I.
Ein Blick auf die Aktien- und Kreditmärkte sowie die wirtschaftlichen Stimmungsindikatoren weltweit mag den Eindruck geben, die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise sei überwunden: Der Abschwung der Konjunkturen scheint zumindest gestoppt zu sein, und zaghafte Besserungstendenzen mögen hier und da erkennbar sein. Eine solche Schlussfolgerung liegt wohl vor allem am Begriff „Krise“: Mit Krise werden ja üblicherweise Rückgang der Produktion, eine steigende Zahl von Firmenpleiten und wachsende Arbeitslosigkeit verbunden. Aus ökonomischer Sicht kann dieser Interpretation jedoch nicht ohne weiteres zugestimmt werden.
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Die als Krise bezeichnete Entwicklung der letzten zwei Jahren ist ein (durchaus schmerzlichen) Bereinigungsprozesses, verursacht durch das Jahrzehnte währende Ausweiten der Kredit- und Geldmengen durch die staatlichen Zentralbanken in nahezu allen Ländern der Welt. Für solch einen Befund spricht vor allem die Tatsache, dass sich die Krisensymptome in allen Wirtschaftsbereichen mitunter gleichzeitig zeigen – also sowohl im Finanzsektor als auch in den verschiedenen Sparten des produzierenden Sektors.
Solch ein geballtes Auftreten von unternehmerischen Fehleinschätzungen – dem sogenannten „Cluster of Error“, wie der amerikanische Ökonom Murray N. Rothbard (1926 – 1995) sie bezeichnete – ist ein deutlicher Hinweis für einen monetär verursachten Konjunkturzyklus, wie er theoretisch von Vertretern der Österreichischen Schule der Volkswirtschaft – insbesondere Ludwig von Mises (1881 – 1973) und Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) – erklärt wird. „Cluster of Error“ sind aus Sicht der Österreicher unausweichliche Folge eines Ausweitens der Geldmenge durch die Kreditvergabe.
II.
Das zusätzlich durch Kredit geschaffene Geldangebot gaukelt ein erhöhtes Sparangebot vor, obwohl sich die Ersparnis der Volkswirtschaft, die für Investitionszwecke zur Verfügung steht, nicht ausgeweitet hat. Der künstlich verminderte (Markt)Zins verlockt zu Investitionen, die ohne das Heruntermanipulieren des Zinses nicht angegangen worden wären. Die Investitionen nehmen zu, das Sparen der Privaten nimmt ab, und ein größerer Teil des Einkommens wird für Konsum ausgegeben – so dass insgesamt die monetäre Nachfrage das Ressourcenangebot übersteigt.
Das führt nicht nur zu steigenden Löhnen und Preisen für zum Beispiel Rohstoffe oder Vermögensbestände (Aktien, Häuser, Grundstücke etc.), sondern der künstlich gedrückte Zins verzerrt zudem auch die volkswirtschaftliche Produktionsstruktur. Die Güterproduktion wird zusehends kapitalintensiver; die „Umwegsproduktion“ steigt an. Ressourcen werden vermehrt in langfristigen Investitionsobjekten gebunden. Der Erfolg der neuen, durch niedrige Zinsen angestoßenen Investitionen und die neu entstandenen Arbeitsplätze hängen nun davon ab, dass der Marktzins auf dem künstlich verminderten Niveau verbleibt, oder dass er auf ein noch niedrigeres Niveau gesenkt wird.
Früher oder später werden die Ungleichgewichte jedoch offensichtlich. Private passen ihr Konsum-Spar-Verhältnis, das durch die Zinsmanipulation gestört wurde, an die ursprünglich gewünschte Relation an. Weil dadurch der Marktzins aber ansteigt, erweisen sich die Investitionen, die aufgrund des künstlich abgesenkten Zinses vorgenommen wurden, als „Flop“. Unternehmen kürzen daraufhin Produktion und Beschäftigung, und es kommt zur Rezession. Sie ist der Bereinigungsprozess, bringt die Produktions- und Beschäftigungsstruktur wieder in Einklang mit den Konsumentenwünschen. So gesehen ist der Aufschwung, angeheizt mit aus dem Nichts geschaffenem Geld, die Phase, in der Fehlinvestitionen auflaufen, und es ist der viel gescholtene Abschwung – „Krise“ –, der die Fehlentwicklungen bereinigt.
Wenn die Ursachendiagnose akzeptiert wird, dass zuviel Kredit und Geldschöpfung aus dem Nichts, provoziert durch ein künstliches Herabdrücken der Zinsen, die Kernursache für den Niedergang der Konjunktur ist, so kann in den aktuellen Politikmaßnahmen – insbesondere dem noch stärkeren Absenken der Leitzinsen auf Rekordtiefstände sowie dem drastischen Ausweiten der Basisgeldmengen – nicht die Lösung der Probleme gesehen werden, für die das Ausweiten der Kredit- und Geldmengen gesorgt hat, sondern sie sind vielmehr als Maßnahmen zu deuten, die die Ungleichgewichte und damit das Ausmaß der in die Zukunft verschobenen Bereinigungsrezession vergrößern.
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III.
Die Marktkräfte sorgen – soweit sie nicht durch Staatsinterventionen unterdrückt werden – für eine Bereinigung von Fehlentwicklungen. So schränken zum Beispiel Geschäftsbanken – dem Aufruf ihrer Kapitaleigner folgend – ihre risikobehafteten Engagements ein und verkleinern ihre Bilanzen („De-Leveraging“ und „De-Risking“). Stellen Banken aber fällige Kredite zur Rückzahlung und/oder verkaufen sie Risikopositionen (Wertpapiere, Kreditstrukturen etc.), so schrumpft die volkswirtschaftliche Kredit- und Geldmenge. Es kommt zur Deflation. Sie ist Begleiterscheinung der marktkonformen Neuausrichtung der Produktion, die der Inflation nachfolgt. Die Deflation bringt die (Finanz)Investitionen, die lediglich aufgrund einer immer weiter anschwellenden Kredit- und Geldmenge entstanden sind, zur Liquidation. Der deflationäre Anpassungsprozess wird umso schmerzlicher sein, je länger der vorangegangene, durch Kreditausweitung finanzierte Boom angedauert hat.
