Hohe Strafen für Manager
Neulich auf einer Podiumsdiskussion in Frankfurt am Main: Die hohen Gefängnisstrafen für Top-Manager und die bevorstehenden Gerichtsverfahren gegen manche Top-Bank-Manager zeugten, so eine der diskutierten Thesen, von einem generell zunehmenden sittlichen Verfall des Managerverhaltens und unterstreiche die Tatsache, dass man einerseits stärker als bisher zwischen dem „guten“ und dem „hässlichen“ Manager unterscheiden müsse. Letzterer sei einer harten Strafe zuzuführen, die auch für andere abschreckend wirken müsse. Andererseits könnte die Härte der Strafzumessungen dazu führen, dass die Manager in Deutschland ihre persönliche Risikoaversion zukünftig zu stark erhöhten mit der Folge, dass notwendige risikobehaftete Innovationen zurückgeschraubt würden. In einem Industrieland wie Deutschland mit erheblichem Investitionsbedarf müsse dies nachteilige Folgen für die Zukunft haben. Seien die Strafen mithin unangemessen hoch, so richteten sie volkswirtschaftlichen Schaden an.
Technisches, pragmatisches, moralisches Handeln Â
Ob das alles so stimmt, sei dahingestellt. Hinter dieser Argumentation steht allerdings eine verwirrende Vermixung von Handlungsmotiven und der ihnen zugeordneten Strafzumessungen. Um im Kontext der Gegenwart Klarheit zu gewinnen, lohnt es sicher immer, einen Blick in die heutige überfließende und zuweilen inhaltlich-volatile Management-Literatur zu tun, die sich mit „Guter Unternehmensführung“ befasst. Aber interessanterweise haben auch und besonders manche vergangenen Altmeister der Philosophie viel zu sagen, wenn es um managementrelevante Grundformen menschlichen Handelns geht. So zum Beispiel Immanuel Kant, dessen „Kritik der praktischen Vernunft“ (1778) zu studieren, möglicherweise manchen Top-Manager vor dem Gefängnis bewahrt hätte bzw. bewahren würde.
Kant unterscheidet drei Grundformen menschlichen Handelns: technisches Handeln, pragmatisches  Handeln, moralisches Handeln. Technisches Handeln ist auf Objekte, Maschinen, Sachen gerichtet. In diesem Sinne erfordere es Geschicklichkeit des Handelnden. Pragmatisches Handeln bezieht sich auf Menschen und Interaktionen zwischen ihnen. Es bedürfe der Klugheit. Moralisches Handeln impliziert sittliche Normen, ethische Werte. Es verlange nach Weisheit.
Diese drei Grundformen menschlichen Handelns lassen sich auf drei Ebenen der Beurteilung und Gestaltung unternehmerischer sowie allgemein gesellschaftlicher Systeme zurückführen. Technisches Handeln benötigt das Wissen um die Sachzusammenhänge, pragmatisches Handeln setzt das Verstehen von Menschen voraus, basiert also im Kern auf Psychologie und Soziologie, moralisches Handeln enthält das Bewusstsein für werthafte Normen.
Die Kantsche Hierarchie der Imperative leitet sich unmittelbar aus diesen drei Ebenen bzw. Grundformen menschlichen Handelns ab. Technisches und pragmatisches Handeln, die instrumentellen Charakter besitzen und zielgerichtet sind, unterliegen dem hypothetischen Imperativ, moralisches Handeln, das keinen direkt teleologischen Charakter hat, dem kategorischen Imperativ. Wenn man es noch genauer wissen will: Der hypothetische Imperativ untergliedert sich wiederum in weitere zwei Imperative: den problematischen (für technische Handeln) und den assertorischen (für pragmatisches Handeln).
Die Wissenschaft habe sich nach Kant mit dem problematischen Imperativ zu beschäftigen, sie bezieht sich dann nur auf technisches Handeln. Alles andere gehöre in den Bereich der praktischen Philosophie. Was nun den berühmten kategorischen Imperativ für moralisches Handeln anlangt, so impliziert dieser – unabhängig von den bekannten alternativen Formulierungen – im Kern die Universalisierbarkeit des eigenen Handelns: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte“. Die Absicht des Handelnden und weniger die konkrete Folge seines Handelns steht im Vordergrund.
