Zur Ordnungspolitik der Transplantationsmedizin

Noch ein Gespenst geht um in Europa, es ist das Gespenst der „Kommodifizierung des menschlichen Körpers“. Die Gespensterseher verschiedener Lager haben sich die Brüsseler Hintertreppe hinaufgeschlichen, um jeden Ansatz zu einer Auflockerung von „Kommerzialisierungsverboten“ menschlicher Gewebe oder Organe im Keim unterbinden zu können. Auf europäischer Ebene sollen unter dem Deckmantel der Harmonisierung und des Schutzes vorgeblich höchster Werte bestimmte weltanschauliche Auffassungen auf Dauer zementiert werden. Dieses durchaus typische Vorgehen wird im Erfolgsfalle dazu führen, dass in Zukunft in keinem der Mitgliedsstaaten mehr mit anderweitigen Regelungen experimentiert werden kann. Jetzt schon wird jede Bestrebung, noch so milde Formen finanzieller Anreize im Bereich der Gewebe- und Organspende zu benutzen, mit Verweis auf die übergeordnete Brüsseler Regelung als aussichtslos klassifiziert.

Den Bestrebungen etwas festzuschreiben, das man keineswegs für gesichert halten darf, sollte man sich widersetzen. Verständlicherweise reagieren die Bürger zwar mit großem Unbehagen, wenn es um einen „Handel“ mit menschlichen Organen oder menschlichen Geweben geht. Bei näherer Betrachtung sind aber die meisten in diesem Umfeld als vorgebliche Selbstverständlichkeiten aller „billig und gerecht Denkenden“ deklarierten Auffassungen alles andere als selbstverständlich.

1. Das Traurige Patienten Gesetz: TPG

Das Transplantationsgesetz, wie das TPG offiziell und weniger zutreffend heißt, ist seit 1997 in Kraft. Es hat sich, will man den Stimmen aus der Politik glauben, bewährt. Schaut man sich die Sache jedoch näher an, so fragt man sich, worauf das positive Urteil beruht.

Man hat in Form der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) das ordnungspolitische Monster eines Monopols für transplantationsbegleitende und vor allem -vorbereitende Leistungen geschaffen. Dafür gibt es keinen guten Grund. Denn dann, wenn man die potentielle Spender meldenden Krankenhäuser mit hinreichenden Fallpauschalen für die Identifizierung möglicher Spender ausstatten würde, könnten diese entweder selbst oder durch Verträge mit entsprechenden Dienstleistern die Organentnahme vorbereiten und durchführen. Das wird die Interessen der Patienten mindestens so gut schützen wie die heutige Regelung. Denn Krankenhäuser haben ein großes Interesse daran, ihre eigene Reputation zu schützen. Sie werden schon aus Eigeninteresse genauestens darauf achten, dass insbesondere die Hirntod-Diagnostik angemessen durchgeführt und dokumentiert wird.

Krankenhäuser mit Intensivpflegereinrichtungen werden allerdings nur dann über die Sicherung ihrer Reputation hinaus ein Interesse haben, an der Spendererkennung und Organgewinnung teilzunehmen, wenn sie dafür angemessene Entgelte erhalten. Sind sie selbst zu den entsprechenden Maßnahmen nicht in der Lage, dann könnten sie die Entgelte verwenden, um von außen Leistungen von Spezialisten zu beziehen. Wiederum hätten sie ein Interesse daran, kompetente externe Anbieter zu wählen, um die eigene Reputation nicht durch andernfalls drohende Skandale zu gefährden.

Die Erstattungsbeträge für die Mitwirkung an der Organ- und Gewebegewinnung sind zwar in den letzten Jahren verbessert worden, aber nach wie vor unzureichend. Es ist in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt, dass der Mangel an postmortalen Spenderorganen nicht nur an einer mangelnden Spendenbereitschaft der Bevölkerung liegt, sondern ganz wesentlich auch durch eine nach wie vor mangelnde Mitwirkungsbereitschaft der Krankenhäuser und der dort Beschäftigten verursacht wird. Stellt man sich vor, was es beispielsweise auf einer Intensivstation bedeutet, wenn man einen Teil der Arbeitskraft darauf verwenden muss, die grundlegenden Vitalfunktionen eines bereits als tot diagnostizierten Patienten aufrechtzuerhalten, dann wird ein Zögern, die Transplantationsmedizin tatkräftig zu unterstützen, durchaus verständlich. Zu Gunsten der abstrakten Interessen anderer Patienten muss man den Hirntoten intensiv und teilweise mit Vorrang vor den Interessen der eigenen, noch um das Überleben kämpfenden Patienten betreuen. Wenn das Entnahmeteam tätig wird, muss ein Operationssaal bereitgestellt werden, was wiederum im Gegensatz zu den Interessen der eigenen Patienten steht. Zumal in kleineren Häusern werden die Abläufe und die Operationsplanung dadurch unter Umständen empfindlich gestört (Personal muss z.B. zusätzliche Freischichten bekommen und Operationen werden verschoben).

