Informationelle Selbstbestimmung aus ordnungsökonomischer Sicht

Der Europäische Gerichtshof hat in den letzten Monaten zwei wegweisende Entscheidungen zum Datenschutz gefällt, in dem er das „Recht auf Vergessen“ im Internet gestärkt und das Safe-Harbor-Abkommen gekippt hat. Damit hat er wichtige Bausteine für einen neuen Ordnungsrahmen für das Internet geschaffen, die allerdings noch unzureichend sind und vor allem noch keine Antwort auf die Frage geben, wie die informationelle Selbstbestimmung in Zukunft geregelt werden soll. Die Ordnungspolitik kann hierzu wichtige Anstöße geben.

Funktionierende, wettbewerblich organisierte Märkte sorgen für eine optimale Allokation von Ressourcen und maximieren damit die gesellschaftliche Wohlfahrt. Aus diesem Grund bedürfen staatliche Eingriffe in den Marktmechanismus einer wohlfahrtsökonomisch fundierten Rechtfertigung auf der Basis von beobachtetem Marktversagen. Anderenfalls sind sie dazu geeignet, wohlfahrtsmindernde Verzerrungen der Ressourcenallokation zu verursachen. In der Folge dieser Verzerrungen können auch unerwünschte distributive Folgen, etwa bei der Einkommensverteilung, entstehen.

Der Markt für Informationen

Werden – durch Marktversagen gerechtfertigte – Eingriffe durchgeführt, so sollten sie sparsam erfolgen und vor allem der Regelsetzung für einen Ordnungsrahmen dienen, der den Wettbewerb nur so weit begrenzt, dass sich die Marktakteure innerhalb dieses Rahmens weiterhin frei entfalten können und die Eigeninteressen der staatlichen Akteure wirksam eingehegt bleiben. Dies gilt auch für den Markt für private Informationen, also Informationen in Form von Daten über einzelne Bürger bzw. von Individuen selbst generierte Informationen und Daten. Dabei wird allgemein unterstellt, dass es den Bürgern frei stehen sollte, mit „ihren“ Daten zu tun und zu lassen, was sie wollen.

Ein institutionalisiertes Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann, wenn es sinnvoll gestaltet ist, eine staatliche Regelsetzung darstellen, die hilft, Marktversagen zu überwinden und die Allokation zu verbessern. Ausgangspunkt ist dabei zunächst die Feststellung, dass private Informationen spezielle Markteigenschaften besitzen, die auf die meisten anderen Güter nicht zutreffen. Zum einen lassen sie sich kaum vom Individuum als Träger der Informationsmerkmale trennen, was dazu führt, dass die Veröffentlichung privater Informationen es ermöglicht, ein Individuum durch Rückschluss zu identifizieren. Zum anderen sind sie wie öffentliche Güter durch die Nichtausschließbarkeit von ihrer Nutzung (und durch Nichtrivalität in der Nutzung) gekennzeichnet, so dass private Informationen weitgehend frei zur weiteren Nutzung durch Dritte verfügbar sind. Schließlich haben private Informationen einen Marktwert, der es erlaubt, sie für kommerzielle Zwecke einzusetzen und damit die individuelle und gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt zu erhöhen, auch wenn diese Tatsache in der breiten Öffentlichkeit überraschender Weise kaum zur Kenntnis genommen wird.

Macht sich ein Individuum den Marktwert seiner Informationen klar, dann ergibt sich aus seiner individuellen Sicht ein Optimierungsproblem, das in einem ökonomischen (aber nicht zwangsläufig juristischen) Sinne den Kern der informationellen Selbstbestimmung ausmacht. Der einzelne private Informationsanbieter kann als Marktteilnehmer – unter optimalen Bedingungen – selbst bestimmen, in welchem Umfang er private Informationen auf dem Markt offenbart, für die er von den Informationsnachfragern, zumeist Unternehmen, einen nutzenstiftenden Gegenwert erhält. Unter der Annahme perfekter Rationalität wird das Individuum gerade die richtige Menge an Informationen offenbaren, die seinen individuellen Nutzen maximiert.