Unternehmenszusammenbrüche lassen die Arbeitslosigkeit ansteigen. Kreditausfälle bescheren Investoren, Sparern und Dauerschuldnern Verluste. Insbesondere die chronisch auf Pump finanzierten Umverteilungsstaaten könnten in einer Deflation rasch in eine prekäre Lage geraten: wenn nämlich der Kreditmarkt nicht mehr aufnahmefähig ist, und die Steuerzahler nicht bereit und/oder in der Lage sind, die Zins- und Tilgungszahlungen der ausstehenden Schulden zu leisten, und gleichzeitig die Politik nicht bereit und/oder in der Lage ist, die Staatsausgaben rasch genug zurückzuführen.
IV.
Das mag erklären, warum sich gegen eine Konjunkturabschwung stets Widerstand regt, warum es für das Kollektiv so schwierig ist, sich von einer Inflationspolitik, ist sie erst einmal längere Zeit beschritten worden, abzukehren. In seiner Nobelpreisrede vom 11. Dezember 1974 mit dem Titel “The Pretence of Knowledge“ wies Hayek auf eben diese Probleme hin: Die durch Inflation geformte Produktions- und Beschäftigungsstruktur kann durch ein immer weiteres Ausweiten der Kredit- und Geldmengen nur kurzfristig, nicht aber langfristig aufrechterhalten werden:
„What this policy has produced is not so much a level of employment that could not have been brought about in other ways, as a distribution of employment which cannot be indefinitely maintained and which after some time can be maintained only by a rate of inflation which would rapidly lead to a disorganization of all economic activity. The fact is that by a mistaken theoretical view we have been led into a precarious position in which we cannot prevent substantial unemployment from reappearing; not because, as this view is sometimes misrepresented, this unemployment is deliberately brought about as a means to combat inflation, but because it is now bound to occur as a deeply regrettable but inescapable consequence of the mistaken policies of the past as soon as inflation ceases to accelerate.“
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Mit dem Staatsgeldsystem haben sich die Volkswirtschaften auf einen Pfad eingelassen, auf dem sie mit immer mehr Kredit und Geld, bereitgestellt zu immer niedrigeren Zinsen, der Bereinigung zu entkommen suchen, die die Geldpolitik des unablässigen Ausweitens von Kredit und Geld zu immer niedrigeren Zinsen unausweichlich gemacht hat. Solch ein Bestreben erfordert jedoch immer weiter und tiefer gehende Einschränkungen der marktwirtschaftlichen Ordnung – und bedroht damit letztlich die Grundlage für friedvolle Kooperation und Prosperität der Volkswirtschaften.
Die jüngsten Zinssenkungen der Zentralbanken, verbunden mit staatlichen Konjunkturprogrammen, haben durchaus die Durchschlagskraft, die Wirtschaftsdaten kurzfristig positiv zu beeinflussen. Das jedoch wäre für sich genommen kein Anzeichen dafür, dass die Krise überwunden ist. Vielmehr halten die staatlichen Interventionen den Abbau der Ungleichgewichte auf und sähen die Saat für die nächste, vermutlich noch drastischere Bereinigungsrezession. Solange an einer Geldproduktion festgehalten wird, durch die die Geldmenge per Kredit ausgeweitet wird, kann wohl nur das Prinzip Hoffnung, nicht aber eine ökonomische Analyse zur Schlussfolgerung gelangen, dass die „Krise“ vorbei sei.
- Kurz kommentiert
Verbietet den Zentralbanken, Aktien zu kaufen - 12. September 2016 - Auf dem Weg in eine Welt ohne Renditen - 19. Juli 2016
- Frieden braucht Eigentum - 28. Mai 2016
Danke für den interessanten Artikel!
Für mich klingt das Ganze als sei die Krise nicht aufgeschoben, sondern eher kurzfristig vermieden worden. Was bedeuten würde, dass die eigentliche „Talsohle“, wie es immer so schön heißt, noch nicht wirklich erreicht ist. Die nächste Frage ist wie man sich mit staatlichen Eingriffen gegen eine Deflation wehren will, oder was eine aufkommende Deflation für folgen hätte? Vielleicht eine Idee für den nächsten Eintrag?
Ein interessanter Artikel. Leider scheint die Geldmengenexpansion vor der Krise und die österreichische Konjunkturzyklustheorie für die G20 bisher keine Rolle zu spielen. Mich würde interessieren, wie Sie die Chance einschätzen, dass es in Zukunft eine entsprechende Geldpolitik oder sogar eine Rückkehr zum Goldstandard gibt?
Guter Artikel! Leider erweist es sich als außerordentlich schwierig andere Menschen vom Problem staatlicher Leitzins und Geldmengensteuerung zu Überzeugen.
Ich sehe auch keine großen Chancen das die G20 in dieser Richtung etwas ändern möchte. Der Staat ist anchwievor Hauptprofiteur des gegenwärtigen Systems. Zudem löst sich das Problem mit einem Goldstandard nicht auf, sonlange der Staat das Monopol inne hat.
Herr Hank,
die Chance, dass umgelenkt wird, sehe ich als sehr gering an, und die Chance, dass Gold seine Rolle als ultimatives Zahlungsmittel unter Beweis stellen wird, sehe ich als sehr gross an.
Beste Gruesse
Thorsten Polleit
Wer das Konterargument hören möchte:
The Hangover Theory
Are recessions the inevitable payback for good times?
By Paul Krugman
http://www.slate.com/id/9593
Ach ja,
der Herr Krugman. Hatten wir das nicht erst ? Ich meine die Art und Weise wie er versucht die Dinge zu erklären sind einfach mind boggling.
Zu aller erst streite ich nicht ab, das seine „Theorie“ funktioniert. Sie funktioniert aber eben auch nur für eine bestimmte Zeit. Knut, hast Du denn schon wieder vergessen warum wir den weltweiten bust gehabt haben ( Welt leiht USA Kapital, diese geht shoppen – bust ) ? Und danach will Krugman wieder das gleiche machen ? Irgendwas ist hier faul …
Die Argumentation von den brain damaged central ( banking ) planners ist doch immer die gleiche : würden die USA nicht konsumieren, dann hätte die Welt nichts zu tun… ich meine, für wie bescheuert halten die die eigentlich die Welt ? Da sehen wir Summers wie er Obama überzeugt hat UNS klar zu machen, dass wir doch nun mehr konsumieren sollten damit die USA sparen können. Merkst Du nicht, dass das schon Zentralplanung ist ?
