Das Typische am „Geschäftsmodell Deutschland“ ist der starke industrielle Kern der Wertschöpfung insgesamt sowie die auffallend hohe Weltmarktorientierung der einschlägigen Branchen. Der Erfolg beruht dabei oft auf wissensintensiven und individualisierten Lösungen, die in einer eng vernetzten Landschaft aus Wirtschaft und Wissenschaft günstige, schwer kopierbare Voraussetzungen finden. Selbstverständlich ist dieser Erfolg jedoch nicht, er muss täglich neu errungen werden. Die Globalisierung sowie technologische Entwicklungen stellen bestehende Netzwerke auf den Prüfstand – zunehmend mobile Produktionsfaktoren wie Kapital und Wissen, rasant sinkende Transaktionskosten und die Grenzenlosigkeit von Produzenten- und Konsumentenentscheidungen strafen Defizite über kurz oder lang ab. Nur durch ein intelligentes und verantwortungsvolles Miteinander von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft wird es gelingen, als Standort attraktiv für knappe Ressourcen zu bleiben und innovative Spitzenleistung in Wohlstand und Beschäftigung umzumünzen. Auch für die kommenden Generationen soll dies eine realistische Perspektive, eine mögliche Zukunft sein.
Gerade deshalb ist es mehr als fahrlässig, wenn wir uns selbst feiern und bei der Party den Blick für Risiken und Gefahren verlieren. So wird in der Tat nach wie vor und allzu oft die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands mit ein paar oberflächlichen Zahlen der Außenhandelsstatistik und zum Bruttoinlandsprodukt bewiesen. Die Logik dabei ist ebenso einfach wie einleuchtend: Beeindruckende Exporterfolge und ein im internationalen Vergleich relativ hoher Wertschöpfungsanteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt zeigen doch eindeutig, dass wir der große Profiteur der Globalisierung und offenkundig auf den Weltmärkten auch nicht zu teuer sind! Einfach einleuchtend und einleuchtend einfach – aber leider einfach falsch. Zum Teil erfolgen die Interpretationen vorsätzlich unwahr, größtenteils jedoch fehlt es wohl schlicht an einem hinreichenden Verständnis, an substanzieller Beschäftigung mit der Materie. Die schönen Zahlen sind das Morphium, das den Blick auf die Wahrheit und den dringenden Handlungsbedarf vernebelt.
Und ich gebe es zu: sowohl für meine eigenes Unternehmen als auch meine Branche, den Maschinen- und Anlagenbau, hatte ich lange ebenso eine leicht vernebelte Sicht. Als Hans-Werner Sinn mittlerweile schon vor vielen Jahren dann sehr exponiert auf den Nebel hinwies und ihn vertreiben wollte, da war das auch für mich zunächst etwas irritierend. Aber es gelang – mit starken Begrifflichkeiten wie „Basarökonomie“ und „pathologischer Exportboom“ –, mein weiterführendes Interesse zu wecken und eine inhaltliche Auseinandersetzung und damit Erkenntnis zu provozieren. Ich kann mich noch gut an meine ersten Gespräche und Schriftwechsel mit Hans-Werner Sinn zu diesen Themen erinnern, und ich weiß aus eigener Erfahrung: Hans-Werner Sinn ist unbequem, er möchte überwunden werden, mit Argumenten, er bietet es an, und er macht es sich selbst dabei niemals leicht. Genau so entsteht Mehrwert, Erkenntnis und die Bereitschaft, etwas zu unternehmen – wenn man sich darauf einlässt.
Und unsere Gesellschaft muss sich auf diese (und weitere) Diskussionen dringend einlassen, um zukunftsfähig zu bleiben. Denn wir haben längerfristig nichts davon, wenn unsere Industrie in dem oben skizzierten Sinne erfolgreich ist, allerdings dies mehr und mehr dadurch, dass flächendeckend die Kapitalintensität der Produktion nach oben geschraubt wird, nur noch sach- und humankapitalintensive Sektoren überlebensfähig sind und sich zudem die Wertschöpfung zunehmend auf die Endstufen der Fertigung beschränkt, der Rest sukzessive über Outsourcing und Offshoring abgewickelt wird. Dann haben wir zwar womöglich – zumindest für einige Zeit – erfolgreiche Unternehmen und hübsche Exportstatistiken, aber immer weniger Wertschöpfung, die zu Wohlstand und Beschäftigung bei uns im Land führt, zumindest in der Breite. Denn vielfältige strukturelle Verkrustungen sorgen für mangelnde Flexibilität, gerade auch auf dem Arbeitsmarkt – und ebendort liegt die wahre Antwort auf die Frage, ob Deutschland Globalisierungsgewinner ist; und man muss erkennen: nicht alle Arbeitnehmer gleichermaßen, gerade einfachere Tätigkeiten geraten unter die Räder. Das ökonomische Gesetz des Faktorpreisausgleichs lässt sich politisch nicht aushebeln, allenfalls teuer und zu Lasten einzelner Arbeitnehmergruppen temporär vertuschen– oft sogar noch mit dem Argument, gerade diejenigen schützen zu wollen, die es dann nachher mit voller Wucht trifft. Ein klein wenig Morphium macht das Ganze noch leichter.
Die Unternehmen sind gefordert, durch innovative Produkte und Dienstleistungen – auch fundamentale Innovationen in den Geschäftsmodellen – dem globalen Wettbewerbsdruck die Stirn zu bieten. Die Politik ist gefordert, den rechtlich-institutionellen Rahmen so zu setzen, dass die notwendigen und ökonomisch sinnvollen Spezialisierungsvorteile dabei nicht zwangsläufig mit einer Entkopplung der Wettbewerbsfähigkeit von Branchen, Unternehmen und Arbeitern einhergehen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Globalisierung ganze Bevölkerungsgruppen vom Rest der Gesellschaft abkoppelt. Globalisierung erfolgreich meistern heißt auch, möglichst alle daran zu beteiligen. Das hat uns Hans-Werner Sinn dorthin geschrieben, wo es hin gehört: hinter die Ohren!
Referenz:
Wittenstein, Manfred (2016). Hans-Werner Sinn: Partykiller mit gutem Grund. In: Gabriel Felbermayr, Meinhard Knoche und Ludger Wößmann (Hrsgg.), Hans-Werner Sinn und 25 Jahre deutsche Wirtschaftspolitik. 1. Aufl. München: Carl Hanser Verlag, 128-129.
- Gastbeitrag
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