Der Chefsvolkswirt
Investitionsgüterindustrie – Nachhaltiger Erfolg basiert auf zahlreichen Faktoren

Das weltwirtschaftliche Wachstum wird seit Beginn des letzten Jahrzehnts maßgeblich durch eine dynamische Entwicklung in den Emerging Markets bestimmt, die vor allem mit einer forcierten Industrialisierung einhergeht (vgl. Abb. 1). Deren Motor ist der enorme Nachholbedarf an industriellen Produkten in diesen Ländern. Aktuell gibt es zwar manche Fragezeichen, ob nicht die wirtschaftliche Entwicklung namentlich in den BRIC-Ländern an Dynamik verliert und somit weniger Impulse für die Weltwirtschaft insgesamt und in Sonderheit für die Nachfrage nach Investitionsgütern liefert. Denn 2013 hat das erlahmende Weltwirtschaftswachstum vor den Toren dieser Länder nicht haltgemacht. Nicht nur für Indien und Brasilien haben sich – mit dem Auslaufen ausländischer Kapitalzuflüsse und anschließenden Rückflüssen – die Wachstumserwartungen nicht erfüllt. Auch die chinesische Wirtschaft hat eine Wachstumsabschwächung erfahren, da sie sich in einem gigantischen, politisch verordneten Umstellungsprozess hin zu einer mehr binnenmarktorientierten Entwicklung befindet. Russland bekommt seine einseitige Abhängigkeit von Rohstoffexporten zu spüren. Allgemein sind ungelöste strukturelle Probleme und institutionelle Schwächen in den Emerging Markets wieder stärker in das Blickfeld von Investoren geraten. Die Euphorie ist also verflogen. Dennoch sollte sich vom Trend her das Wachstum in den sogenannten Schwellenländern, und das sind weit mehr als die oft zitierten BRIC-Staaten, auch in Zukunft fortsetzen, wobei die Dynamik von Jahr zu Jahr durchaus unterschiedlich sein kann. Aber da diese Länder im weltweiten Kontext heute über ein spürbar größeres Gewicht als beispielsweise in den 1990er-Jahren verfügen, gehen inzwischen selbst von niedrigeren Wachstumsraten, absolut gesehen, stärkere Impulse für die Weltwirtschaft aus als seinerzeit. Das Grundmuster des Industrialisierungsprozesses und die sich daraus ableitenden Konsequenzen für die strategische Ausrichtung der auf diese Märkte hin orientierten Unternehmen sind nicht in Frage zu stellen. Auch für die Zukunft eröffnen sich hier ergiebige Absatzpotenziale.

Industrialisierung
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Der deutschen Wirtschaft ist es bisher sehr gut gelungen, Absatzchancen in den neuen Wachstumsmärkten zu nutzen. Das lässt sich am Beispiel des deutschen Maschinenbaus belegen. So beruht ein Großteil seines ungewöhnlich langen und ungewöhnlich kräftigen Produktionswachstums der Jahre 2005 bis 2008 auf der Investitionsgüternachfrage der Schwellenländer. Auch die kräftige Erholung nach dem heftigen Einbruch während der Wirtschaftskrise geht wesentlich auf das Konto dieser Länder, allen voran der Volksrepublik China. Und die Grundvoraussetzungen sind günstig, dass die deutsche Wirtschaft auch künftig in besonderer Weise profitieren wird. Denn sie ist sowohl export- als auch importseitig deutlich stärker als andere fortgeschrittene Volkswirtschaften in den globalen Warenaustausch und die internationale Arbeitsteilung eingebunden. Zudem verfügt sie durch ihr breit angelegtes Branchenspektrum über ein überaus vielfältiges Angebot an hochwertigen Produkten, wie es andere Länder, die häufig spezialisierter sind, nicht vorweisen können. Eine besondere Rolle in diesem industriellen Produktportfolio wiederum nehmen die Investitionsgüter ein, die generell beim globalen Auf- und Ausbau industrieller Fertigungen gefragt sind und zudem im Rahmen bedeutender „Megatrends“ auf weltweit steigende Nachfrage stoßen, sei es im Bereich des Klimaschutzes und der Ressourcenschonung, in den Bereichen Transport und Mobilität, Gesundheit und Alterung oder Information und Vernetzung.

