Kurz kommentiert
Bargeld weg, Freiheit weg

„By comparison with that existing today, all tyrannies of the past were half-hearted and inefficient.“ (George Orwell, 1984)

Führende amerikanische Ökonomen plädieren für die Abschaffung des Bargeldes. Steuerhinterziehung und Schwarzmarkt-Aktivitäten werde auf diese Weise das Wasser abgegraben. Vor allem aber könnte so auch der Negativzinspolitik zur „vollen Wirksamkeit“ verholfen werden.

Wenn die Zentralbank die Zinsen in den negativen Bereich drückt, wird das Sparen zum Verlustgeschäft. Bankkunden werden sich der Repressalie entziehen, werden sich ihre Guthaben in Bargeld auszahlen lassen und mit nach Hause nehmen.

Für die Bürger ist der Negativzins ein erkennbares Übel. Also brauchen die, die diese Politiken ein- und durchführen wollen, ein Argument, das ihr Vorhaben (schein-)legitimiert. Einige Ökonomen liefern das politisch Gewünschte.

Sie verkünden: Der „richtige“ (das heißt der „gleichgewichtige“) Zins sei negativ. Das „Gemeinwohl“ erfordere es daher, dass die Zentralbank eine Negativzinspolitik verfolgt, weil nur so die Volkswirtschaften auf Wachstumskurs gebracht werden könnten.

Und um diese Politik zum Erfolg zu führen, sei es eben erforderlich, das Bargeld abzuschaffen. Doch diese Argumentation kann nicht überzeugen. Der gleichgewichtige (Real-)Zins einer Volkswirtschaft kann nicht null, geschweige denn negativ sein. Er ist immer und überall positiv.[1]

Wenn dennoch darauf gedrängt wird, einen Negativzins einzuführen und das Bargeld abzuschaffen, müssen andere Gründe im Spiel sein. Geht man von einer Unschuldsvermutung aus, könnte man sagen, die Forderungen leiten sich aus einem Denkfehler ab.

Geht man hingegen davon aus, dass diejenigen, die den Negativzins und das Bargeldverbot fordern, schlau sind, drängt sich eine andere Erklärung auf: Der Weg soll geebnet werden für eine Politik, durch die die Schulden und damit die Ersparnisse vieler Bürger entwertet werden.

Die Schuldenlasten vieler Staaten und Banken sind mittlerweile erdrückend hoch, so dass an eine Rückzahlung der Schulden nicht mehr zu denken ist. Ließe sich ein Negativzins durchsetzen, so würde das den Schuldnern helfen, sich ihrer Kreditlasten zu entledigen.

Die Negativzinsen würden beispielsweise dafür sorgen, dass die Bankeinlagen (die ja Schulden der Banken gegenüber ihren Kunden sind) „wegschrumpfen“. Die Kontobestände der Bankkunden schwinden und tauchen als Bankgewinne wieder auf.

Könnte man gar noch Kreditgeber dazu bewegen, Kredite mit negativen Zinsen zu vergeben, so wäre auch das eine Erleichterung für die Schuldner: Es würde sie entschulden. Aber niemand, der noch bei Sinnen ist, spart bei Negativzinsen.

Wenn man keinen Zins mehr verdienen kann, hört auch das Investieren auf. Der Gegenwartskonsum weitet sich aus auf Kosten des Zukunftskonsums. Es kommt zum Kapitalverzehr. Sparen und Investieren als Quelle des Wohlstandes versiegen.

Eine Negativzinspolitik, deren Durchsetzung die Bargeldabschaffung erfordert, verarmt aber nicht nur die Volkswirtschaft. Sie öffnet auch dem Totalitarismus Tür und Tor. Dazu muss man wissen, dass das Bargeld dazu beiträgt, den Staat zumindest in gewissen Schranken zu halten.

Wird der Staat zu aggressiv – etwa in Form von Steuererhebungen und Handelsverboten –, haben die Bürger mit Bargeldzahlungen immer noch die Möglichkeiten, sich seiner Drangsalierung wirkungsvoll zu entziehen.

Ohne Bargeld ist der Fluchtweg jedoch versperrt, und dann wird es auch mit dem letzten Bisschen Zurückhaltung des Staates vorbei sein. Er kann dann ungehemmt die Steuern erhöhen und Kontobewegungen seiner Bürger überwachen.

Ohne Bargeld ist die finanzielle Privatsphäre der Bürger perdü. Es ist dann nur noch ein ganz kleiner Schritt, bis der Staat mit seiner beherrschenden Macht über den Bankenapparat entscheiden kann, wer was kaufen und wer wohin reisen darf.

Was auch immer die Gründe sind, das Bargeld abzuschaffen – ob diese Idee aus einem Denkfehler stammt oder einer Allmacht-Staatsfantasie entspringt –: Ein solches Vorhaben, wenn es in die Tat umgesetzt wird, verspricht nichts Gutes.


[1] Zur Erklärung siehe z. B. Polleit, T. (2015), The „Natural Interest Rate“ Is Always Positive and Cannot Be Negative, Mises Daily, 21. März (https://mises.org/library/natural-interest-rate-always-positive-and-cannot-be-negative) beziehungsweise die dort angegebene Literatur.

 

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