Überhaupt ist es mehr als verwunderlich, wenn sich Krugman als liberal ausgibt und am Ende staatliche Programme favorisiert… da kann man noch mit dem Kopf schütteln. Der nächste bust der kommt ist in US Treasuries. Denk mal drüber nach, warum …
Wer schließlich Krugmans Argumentation widerlegt sehen möchte:
Hangover Theory: How Paul Krugman Has Misconceived Austrian Theory
by David Gordon
http://mises.org/story/3579
@ Arne
Du vertrittst eine Theorie, die von dem Großteil der Ökonomenzunft (bis heute) als irrelevant abgestempelt wird und ich „vertrete“ eine Theorie, die in den 70ern von einem Großteil der Ökonomenzunft als irrelevant abgestempelt wurde, heute aber eine unerwartete Renaissance erlebt (nicht nur, weil sie Politikern so schön in den Kram passt, sondern auch weil sie sich in den vergangen 30 Jahren weiter entwickelt hat).
Zitat von G. Braunberger (unten im Kommentar):
http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=576
„Immer wieder lesenswert ist Carl-Christian von Weizsäckers Beitrag “Hayek und Keynes“ aus dem Ordo-Jahrbuch 2005. Weizsäcker zeigt dort, dass beide Schulen voneinander lernen können. Das setzt aber gegenseitigen Respekt voraus.“
Denk mal drüber nach …
Vielleicht auch interessant:
http://www.vwl.uni-freiburg.de/fakultaet/wt/data/downloads/articles/090418_landmann_baz.pdf
1.Es gibt viele monetäre Erklärungen des Konjunkturzyklus. Die Österreichische Schule liefert eine solche Erklärung, aber sie besitzt keinen Monopolanspruch! Es gab vor ihre solche Erklärungen, und nach ihr mit dem Monetarismus und dem Keynesianismus weitere. Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, sollte aber doch noch einmal erwähnt werden. Was bedeutet: Man kann in expansiver Geldpolitik eine Ursache für Boom und Bust sehen, muss deswegen aber kein Österreicher sein (die meisten Ökonomen sind es auch nicht).
2. Das Spezifische der Österreichischen Schule ist die Verbindung von monetärer Erklärung (da haben sie viel von Wicksell übernommen) mit der österreichischen Kapitaltheorie. Damit unterscheidet sie sich von anderen monetären Erklärungen.
3. Jede Theorie muss in sich schlüssig sein. Und um Anerkennung zu erfahren,muss sie empirische Relevanz besitzen.
4. Ein früher Versuch, die österreichische Theorie zu popularisieren, war Hayeks „Preise und Produktion“. Der Versuch endete in den dreißiger Jahren in einem Debakel, das dazu führte, dass sich Hayek von der ökonomomischen Theorie ab- und der Sozialphilosophie zuwandte. (Die theoretischen Probleme finden sich unter anderem bei Hicks und Kurz beschrieben). Ob die österreichische Theorie seitdem widerspruchsfrei rekonstruiert werden konnte, entzieht sich meiner Kenntnis.
5. Auf ein empirisches Problem hat (neben vielen anderen) der liberale Nobelpreisträger Robert Lucas verwiesen: Die österreichische Erklärung baut auf der These auf, dass als Folge der Niedrigzinspolitik der Zentralbank Ressourcen in kapitalintensive Verwendungen abfließen. Allerdings zeigt die Empirie, dass der Zins keine dominierende Rolle für die Entscheidung über Sachinvestitionen bildet. Am ehesten beeinflusst der Zins noch Immobilieninvestitionen, aber ob sich mit einer solchen Fehlverwendung von Ressourcen alleine schwere Wirtschaftskrisen erklären lassen, ist eine sehr fragwürdige Annahme. Für die Erklärung der Weltwirtschaftkrise spielt die österreichische Theorie trotz eines Rettungsversuchs durch Rothbard praktisch keine Rolle.
6. Daraus folgt, dass die österreichische Erklärung nicht völlig absurd ist; zinsinduzierte Fehllenkungen von Ressourcen sind durchaus denkbar und sie mögen in begrenztem Maße auch vorkommen. Aber sie ist für die Erklärung schwerer Konjunkturkrisen empirisch nicht sehr relevant, und das ist ein wesentlicher Grund, warum sie so wenige Anhänger besitzt.
7. Man sollte sich vor allem nicht von dem ideologischen Nebel einhüllen lassen, den die Österreicher verbreiten, indem sie ihre Theorie und Methodologie als alleine zulässigen Ausdruck freiheitlichen Denkens postulieren und jeden, der andere Theorien vertritt, als Freiheitsfeind diffamieren. Das hat nichts mit Wissenschaft, aber viel mit Hilflosigkeit und Wagenburgmentalität zu tun. Die österreichische Konjunkturtheorie lässt sich mathematisch fassen und wie jede mathematisch formulierbare Theorie auf innere Logik und empirische Brauchbarkeit überprüfen. Und sie ist damit genauso für Kritik empfänglich wie jede andere Theorie. Das Ergebnis scheint bis heute zu sein, dass sie nicht so schwachsinnig ist, wie manche ihrer Gegner meinen, und nicht so überzeugend, wie ihre Anhänger behaupten – kein untypisches Schicksal für eine ökonomische Theorie. (Eine rein ökonomische und sehr verständliche moderne Darstellung der österreichischen Konjunkturtheorie ohne ideologischen Nebelwerfer bietet z.B. Garrison.)
8. Und noch etwas anderes folgt daraus: Man kann die österreichische Konjunkturtheorie durchaus ernstnehmen, ohne zwingend eine radikale Forderung nach einer Ge(o)ldordnung zu vertreten, die es zu Zeiten der Postkutsche und der Drei-Felder-Wirtschaft gegeben haben mag.
Roger W. Garrison: The Austrian School, in: Snowdon/Vane: Modern Macreconomics. Cheltenham 2005
John R. Hicks: The Hayek Story, in: ders.: Critical Essays in Monetary Theory. Oxford 1967
Heinz D. Kurz: Über natürliche und künstliche Störungen des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts. Friedrich August Hayeks monetäre Überinvestitionstheorie in „Preise und Produktion“, in: ders.: Ökonomisches Denken in Klassischer Tradition. Marburg 1998
Sehr geehrter Herr Braunberger,
ich darf zwei Anmerkungen machen.
1. Der Empirismus ist in sich zutiefst widerspruechlich und (in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaft) gaenzlich unbrauchbar, um den Wahrheitsgehalt von Theorien beurteilen zu koennen. Zur Diskussion erlaube ich mir, auf meinen letzten Beitrag auf diesem BLOG zu verweisen.
