Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen wirtschaftlich deutlich besser da als die Länder der Europäischen Union. Das zeigt sich nicht nur an der Unternehmensstruktur mit den grossen, erfolgreichen Technologieunternehmen, die in den USA beheimatet sind. Es zeigt sich auch an den Wachstumsraten der vergangenen Jahre und vor allem am Wachstumspotenzial, das in den USA mit rund 2% ungefähr doppelt so hoch ist wie in der Eurozone. Deutschlands Wachstumspotenzial fällt derzeit sogar auf mickrige 0,3% zurück.
Da sich die Trump-Regierung in diesen Monaten selbst ein Bein nach dem anderen stellt, dürfte der wirtschaftliche Abstand zwischen den transatlantischen Partnerländern kleiner werden. Besser wäre es jedoch, wenn die USA ihr Wachstumspotenzial halten könnten und der wirtschaftliche Abstand zwischen beiden Regionen deshalb schrumpft, weil die Europäische Union die wirtschaftspolitischen Weichen neu stellt und so das Wachstumspotenzial erhöht. Dazu könnte die neue deutsche Bundesregierung einen Beitrag leisten, denn bei der Vorgängerregierung standen Wachstum und wirtschaftliche Effizienz nicht gerade oben auf der politischen Agenda.
Ein Grund für das schwache Wachstum in Europa ist die hohe Regulierungsdichte. Regulierung ist grundsätzlich wichtig, um die Marktprozesse in geordnete Bahnen zu lenken und um einen Interessenausgleich zwischen den unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren zu gewährleisten. Entscheidend ist dabei aber, dass die gesellschaftlichen Kosten der Regulierung deren Nutzen nicht übersteigen. Regulierung zieht ehebliche Bürokratiekosten nach sich, unter denen die Unternehmen, aber auch die Bürger leiden. Es gibt einige Evidenz, dass diese Bürokratiekosten in Deutschland und in Europa inzwischen unangemessen hoch sind.
Verbessern ließe sich die Situation, wenn erstens die Kompetenzen auf der dafür geeigneten staatlichen Ebene angesiedelt und zweitens die nationale und die europäische Regulierung besser aufeinander abgestimmt wären. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip sollen Regelungen nur dann auf EU-Ebene getroffen werden, wenn die mit ihnen verfolgten Ziele auf nationaler Ebene nicht ausreichend erreicht werden können oder die EU-Ebene Effizienzvorteile hat. Typischerweise gehören Probleme, die an den Landesgrenzen haltmachen, in die Zuständigkeit der Nationalstaaten. Probleme, die nicht an den Landesgrenzen haltmachen (überregionale öffentliche Güter), gehören hingegen in die Zuständigkeit der EU.
In der Theorie lassen sich die Zuständigkeiten meist klar zuordnen. In der Praxis besteht aber oft ein ineffizientes Nebeneinander von nationaler und supranationaler Kompetenzzuordnung. Dazu zwei Beispiele:
1. Klimapolitik: Die Erderwärmung ist ein globales Phänomen und erfordert somit prinzipiell globale Politikmaßnahmen. Mangels einer globalen Institution, die eine weltweit einheitliche Klimapolitik durchsetzen könnte, gehört Klimapolitik zumindest auf die europäische Ebene, nicht aber auf die Ebene der einzelnen Nationalstaaten. Die EU verfügt seit 2005 mit dem Europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) über ein sehr erfolgreiches klimapolitisches Instrument, dem sich neben den EU-Mitgliedstaaten auch Norwegen, Island und Liechtenstein angeschlossen haben.
Bisher werden insbesondere die Emissionen energieintensiver Anlagen erfasst, vor allem aus der Stromerzeugungsindustrie und der Verarbeitenden Industrie. Seit 2012 wird auch der innereuropäische Luftverkehr und seit 2024 der Seeverkehr erfasst. Ab 2027 werden zudem der Gebäude- und Verkehrssektor einem Emissionshandelssystem unterliegen. Mithilfe dieses Handelssystems werden die CO2-Emissionen effektiv begrenzt, sodass die klimapolitischen Ziele der EU darüber zielgenau gesteuert werden können. Alle notwenigen Anpassungen, um die gewünschte Menge CO2-Emissionen einzusparen, erfolgen über den Preismechanismus und dadurch zu volkswirtschaftlich geringstmöglichen Kosten.
Mit dem Preismechanismus setzt man auf die «unsichtbare Hand des Marktes» (Adam Smith) und kann die Klimapolitik radikal vereinfachen. Politische Detailsteuerung mit Subventionen und kleinteiligen Regulierungen – Stichwort „Heizungsgesetz“ – sind nicht nötig, wenn man auf den Emissionshandel als Leitinstrument der Klimapolitik setzt.
