Die Grenzen der geld- und finanzpolitischen Asymmetrie

Angesichts des Unbehagens über aufgeblasene Zentralbankbilanzen und explodierende Staatsverschuldung hat die Diskussion um den Exit aus den Niedrigzinspolitiken der großen Zentralbanken eingesetzt. Je mehr Nachrichten eine globale wirtschaftliche Erholung signalisieren, desto notwendiger erscheint die Rückkehr zum makroökonomischen Alltag.


Die Standpunkte der großen Zentralbanken sind unterschiedlich. Die Europäische Zentralbank, die im Ausmaß der quantitativen Lockerung vergleichsweise zurückhaltend war, signalisiert den entschlossenen Ausstieg. Die Federal Reserve unter Ben Bernanke diskutiert die technischen Möglichkeiten, lässt den Zeitpunkt ungewiss und zögert.  Die Bank of Japan, die seit mehr 10 Jahren eine Nullzinspolitik gepaart mit quantitativer Lockerung verfolgt, verharrt in der Starre. Der vor der Wahl als zukünftiger japanischer Finanzminister gehandelte Wirtschaftsprofessor Eisuke Sakakibara meint, dass für Japan eine Abkehr von der Nullzinspolitik frühestens in fünf Jahren denkbar sei.

Was liegt vor uns? Der von Ökonomen wie Ben Bernanke und Paul Krugman propagierte Siegeszug der makroökonomischen Steuerung ist nur dann nachhaltig, wenn im bevorstehenden Aufschwung Staatshaushalte konsolidiert und das Zinsniveau auf ein inflations- und finanzmarktblasenneutrales Niveau zurückkehren wird. Alternativ droht wie in Japan das Abdriften in die Liquiditätsfalle oder Inflation. Für die letzte Option sprechen im Wesentlichen vier Gründe: (1) die Persistenz asymmetrischer makropolitischer Handlungsmuster, (2) die abfallende Grenzleistungsfähigkeit der Investitionen, (3) der strukturelle Anstieg der Staatsverschuldung und (4) der Unwille von Wählern und Politik zu Reformen.

(1) Während die Asymmetrie der Finanzpolitiken (steigende Staatsverschuldung in der Rezession, aber zurückhaltende Rücklagenbildung im Boom) weithin bekannt ist, hat die Asymmetrie der Geld- und Währungspolitiken bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden.  Diese setzt in den 80er Jahren in Japan mit Blick auf den Wechselkurs ein. Die Zentralbank des exportabhängigen Landes senkte die Zinsen in Aufwertungsphasen (um diese abzudämpfen), ließ sie in Abwertungsphasen aber unverändert. Im Ergebnis sank der Zins über den Zeitverlauf gegen Null. Ähnliches praktizierten Greenspan und Bernanke hinsichtlich der Aktienmärkte. Während in Reaktion auf Krisen die Zinsen deutlich gesenkt wurden, wurden sie im Boom nach der Krise nicht entsprechend angehoben. Der Zins sank gegen Null. In Europa zeigte sich die Geldpolitik zwar vorsichtiger, doch auch hier erreichte der Zins mit der jüngsten Megakrise ein historisches Tief.  Die wirtschaftspolitische Folge ist einfach: Die asymmetrischen Geldpolitiken enden in der Liquiditätsfalle und damit in geldpolitischem Unvermögen.

(2) Der Weg aus der Nullzinsfalle ist schwierig, da mit der strukturellen monetären Lockerung die Grenzleistungsfähgikeit der Investitionen sinkt. Die Unternehmer vergleichen den Marktzins mit der erwarteten Rendite von Investitionsprojekten und treffen ihre Investitionsentscheidungen. Zwar kann in Krisen die Zentralbank durch Zinssenkungen den Wirtschaftskreislauf wieder in Gang setzen. Doch sinkt bei einem strukturell fallenden Zinsniveau die Grenzleistungsfähigkeit der Investitionsprojekte. Zinserhöhungen im Boom werden schwieriger, da mit billigem Geld Projekte mit geringen Renditen oder spekulativer Art finanziert wurden. Steigen die Zinsen, werden diese Projekte schnell fragil oder Spekulationsblasen platzen. Die Zentralbank wird zur geldpolitischen Umkehr gezwungen und driftet zurück in die Liquiditätsfalle.