2. Es scheint mir, als ob Sie ein freies Marktgeldsystem (das vermutlich in einem Goldstandard muenden wuerde) als „veraltet“ und „ueberkommen“ diskreditieren wollen. Nun: Freies Marktgeld ist die einzige Form der Geldproduktion, die mit den oekonomischen (und ethischen) Prinzipien einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung vereinbar ist. [Und wohin das Staatsgeldsystem fuehrt, wird ja wohl zusehends offensichtlich.] Abschliessend sei angemerkt, dass auch in einem Sachgeldsystem weiterhin in ganz gewohnter Weise mit Scheck, Internet-banking, Wechseln etc. gearbeitet werden kann. Die Analogie von „zurueck zur Postkutsche“ ist nicht sachgerecht.
Beste Gruesse
Thorsten Polleit
Sehr interessanter Artikel!
Meiner Meinung nach wurde vor allem bei der Verbriefung der Kredite viel verschleiert…..das geht besser!
* Finanzinstrumente im Verbriefungssektor müssen in der Komplexität deutlich reduziert werden
* Instrumente dürfen nicht für die Regulierungsarbitrage eingesetzt werden, sondern müssen einen ökonomischen Zweck erfüllen;
* Originatoren der Instrumente müssen Anreize für den Erfolg der Transaktion haben, so müssen sie künftig wieder einen Teil des Risikos tragen;
* den Bedürfnissen der Investoren nach mehr Transparenz muss nachgekommen werden. So fordern sie deutlich mehr Informationen über die Ursprungsschuldner und über das Risikomanagement;
* über direkte Kontakte mit Investoren muss Vertrauen aufgebaut werden;
* über mehr Standardisierung müssen die Prozesse vereinfacht werden.
Herr Braunberger hat natürlich Recht. Es gibt nirgends einen Monopolanspruch auf irgendetwas. Das geht auch am freiheitlichen Denken von von Mises vorbei. Jedoch sind die Argumente, gerade wenn man in die jüngste Vergangenheit zurück blickt und die Puzzleteile des globalen busts zusammensetzt, auf genau das zurück zu führen, was Herr Polleit hier bereits anführte: die Manipulation von Geld und dessen Erscheinungen ( Preise, Zinssätze, Anlageverhalten ) durch staatliche Interessen !
Herr Braunberger, Sie schrieben, die österreichische Schule würde zur Erklärung der Weltwirtschaftskrise keinen Beitrag leisten können. Aber ich frage Sie: Was hat denn zu der Krise geführt ? In den 1930iger Jahren haben wir schon einmal diese Wortlaute, wie sie jetzt auch durch unsere Gesellschaft gehen, gehört: es sind die Banker ( was ist eigentlich die Funktion eines Bankers ? Und zu was ist er durch regulatorische Maßnahmen geworden ? ), es ist das Privateigentum. Das dies natürlich nur bedingt wahr ( war ) ist, müssten Sie hoffentlich wissen. In den 1920igern war es die „easy credit“ Mentalität der US Federal Reserve, die zu dem enormen bust führte. Wenn Sie sich die geschichtliche Entwicklung einmal näher ansehen, stellen Sie fest, dass wir die gleichen Fehler wie früher wieder begehen. Bernanke hat mehrmals ( auch öffentlich ) dargelegt, dass es der Fehler der US Notenbank zu jener Zeit war, der die Depression hervorrief – ergo muss nun diesmal nur weiter Kredit induziert werden. Aber sehen Sie sich doch an, was in Zimbabwe geschah. Kreditexpansion von staatlicher Seit hat und wird nie funktionieren; nicht in kommunistischen, sozialistischen oder kapitalistischen Ländern.
Hierzu viele Interessante Artikel:
http://search.forbes.com/search/find?MT=Steve+Hanke&tab=searchtabgeneral
Was Sie meiner Meinung nach auch vergessen ist, dass Geld als Tauschmittel auch einen Wert haben sollte ( weshalb hat man Gold oder Silber genommen, anstatt Erde ? Vielleicht weil es knapp war … ). In unserem fiat money System ist es eben nicht knapp, ergo kann man immer den Wert ( ja, ich weiss ich bekomme dafür wahrscheinlich wieder Schelte ) „manipulieren“. Im Prinzip verliert immer der Sparer.
Warum haben denn die westlichen Nationen alle Angst vor Deflation ( im Sinne von sinkenden Preisen … ) ? Weil ansonsten die Zinszahlungen für die öffentlichen Finanzen untragbar werden. Deshalb kommt es auch nicht zu einem sinken der Preise. Aber die Preise müssen fallen, damit wieder Nachfrage entsteht. Ich habe dies hier bereits versucht am Beispiel des Häusermarktes ( natürlich nicht nur in den USA, es betrifft letztlich mehr oder weniger alle westlichen Nationen ) zu erklären.
Aber genau deshalb wird es auch nicht zur Deflation führen, weil die Politiker letztlich immer den einfachen „Exit“ nehmen und inflationieren.
Übrigens, ich hoffe ich liege richtig in der Annahme, hat von Mises immer zuerst den Realitätbezug zu seinen „Theorien“ erörtert ( was gesch wann, wie und wo ), bevor er mit Lösungsvorschlägen kam. Dies fehlt mir in der heutigen Debatte umso mehr.
Zu aller letzt: wie kann es sein, dass trotz TARP, EESA und der immer noch überaus inflationären Notenbankpolitik der westlichen Länder, kein Erfolg auf dem Arbeitsmarkt sichtbar ist ?
http://www.bls.gov/news.release/empsit.nr0.htm
Auf eine Antwort wäre ich sehr gespannt.
Was soll denn jetzt noch „securitised“ werden Daniel ? Das Problem war doch schon, dass diese Verbriefungen Logeleien waren… und jetzt will man es wieder versuchen ? Dann aber bitte nur über die eigene Zentralbank.
Ich meine, das gesamte Finanzsystem ist eine Farce. Herr Faber hat vollkommen Recht: es wird implodieren.
Sehr geehrter Herr Polleit,
einen Konsens über die richtige Methodologie werden Sie nicht erreichen. Dann bleibt einfach nur die Tatsache, dass die allermeisten Ökonomen den Kritischen Rationalismus, trotz Problemen, die ja nicht geleugnet werden, zumindest als eine Arbeitsgrundlage verstehen. Und dann sind empirische Arbeiten nicht sinnlos, auch wenn man bei der Interpretation vorsichtig sein muss. Auf der anderen Seite haben Sie im Vergleich sehr wenige Ökonomen, die praxeologisch argumentieren, und dann bleibt nicht mehr als ein „we agree to disagree“.