Trotz guter Ausgangslage ist und bleibt es für deutsche Unternehmen jedoch eine Herausforderung, ihre Position in den neuen Wachstumsmärkten dauerhaft zu sichern. Denn der Wettbewerb dort verschärft sich. Vor allem wachsen in diesen Regionen selbst starke Konkurrenten heran, die zunehmend auch international aktiv sind. So ist China schon heute weltweit größter Exporteur von Industriegütern. Im Maschinenbau und ebenso in der Stahlindustrie und im Automobilsektor hat sich das Land innerhalb kurzer Zeit zum größten Produzenten weltweit entwickelt und nimmt in einigen Produktsparten im Welthandel bereits die führende Position ein. Chinesische Anbieter sind dabei bisher vor allem auf die Segmente der einfacheren und mittleren Technologie ausgerichtet. Die deutschen Anbieter agieren vornehmlich im High-End- und oberen mittleren Segment. Mit dieser „Nischenstrategie“ sind sie bisher gut gefahren. Doch bei strategischen Überlegungen zur Verteidigung der eigenen Wettbewerbsposition spielt neben der Notwendigkeit, über möglichst „einmalige“, nur schwer imitierbare technologische Kompetenzen zu verfügen, die Frage der schieren Marktgröße eine zunehmend wichtige Rolle.

Erfolg der deutschen Investitionsgüterindustrie basiert auf vielen Faktoren

Aus heutiger Sicht betrachtet, ist eine ganze Reihe von Erfolgsfaktoren für die gute Marktposition der deutschen Anbieter verantwortlich:

    • Hervorzuheben ist zunächst die traditionell starke Auslandsorientierung der deutschen Unternehmen. Der Anteil der Exporte bzw. der Importe am BIP liegt in Deutschland bei rund 50 Prozent, während ähnlich große Volkswirtschaften wie Italien oder Frankreich Werte von teils weniger als 30 Prozent aufweisen (vgl. Abb. 2). So trägt auch der deutsche Maschinenbau seit Jahren unangefochten den Titel des Exportweltmeisters. Drei von vier in Deutschland produzierten Maschinen bzw. Maschinenkomponenten gehen ins Ausland. Gleichzeitig stammt aber auch mehr als jedes zweite im Inland abgesetzte Maschinenbauerzeugnis aus dem Ausland. Die aktuell kontrovers geführte Diskussion um die Frage deutscher Handelsbilanzüberschüsse hier einmal außen vor, ist die über Jahre verteidigte führende Position im Welthandel eindrucksvoller Beleg dafür, dass es deutschen Anbietern grundsätzlich besser als vielen ihrer Konkurrenten gelingt, in den neuen Wachstumsmärkten Fuß zu fassen.

Außenorientierung
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  • Ihre starke internationale Wettbewerbsposition verdankt die deutsche Wirtschaft vor allem ihrer Innovationskraft. Deutschland liegt bei den transnationalen Patentanmeldungen mit an der Spitze, der deutsche Maschinenbau ist Patentweltmeister. Bei den für den Maschinenbau charakteristischen Produkten der hochwertigen Technologie ist die deutsche Industrie Weltmarktführer.
  • Diese Spitzenposition wäre kaum denkbar ohne die hohe Qualifikation der Mitarbeiter. Entscheidend ist das Zusammenwirken von natur- und ingenieurwissenschaftlicher Exzellenz mit einem breiten Know-how der beruflich qualifizierten Fachkräfte. Gerade hinsichtlich der Fachkräftekompetenz hebt sich Deutschland von anderen Volkswirtschaften ab. Im deutschen Maschinenbau ist jeder sechste Mitarbeiter qualifiziert als Ingenieur. Hinzu kommt ein hoher Anteil hervorragend ausgebildeter, erfahrener Facharbeiter, Techniker und Kaufleute.
  • Deutsche Unternehmen sind auch deshalb bei Kunden in aller Welt geschätzt, weil sie in der Lage sind, umfassende „Systemangebote“ zu realisieren. Komplexe, maßgeschneiderte Problemlösungen und eine Palette begleitender Dienstleistungen aus einer Hand anbieten zu können statt standardisierter Massenprodukte, erweist sich immer mehr als Wettbewerbsvorteil. Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sind sich der Chancen eines forcierten Dienstleistungsangebots durchaus bewusst; es steht regelmäßig ganz oben auf ihrer strategischen Agenda.
  • Die Fähigkeit zur Systemintegration resultiert aus einer nahezu einzigartigen branchenübergreifenden Zusammenarbeit in Wertschöpfungsketten und Clustern. Dank breiter Industriebasis und wachsender Bereitschaft zur Branchen übergreifenden Vernetzung, auch unter Beteiligung öffentlicher Forschungseinrichtungen, gelingt es, unterschiedliches Know-how zu verknüpfen und so innovative Lösungen zu erarbeiten. Eine ähnlich breit aufgestellte Industrielandschaft gibt es in Europa allenfalls noch in Norditalien, dort aber besetzt mit einer Vielzahl von Klein(st)betrieben, die zwar innerhalb Europas als Wettbewerber wahrzunehmen sind, aber mehrheitlich kaum die finanziellen und vor allem personellen Ressourcen besitzen, um wirklich global zu agieren.
  • Ein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Industrie sind ihre besonderen mittelständischen Strukturen – ein Garant für die Vielfalt an Innovationsimpulsen wie auch für die Fähigkeit, flexibel auf spezielle Kundenbedarfe zu reagieren. Dabei ist der deutsche Mittelstand im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften durch eine Vielzahl größerer Familienunternehmen gekennzeichnet, die viel eher als kleinere Firmen in der Lage sind, ihre Produkte international abzusetzen. Mittelständisch geprägte Unternehmen mit Umsätzen im dreistelligen Millionenbereich findet man in anderen Volkswirtschaften bei Weitem nicht in dieser Anzahl wie in Deutschland. Davon profitieren wiederum auch kleinere Mittelständler – und umgekehrt. Denn der Aufbau effizienter Wertschöpfungsketten über verschiedene Branchen hinweg wird durch die enge Nachbarschaft und das Zusammenwirken von Mittelständlern aller Größenkategorien bis hin zum „Global Player“ wesentlich erleichtert.
  • Als Erfolgsfaktor ist auch zu werten, dass die deutschen Unternehmen heute über eine gute Ertragskraft und stabile Finanzierungsstrukturen verfügen, wozu Effizienzmaßnahmen in den Unternehmen selbst wie auch günstigere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen beigetragen haben. Der ehemals schwach kapitalisierte Mittelstand hat in den letzten zehn Jahren seine Eigenkapitalausstattung merklich verbessert. Außerdem haben laufende Prozessoptimierungen die Unternehmen besser in die Lage versetzt, schwankende Auftragslagen mit dem vorhandenen Kapitalstock „auszufedern“. Das Resultat war nach der Weltwirtschaftskrise 2009 ein – entgegen allen Erwartungen – nur sehr schwacher Anstieg der Insolvenzen. Das Augenmerk auch auf die betriebswirtschaftliche Seite des Unternehmens zu legen, hat sich in der zurückliegenden Krise bewährt. Denn dies war notwendige Bedingung dafür, am Erholungsprozess partizipieren zu können, und es ist unverzichtbar für eine Teilhabe am zukünftigen Wachstum.
  • Schließlich ist es den deutschen Unternehmen in den letzten Jahren gelungen, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern – dank moderater Lohnabschlüsse, Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes und Optimierung betrieblicher Prozesse. Hier deuten sich für die Zukunft allerdings Belastungen an. Zum einen ist dies die feste Kursentwicklung des Euro. Zum anderen lassen aktuell relativ hohe Lohnsteigerungen, die ausbleibende Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge und die zu erwartenden Belastungen aus der Absenkung des Renteneintrittsalters für langjährig Beschäftigte die Lohnstückkosten wieder stärker ansteigen.

