Zentrale Rechte wie etwa das auf rechtliches Gehör, aber auch Beschränkungen hinsichtlich der Veräußerbarkeit der Grundrechte, werden nicht der Vertragsfreiheit unterworfen. Spezifisches Eigentum darf der Bürger beispielsweise aufgeben. Doch ist kein Bürger rechtlich ermächtigt, sein Recht aufgeben, überhaupt Eigentum zu erwerben, beziehungsweise Verträge zu schließen, es sei denn, er wäre unmündig oder aus anderen Gründen nicht mehr geschäftsfähig. Diese Regulierungen sind erforderlich, weil sie die Grundelemente einer Freiheit, die nur in gleicher Freiheit gemeinschaftlich mit anderen zu haben ist, beschützen.

Außerhalb der Anarchie kommt es notwendig zur Anwendung fundamentaler Zwangsgewalt, um Beiträge – in Form von Steuern – zu erheben und um Ermächtigungsregeln und Verbote – mit Hilfe von Zwangsnormen – durchzusetzen. Die eigentliche Grenze zwischen dem, was wir als sozialen Wohlfahrtsstaat und dem, was wir als Nachtwächterstaat bezeichnen, verläuft innerhalb der großen Klasse mit Zwangsgewalt umverteilender und regulierender staatlicher Institutionen. Das Kernproblem besteht nicht in der Abgrenzung von Wohlfahrts- und Nachtwächterstaat, sondern darin, wie man in diesem Kontinuum begründet Grenzen ziehen kann. Eigentum und insbesondere Privateigentum spielen in diesem Kontext eine zentrale begrenzende Rolle. Deshalb ist es sinnvoll, sich für die vernünftige argumentative Grenzziehung mit Elementen und Ursprüngen des Eigentums zu befassen.

2. Elemente und Ursprünge des Eigentums

Grundsätzlich geht es im Falle des Eigentums um die Ermächtigung, über Ressourcen im weitesten Sinne exklusiv zu verfügen. Das Eigentum liegt bei derjenigen Entität – einer Person oder einer Gruppe von Personen –, die ermächtigt ist, entsprechende Verfügungen zu treffen und dabei auf Respektierung durch die fundamentaler Zwangsgewalt des Staates vertrauen darf. Insoweit ein Verfügungsberechtigter nur teilberechtigt ist, die betreffenden Verfügungen zu treffen, hat er nur Teileigentum. Die nachfolgende Tabelle zeigt grundsätzliche Kombinationen aus generellen Verfügungsrechten und öffentlichem beziehungsweise privatem spezifischem Besitz von Ressourcen auf.

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Tabelle: verschiedene Eigentumsformen

In der zweiten Zeile handelt es sich um kollektive Verfügungsrechte über private oder öffentliche Ressourcen. Diese Verfügungsrechte bieten den Individuen Mitbestimmung und insoweit ein Teileigentum an Ressourcen. Wenn beispielsweise mehrere Anteilseigner einer Aktiengesellschaft ihre Ressourcen zusammenlegen, dann liegt ein solcher Mitbestimmungsfall im privaten Bereich vor. Bürger einer Rechtsordnung, die zu gewissen kollektiven Entscheidungen etwa durch Abstimmungen und dergleichen beitragen, haben in einem entfernten Sinne auch so etwas wie Teileigentum. In der zweiten Zeile handelt es sich ausschließlich um Mitbestimmung. In der ersten Zeile geht es um Selbstbestimmung und Verfügungsrechte über Ressourcen, die von den Individuen als Individuen besessen werden.

Das klassische Privateigentum beinhaltet Verfügungen über Ressourcen, die sich von vornherein auch im Besitz des Eigentümers befinden. Viele der positiven Teilhaberechte im modernen Sozialstaat haben aber ebenfalls Eigenschaften, die sie individuellem Eigentum näher rücken. Zwar werden die Ansprüche beispielsweise auf Wohngeld öffentlich bereitgestellt, doch können Individuen typischerweise selbst darüber insoweit verfügen, als sie die Ansprüche wahrnehmen können oder nicht. Sofern Umverteilungsrechte in die Verfassung eingebracht würden, wären sie sogar wie das Privateigentum selber zunächst unmittelbarer Tagespolitik entzogen.

