„Deutschland ist als Produktionsstandort mittlerweile einfach zu teuer, massive Verlagerungen von Wertschöpfung in das billigere Ausland unvermeidbare Folge der Globalisierung.“
Diese und ähnliche Thesen bestimmen schon seit langem die Diskussionen hierzulande. Die Angst ist nachvollziehbar. Eine nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit – insbesondere unter Geringqualifizierten und Älteren – und teilweise erhebliche Verlagerungen von Wertschöpfung ins Ausland scheinen unseren Niedergang vorzuzeichnen. Bei allem Verständnis für die Ängste bin ich mir jedoch sicher: Zukunft ist kein Schicksal, Zukunft lässt sich gestalten! Es gibt erfolgversprechende Strategien, wertige Beschäftigung in Deutschland zu halten und unseren Wohlstand auszubauen. Die Lösung für ein erfolgreiches Bestehen in einer zunehmend unsicheren und globalisierten Welt liegt – zumindest für weite Bereiche – in der Stärkung regionaler Produktions- und Forschungsnetzwerke hier in Deutschland.
Die Chancen nutzen: Wissen und intelligente Produktion
Klar ist, dass sich ein komplexes und umfassendes Bündel rechtlich-institutioneller Bedingungen und eine Vielzahl ökonomischer, politökonomischer und gesellschaftlicher Prozesse auf dem Prüfstand befinden. Arbeitsmarkt- und Gütermarktregulierungen, Fiskalpolitik, lohn- und tarifpolitische Praxis, Bildungspolitik, Engagement in Forschung und Entwicklung, die Systeme sozialer Sicherung, Familienpolitik, unternehmerisches Verhalten und vieles mehr bestimmen gemeinsam über Wohl und Wehe. Auf allen Feldern gibt es unübersehbaren Handlungsbedarf. Der vorliegende kleine Beitrag greift sich den Bereich unternehmerischer Aktivitäten heraus und geht der Frage nach, mit welcher Produktion wir auch zukünftig in Deutschland erfolgreich sein können und welche Rolle dabei die Kooperation mit Forschungsinstitutionen spielen kann. Die Globalisierung zwingt uns verstärkt dazu, Qualität, Innovation und Schnelligkeit in den Fokus einer erfolgversprechenden Strategie zu stellen. Wir müssen zu den besten gehören; billiger werden immer andere sein. Die Generierung und die rasche Umsetzung von komplexem Wissen sind die Erfolgsfaktoren für uns. Nur innovative und qualitativ hochwertigste Produkte und Produktionsprozesse begründen im globalen Wettbewerb letztlich die Absatzmöglichkeiten, die einen hohen Wohlstand ermöglichen. Was produziert wird und wie produziert wird, sind die entscheidenden Größen, es muss intelligent entwickelt und intelligent produziert werden.
Der Weg zum Erfolg: lokale Stärken erkennen und nutzen
„Intelligentes Produzieren“ in diesem Sinne ist nach wie vor in Deutschland möglich! Aus meiner Sicht schielen viele Unternehmen zu schnell und unbedacht über die Grenzen hinweg in Länder mit niedrigerem Lohnniveau, einer geringeren Steuer- und Abgabenbelastung und weniger staatlicher Regulierung; zu einseitig und unreflektiert wird auf diese Größen abgestellt, unüberlegt Wertschöpfung in so genannte „Billiglohnländer“ verlagert. Ohne Frage gibt es bei uns eine ganze Reihe von Reformbaustellen, die unbedingt konsequent angegangen werden müssen. Jedoch: Verlagerungen von Wertschöpfung ins Ausland bergen immer auch erhebliche Gefahren in sich, und man wirft dadurch vorhandene Vorteile einer heimischen Produktion über Bord. Die vorliegenden Erkenntnisse über häufiges Scheitern von Auslandsaktivitäten und Rückverlagerungen von Wertschöpfung bestätigen dies eindrucksvoll.
Unabhängig davon, dass ganz gewiss eine jede vorhandene Produktion in Deutschland erhebliches Potenzial zur Effizienzsteigerung vor Ort beinhaltet, das zunächst einmal ausgeschöpft werden sollte, muss eine rationale Standortanalyse die Beantwortung eine ganzen Liste von Fragen beinhalten, die weit über Lohn- und Steuerkosten sowie Regulierungsgesichtspunkte hinausgeht:
- Wie ist die geographische Lage eines Standortes zu beurteilen?