Die Hierarchie der Kantschen Imperative beginnt nun mit den auf technisches Handeln, sodann auf pragmatisches Handeln ausgerichteten Imperativen und endet in dem alles überspannenden kategorischen Imperativ. Im praktischen Tun – z. B eines Managers – verbinden sich die drei Imperative zu einer Einheit. Denn wer werthafte Normen setzt und also moralisches Handeln vorgibt, der wird die Konsequenzen auf die darunter liegenden Ebenen des technischen und des pragmatischen Handelns akzeptieren müssen. Und wer werthafte Normen auf der technischen und pragmatischen Ebene befolgt, hat über die Moralität dieser Normen nachzudenken. Wer aber als Manager gar keine werthaften Normen setzt, weil ihm keine einfallen oder keine für sich selbst als verbindlich erscheinen, handelt rein technisch und pragmatisch ohne Bindung zur Moralität. Zu viel dieses Handelns, das also rein technisch und pragmatisch hervorragend sein kann, aber eben zugleich auch werthaft-avers, endet für manche Manager (nicht) oft genug vor Gericht oder gar im Gefängnis.
Man wird sagen können, dass das Verhaltensmuster der Manager, die gegenwärtig zunehmend den Gerichtsverfahren ausgesetzt (worden) sind, keine wahrnehmbare Nähe zur Kantschen Kategorie moralischem Handelns haben zutage treten lassen. Das ist für sich genommen sicher nicht strafbar. Wohl aber sind es die Folgen, wenn allein technisch und pragmatisch orientierte Manager die „Sittlichkeit“, die Kant jedem moralisch Handelnden in seiner individuellen Freiheit zur Universalisierbarkeit seines Tuns als Bedingung vorgibt, strafrechtsrelevant außer Acht lassen. Der Handelnde ist ja zunächst frei in seiner Suche nach ethisch vertretbaren Normen seines Tuns.
Der gute und der hässliche Manager
Die Frage ist deshalb: Welche werthaften Normen des Manager- (und natürlich auch Unternehmer-) Verhaltens sind vertretbar? Hier kommt die eingangs zitierte Unterscheidung zwischen dem „guten“ und dem „hässlichen“ Manager bzw. Unternehmer ins Spiel. Wenn nicht alles täuscht, gibt es heute in Deutschland – im Gegensatz zum Beispiel zu den USA – eine breite öffentliche Meinungsbasis dafür, dass die Figuren des Unternehmers und Managers per se  wohl eher der „hässlichen“ denn der „guten“ Kategorie zuzuordnen sind.
Nicht zuletzt ist diese Tatsache durch die gegenwärtige Parteienzusammensetzung im Deutschen Bundestag abgebildet, deren Regierungsmehrheit – Â von den Intentionen der Oppositionsparteien ganz zu schweigen – Â sich zunehmender reglementierender Interventionsaktivitäten im Bereich der privaten Wirtschaft befleißigt, die sie stets „moralisch“ begründet, weil es doch in den Unternehmen keine rechte Moral zum Beispiel hinsichtlich Lohnsetzung und Frauenbeschäftigung gebe: Deshalb seien Mindestlöhne und Frauenquoten als politisch verordnete Hochmoral der Staatsmanager das Substitut für die diesbezüglich fehlende Moralität der Wirtschaftsmanager unabdingbar: die Politik als staatlicher Reparaturbetrieb angeblich fehlender Privatmoral. Hier wird von den Politikmanagern, falls sie sich auf ihn berufen sollten, der Kantsche kategorische Imperativ aus ideologischen Motiven und solchen der Wiederwahl machtmissbräuchlich pervertiert: Da sie selbst die „allgemeine Gesetzgebung“ bestimmen, brauchen sie sich um die Universalisierbarkeit als Test für die Sittlichkeit ihres Tuns gar nicht zu kümmern. Das wird besonders deutlich, wenn man zum Beispiel den gesamten Bereich der staatlichen Steuerverschwendung betrachtet, der durch das Handeln von Politikmanagern entsteht und von diesen – im Sinne einer Untreue gegenüber dem Steuerbürger – Â zu verantworten wäre.
Dass private Manager und Unternehmer – im unverständlichen Gegensatz zu Politikmanagern – Â eher zu den hässlichen, weil amoralischen, Figuren gezählt werden, liegt grundsätzlich wohl auch daran, dass ihr primäres Streben ja auf Gewinn, Wettbewerbsvorteile, Marktanteile, Effizienz usw. ausgerichtet sei, ohne auf die sozialen Belange der Arbeitnehmer, auf die natürliche Umwelt und auf den Staat als den prinzipiell über jeden Zweifel erhabenen Garanten des Gemeinwohls – also des Guten – genügend Rücksicht zu nehmen. Die Inkarnation dieser Attitüde gipfelt in dem Vorwurf gegenüber dem „hässlichen“ Manager, der seine Zielfunktion nur darin sehe, den shareholder value zu maximieren und sich selbst zu bereichern.
