Der Koalitionsvertrag steht. Die Frage „Kneift die FDP?“ kann mithin (für die nächsten vier Jahre) mit einem klaren „JA“ beantwortet werden. Die Chance, das Profil als Markt-Partei zu schärfen, hat die FDP verspielt. Ein Teil jener 14,6 Prozent derer, die die FDP gewählt haben, wir das nicht bedauern, weil das öffentliche Klima hierzulande sich ein Pro-Markt-Konzept immer nur als Sozialdarwinismus und nie als Fairness-Konzept vorstellen konnte. Die FDP hat auch diese Chance verspielt, Wettbewerb als Fairness zu präsentieren. Insofern ist der Koalitionsvertrag eine gute Nachricht für die FDP (er sichert stabile Regierungsmacht), aber – ich bitte um Nachsicht für das Pathos – eine schlechte Nachricht für den Liberalismus und die wirtschaftliche Freiheit in Deutschland (vgl auch meinen Beitrag „Das Elend der FPD“ in der F.A.S. vom 26. Oktober.
Ich will nicht noch einmal das ganze traurige Fass aufmachen, sondern lediglich drei Punkte zur Debatte stellen.
1.   Die FDP hat sich die Kritik am Neoliberalismus so sehr zu Herzen genommen, dass sie mit fliegenden Fahnen in das Heer der Volksbeglücker übergelaufen ist. „Wir sind keine soziale Gefahr“, gab Guido Westerwelle zu Protokoll. Staatsgeld für alle, zuzüglich einer Prise Schlaraffenland, heißt das Gesellschaftsideal dieses wirtschaftspolitischen Stils. Es ist eine Welt, die sich orientiert am „Ideal der komfortablen Stallfütterung“ (Wilhelm Röpke). Dabei ist der FDP das Kunststück geglückt, der eigenen Tradition des Klientelismus treu zu bleiben und zugleich ihr Füllhorn, mit dem sie Privilegien vergibt, zu erweitern auf Gruppen, die sie bislang nicht bedacht hat. So konnte die Apothekerlobby den Schutzzaun für ihre Branche noch einmal engmaschiger flechten: Behutsame Liberalisierungen durch die Einführung von Verkaufsstellen für Arznei in Drogeriemärkten werden wieder zugemacht. Zugleich erhalten alle möglichen Einzelgruppen Zuwendungen: Landwirte, Familien, Hartz-IV-Empfänger, Gastwirte. Nicht alles wurde von der FDP gepusht. Nichts hat sie verhindert. Es offenbart sich ein Bild des Staates, das sich an Füllhorn und Gießkanne orientiert. Jeder darf seine Lieblingsgruppen großzügig sponsern, heißt die Devise. Ich nenne das „sozialdemokratischen Klientelismus“. Mit Liberalismus hat das nichts mehr zu tun. Der Historiker Hans Rosenberg sprach – bezogen auf Bismarcks Sozialstaatsmodell – von „kollektiver Massenbestechung“.
2.   Bislang zu wenig beachtet wurde jener „Schirm zum Schutz der Arbeitnehmer in der Krise“, den Schwarz-Gelb spannen will und der mit rund 60 Milliarden Euro gespeist werden soll. Das irrwitzige Vorhaben erlangte bislang nur als fiskalischer Taschenspielertrick Aufmerksamkeit, wollte doch Schwarz-Gelb die Kosten einem Schattenhaushalt aufbürden, um die Schuldenbremse zu unterlaufen. Das ist vom Tisch. Doch der „Schirm“ gilt weiterhin als Herzstück des Koalitionsvertrags, ganz als ob die Krise immer noch tobe, wo doch alle Indikatoren darauf hinweisen, dass wir uns am Beginn eines Aufschwungs befinden. Westerwelle sagt ausdrücklich: was den Banken recht sei, müsse den Arbeitnehmern, die die Krise nicht verschuldet hätten, billig sein. Das zeigt zunächst, dass Westerwelle die systemische Sonderrolle der Bankenrettung nicht verstehen kann, weil er nur in Kategorien des Klientelismus denkt: Wenn die Banker Geld kriegen, müssen auch die Arbeitnehmer Geld bekommen. Schlimmer noch ist aber, dass sich auch die FDP jetzt von einer liberalen Arbeitsmarktpolitik verabschiedet hat und eine keynesianische Arbeitsmarktpolitik (man tut wahrscheinlich Keynes großes Unrecht, das so zu nennen) favorisiert. Statt den Kündigungsschutz zu lockern und die Mindestlöhne in die Tonne zu hauen, spannt jetzt auch die FDP mit viel Geld Schutzschirme und greift dafür ungebeten in den Geldbeutel ihrer Bürger.
3.   Damit sind wir beim zentralen Skandal dieses Koalitionsvertrags: der schamlosen Enteignung künftiger Generationen, was sich als Konzept freiheitlicher Entlastung vermarktet. Man muss Konjunkturprogramme, Bildungswohltaten und Steuersenkungen (von der Einkommenstuer bis zur Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastwirte oder der Erbschaftsteuer) addieren, um das Ausmaß zu erkennen: Grob über den Daumen (weil Schwarz-Gelb das verschleiert), sind das schnell 150 Milliarden Euro. Selbst die größten Freunde der Laffer-Kurve werden Mühe haben, daraus einen positiven Wachstumseffekt zu berechnen, mit dem sich das Ganze aus unsichtbarer Hand irgendwann selbst finanziert. Deshalb ist es wohl an der Zeit, den unter Liberalen selbstverständlichen Bias „Pro-Steuersenkung“ in Frage zu stellen. Wenn Politiker ihren Bürgern die Kosten des Lebens ersparen wollen, indem sie die Rechnung für die „Rettung“ zurück halten, dann ist Gefahr in Verzug. Für die Folgen dieser Krise sollen andere haften, heißt die schlechte Botschaft. Damit wiederholt sich heute nur dieselbe Verantwortungslosigkeit, die in die Krise führte: fehlende Haftung. Die Krise ist nicht Reinigung, sondern Verfall der Sitten. Die FDP hat das alles nicht allein zu verantworten. Aber sie hat den Verfall des Liberalismus zu verantworten.
- Ordnungspolitische Denker heute (3)
Was wir von Wilhelm Röpke lernen sollten – und was lieber nicht. - 26. Januar 2014 - Über den Umgang mit Unsicherheit und Offenheit
Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten nach fünf Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise - 29. Oktober 2013 - Ungleichheit heute (15)
Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun? - 2. August 2013
Vielleicht passend hierzu:
http://fdpbundestagsfraktion.wordpress.com/2009/12/10/muss-sich-die-finanzpolitik-der-fdp-neu-erfinden/