- Wie steht es mit der politisch-gesellschaftlichen Stabilität und Rechtssicherheit?
- Welchen Stellenwert hat die Wahrung geistigen Eigentums? Wie groß ist die Gefahr, wertvolles Know-How zu verlieren?
- Ist qualifiziertes Personal in gewünschter Menge verfügbar?
- Wie lassen sich erreichbare Flexibilität, Produkt- und Prozessgüte bewerten?
- Welche Infrastruktur steht zur Verfügung? Wie gut und differenziert ist das Angebot an Wertschöpfungspartnern?
- Mit welchen Koordinations- und Kommunikationskosten ist zu rechnen?
- Ist eine effiziente Lenkung des Unternehmens und schnelle Reaktionsfähigkeit sichergestellt?
- Welche soziokulturellen Probleme sind relevant (Sprache, Mentalität, Arbeitsmoral, Wertesystem etc.)?
- Ist eine schnelle und effiziente Technologieerschließung gewährleistet?
Schon diese kleine Liste möglicher Fragen verdeutlicht dem interessierten Leser, dass es trotz international bestehender Differenzen hinsichtlich Arbeitskosten, Steuer- und Abgabenlast sowie Regulierungsdichte nach wie vor gute Gründe gibt, in Deutschland zu produzieren. Zumindest ist die zweite Waagschale nicht leer, sondern es gibt gewichtige Faktoren, die für unternehmerisches Engagement hierzulande sprechen. Gerade für mittelständische Unternehmen mit begrenzten Managementkapazitäten sind regionale Verlagerungen von Wertschöpfung mit einem oft existenziellen Risiko verknüpft. Und die deutsche Industrie ist mittelstandgeprägt; Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten machen rund 95 der Betriebe insgesamt aus und stellen 60 Prozent der Arbeitsplätze insgesamt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf den letzten Punkt dieser – ohne Frage unvollständigen – Liste fokussieren, die Notwendigkeit einer schnellen und effizienten Technologieerschließung nämlich. Auch diesbezüglich gibt es ein ganzes Bündel von Argumenten, die gegen ein Aufsprengen der heimatlichen, über viele Jahrzehnte gewachsenen Netzwerke und eine Verlagerungen von Wertschöpfung sprechen.
Forschung und Produktion – Informations- und Prozessverdichtung in regionalen Netzwerken
In einem äußerst volatilen ökonomischen Umfeld ist es von herausragender Bedeutung, schnell und flexibel auf die wechselnden Anforderungen reagieren zu können. Besonders eine möglichst flexible Produktion komplexer Güter und Dienstleistungen profitiert stark von der Einbindung in ein adäquates regionales Umfeld. Dieses ist dabei stets ökonomisches, gesellschaftliches und kulturelles System gleichermaßen. Es lebt von Gemeinsamkeiten in Werten, Sprache, Mentalität und Kultur, von kurzen Wegen, schnellem Informationsaustausch, enger Kooperation, Synergien in den Prozessen, Sicherheit und Vertrautheit – von einer regionalen Nutzenverdichtung in vielfältiger Hinsicht. Eben diese Netzwerke sind es, die für Unternehmen ein leistungsfähiges Umfeld schaffen und sowohl betriebswirtschaftlich als auch volkswirtschaftlich von großem Nutzen sind. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Wettbewerbsfähigkeit definiert sich nicht nur über Größen wie Zinsen, Wechselkurse, Lohnniveau etc.; Wettbewerbsfähigkeit definiert sich gerade für „Hochlohnländer“ vorrangig über Technologiekompetenz, Innovation, Flexibilität und hoch spezifische Fähigkeiten. Ideale Voraussetzungen hierfür: regionale Netzwerke! Die Attraktivität und der Erfolg solcher Netzwerke sind weltweit unübersehbar, Agglomerationszentren entstehen nicht zufällig. Optimierte Zusammenarbeit, Beziehungsintelligenz, Technologie- und Innovationspartnerschaften haben letztlich immer auch mit Vertrauen und Vertrautheit zu tun. Auch setzt Erfolg ständige Verbesserung und ein forderndes Umfeld voraus. All dies hat eine regionale Dimension, räumliche Nähe ist Trumpf.
Wesentlicher Bestandteil erfolgreicher Netzwerke ist dabei immer ein effizienter Zugang zu neuestem technologischen Wissen, zu Forschung und Entwicklung. Grundsätzlich können und müssen innovative Unternehmen eigenen Forschungs- und Entwicklungsaufwand betreiben. Daran führt kein Weg vorbei, spezifische Lösungen und das Streben nach Wettbewerbsvorteilen erfordern dies. Darüber hinaus sind jedoch externe Forschungs- und Entwicklungsleistungen notwendig, um international erfolgreich sein zu können. Dies gilt einzelwirtschaftlich genau so wie auch volkswirtschaftlich. Die Arbeiten von Forschungseinrichtungen und -verbunden sind nur allzu oft Basis betriebsspezifischer Forschungsbemühungen und helfen, den eigenen Aufwand in akzeptablen Grenzen zu halten. Darüber hinaus wäre eine rein betriebswirtschaftlich organisierte und finanzierte Forschung etwa aufgrund möglicher Skalenerträge und positiver externer Effekte auch nicht effizient. Wie dem auch sei, auf zwei Dinge sei an dieser Stelle besonders hingewiesen: Erstens auf die Tatsache, dass Versuche, betriebseigene Forschung und Entwicklung in das „billigere Ausland“ zu verlagern, empirisch meist mäßig oder überhaupt nicht erfolgreich verlaufen (sind). Auch hier leiden Effizienz und Effektivität, wenn Teile der Wertschöpfung aus bestehenden Netzwerken gerissen und in ein neues ökonomisches und soziokulturelles System übertragen werden, abgesehen von den grundsätzlichen Gefahren, die damit verbunden sind, wenn wertvolles Know-How aus den Händen gegeben wird.
Zweitens bestehen erhebliche Interdependenzen zwischen Produktion und Forschung, deren positives Potenzial ebenso unter zunehmender räumlicher Entfernung leidet. Forschungs- und Entwicklungsaufwand muss man sich zeitlich verzögert in der Phase der Umsetzung der neuen Erkenntnisse zurückholen. Es ist daher einzel- und volkswirtschaftlich von enormer Wichtigkeit, schnell und sicher die Erkenntnisse aus Forschung und Entwicklung in marktverwertbare Prozesse und Produkte zu überführen. Deshalb ist es ja auch so wichtig, die entsprechenden Absatzmärkte ebenso vor Ort zu haben. Innovation ist stets die Summe aus guten Ideen und Entwicklungen sowie Schnelligkeit und Präzision in der Umsetzung. Daher sollte die Produktionstechnologie auch möglichst frühzeitig in den Forschungs- bzw. Entwicklungsprozess eingebunden werden, um erst gar kein Vakuum zwischen Forschung und Umsetzung entstehen zu lassen. Mit zunehmendem internationalen Handel und rauer werdendem globalen Wettbewerb ist es von wachsender Bedeutung, technologisch „up to date“ zu sein. „Up to date“ ist möglicherweise sogar zu wenig; oftmals begründet nur technologischer Vorsprung ökonomischen Erfolg, d.h. man muss der erste sein, der die Technologie von morgen kennt und anwenden kann. Integration, Schnelligkeit und Flexibilität in der Umsetzung verlangen enge Kooperation von Forschung und Produktion; kurze Wege sind erforderlich, räumliche und kulturelle Nähe ein Vorteil.
Unternehmen können dann besonders erfolgreich sein, wenn es die Forschung auch ist, und schneller Wissenstransfer sowie effiziente Umsetzbarkeit gewährleistet sind. Genau so, wie die Produktion von Forschung und Entwicklung profitiert, können umgekehrt auch Forschung und Entwicklung von intelligenter Produktion befruchtet werden. Ideen, Fragestellungen und Bedarfe entstehen oft zuerst in der Produktion. Nachhaltiger unternehmerischer Erfolg verlangt zudem immer öfter, mit zu beeinflussen, was die Technologie von morgen sein wird. Unternehmer sind wie Rennfahrer. Auch dort ist es schon lange nicht mehr ausreichend, nur schnell fahren zu können. Wer vorne mitmischen möchte, braucht einen guten Draht zu seinen Technikern, muss schnell erkennen und mitteilen können, was sein Auto besser macht. Neuentwicklung, Optimierung und erfolgreiche Umsetzung des technologischen Potenzials gehen im Rennsport Hand in Hand. Ebenso ist es im ökonomischen Wettbewerb. Produktion muss mehr sein als Erfüllungsgehilfe von Forschung und Entwicklung, Produktion muss verstärkt Impulsgeber und gleichwertiger Partner in einer strategischen Allianz sein. Nur ein intensiver Austausch von Forschung und Anwendung ermöglicht Vorsprung bei Forschungs-, Technologie- und Fertigungs-Know-How.