Die neue Bundesregierung könnte sich um den Bürokratieabbau verdient machen, wenn sie sich auch auf europäischer Ebene dafür einsetzt, beim Klimaschutz vorrangig auf Emissionshandel und Preismechanismus statt auf detaillierte Feinsteuerung zu setzen. Ob die neue Bundesregierung diesen Weg beschreiten wird, ist allerdings offen. Die Partei des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz, die CDU/CSU, bekennt sich zwar zum Emissionshandel als Leitinstrument, doch gleichzeitig hat sie der deutschen Klimaneutralität im Jahr 2045 zugestimmt. Das ist fünf Jahre früher als das Klimaneutralitätsziel der Gesamt-EU. Die frühere Klimaneutralität ist ein ehrenwertes Ziel, doch hilft dieses ambitionierte Ziel dem Klima nicht. Denn wenn Deutschland bereits 2045 klimaneutral wird und somit keine Emissionszertifikate mehr benötigt, stehen diese ungenutzten Zertifikate für die verbleibenden fünf Jahre bis 2050 allen anderen Teilnehmerländern zur Verfügung. Die Gesamtemissionen der EU sinken also nicht, wenn Deutschland früher klimaneutral wird.
2. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Auch beim sogenannten Lieferkettengesetz, mit dem die Sorgfaltspflichten von Unternehmen hinsichtlich Menschenrechten und Umwelt geregelt werden sollen, droht ein Nebeneinander von nationalem und europäischem Bürokratiegeflecht. In Deutschland wurde das Gesetz 2021 beschlossen und es trat 2023 in Kraft. Auf EU-Ebene wurde eine europäische Lieferkettenrichtlinie im Jahr 2024 beschlossen, die im Jahr 2028 in Kraft treten soll – ein Jahr später als ursprünglich geplant. Das nationale Gesetz und die europäische Richtlinie verlangen den Unternehmen umfangreiche Dokumentationspflichten ab. Zudem drohen Reputationsschäden und Bußgelder.
Die Kontrolle der globalen Lieferkette zielt darauf, die Verantwortung der Unternehmen für die Auswirkungen ihrer gesamten internationalen Geschäftstätigkeit zu stärken. Letztlich geht es darum, die soziale Gerechtigkeit und die Umweltqualität auf internationaler Ebene – insbesondere außerhalb der EU – zu erhöhen. Wie beim Klimaschutz liegt die Zuständigkeit für diese internationalen Themen auf der EU-Ebene. Einzelne Nationalstaaten würden zu wenig oder sogar überhaupt keine Wirkung entfalten, wenn ihre Unternehmen zwar hohe ethische und ökologische Standards einhalten, sie aber von ausländischen Unternehmen verdrängt werden, denen diese hohen Standards unwichtig sind. Wenn Europa überhaupt Wirkung haben kann, dann nur als europäische Einheit. Es ist deshalb richtig, wenn die neue Bundesregierung das nationale Lieferkettengesetz abschaffen möchte.
Bezüglich der europäischen Lieferkettenrichtlinie gibt es zwischen den Koalitionsparteien unterschiedliche Auffassungen. Bundeskanzler Friedrich Merz möchte auch die europäische Richtlinie abschaffen, Vize-Kanzler Lars Klingbeil möchte sie mit Verweis auf den Koalitionsvertrag nur reformieren. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Frühjahrsgutachten darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit des Lieferkettengesetzes ungewiss ist. Untersuchungen für die Bekleidungsindustrie würden darauf hindeuten, dass sich Unternehmen aus Entwicklungsländern zurückziehen könnten, weil die Kosten für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten sehr hoch seien. Im Ergebnis können Entwicklungsländer an Wettbewerbsfähigkeit und Wohlfahrt verlieren, ohne dass die vom Lieferkettengesetz beabsichtigten Verbesserungen bei Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstandards tatsächlich eintreten. Insofern müsste auch die Frage der Verhältnismäßigkeit diskutiert werden.
Insgesamt zeigt sich, dass sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene erkannt wurde, wie sehr die hohen Bürokratiekosten Wirtschaft und Gesellschaft belasten. Die Europäische Union verfolgt das Ziel, dass die Informationspflichten für alle Unternehmen bis 2029 um mindestens 25% reduziert werden. Für kleinere und mittlere Unternehmen sollen sie sogar um mindestens 35% sinken. Deutschland könnte diesem Ziel Rückenwind geben. Hilfreich wäre hier auch das neue Grundverständnis, das Bundeskanzler Merz in seiner ersten Regierungserklärung angekündigt hat: Den Bürgern und Unternehmen soll künftig nicht mehr mit Misstrauen, sondern mit Vertrauen begegnet werden. Ein solches Miteinander und eine Service-Mentalität des Staates könnten nicht nur Deutschland, sondern auch Europa einen neuen Schub geben.
Dieser Artikel ist auf Englisch beim American-German Institute (AGI), Washington D.C., erschienen.
Blog-Beiträge zum Thema:
Markus Brocksiek (BdSt): Bürokratie und ihr konsequenter Abbau
David Stadelmann (UBT): Bürokratieabbau. Mit Regeln gegen Regeln
Markus Brocksiek (BdSt): Bürokratieabbau forcieren – Staatseffizienz erhöhen