Ehegattensplitting
Eine von vielen Merkwürdigkeiten des progressiven Einkommensteuersystems

Familien werden in Deutschland als wirtschaftliche Einheiten gesehen. Das dürfte neben seiner normativen Basis auch schlicht die gesellschaftliche Realität widerspiegeln – spätestens, wenn Kinder im Spiel sind. Der Realität entspricht es auch, dass es in aller Regel die Eltern sind, die das Haushaltseinkommen erwirtschaften, entweder jeweils zu einem Teil oder – im Rahmen einer eher traditionellen Rollenteilung – durch einen Ehepartner allein. Insoweit ist es nicht ganz abwegig, wenn der Fiskus das insgesamt erwirtschaftete Familieneinkommen im Rahmen des Ehegattensplittings zunächst einmal zusammen rechnet, und zwar unabhängig davon, wer wie viel zum Familieneinkommen beigetragen hat. Erst dann wird ein gemeinsamer Steuersatz auf das gesamte Einkommen angewendet. Auf diese Weise kann die Familie dann ganz nach eigenem Gusto entscheiden, wer welche Rolle einnimmt, wer also in welchem Maße das Geldeinkommen erwirtschaftet und wer sich in welcher Weise um andere Dinge kümmert. So lange der Staat die Familie als eine wirtschaftliche Einheit betrachtet, sorgt die Zusammenrechnung des Einkommens der Ehepartner dafür, dass die Rollenverteilung innerhalb einer Familie allein den persönlichen Vorlieben der Eheleute folgt und die Besteuerung darauf keinen Einfluss nimmt.

Hört man sich in der familienpolitischen Diskussion aber einmal um, so scheint das Ehegattensplitting das glatte Gegenteil davon zu bewirken – und diese Einschätzung kommt nicht (allein) aus dem Munde steuerpolitischer Laien, sondern gerade auch vonseiten durchaus renommierter Steuerexperten. Wie ist das möglich?

Sehen wir uns zunächst den folgenden Fall an. Angenommen, ein Ehemann verdiene 30.000 € im Jahr. Dann muss er nach der Splittingtabelle (2007) 3.084 € Einkommensteuer zahlen. Verdient nun seine Ehefrau 10.000 € hinzu, so muss das Ehepaar noch einmal 2616 € zusätzlich entrichten. Würde die Ehefrau unabhängig von ihrem Ehemann veranlagt, dann müsste sie laut Grundtabelle gerade mal 398 € bezahlen. Für jede hundert Euro, die die Ehefrau dann über die 10.000 € hinaus verdienen würde, müsste sie im Falle der getrennten Veranlagung 19 € zusätzliche Steuern zahlen. Im Falle der gemeinsamen Veranlagung wären das nicht weniger als 26 €. Umgekehrt müsste der Ehemann für seine 30.000 € im Falle der getrennten Veranlagung nicht 3.084 € Steuern zahlen, sondern stolze 5.807 €. Für jede hundert Euro, die er über seine 30.000 € hinaus verdienen würde, zahlte er im Falle der getrennten Veranlagung 32 € zusätzlich an Steuern, im Falle des Ehegattensplitting hingegen nur 26 €.

Das Ehegattensplitting erhöht also den für die Arbeitsmotivation entscheidenden Grenzsteuersatz der Ehefrau, während er jenen des Ehemannes senkt. Auf diese Weise demotiviert das Ehegattensplitting offenbar die Arbeitsaufnahme des weniger verdienenden Ehepartners – in der Regel der Frau – und fördert die traditionelle Arbeitsteilung, wonach die Frau zu Hause bleibt und die Erwerbsarbeit ihrem Mann überlässt. Es scheint also recht eindeutig eine diskriminierende Wirkung des Ehegattensplittings gegenüber berufstätigen Ehefrauen auszugehen. Doch bevor wir uns diesem Urteil endgültig anschließen, sollten wir uns ein anderes Beispiel ansehen.