Allerdings sollten Sie dann so fair sein und nicht mehr von der „Österreichischen Schule“ sprechen, weil Sie namhafte Österreicher ausgliedern müssen. „Prices and Production“ ist ein im Kern neoklassisches Werk und sein Autor, der nicht irgendwer war, ist nach meiner Kenntnis niemals ein Anhänger der Praxeologie geworden. Dann bleibt für Sie nur noch die Mises-Schule übrig, und dass sich darunter bei weitem nicht alle heutigen wie früheren Österreicher subsumieren lassen, wissen Sie selbst.
Ihre Methodologie erlaubt es Ihnen immerhin, alle Probleme wegzudefineren. Die österreichische Konjunkturtheorie lebt von der Annahme, dass Investitionen vor allem zinsinduziert sind. Nun steht nicht nur die von Ihnen verdammte Ökonometrik dem entgegen. Sie sind doch Bankökonom und kennen die Praxis: Sagen Ihnen die Unternehmenskunden von Barclays, dass der Zins stets die entscheidende Größe für ihre Investitionen ist? Und welcher Zins überhaupt? Die Theorie arbeitet mit einem natürlichen Zins, der sich nicht bestimmen lässt. Die Investitionen nehmen in der Theorie zu, wenn der Geldmarktzins sinkt. Sind Sachinvestitionen wirklich geldmarktzinsabhängig oder eher abhängig von einem langfristigen Zins? Sinkt der langfristige Zins automatisch, wenn der Geldmarktzins sinkt? Wenn keine Inflationserwartungen existieren, möglicherweise, wenn Inflationserwartungen existieren, vielleicht nicht mehr. Das sind doch alles empirische Fragen, und als Bankökonom wissen Sie das doch selbst.
Wenn Sie mir nachsagen, ich hielte Edelmetallwährungen für ein Relikt der Vergangenheit, dann liegen Sie richtig. (Als kritischer Rationalist, der die Zukunft für offen hält, lasse ich mich aber auch gerne vom Gegenteil überzeugen.) Ich teile auch überhaupt nicht die österreichische Interpretation, wonach die Goldwährung nur deshalb nicht mehr existiert, weil die verbrecherischen Regierungen sie gegen den Willen der Menschen abgeschafft hätten. Das ist wishful thinking und eine sehr selektive Geschichtsinterpretation. Es hat seit dem Ende der Goldwährung mehr als genügend politische Revolutionen in der Welt gegeben, in deren Verlauf die Menschen ihre Präferenz für eine Goldwährung hätten ausdrücken können. Sie könnten es noch heute, indem sie sich organisierten, aber abgesehen von den einschlägigen Goldforen im Internet finden Sie kaum Befürworter (wobei eine Reihe von Befürwortern Leute sind, die mit dem Verkauf von Gold oder Goldminenaktien ihr Geld verdienen). Das ist kein Zufall.
Es sei übrigens einmal – völlig wertfrei und rein nachrichtlich – angeführt, dass hier interessante Parallelen zwischen den Mises-Liberalen und den Steinzeit-Marxisten in der untergegangenen DDR existieren. Wenn jemand einmal Zeit verplempern will, kann er die letzten zwei Jahrgänge der wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschrift der DDR konsultieren (ich habe das vor Jahren einmal für ein geldhistorisches Werk getan, das bis heute nie geschrieben wurde). Da gab es Debatten unter DDR-Ökonomen über die Rolle des Goldes für eine Geldordnung, in der Traditionalisten argumentierten, selbstverständlich bleibe das Gold DIE Referenz, weil Marx es als ein solches bezeichnet hatte. Dem standen moderne DDR-Ökonomen entgegen, die überhaupt nicht sehen konnten, wie das Gold heute noch eine Rolle spielen könne. Der Zusammenbruch der DDR hat dann diese Debatte beendet. Wie gesagt: Man muss das nicht lesen.
Und noch ein Letztes: Ich bestreite Ihnen Ihren Gebrauch des Wortes „freiheitlich“ nicht, aber ich würde doch gerne anführen, dass es kein Monopol auf den Freiheitsbegriff gibt. Man muss Freiheit nicht so verstehen, wie es die Österreicher tun und gerade Liberale sollten so tolerant sein, auch andere Interpretationen von Freiheit zu akzeptieren.
sehr geehrter Herr Krueger,
schauen Sie sich einmal wirtschaftliche Wachstumsraten in der industrialisierten Welt seit 100 Jahren an. Das ist grob die Zeit, in der wir ein kreditbasiertes Geldsystem haben. Was Sie sehen können, ist ein kontinuierlicher realer Wachstumstrend, der von einzelnen Krisen unterbrochen wurde, wobei die dreißiger Jahre die einzige längere Unterbrechung waren. Aber der Trend ist kontinuierlich ansteigend. Das Geldsystem, von dem Sie nichts halten, ist offenbar gar nicht so schlecht; jedenfalls hat es diesen Wachstumstrend, den es in dieser Form in der Zeit der Edelmetallwährungen nicht gegeben hat, nicht verhindert. Dass solche Geldsysteme zum Zusammenbruch verdammt sind, ergibt sich daraus nicht, und ein Vergleich der industrialisierten Welt mit Zimbabwe zeigt nur, dass Sie völlig auf dem falschen Pfad sind.
Das Verbriefungen von Krediten für sich genommen unseriös sind, ist doch einfach Unsinn. Selbst in einem goldbasierten Währungssystem wären solche Verbriefungen möglich.
Zum Thema Gold als Währung ist immer wieder lesenswert – Alan Greenspan (!) aus dem Jahr 1966: http://www.mises.de/public_home/topic/14
Aktuell lohnt sich als Anregung der Vergleich von Goldpreis und Staatsschulden – leicht gemacht hier: http://amartinoro.wordpress.com/2009/10/05/deuda-federal-y-el-precio-del-oro/
Relikte sind häufig Überbleibsel einer alten Hochkultur. Ob ungedecktes Papiergeld mehr als eine vorübergehende Mode bleibt, ist derzeit nicht absehbar.