Der in hohem Maße politische Charakter des vorangehend skizzierten Eigentumskonzeptes trifft keinesfalls auf ungeteilte Zustimmung insbesondere nicht bei meinen eigenen libertären Freunden. Aufgrund einer politisch realistischen Konzeption staatlicher Machtausübung glaube ich jedoch nicht, einen Verweis auf die politischen Komponenten des Eigentumskonzeptes vermeiden zu können. Aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols ist das Privateigentum – möglicherweise nicht nur, aber auch – ein öffentlich definiertes generelles Bündel von Verfügungsregeln, die dann zu spezifischen Verfügungsrechten führen.

Zwar mag es ein rein konventionell bestimmtes Recht ohne zentrale öffentliche Durchsetzung geben. De facto ist das in unserer Rechtsordnung vorherrschende Privatrecht selber jedoch in einem weiteren Sinne öffentlich durchgesetzt. Das spezifische Eigentum an spezifischen Ressourcen muss zumindest rechtlich ratifiziert werden, um den vollen Schutz zu genießen. Vermutlich repräsentiert eine Art hybrider Konzeption des Eigentums die Sachlage am besten: Sofern es durch die Rechtsordnung generell staatlich durchgesetzt wird, ist Eigentum eine Art „Privileg“, das sich durch Ermächtigungsregeln bestimmt. Insofern die öffentlich durchgesetzte Rechtsordnung die privaten Verfügungen nur ratifiziert, ist der Inhalt des Eigentums staatlicher Kontrolle entzogen.

3. Privateigentum und Effizienz

Die Dezentralisierung der Verfügung über Ressourcen bis auf die Ebene der Individuen hinunter, führt zur Entstehung der so genannten Privatrechtsgesellschaft. An der Entstehung dieser Gesellschaft kann auch derjenige ein Interesse haben, der selbst nicht damit rechnet, über Privateigentum in größerem Umfange zu verfügen. Das Interesse an der Existenz der Institution des Privat-Eigentums und das Interesse daran, unter dieser Institution spezifisches Privateigentum zu erwerben, sind verschieden. Zugleich sind auf der Basis privater Verträge organisierte Gesellschaften mit dezentralen Verfügungsbefugnissen viel wohlhabender als Gesellschaften, welche ihre Glieder nicht ermächtigt haben, über ihre eigenen Mittel für ihre eigenen Zwecke frei-vertraglich zu verfügen. Falls es Transferzahlungen gibt, die selbst die relativen Verlierer unter den frei-vertraglichen Beziehungen am erzeugten Wohlstand der Gesellschaft partizipieren lassen, liegt die Vermutung nahe, dass fast jedermann ein Interesse an der Existenz der Institution des Privateigentums nehmen sollte.

Wird die Ermächtigung zu dezentraler Verfügung über Ressourcen dennoch abgelehnt, so geschieht das typischerweise im Namen irgendeiner Gemeinwohlskonzeption. Es wird darauf hingewiesen, dass freie Märkte in der Realisierung gesellschaftlich erwünschter Ziele versagen können. Vergessen wird darüber gern, dass es neben dem Marktversagen auch ein Politikversagen gibt.