Angenommen, das Ehepaar entscheide sich dazu, Erwerbs- und Hausarbeit zu je gleichen Teilen zu tragen und damit der traditionellen Arbeitsteilung zu entfliehen. Der Mann verzichte insoweit auf die Hälfte seines Einkommens von 30.000 € und überlasse es seiner Frau, diese Hälfte zu verdienen. In der eingesparten Zeit kümmere er sich um den Haushalt. In diesem Falle verdienten beide je 15.000 € und zahlten nach Splittingtabelle zusammen 3084 € Einkommensteuern, genau so viel, wie der Ehemann als Alleinverdiener zahlen würde. Die beiden könnten sich die Arbeit auch anders teilen, z.B. 10.000 € zu 20.000 €, 25.000 € zu 5.000 € oder wie auch immer. Immer würden sie zusammen genommen 3084 € an Einkommensteuern zahlen. Anders ausgedrückt: Der Staat verhält sich gerade mit dem Instrument des Ehegattensplitting offenbar vollkommen neutral mit Blick auf die Frage, wer zu welchen Teilen etwas zum Familieneinkommen beiträgt. Im Gegensatz dazu würde eine getrennte Veranlagung allein eine ganz spezifische Form der Arbeitsteilung belohnen, nämlich die je hälftige Erwerbs- und Hausarbeit für Mann und Frau. In diesem Falle würde jeder 15.000 € verdienen und davon jeweils 1542 € Einkommensteuer zahlen, zusammen also wieder 3084 €. Jede davon abweichende Arbeitsteilung der Ehepartner würde durch den Staat konsequent mit höheren Steuern bestraft. So würde bei einer Aufteilung von 10.000 € zu 20.000 € ein Ehepartner 398 € und der andere 2850 € zahlen, zusammen wären das also 3.248 €. Sollte es sich ein Ehepaar also herausnehmen, die innerfamiliäre Arbeitsteilung anders vorzunehmen als vom Staat vorgesehen, so würde dieses Ehepaar mit 200 € zusätzlicher Steuerlast bestraft. Dies ist der zweite Befund, der dem ersten offenbar widerspricht.

Der erste Befund besagt, dass das Ehegattensplitting berufstätige Ehefrauen diskriminiert, und der zweite besagt, dass allein das Ehegattensplitting nicht diskriminierend wirkt, sondern sich gerade neutral gegenüber der Arbeitsteilung in der Ehe verhält. Beides ist richtig – und falsch, je nach Perspektive. Der erste Befund beruht darauf, dass die steuerliche Behandlung des Zusatzverdienstes der Ehefrau einmal unter den Bedingungen der getrennten Veranlagung und einmal unter jenen des Ehegattensplittings untersucht wird. Der zweite Befund hingegen betrachtet die Ehe als wirtschaftliche Einheit und unterscheidet bei jedwedem Zusatzverdienst nicht nach dessen Quelle – daher die Neutralität. Aus der jeweils gegebenen Perspektive kommen beide zu völlig einleuchtenden Ergebnissen. Und doch unterliegt der erste Befund einem Denkfehler. Dieser liegt aber bereits im Aufbau der Perspektive selbst begründet. Es ist nämlich gedanklich inkonsistent, die Ehe zunächst als wirtschaftliche Gemeinschaft zu definieren und sodann die Teile der Gemeinschaft dann doch wieder aufzusplitten, um nach den steuerlichen Wirkungen eines Hinzuverdienstes für nur einen Teil der Gemeinschaft im Vergleich zu nicht verheirateten Einzelpersonen zu suchen. Konkret ausgedrückt: Aus steuerlicher Sicht ist es im Falle des Ehegattensplitting für die Wirtschaftsgemeinschaft Ehe stets völlig unbedeutend, wer irgendetwas hinzuverdient und wie viel. Wenn der Gemeinschaft irgendein zusätzliches Einkommen zufließt, wird dieses Zusatzeinkommen immer gleich besteuert. Ob die Ehefrau (oder der Ehemann) erstmalig eine Arbeit aufnimmt und damit 10.000 € zum Eheeinkommen beisteuert, oder ob der Mann sein Einkommen von 30.000 € auf 40.000 € erhöht, ist steuerlich das gleiche. Die zweite Seite derselben Medaille ist aber: Ob eine Frau oder ein Mann 10.000 € allein für sich oder im Rahmen einer Ehe hinzuverdient, das ist nicht egal.

Man mag nun argumentieren, dass die Ehe als wirtschaftliche Gemeinschaft selbst schon antiquiert ist, weil sie die Partner wirtschaftlich aneinander bindet und damit in gewissem Maße voneinander abhängig macht. Darüber soll an dieser Stelle aber nicht philosophiert werden. Auch die Frage, ob dies dann zwangsläufig zu einem Machtverhältnis zuungunsten der Ehefrau führen muss, kann und soll hier nicht entschieden werden. Wichtig ist für unsere Frage nur dies: Solange die Ehe als wirtschaftliche Gemeinschaft gesehen wird, ist die Aussage, dass das Ehegattensplitting die innereheliche Arbeitsteilung zugunsten des Alleinverdieners verzerrt, nicht stichhaltig. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Im Rahmen des Ehegattensplitting verhält sich der Staat steuerlich völlig neutral mit Blick auf die Arbeitsteilung innerhalb einer Wirtschaftsgemeinschaft Ehe. Daraus folgt: Wenn der Staat die Grenzsteuerbelastung des weniger verdienenden Ehepartners reduzieren will, um diesen Ehepartner steuerlich einer unverheirateten Person gleichzustellen, so geht dies nur um den Preis, dass er seine steuerliche Neutralität gegenüber der innerehelichen Arbeitsteilung verliert. Wer versucht, Neutralität zwischen Verheirateten und Unverheirateten und zugleich Neutralität innerhalb der ehelichen Arbeitsteilung herzustellen, verstrickt sich unweigerlich in Widersprüche.

Sucht man nun nach den tieferen Ursachen dieser Widersprüche, so wird man schnell fündig, und zwar bei der Steuerprogression. Denn mit der Entscheidung für eine getrennte Veranlagung, einem Ehegattensplitting oder auch einem Familiensplitting werden die Ehepartner lediglich auf den verschiedenen Progressionsstufen des Einkommensteuertarifs hin- und hergeschoben. Mit einem linearen Tarif verschwindet das Problem der ein oder anderen Diskriminierung von selbst – und mit ihm übrigens eine ganze Liste weiterer Probleme. Daher besteht der Ausweg aus den Widersprüchlichkeiten des Ehegattensplittings schlicht in einem linearen Einkommensteuertarif. Das zu fordern, lässt allerdings landauf landab alle Alarmglocken läuten. Denn es gilt als ausgemacht, dass ein linearer Einkommensteuertarif erstens ungerecht und zweitens unrealistisch ist. Und was als ausgemacht gilt, braucht nicht mehr sachlich überprüft zu werden. Oder doch? Ein Blick auf die Zahlen sollte reichen, um den Glauben an die unumstößliche Notwendigkeit des progressiven Einkommensteuertarifs zumindest ein wenig zu erschüttern. Im Jahre 2006 betrug der Anteil der Einkommen- und Körperschaftssteuererträge des Staates am Volkseinkommen 9,3 %. Das wäre der Durchschnittssteuersatz, wenn sämtliche Faktoreinkommen in Deutschland mit einer einheitlichen Einkommensteuer belegt würden, egal von wem sie erwirtschaftet werden. Wenn der Staat nun aus sozialen Gründen ganze zwei Drittel dieser Einkommen komplett steuerfrei stellen und nur das restliche Drittel mit einem einheitlichen linearen Steuersatz von 28 % besteuern würde, dann wären die Steuereinnahmen exakt so groß wie die jetzigen Einnahmen des Staates aus Einkommen- und Körperschaftssteuer zusammen. Jeder mag für sich selbst entscheiden, ob das ungerecht oder unrealistisch ist. In jedem Falle aber würde es viele Probleme lösen, von denen die Merkwürdigkeiten des Ehegattensplittings nur eines sind.

Thomas Apolte
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4 Antworten auf „Ehegattensplitting
Eine von vielen Merkwürdigkeiten des progressiven Einkommensteuersystems

  1. Pingback: roberthesse
  2. Ein klarer Vorteil in einem System der Steuerprogression: Denn je höher das Einkommen ausfällt, desto stärker steigt die Steuerlast. Doch das „Splitting“ war von Anfang an nicht unumstritten. Die SPD war bei der Einführung unter CDU-Kanzler Adenauer dagegen, woran sich bis heute nichts geändert hat. Auch Grüne und Linkspartei plädieren für die Abschaffung.

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