Vor Erlass des TPG stand diesen hindernden Faktoren eine stetige Seelenmassage durch die Transplantationszentren einer Region gegenüber. Denn die Transplantationszentren hatten ein Interesse, im eigenen Umfeld postmortale Organe zu gewinnen. Ein Teil der Organe verblieb beim regionalen Zentrum. Man konnte damit die eigenen Patienten versorgen, aber auch die eigenen Kapazitäten auslasten und finanzieren. Durch die vom Transplantationsgesetz durchgesetzte zentrale patientenbezogene Allokation der Organe wurden diese Anreize, sich um die Organgewinnung zu kümmern, eliminiert. Das absehbare Ergebnis war eine nach 1997 sehr schnell nachlassende Bereitschaft der großen Zentren, sich noch um die Organgewinnung zu kümmern.

Die DSO hat die Auswirkungen dieses fundamentalen ordnungspolitischen Fehlers keineswegs auffangen können. Da der Erfolg ihrer Tätigkeit nicht in irgendeiner direkten Weise an der Anzahl der gewonnenen Organe gemessen wird, hat sie zudem kein starkes direktes Interesse, das Organaufkommen nachhaltig zu steigern. Die DSO hat sich wenig wirkungsvollen, aber in der Politik höchst willkommenen Werbekampagnen, in denen sich auch die Politiker profilieren konnten, gewidmet. Das war ebenso verständlich wie absehbar, da schließlich die Politik das Monopol der DSO erneuern muss. Man kann allerdings nicht behaupten, dass sich durch die Tätigkeit der DSO beziehungsweise durch den Erlass des TPG eine Steigerung der Anzahl gewonnener Organe ergeben hätte. Soweit es zu einer Steigerung gekommen ist, ist das wesentlich der Bereitschaft geschuldet, früher als nicht transplantabel eingestufte Organe insbesondere auch sehr alter Patienten zu transplantieren. Ansonsten stagniert das Aufkommen an Organen während die Wartelisten immer länger und die Chancen, ein Organ zu erhalten, auch für schwerst betroffene Patienten immer geringer werden. Für die Patienten hat es aber wenig oder nichts bewirkt.

Angesichts der tendenziell perversen Anreizstrukturen, die sich aus dem TPG ergeben, funktioniert die DSO getragen vom Engagement ihrer Mitarbeiter nach wie vor überraschend gut. Nichts garantiert, dass das so bleiben wird. Nach Alternativen ist zu fragen.

2. Weniger traurige Patienten durch finanzielle Anreize?

Ein wenig ordnungspolitischer Mut zusammen mit einer Dosis ordnungspolitischen Sachverstandes könnte im Bereich der Transplantationsmedizin vermutlich vieles zum Besseren wenden. Es mutet z.B. doch merkwürdig an, dass in der Transplantationsmedizin von der Organentnahme alle profitieren, außer den Spendern und den sie betreuenden Krankenhäusern. Das fängt an beim Empfänger einer postmortal gespendeten Niere. Er wird dadurch wieder arbeitsfähig und kann ein höheres Einkommen beziehen. Das gilt für die beteiligten Ärzte und Schwestern und im Falle der Nierentransplantation sogar für die Beitragszahler der Versichertengemeinschaft, weil die Dialyse so viel teurer als die Behandlung eines transplantierten Patienten ist.

Es läge nahe, etwa die Beerdigungskosten für Organspender zu übernehmen. Viele Menschen machen sich ja durchaus Gedanken darüber, wie ihre eigene Beerdigung finanziert werden und ob sie in einem würdigen Rahmen stattfinden wird. Man könnte natürlich auch einen Schritt weitergehen und so etwas wie eine Versicherung einrichten, die für den Fall der Organentnahme an die Hinterbliebenen eine bestimmte Summe zahlen würde. Es bliebe dem potentiellen Spender unbenommen, diese Versicherungszahlung ausdrücklich abzulehnen. Dann würde dem Bürger dadurch keineswegs eine zusätzliche Pflicht auferlegt, sondern ein Angebot gemacht, welches er ablehnen kann. Was die Zustimmungsbereitschaft der Angehörigen, gegen deren Willen heute Organe nicht entnommen werden, anbelangt, so dürfte die Lage ziemlich eindeutig sein: Die Bereitschaft der Entnahme zuzustimmen würde steigen, wenn damit bspw. das Anrecht auf ein kostenloses Ehrenbegräbnis verbunden wäre.