Einige Einwände

Zwei generelle Einwände gegen diesen Ansatz existieren jedoch und haben zu einer Akzentverschiebung in der Charakterisierung der informationellen Selbstbestimmung in der Praxis des Datenschutzes geführt. Zum einen wird die Annahme perfekter Rationalität der Individuen angezweifelt, weil diese nicht in der Lage seien, die langfristigen Konsequenzen der Informationsoffenbarung korrekt abzuschätzen und daher mehr Informationen preisgäben, als es für sie günstig wäre. Insbesondere wird bezweifelt, ob sich Individuen darüber im Klaren sind, dass das Internet „nicht vergisst“, also auch (Informations-)„Jugendsünden“ nicht durch Löschung und Vergessen verschwinden. Zum anderen bestehe die Gefahr des opportunistischen Verhaltens der anderen Marktseite. Die Informationsnachfrager könnten die Informationen zum (finanziellen) Schaden des Individuums benutzen und sich die möglichen Erträge daraus allein aneignen, d.h., es käme zu einer Umverteilung von Informationsrenten von den Konsumenten zu den Unternehmen. Hierbei ist allerdings einschränkend zu sagen, dass (ausreichend kompetente) risikoaverse Informationsanbieter unter diesen Bedingungen auf Markttransaktionen verzichten könnten, weil sie das Verhalten ihres Gegenübers ex ante nicht einschätzen können und mangels durchsetzbarer Verfügungsrechte nicht am Kooperationsgewinn aus dem gegenseitigen Informationsgeschäft beteiligt wären.

Die Forderung nach Datensparsamkeit und Transparenz

Hieraus folgern viele Daten- und Verbraucherschützer die Notwendigkeit einer höheren Datensparsamkeit beim Informationsanbieter und von mehr Transparenz auf Seiten der Informationsnachfrager. Diese Forderungen greifen allerdings zu kurz, denn sie übersehen mehrere bedeutsame Aspekte. Datensparsamkeit, insbesondere wenn sie aus Unsicherheit resultiert, bedeutet, dass nutzen- und gewinnstiftende Tauschmöglichkeiten ausgelassen werden. Dies führt definitionsgemäß zu einer geringeren individuellen und kollektiven Wohlfahrt als theoretisch möglich wäre. Zugleich muss kritisch hinterfragt werden, ob eine generelle Datensparsamkeit nicht durch eine verbesserte (Verbraucher-)Bildung der Informationsanbieter substituiert werden kann. Datensparsamkeit wäre dann vor allem dort angebracht, wo Intransparenz auf der Nachfrageseite herrscht. Diese Sparsamkeit muss jedoch von rationalen Individuen nicht ausdrücklich gefordert werden, denn sie ist das Ergebnis ihres individuellen Kosten-Nutzen-Kalküls.

Auch der Umkehrschluss, dass Transparenz per se ein wohlfahrtserhöhender Wert sei, ist kritisch zu hinterfragen. Solange private Informationen nicht zum Schaden des privaten Nutzers eingesetzt werden, kann das Wohlfahrtsmaximum auch in einer intransparenten Umwelt erreicht werden. Halten sich die Informationsnachfrager generell an den Schutz der privaten Information, so muss keine weitergehende Transparenz darüber herrschen, wo und wie sensible Daten gespeichert sind (dies war ja auch der eigentliche Gedanke des Safe-Harbor-Abkommens). Dem Gesetzgeber kommt dann allenfalls die Aufgabe zu, den Nachfragern wirksame Anreize zum Schutz der Informationen zu setzen, etwa durch einen scharfen Strafrahmen bei Missachtung entsprechender Gesetze und wirksame Kontrollen bei der Aufdeckung von Regelverstößen. Diese Überlegungen zu einer regulierenden Rolle des Gesetzgebers gelten allerdings auch nur dann, wenn sich die Informationsschutzprobleme nicht auf den Märkten selbst durch die Bildung entsprechender institutioneller Arrangements beseitigen lassen, die das Koordinationsversagen bei den Transaktionen zwischen den Marktteilnehmern überwinden. Eine Stärkung von Marktsignalen (wie z.B. Datensicherheitszertifizierungen) wäre dann die passende ordnungspolitische Antwort.