Deutschland verfügt über einen historisch gewachsenen, engen Verbund von Forschung und Produktion. Vorhandene Breite und Tiefe können als Basis für Spitzenleistung genutzt werden. Es kann nicht sinnvoll sein, Teile aus dieser Kette herauszubrechen; vielmehr sollte die aufgebaute Infrastruktur weiterentwickelt und optimiert werden, um mit diesen Waffen im globalen Konkurrenzkampf sowohl als Unternehmen als auch als Volkswirtschaft bestehen zu können. Es ist aus meiner innersten Überzeugung heraus die langfristig überlegene Strategie, die heimatlichen Netzwerke mit all ihren Stärken weiter auszubauen und zu optimieren, statt sie Stück für Stück aufzubrechen. Netzwerke sind immer stärker als die Summe ihrer Einzelteile; Netzwerkauflösung bedeutet daher zunächst immer Verlust.
Schlussbemerkungen
Regionale Netzwerke sind ein guter Nährboden für wirtschaftlichen Erfolg, gerade für die Produktion komplexer Güter und Dienstleistungen. Der Erfolg hängt dabei in starkem Maße von der Effizienz und Effektivität der Kooperation mit Forschung und Entwicklung ab. Auch hier ist ein möglichst enger Verbund und damit räumliche Nähe ein gewichtiger Faktor für beidseitigen Erfolg. Soll am Standort Deutschland auch in Zukunft erfolgreich produziert sowie das erreichte Wohlstandsniveau verteidigt und ausgebaut werden, so ist die Symbiose aus regionalen Produktionsnetzwerken auf der einen und Forschung und Entwicklung auf der anderen Seite lebensnotwendig.
- Gastbeitrag
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Sehr geehrter Herr Wittenstein,
regionale Netzwerke und eine enge Kooperation zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion sind unverzichtbar für nachhaltige Wertschöpfung in Deutschland. Dabei ist die Innovationskraft Deutschlands seit letztem Jahr laut BDI-Innovationsindikator von Platz 7 auf Platz 8 abgerutscht. Die Clusterinitiativen der Bundesregierung sind daher ein wichtiger Schritt. Aber besonders auch die von Ihnen erwähnten und für einen reibungslosen Innovationsprozess relevanten Standortfaktoren und Produktionsbedingungen sollten durch ordnungspolitische Maßnahmen spürbar verbessert werden. Innovationspolitik ist in erster Linie Ordnungspolitik!
Der BDI arbeitet zur Zeit an der Identifikation zukünftiger Wertschöpfungspotenziale Deutschlands, etwa im Rahmen der Initiative Innovationsstrategien und Wissensmanagement oder durch die Studien „Systemkopf Deutschland“ oder die „BDI-Roadmap 2020“. Es wird aber erheblicher ordnungspolitischer Aktivität und Reformanstrengungen bedürfen, um diese Potenziale schließlich auch ausschöpfen zu können. Regionale Netzwerke müssen gestärkt und Anreize geschaffen werden, damit Forschung und Entwicklung in Deutschland lohnend bleibt. Dazu gehört die Rücknahme der innovationsaversen Regelungen der Unternehmenssteuerreform 2008 – denn Steuerpolitik ist Ordnungspolitik und damit auch Innovationspoltik. Auch die Rahmenbediungen für die Forschung müssen so gestaltet werden, daß Erfingungen zukünftig auch in Deutschland umgesetzt werden. Ein reibungsloser Technologietransfer ist vor allem eine ordnungspolitische Aufgabe. Deshalb muß die Forschungsprämie gestützt und die Patentverwertung optimiert werden.
Ihr Christoph Sprich