Gastbeitrag
„Handlung und Haftung“ versus „Kontrolle und Haftung“

Gegenwärtig werden umfangreiche Maßnahmen zur Stabilisierung der Euro-Zone diskutiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Maßnahmen nur dann eine Umsetzungschance haben, wenn sie folgende Bedingung erfüllen: Kontrolle und Haftung müssen zusammenfallen. Mit diesem Argument werden beispielsweise Euro-Bonds (noch) abgelehnt. Auch der Sachverständigenrat betont im aktuellen Jahresgutachten, dass „die notwendige Korrespondenz von Haftung und Kontrolle gewährleistet“ [1] sein muss. Dass diese Bedingung nur eingeschränkt empfehlenswert ist, wird durch folgendes Beispiel schnell deutlich: Übertragen auf den Straßenverkehr würde ein Zusammenfallen von Kontrolle und Haftung bedeuten, dass Falschparker die Abschleppkosten nicht mehr selbst zahlen müssen. Vielmehr muss derjenige zahlen, der das Falschparken nicht verhindert hat. Denn es haftet ja derjenige, der kontrolliert. Dieses kurze Beispiel zeigt deutlich, dass ein Zusammenfallen von Kontrolle und Haftung nicht immer sinnvoll ist. Niemand käme auf die Idee, dies im Straßenverkehr zu fordern.

Das von Walter Eucken postulierte Haftungsprinzip fordert daher auch nicht das Zusammenfallen von Kontrolle und Haftung. Vielmehr soll derjenige, der den potentiellen Nutzen hat, auch den potentiellen Schaden tragen.[2] Salopp formuliert fordert Eucken, dass Handlung und Haftung zusammenfallen müssen. Dies zwingt Akteure dazu, sich genau zu überlegen, welche Risiken sie eingehen wollen. Eucken benötigt keine Kontrolle des Handelnden, denn die Anreize zu einem vorsichtigen und umsichtigen Handeln sind optimal gesetzt. Einer Kontrolle bedarf es nur dann, wenn der Handelnde nicht für den Schaden haftet.

Das von Bundeskanzlerin Angela Merkel postulierte Konzept, wonach Kontrolle und Haftung zusammenfallen müssen, ist somit nur dann sinnvoll, wenn der Handelnde nicht für den Schaden haftet, sondern ein Dritter, nämlich der Kontrollierende. Kontrolle und Haftung bedeutet also, Strukturen zu schaffen, bei dem der potentielle Nutzen dem Handelnden zufällt, der potentielle Schaden jedoch vom Kontrollierenden getragen wird.

Verglichen mit der von Eucken postulierten Forderung, wonach Handlung und Haftung zusammenfallen müssen, weist das Konzept von Kontrolle und Haftung mehrere Ineffizienzen auf: Im besten Fall besteht die Ineffizienz schlicht aus den Kontrollkosten. Das setzt allerdings eine laufende Kontrolle des Handelnden voraus. In aller Regel wird dies jedoch nicht möglich sein. Erschwerend kommt hinzu, dass der Handelnde keinen Anreiz zur Sorgfalt hat. Schließlich muss er für Schäden nicht haften. Er wird also größere Risiken eingehen. Dies erhöht die Kontrollkosten.

In der Regel wird es jedoch nicht damit getan sein, dass der Kontrollierende den Handelnden laufend kontrolliert. Hin und wieder wird der Kontrollierende Handlungen entdecken, die aus seiner Sicht unangemessen, weil zu riskant sind. Dann muss er dem Handelnden konkrete Handlungsvorgaben machen. Der Handelnde kann sich dadurch jedoch bevormundet und gegängelt fühlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Handelnde die Handlungsvorgaben als unangemessen empfindet. Die Bereitschaft, die Vorgaben des Kontrollierenden einzuhalten, wird dadurch sinken. Der Kontrollierende muss den Handelnden daraufhin noch genauer kontrollieren. Ein Teufelskreis wird ausgelöst.

Eine weitere Ineffizienz tritt auf, wenn der Kontrollierende nicht – wie bisher angenommen – selbst haftet, sondern nur ein Agent ist, der im Auftrag des haftenden Prinzipals kontrolliert. Bei dieser Konstellation hat der kontrollierende Agent einen großen Anreiz, einen entdeckten Schaden zu vertuschen. Denn im Fall eines Schadens muss der Kontrollierende  mit dem Vorwurf des Prinzipals rechnen, dass er den Schaden nicht verhindert hat.

Die beschriebenen Ineffizienzen spiegeln sich in zahlreichen Maßnahmen wider, die gegenwärtig auf europäischer Ebene zur Stabilisierung der Euro-Zone diskutiert werden. Das Konzept von Kontrolle und Haftung taugt daher nicht zur Lösung der gegenwärtigen Krise. Vielmehr sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel Strukturen schaffen, wonach Handlung und Haftung zusammenfallen. Erst wenn das nicht möglich ist, sollte man über ein Zusammenfallen von Kontrolle und Haftung nachdenken.



[1] Sachverständigenrat (2013), S. 166.

[2] Vgl. Eucken (2004), S. 279f.

 

Literatur:

Eucken, W. (2004): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen.

Sachverständigenrat (2013): Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik, Wiesbaden.

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