Der „gute“ Manager hat demgegenüber nicht (nur) die betriebswirtschaftlichen Erfordernisse des Unternehmens im Auge, sondern richtet sein Handeln auch an den Belangen des sozialen Umfeldes – der Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten, Kapitalgeber, Kirchen, des Staates usw., also der stake holder – aus. Es scheint, als ob der in diesem Sinne „gute“ Manager der heutigen politisch korrekten Interpretation der Kantschen Kategorie des moralischen Handelns am nächsten kommt.
Aber dies ist eine Fehlinterpretation, denn der „gute“ Manager heutiger öffentlicher Akzeptanz ist in seiner Freiheit, Werte für sein moralisches Handeln zu wählen, insofern eingeschränkt, als er offensichtlich bestimmten sozialethischen Kollektivvorgaben unterworfen ist. Die Basis des Kantschen kategorischen Imperativs sind dagegen individualethische Normen: Der Handelnde ist zunächst frei in der Suche nach ethisch vertretbaren Normen seines Tuns. Die moralische Messlatte für die Wahl ethischer Normen ist die Universalisierbarkeit seiner Handlungen, die dann zu dem erwähnten Test für deren Sittlichkeit erhoben wird.
Universalisierbarkeit als Sittlichkeitstest
Diese Universalisierbarkeit entspringt nicht primär einem Ansatz zur kollektiven Disziplinierung der Handlung anderer, sondern sie ist in erster Linie als die vom Handelnden selbst individuell gesetzte Norm zur ethischen Bindung und Disziplinierung seines eigenen Handelns anzusehen, ist also zuvorderst reflexiv gemeint. Die Universalisierbarkeit als Sittlichkeitstest ist sozusagen der innere Kompass für moralisches Handeln.
Dieser Test mag einen einzelnen Manager, der Entscheidungen treffen muss, schnell überfordern. Deshalb kann man in der Tradition Kants durchaus generelle Regeln oder Prinzipien formulieren, die zur ethischen Orientierung hilfreich sind. So ist die Ordnungstheorie hier ein entscheidender Wegweiser mit ihrem Grundgedanken eines wettbewerblich organisierten Marktsystems: In ihr orientiert sich moralisches Handeln grundsätzlich an der marktgesetzlich determinierten Ordnung. Die eingangs erwähnte Hypothese der möglichen strafeninduzierten Erhöhung der Risikoaversion von Managern mit der Folge geringerer risikobehafteter Zukunftsinvestitionen, erscheint an dieser Stelle unbegründet, weil innerhalb dieser Ordnung zwar nicht der Misserfolg ausgeschlossen ist, aber die Bestrafung prinzipiell auf dem moralischen Verhaltensdefizit der Manager basierte, das mit dieser Ordnung nicht kompatibel ist. So verträgt sich mit dieser Ordnung kein Verhalten, das zum Beispiel den Betrug, die Untreue, die Korruption, den Vertragsbruch oder den monopolistischen Machtmissbrauch erlaubt, denn sie alle können kein Prinzip für eine allgemeine Gesetzgebung sein.
Kant kann vor Gefängnis schützen     Â
Manager also, die den Tatbestand zum Beispiel der Untreue gegenüber ihrer eigenen Firma, der Korruption, der Steuerhinterziehung und Steuerverschwendung gegenüber der Gemeinschaft individualethisch zu rechtfertigen suchen und diese Rechtfertigung auf der Basis ansonsten (höchst)erfolgreichen technischen und pragmatischen Handelns geschieht, verfehlen den Kantschen Sittlichkeitstest. Sie liefern sich damit der Gerichtsbarkeit aus, auch wenn sie im technischen und pragmatischen Sinne erfolgreich sind. Technischer und pragmatischer Erfolg allein rettet sie auch nicht vor dem Label des „hässlichen“ Managers oder Unternehmers. Denn Vertragsbruch, Untreue, Korruption, Betrug, Steuerhinterziehung und Steuerverschwendung sind nicht universalisierbar, wenn das Gesellschaftssystem funktionieren soll. Kant kann also vor Gefängnis schützen.
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Eine Antwort auf „Immanuel Kants kleine Handlungsanleitung für Top-Manager, die nicht ins Gefängnis wollen“