Herr von Prollius,
ungedecktes Papiergeld ist selbstverständlich ein vorübergehendes Phänomen so wie es das Metallgeld war. Alles zu seiner Zeit. Papiergeld spielt schon lange keine dominierende Rolle mehr, weil in Folge des technischen Fortschritts Geld überwiegend nur noch virtuell in Computern existiert. Derallergrößte Teil der Geldmenge, wenn wir M3 nehmen, existiert schon lange nicht mehr in Form von Banknoten und Münzen. Der britische Ökonom Charles Goodhart hat einmal sinngemäß gesagt, Bargeld brauche man eigentlich nur noch für Steuerhinterziehung und Prostitution. Die Fixierung der Misesianer auf „Papiergeld“ ist, wie so manches der Misesianer, anachronistisch. Die moderne Welt ist längst woanders.
So wie die deutschen Staatsschuldtitel auch schon seit vielen Jahren nicht mehr in Form papierner Urkunden existieren. Man kann sich keine Bundesanleihe physisch ausliefern lassen; sie existiert auch nur noch virtuell im Computer. Dass der technische Fortschritt das Geldwesen erfasst, ist wenig erstaunlich. Erstaunlich wäre das Gegenteil; Produktivitätsgewinne pflanzen sich erfahrungsgemäß durch viele Branchen fort. Bargeld – egal ob Noten oder Münzen – geht mit hohen Transaktionskosten einher, die der technische Fortschritt reduziert. Deswegen gibt es auch die „Lohntüte“ kaum mehr, sondern die unbare Überweisung von Löhnen und Gehältern auf Bankkonten. Das ist ökonomisch alles selbstverständlich.
Relikte sind in der Tat oft Zeugnisse von Hochkulturen. Die Hochkulturen der Antike lebten nicht unwesentlich von der Sklaverei, aber dass die Sklaverei in westlichen Gesellschaften nicht mehr existiert, sondern höchstens noch in Afrika, muss ja kein Nachteil sein. Ähnlich wie Menschenopfer in früheren Hochkulturen, um Götter gnädig zu stimmen, die mittlerweile abhanden gekommen sind. Die Verpflichtung zum Kriegsdienst als Folge der Übernahme eines Lehens ist auch ein Relikt früherer Hochkulturen, das man bei uns nicht mehr findet, aber vielleicht noch in entlegenen Weltgegenden, dem man vielleicht nicht nachtrauern sollte.
Herr Braunberger,
Ihre Polemik ist lesenswert. Da Sie keine Argumente gegen den Goldstandard anführen, nehme ich vorerst an, dass Sie der Argumentation von Greenspan nichts entgegen setzen. Gold wirkt disziplinierend auf Länder mit zu lockeren Kreditbedingungen. Und Sie heben zurecht hervor, dass heute noch nicht einmal mehr die Druckerpressen laufen müssen.
Das ist auch der Ausgangspunkt für Free Banking. Einer von vielen Befürwortern, nämlich Hayek konstatiert in Entnationalisierung des Geldes:
„Der Vorschlag, der Regierung das Geldmonopol und die Macht zu entziehen, Geld zum ‚gesetzlichen Zahlungsmittel‘ zu machen, mit dem alle vorhandenen Schulden zu tilgen sind, erfolgte hier in erster Linie, weil Regierungen diese Macht im Laufe der Geschichte ständig und unvermeidlich grob mißbraucht und dadurch den automatisch arbeitenden marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismus, nämlich das Preissystem, schwerwiegend gestört haben.“
Herr Braunberger,
Ihre Kritik an der österreichischen Konjunkturtheorie kann ich nicht nachvollziehen. Die Empirie spricht 1873, 1929, Anfang der 1980er In Japan und heute klar für die Österreicher.
Herr Braunberger,
Praxeologie ist nicht mehr und nicht weniger als angewandte Logik. (des menschlichen Handelns).
Sie koennten Ihre Auffassung sicherlich am besten deutlich machen, indem Sie (in einem eigenen Aufsatz) Ihre Widerlegung systematisch Stueck fuer Stueck abfassen; ad hoc und aus-dem-Bauch-Kritik fuehrt uns nicht weiter.
Das Berufen auf „Mehrheitsmeinung“ und „Konsens“ ist nun wirklich nicht ueberzeugend.
Ich selbst kenne die positivistische-empirische Lehre nur zu gut – und ich bin froh, dass ich im Laufe der Zeit dazugelernt habe.
Beste Gruesse
Thorsten Polleit
Herr Braunberger,
wenn hier von „Papiergeld“ gesprochen wird, ist jede Art von Fiat-Geld gemeint (ob nun Gedrucktes oder in Form von Bits + Bytes), Geld also, das nicht freies Marktgeld ist.
Beste Gruesse
Thorsten Polleit
Herr von Prollius, Herr Polleit,
zur Kritik des Goldstandards wie der Goldwährung überhaupt ist immer noch eine Referenz:
John Maynard Keynes: Ein Traktat über Währungsreform.
Aus meiner bescheidenen Sicht sind die Argumente von Keynes immer noch schlagend, und alle Versuche, die später z.B.von Hülsmann angeführt werden (und die selbst innerhalb der Österreicher umstritten sind; fragen Sie doch einmal Herrn Salin), taugen nicht, Keynes zu widerlegen.
Zur Kritik der Praxeologie sind lesenswert:
Wilhelm Meyer: Ludwig von Mises und das subjektivistische Erkenntnisprogramm, in ders: Grundlagen des ökonomischen Denkens. Tübingen 2002.
Helge Peukert:Das Handlungsparadigma in der Nationalökonomie. Kapitel V. Marburg 1998.
In diesen Quellen findet der geneigte Leser genügend Hinweise auf die Defizite der Praxeologie.
Ansonsten verweise ich gerne noch einmal darauf, dass es genügend empirische Hinweise für die Fragwürdigkeit der von Ihnen vertretenen Theorien gibt. Sie machen sich völlig unglaubwürdig, indem Sie diese Hinweise aus methodologischen Gründen zurückweisen, dann aber eine empiriefreie Methodologie vertreten, mit deren reinem „arm-chair-thinking“ sich alles vertreten lässt, was Ihnen gefällt, unabhängig davon, ob es irgendetwas mit der Realität zu tun hat.
Das hätten Sie gerne: Eine Debatte auf Ihrem Terrain, bei dem alle Argumente, die gegen Ihre Theorien sprechen, von Ihnen als methodologisch unzureichend zurückgewiesen werden. Das ist doch genau der Grund, warum 99,9 Prozent der Ökonomen Ihre Ansichten zurückweisen. Das wesentliche Gegenargument gegen die Mises-Ideologie ist ein empirisches, ob es Ihnen passt oder nicht.