Externalitäten und Verfügungsrechte

Wenig Beachtung in der Debatte um die informationelle Selbstbestimmung findet bisher die Tatsache, dass die Freigabe von Informationen einer positiven Externalität für die Nachfrageseite gleichkommt. Nach der klassischen Theorie der Externalität wird dies zu einer gesamtgesellschaftlich suboptimalen Bereitstellung von Informationen durch die Angebotsseite führen, oder anders ausgedrückt: das Marktergebnis wäre aufgrund individueller Kosten-Nutzen-Abwägungen zu datensparsam. Dies impliziert, dass vor allem Mechanismen identifiziert werden müssen, die private und soziale Kosten und Nutzen von Informationen in das richtige wohlfahrtsmaximierende Verhältnis setzen. Dies kann vor allem dann gelingen, wenn private Informationen auf Märkten handelbar und mit einem Marktpreis versehen werden, der alle anfallenden Kosten und Nutzen internalisiert. Grundsätzlich kann dabei – den Überlegungen von Coase folgend – zunächst offen bleiben, welcher Marktseite das Verfügungsrecht zugesprochen wird. Entscheidend ist, dass die Verfügungsrechte an Informationen ausreichend klar definiert werden, damit der Handel mit ihnen möglichst problemlos durchgeführt werden kann und nicht hohe Transaktionskosten den Austausch der Verfügungsrechte von vorneherein im Keim ersticken. Dies stellt im Fall des Informationshandels aber keine übergroße Anforderung dar, da Informationen Gütereigenschaften besitzen (wie etwa unendliche Teilbarkeit und nahezu keine Kosten des Transports), die einen transaktionskostenarmen Austausch ermöglichen.

Ordnungspolitische Folgerungen

Aus ordnungspolitischer Sicht bedeutet dies, dass – entsprechend den vorherigen Überlegungen – zunächst das Verfügungsrecht über private Informationen so präzise wie möglich zu definieren ist. Vor diesem Hintergrund bekommt die Forderung nach Transparenz einen anderen Sinn: Transparenz ist nötig, um dem Eigentümer des Verfügungsrechts die Möglichkeit zu geben, seine Rechte wahrzunehmen und deren Weitergabe zu kontrollieren bzw. dafür angemessen entlohnt zu werden. Die Grundsätze des Schutzes des geistigen Eigentums können hierbei als Grundlage dienen. Staatlicherseits muss durch Gesetz und vor allem durch die Rechtsprechung sichergestellt werden, dass die Verfügungsrechte ausreichend abgesichert sind. So ist – durchaus naheliegend – vorgeschlagen worden, die Rechte an seinen privaten Informationen dem Individuum selbst zuzusprechen und durch das Konzept der „privacy by default“ rechtlich abzusichern. Private Daten werden dann niemals automatisch an die Nachfrager übertragen, sondern müssen von diesen – ggf. gegen Bezahlung – angefordert werden.

Zugleich muss vor diesem Hintergrund aber eine ökonomisch sinnvolle, ebenfalls rechtlich abgesicherte und gesellschaftlich konsensfähige Lösung entwickelt werden, wie mit dem Problem umgegangen wird, dass die private Information nach der Offenlegung öffentlich und damit im Prinzip frei nutzbar geworden ist. Das Recht auf Vergessen, eine glaubwürdige Selbstverpflichtung des Staats in Bezug auf die Nichtnutzung von Daten und vor allem eine entschlossene Rechtsdurchsetzung sind hierfür essenziell. Während die aktuelle Rechtsprechung des EuGH den ersten und letzten Punkt aktiv angegangen hat, liegt bei der staatlichen Regelsetzung noch einiges im Argen. Der vorliegende Beitrag hat aufgezeigt, dass ein ordnungspolitischer Ansatz mit einer klaren Zuordnung und Durchsetzung privater Verfügungsrechte wegweisend für ein neues Verständnis der informationellen Selbstbestimmung sein kann.

Eine Antwort auf „Informationelle Selbstbestimmung aus ordnungsökonomischer Sicht“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert