Stellen wir uns folgende fiktive Situation vor: Vor ein paar Tagen sind neue Zahlen zu Verkehrsdelikten veröffentlicht worden – ein emotional besetztes Thema, bei dem die politischen Wogen hoch schlagen. Und flugs hat die Opposition nachgerechnet und festgestellt, dass pro Polizist im eigenen Bundesland weniger Delikte geahndet werden konnten als im Nachbarbundesland. Eine niedrige Zahl von Verkehrssündern (pro eingesetztem Polizisten) kann nun ja bedeuten, dass die Autofahrer sich bewundernswert korrekt im Straßenverkehr verhalten. Aber mancher Zeitgenosse wird diese wohlmeinende Interpretation wohl rasch verwerfen und dann eher die Überlastung oder die veraltete Ausstattung der Polizei als Erklärung vermuten. Die Opposition könnte das Thema aufgreifen und eine sofortige Aufstockung der Polizeikräfte von der Regierung fordern. Diese wiederum würde vermutlich bedauernd auf die leeren Haushaltskassen verweisen.
Diese fiktive Situation aus dem täglichen Politikbetrieb kann sich wohl jeder von uns vor das geistige Auge rufen. Dabei bleibt aber die Frage nach der Interpretation und der Aussagekraft der gebildeten Kennzahl unbeachtet. Was würde passieren, wenn tatsächlich mehr Polizeikräfte für Verkehrskontrollen eingestellt würden? Da davon ausgegangen werden kann, dass man sich bei den bisherigen Kontrollen vor allem auf die Brennpunkte konzentriert hat, müssten die neuen Polizisten nun an Stellen Kontrollen durchführen, die bisher durch weniger Delikte aufgefallen sind. Die Anzahl der aufgeklärten Verkehrsdelikte pro Polizist würde also sinken! Wenn nun sogar noch die Verkehrsteilnehmer feststellen würden, dass es mehr Kontrollen gibt und ihr Verhalten deshalb verstärkt den Verkehrsregeln anpassen würden, fiele die Anzahl der aufgeklärten Verkehrsdelikte pro Polizist nochmals. Die Maßnahme, mehr Polizeikräfte einzustellen, würde also vermutlich gerade dazu führen, dass bei der nächsten Evaluierung die Kennzahl „geahndeter Verkehrsdelikte pro Polizist“ deutlich sinken würde. Die Opposition würde erneut aufschreien.
Das Beispiel verdeutlicht, dass Evaluierungen und Vergleiche, die sich ausschließlich an Kennzahlen orientieren, häufig nur auf den ersten Blick klare Erkenntnisse liefern. Denn im vorliegenden fiktiven Bundesland wäre es ansonsten am sinnvollsten, möglichst viele Polizisten zu entlassen, um beim nächsten Bundeslandvergleich vermeintlich glänzend dazustehen.
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