Hinweis:
Die vollständige Version dieses Beitrags finden Sie in: WiSt – Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 2014, Heft 7.

2 Antworten auf „Der Chefsvolkswirt
Investitionsgüterindustrie – Nachhaltiger Erfolg basiert auf zahlreichen Faktoren“

  1. Eine glänzende Analyse und … man möchte mehr. Darf man ein wenig spekulieren?
    1) inwiefern bestand einfach Glück, dass globale Nachfrage mit dem deutschen Angebot übereinstimmte. In diesem Fall sind keine riskante und aufwändige Strukturinnovationen notwendig, sondern man kann von der strukturellen Bilanz leben. Vereinfacht ausgedrückt finanzieren die höheren Stückzahlen und Margen, die VW in China erwirtschaftet, technologische Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen in das Humankapital und Konkurrenzvorteil.
    2) Der Effekt „außenwirtschaftlichen Glücks“ hängt auch mit der Größe Deutschlands in der EU zusammen. Deutschland profitiert überdurchschnittlich und musste sich bisher – relativ – kaum an den Kosten beteiligen.
    3) Deutschland blüht in der globalen Nische „Verbinde High-Tech mit traditionellem Metall“ mit mittelständischen Unternehmen (Hidden Champions) auf. Athena, Göttin des Glücks, könnte sich aber auch wieder anderen Prozessen zuwenden. Wir stehen am Ende der Industrialisierung, in wenigen Jahrzehnten werden die wenigsten hier arbeiten (<10 %), ein für die gesellschaftliche Dynamik marginaler Wirtschaftsbereich wie die Landwirtschaft (1- 2 % der Beschäftigung).
    4) Im Bereich von (besonders aufwändigen und riskanten) revolutionären Durchbrüchen und neuen Basistechnologien hat sich der Rückstand zu den USA vielleicht eher noch erhöht.

    Mit anderen Worten, vom kranken Mann Europas ist für Deutschland innerhalb von 10 Jahren das Pendel umgeschlagen. Aussagen sind davon aber für die nächsten 10 Jahre kaum möglich. Es kann so bleiben, muss aber nicht, und dies lässt sich auch nur bedingt beeinflussen.

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