Damit zusammenhägend ist es natürlich kein Zufall, dass Sie sich mit meinen obigen Ausführungen nicht detailliert auseinandersetzen: Wie sollten Sie auch? Sie hätten ja auch keine Argumente.
Herr Braunberger,
leider haben wir es noch nicht geschafft unsere Debatte in eine produktive Richtung zu lenken. Vielleicht sollten wir beim nächsten Mal sehr dicht am Artikel bleiben. Ich kann Ihre Skepsis gegenüber der Österreichischen Konjunkturtheorie (ABCT) nachvollziehen, einen weitreichenden „Verriss“ jedoch nicht („für die Erklärung schwerer Konjunkturkrisen empirisch nicht sehr relevant“, „ideologischer Nebel“, „Hilflosigkeit“, „Wagenburgmentalität“).
Tyler Cowen hat mit Risk and Business Cycles (1997) eine kritische und zugleich sehr ausgewogene Kritik der ABCT vorgelegt und kommt zu einem weitaus differenzierteren Urteil als Ihre auf Lucas beruhende Ablehnung.
Mark Skousen hat in Vienna & Chicago. Friend or Foes? (2005) Österreichische Schule und Monetarismus verglichen. Ich entnehme dem einen Punktsieg für die Österreicher und einen eindeutigen österreichischen Vorteil bei der Konjunkturtheorie.
Der von Ihnen ins Feld geführte Roger W. Garrison hat in seiner beinahe legendären Präsentation (Capital Based Macroeconomics) am Mises Institute die Überlegenheit der österreichischen gegenüber der keynesianischen Theorie demonstriert. An der LSE schloss er mit dem Aufruf: „I can hope that in Austrian circles the year 2003 will be remembered as the year that Hayekian economics returned to LSE. Keynesianism there, like elsewhere, has become splintered into sub-schools, and mainstream macroeconomics in general seems to have no cutting edge.“
Seinen Untersuchungen können Sie ebenfalls entnehmen, dass die Österreicher Ende der 30er Jahre kein „Debakel“ erlitten haben, sondern es versäumt haben, ihre Theorie durchschlagend zu „popularisieren“ und auch weiter zu entwickeln.
Wissenschaftliche Anhänger der Niedrigszinsbegründung für den künstlichen Boom gibt es en masse – spontan einige (fast alle Lehrstuhlinhaber): Mario Rizzo, Steven Horrwitz, Peter Boettke, George Selgin, Jesus Huerta de Soto, Russ Roberts, Donald Boudreaux, Anthony Evans, Arnold Kling, Alfred Schüller und John B. Taylor (!).
Schließlich zeigt die George Mason University mit ihrem interdisziplinären, österreichischen oder österreichisch inspirierten Forschungs- und Lehrprogramm (Wirtschaft, Recht, Soziologie – Ideengeschichte, Public Choice, Institutionenökonomik etc.) die anhaltende und künftige Fruchtbarkeit der Österreichischen Schule mit wachsendem Erfolg auf.
Ich halte daher kritischen Respekt für eine angebrachte Umgangsform, ich werde gute Polemik an der richtigen Stelle aber weiter schätzen.
Bei diesen Bemerkungen möchte ich es in diesem Post belassen.
Ich würde die Debatte aus meiner Sicht auch gerne abschließen, weil es nicht mehr gibt als ein „We agree to disagree“.
Ich denke, dass Sie (und Herr Polleit) sich zunächst einmal darüber klar werden solllten, was Sie eigentlich als österreichisch verstehen. Wenn Sie darunter nur mehr die Mises-Schule in Auburn verstehen und die praxeologische Methodologie (dazu haben Sie sich überhaupt nicht geäußert), werden Sie kaum mehr Herrn Boettke und George Mason anführen können. Die sind nämlich ganz woanders und Sie werden wissen, dass Auburn versus Boettke erst vor wenigen Wochen öffentlich auf http://www.mises.org eine wüste Kontroverse geführt haben, wie sie für in ihrer Verve für Streitigkeiten unter Sektariern typisch sind. Das interessiert aber keinen „Mainstream“ (was immer man von ihm halten mag.)
Dass Hayeks Problem in den dreißiger Jahren nur in der Unverständlichkeit seiner Theorie bestanden haben soll, ist absurd. Es war eine Übung in Neoklassik und in der Neoklassik erfahrene Leute wie Sraffa haben das auseinandergenommen. Hayek hat sich doch selbst später bei mehreren Gelegenheiten kritisch zu seinen damaligen Ansichten geäußert. Wollen Sie behaupten, er habe seine eigene Theorie nicht verstanden?
Niedrigzinspolitik als Ursache von Krisen? Ich habe doch weiter oben geschrieben, dass dies eine Krisenanalyse spätestens seit Wicksell gewesen ist und dass Monetaristen wie Keynesianer das ähnlich sehen. Man muss kein Österreicher sein, um das zu erkennen. Warum muss ich mich auf praxeologische Absurditäten einlassen, wenn ich ein bestimmtes Politikversagen mithilfe traditioneller Theorie erklären kann? Wicksell, Keynes und Friedman reichen mir völlig, dazu brauche ich keinen Mises mit seiner verqueren Methodologie.
Ihr Problem ist doch ein ganz anderes: Was ist Liberalismus heute? Sie haben einmal ein Buch über Rüstow herausgegeben und, wenn ich nicht ganz falsch liege, sich auch positiv über Röpke geäußert. Sie werden Rüstows Brief an Röpke kennen, in dem er vorschlug, Hayek und Mises in Spiritus einzulegen, damit die mit ihrem Extremismus keinen Schaden mehr anrichten können. Heute sind Sie bei Mises gelandet, der auf einer Tagung der Mont Pèlerin Society Hayek und Friedman als Sozialisten bezeichnet hat. Absurder geht es nicht mehr.
Aus meiner Sicht darf der Liberalismus keine Sektenveranstaltung sein, dafür ist er zu wichtig und wir brauchen ihn dringend. Der moderne Liberalismus braucht Friedman, Eucken, Röpke und Keynes (der ein Liberaler und kein Sozialist war, was immer die Betonköpfe in Auburn erklären mögen) so wie er moderne Nobelpreisträger braucht, weil dieser Liberalismus die Menschen ansprechen kann. Die Sektenleute wie Rothbard oder Hoppe oder die anderen Auburn-Leute schaden dem Liberalismus nur, weil sie ihn zu einer wissenschaftsfeindlichen Ideologie degenerieren. Hier gilt der Satz, dass die schlimmsten Feinde des Liberalismus seine rein ideologischen und unwissenschaftlichen Anhänger sind.