Es wäre natürlich auch denkbar, den Lebendspendern von nicht überlebenswichtigen Organen und Geweben Geld zu zahlen. Dagegen wird zunächst eingewandt, dass es sich bei Hergabe von Organen bzw. Geweben grundsätzlich nicht um eine vernünftige „autonome Entscheidung“ handeln könne. Der Spender müsse vor sich selbst und eigenen Fehlentscheidungen geschützt werden. Aber wieso angesichts gerade auch des innerfamiliären Druckes auf potentielle Lebendspender die Spende unter einander im Sinne des Gesetzes eng verbundenen beziehungsweise nahestehenden Individuen grundsätzlich autonom und die Spende gegen Entgelt grundsätzlich nicht-autonom sein soll, kann man bei unvoreingenommener Betrachtung kaum nachvollziehen. In beiden Fällen kann das eine oder das andere zutreffen. Dementsprechend müsste man in beiden Fällen die Autonomiebedingungen gleichermaßen prüfen und beides, die unentgeltliche und die entgeltliche Hergabe eines Organs zulassen, wenn bestimmte autonomie-sichernde Bedingungen erfüllt sind (oder beides generell verbieten). Es wäre beispielsweise ohne weiteres möglich, die Anforderung aufzustellen, dass derjenige, der ein nicht überlebensnotwendiges Organ oder Gewebe gegen ein Entgelt abgeben möchte, in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen leben muss.

Aber unser Unbehagen hat vermutlich tiefere Wurzeln. Solange es keinen Markt für die Nieren gibt, entgehen uns dadurch, dass wir unsere Nieren selber nutzen, keine monetären Erträge (es gibt keine Opportunitätskosten für den Gewebe- oder Organbesitzer). Sobald es möglich ist, Gewebe- oder Organe zu entgeltlich zu veräußern, würden vermutlich Menschen fürchten, derartige Entscheidungen über die effiziente Nutzung der ihnen zugänglichen Ressourcen bewusst treffen zu müssen. Das könnte ihnen selbst bei einem ausreichenden Schutz vor übereilten Spontanentscheidungen als bedrohlich erscheinen.

Die vorangehenden Bedenken sind gewiss weit gewichtiger als die üblicherweise angeführten Befürchtungen, dass die Verkäuflichkeit von Organen zu Beschaffungskriminalität und Schwarzmärkten führen würde. Wie wir alle wissen, sind legale Märkte tendenziell sauber und illegale Austauschbeziehungen tendenziell schmutzig. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass illegale Zahlungen und illegale Praktiken durch eine legale Alternative begünstigt würden. Das Gegenteil ist der Fall.

Die Befürchtung, dass sich bei Erlaubnis von Zahlungen für lebende Organe die Reichen die Organe der Armen kaufen würden, kann man nicht von der Hand weisen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass eine relativ arme Person in geordneten Verhältnissen keineswegs zur Hergabe des Organs gezwungen wird. Die Zustimmung erfolgt, weil diese Person davon überzeugt ist, in ein Geschäft zum wechselseitigen Vorteil einzutreten. Möglicherweise irrt sie sich, doch wird man wohl kaum annehmen dürfen, dass sich jede derartige Person notwendig immer über ihre wahre Interessenlage irren müsste.

Dennoch dürfte es für das Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Gesellschaft nicht eben förderlich sein, wenn eine Gruppe die Organe einer anderen aufkaufen könnte. Es ist aber keineswegs ausgeschlossen, die Organe von lebenden Spendern weiterhin nach den Regeln medizinischer Bedürftigkeit zu verteilen, sie jedoch durch den Staat beziehungsweise große Versicherungen gegen hohe (möglicherweise sogar über Marktpreisen liegende) Entschädigungen ankaufen zu lassen. Das könnte man durchaus als Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität sehen.

Auch die letzte Alternative muss man nicht akzeptieren wollen, aber man sollte sich doch etwas sorgfältiger und weniger leichtfertig, als das bislang geschieht, mit Themen dieser Art auseinander setzen. Der simple Beißreflex gegen jede Art von Geldzahlungen einschließlich der Möglichkeit von Zuschüssen zu Beerdigungen im Falle der postmortalen Spende scheint jedenfalls angesichts der involvierten Interessen schwerstkranker Menschen wenig angemessen. Etwas mehr im weitesten Sinne ordnungspolitischer Kreativität scheint indiziert. Nach Nebenwirkungen sollte man allerdings nicht den Arzt oder Apotheker, sondern eher den Ökonomen fragen.
Literatur

Wesentliche Aspekte findet man ausführlicher behandelt in: Breyer, F., van den Deale, W., Engelhard, M., Gubernatis, G., Kliemt, H. et al. (2006): Organmangel. Ist der Tod auf der Warteliste unvermeidbar? Berlin und Heidelberg.

Eine politische Stellungnahme, die das Subsidiaritätsprinzip betont, findet man bei der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. 
Entscheidungstheoretische Hintergründe zur Organallokation im Eurotransplantverbund findet man in der frei im Netz zugänglichen Sondernummer „Making Choices in Organ Allocation“ der Zeitschrift Analyse & Kritik

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