Wenn es um das Gemeinwohl geht, meinen allerdings sogar viele, die das Problem des Politikversagens erkennen, dass man das allgemeine Wohl bewusst durch Politik anstreben müsse, wolle man es nicht verfehlen. Das scheint aber, sieht man von ganz grundsätzlichen Aspekten ab, verfehlt. Die Privatrechtsgesellschaft ermächtigt jeden, in einem bestimmten von den Fahrregeln für den Verkehr unter Menschen definierten Bereich, die eigenen Ziele zu verfolgen. Die Ordnung gibt die Regeln für die Zielverfolgung, jedoch nicht die Ziele vor. Der „Witz“ an der freiheitlichen Privatrechtsordnung ist es gerade, die individuellen Entscheidungsträger gegenüber dem Gemeinwohl zu entpflichten. Zwar heißt es, dass Eigentum verpflichte, will man daraus jedoch eine rechtliche Pflicht machen, das Gemeinwohl in allen Entscheidungen zu berücksichtigen, dann wird man nicht nur das Privateigentum und die individuelle Selbstbestimmung, sondern auch den Wohlstand der Gesellschaft auf Dauer ruinieren. Das einzige vernünftige Konzept des Gemeinwohls besteht darin, den einzelnen soweit wie möglich die Erlangung ihres privaten Wohls zu ermöglichen. Und in weiten Bereichen ist die allgemeine Institution des Privateigentums der beste Garant dafür.

4. Schluss

Wenn jeder Staat, auch der Nachtwächterstaat Umverteilung aus Zwangssteuern und Regulierungen der Rechteverfügungen kennt, darf man folgern, dass es zum Wesen des Staates selber gehört, eine Art (möglicherweise sehr minimaler) Wohlfahrtsstaat zu sein. Denn die beiden Kernelemente des Wohlfahrtsstaates sind die Anwendung der fundamentalen Zwangsgewalt zur Finanzierung bestimmter Leistungen und die Regulierung von Verhaltensweisen ebenfalls mit dem Mittel fundamentaler Zwangsgewalt (einer Gewalt also, die nicht auf der vorherigen Zustimmung der Betroffenen beruht).

Die bundesdeutsche Verfassung definiert durch ihren Katalog von Grundrechten nicht nur einen minimalen Wohlfahrtsstaat. Sie weist die bundesrepublikanische Rechtsordnung nicht nur als einen freiheitlichen, sondern auch als einen sozialen Rechtsstaat aus. Die Sozialstaatsklausel taucht im Grundgesetz auf. Der Sozialstaat spielte zwar in der ursprünglichen Verfassung eine geringere Rolle als ihm durch die nachfolgende Verfassungsinterpretation und Politik zuwuchs. Unabhängig davon ist aber die heutige bundesrepublikanische Verfassungswirklichkeit zentral von sozialstaatlichen Elementen wie positiven Teilhaberechten gekennzeichnet. Das wird sich nicht ändern lassen, will man nicht den Kern des freiheitlichen Rechtsstaates gefährden. Anders betrachtet, ist diese Art der Umverteilung der Preis, den wir für den freiheitlichen Staat zahlen müssen, selbst wenn wir Gegner weit reichender wohlfahrtstaatlicher Umverteilung sein sollten. Die Akzeptanz der Bürger muss dem Staat und seinen Institutionen zuwachsen und was den Kern freiheitlicher Rechtsstaatlichkeit anbelangt, ist fast kein politischer Preis zu hoch. Vergessen wir überdies nicht, dass eine hohe Umverteilungsquote, so misslich sie anderweitig sein mag, einen gewissen Schutz vor einem Übermaß an Regulierung bietet: Da die Politik daran interessiert ist, durch Verwendung öffentlicher Mittel zu gestalten, nimmt sie auch ein Interesse daran, Regulierungen zu vermeiden, welche die Steuern zu sehr senken.

Literatur

James M. Buchanan „Property as a Guarantor of Liberty“ in: The Collected Works of James M. Buchanan (ed. Brennan, H. G., Kliemt, H., and Tollison, R. D.) Indianapolis: Liberty Press, vol. 18, 216-256

Brennan, H.G. and Kliemt, H. (2008, forth.): Regulation and Revenue, Journal of Constitutional Political Economy, Sep.

Berggren, N. (2003) The benefits of economic freedom: A Survey. The Independent Review, 8, 193-211

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