Der deutsche Ordoliberalismus hat aus den selben Gründen versagt, weil er seine theoretischen Wurzeln abgeschnitten und sich zum Beispiel politisch in einer blinden Euro-Feindschaft eingekesselt hat, anstatt sich mit modernen Theorien und ihren empirischen Folgen zu beschäftigen. Es wäre aller Ehren wert, den Liberalismus in Deutschland zu rekonstruieren, aber dazu bedürfte es Leuten, die sich unvoreingenommen mit zeitgenössischen Theorien und der Realität befassen. Darauf warte ich als interessierter Journalist schon seit Jahren, aber alles, was ich lese (auch in diesem Blog), verdeutlicht, dass ich auch weiterhin vor allem Autoren aus der englischsprachigen Welt lesen muss, wenn ich wissen will, was sich in der Wissenschaft tut. Kein Beitrag in diesem Blog besitzt die Aktualität und die konkrete Ansprache, die zum Beispiel ein Willem Buiter immer wieder in seinem FT-Blog anspricht (wobei man Buiter nicht zustimmen muss, aber darum geht es nicht.) Natürlich haben wir Martin Hellwig und Hans-Werner Sinn und auch noch ein oder zwei andere, die im übrigen sich nicht als Vertreter eines deutschen Ordoliberalismus verstehen würden. Aber die Musik spielt woanders – was ich bedaure, aber als Journalist einfach so konstatieren muss.
Herr Braunberger,
Wenn die Musik woanders spielt, dann versuchen Sie doch die Musikanten zu sich zu holen. Ich erinnere hier nur an Singapur. 1960 war es nichts, heute ist es der reichste Staat der Welt. Und nun fragen Sie sich doch einmal, warum dies so ist ? Ich bleibe dabei, es ist die Politik, die denkt Sie sei Gott, aber ihr track-record ist einfach kläglich.
Lieber Herr Braunberger,
dann wünsche ich Ihnen weiter viel Spaß bei der Lektüre von Willem Buiters FT-BLOG und freue mich auf Ihre polemischen Kommentare dort.
Norbert Berthold
Sehr geehrter Herr Braunberger,
zunächst war mir unklar, wie man den Zusammenhang zwischen Zins und Investitionen nicht sehen kann. Ist doch der Zins Indikator im Sinne eines Preises für Investitionen, also der Verwendung von Kapitalien zur Investition anstatt zum Konsum.
Freilich gilt dies nur unter Marktbedingungen. Da Zinsen aber inzwischen festgesetzt werden, sind sie natürlich nur noch Ausdruck politischen Wollens und Sollens und ihrer Preis- und Indikationsfunktion beraubt.
Noch einmal anders: Selbstverständlich – un da stimme ich Ihnen zu – ist die vorgefundene Zinshöhe zum Zeitpunkt x nicht der einzige Beweggrund, ob man investiert oder nicht. Die getroffene Entscheidung aber wirkt sich in einem freien System auf die zukünftige Zinshöhe aus. Das macht den Zins in einem freien System zum Indikator. Ein Indikator vermittelt einen Gehalt an Information (der in Überlegungen einfließen kann), die zutreffend ist, weil sie das Ergebnis von Entscheidungen von Marktteilnehmern sind, also wirklich. Der Zins in seiner Höhe ist hier also aussagefähig.
Wird dagegen der Zins politisch festgesetzt, fehlt diese Information. Die Marktteilnehmer werden getäuscht. Und dies ist ja auch beabsichtigt, denn ein niedriger Zins soll ja das Verhältnis Konsum/Investition beeinflussen. Durch diese Manipulation ist aber die ganze Praxis sozusagen nichts mehr wert, denn die Praxis hat (fast) keinen Einfluß mehr auf den Informationsgehalt des Preises Zins. Ein potentieller Investor verliert entscheidungsrelevante Information. Der politisch festgesetzte Zins ist also gar kein Zins mehr im eigentlichen Sinne, nur noch rechnerisch, aber gerade nicht mehr im Hinblick auf Wertentscheidungen, insbesondere solchen, die die Zukunft betreffen.
Der Sozialismus mit seiner Planwirtschaft ist ganz wesentlich an dem mit der Festsetzung von Güterpreisen einhergehenden Verlust von Informationsgehalt zugrundegegangen. Soweit geht man im politischen Kapitalismus nicht, setzt aber immerhin den Preis für Zukunftsentscheidungen politisch fest. Auch dieses System kann darum keine Zukunft haben. Wo Information fehlt, sind Fehlentscheidungen sehr wahrscheinlich (Zufallstreffer bleiben möglich), da Entscheidungen auf Informationsbasis geschehen. Selbst das mehr intuitive Bauchgefühl ist durch Handlungen und Erfahrungen als Information gespeist.
Preise sind Marktpreise, Zinsen sind Marktzinsen – oder es sind keine. Präferenzen, welcher Natur auch immer, drücken sich in diesen aus. Der handelnde Mensch ist die Quelle der Präferenzbildung, die sich in Preisen auf Märkten ausdrückt und als derart wahre Information weiteres Handeln bestmöglich erfolgbar macht und als Zinsen ausgedrückt (nicht bestimmt!) zukunftsbezogenes Handeln bestmöglich antizipierbar macht. Antizipation ist ja die große Unternehmerkunst. Kapitalakkumulation (Kapital im weitesten Sinne) folgt einer zukünftigen Erwartungshaltung. Wenn die in der Zinshöhe akkumulierte Information schlichtweg fehlt, wird die Antizipationsleistung kritischer bis unmöglich. (Dies erklärt möglicherweise auch, warum die Entscheidung zu „Investitionen“ in einem Zinsbefehlssystem weniger von der Zinshöhe abhängt, zumal bestimmte Priviligierte Zugriff auf „Geld“mittel in gar nicht knapper Höhe haben, also leichthin auch hier politisch agieren können.)
Was den Liberalismus angeht: Jede politisch-interventionistische Spielart ist gegen die Freiheit gerichtet. Auch wer zu mehr „Freiheit“ steuern will, hat diese nicht verstanden. Wer den Menschen Information nimmt, befördert ganz sicher nicht deren Freiheit.
Ihr
Stefan Sedlaczek
Markt oder Befehl? Herr Braunberger ist Anhänger des zweiteren. Da helfen keine Argumente.
Zur Mont Pelerin Society:
http://vimeo.com/channels/114000#12597116