(3) Dies setzt die Fiskalpolitik unter Druck. Solange die Zinsen sinken können, bleiben die Staatsfinanzen stabil. Der monetäre Stimulus spült mit dem Aufschwung Geld in die Steuerkassen. In der Rezession wird die Verantwortung für die makroökonomische Stabilisierung auf die Geldpolitik verlagert. Diese wirkt über den Zinskanal schneller als die Fiskalpolitik und verursacht keine Kosten. Jedoch fällt die Verantwortung für die makroökonomische Stabilisierung dann auf die Fiskalpolitik zurück, wenn sich – wie in Japan seit 1999 und in den USA und Europa derzeit – das Zinsniveau dem Nullpunkt nähert. In Krisenzeiten steigt dann die Staatsverschuldung sprunghaft an.

Je höher das Niveau der Staatsverschuldung, desto größer ist der Druck auf die Zentralbank den Leitzins niedrig zu halten. Japan zeigt dies sehr anschaulich. Dort lag die Staatsverschuldung zum Zeitpunkt des Platzens seiner Blase 1990 bei ca. 70% des BIP. Bei einem Zinssatz auf 10jährige Staatspapiere von 6,5% lag der Zinsdienst bei ca. 10% des Staatshaushaltes. Seitdem ist der Leitzins gegen Null gefallen und die Bruttostaatsverschuldung auf knapp 200% des BIP gestiegen. Trotz Weltrekordverschuldung bleibt der Zinsdienst moderat – 2008 bei gut 20% des Staatshaushaltes –, weil die Verzinsung 10jähriger Staatsanleihen aufgrund der Nullzinspolitik auf 1,5 % gesunken ist. Hätte der Zins im Jahr 2008 hingegen auf einem Niveau von 4% gelegen, dann hätte die Zinslast ceteris paribus bereits knapp 50% des Staatshaushaltes ausgemacht. Bei einer nicht ungewöhnlichen 8prozentigen Verzinsung nahe 100%. Aus dieser Sicht erscheint Herrn Sakakibara’s Perspektive der japanischen Geldpolitik plausibel.

(4) Dies führt zur Frage, ob die institutionelle Unabhängigkeit der Zentralbanken dem Druck der Regierungen zur Monetarisierung des Staatshaushalts standhalten kann. Die Bank of Japan ist seit langem de facto zur Außenstelle der Regierung herabgestuft. In den USA werden Geld- und Finanzpolitik aktiv koordiniert. Die hohe personelle Mobilität zwischen Zentralbank, Finanzmärkten, Hochschulsektor und Regierung lässt institutionelle Grenzen und Interessen verschwimmen. In beiden Ländern wird der Verbleib beim Nullzins signalisiert. In Europa haben die Grenzen zwischen Zentralbank und Regierung zwar Bestand, doch es werden die Spannungen im Europäischen Zentralbankrat steigen, wo die süd- und mitteleuropäischen Länder, die über keine Stabilitätskultur deutscher Prägung verfügen, inzwischen die Mehrheit haben. Zudem wird der Aufwertungsdruck auf den Euro zunehmen, was einen restriktiven Kurs erschwert.

Der Frage hinsichlich der Exitstrategien der großen Zentralbanken ist damit im Kern eine Frage des politischen Willens zur Umkehr, der bei Bürgern und Politikern in den saturierten Volkswirtschaften der nördlichen Hemisphäre gering sein dürfte. Deshalb wurde für lange Zeit Reformbedarf durch expansive Geld- und Finanzpolitiken kaschiert. Die Grenzen der geldpolitischen Strukturpolitik sind nun weitgehend erreicht. Bei der Finanzpolitik mag es noch Spielraum geben, doch dieser wird abnehmen.  Dann stellt sich die Frage des Exits aus hoher Staatsverschuldung und aufgeblähten Zentralbankbilanzen konkret. Der kann entweder durch entschlossene Reformen oder einen deutlichen Anstieg der Inflation gelöst werden. Die Zukunft wird zeigen, welcher Weg eingeschlagen wird.

Literatur:

Danne, Christian / Schnabl, Gunther 2008: A Role Model for China? Exchange Rate Flexibility and Monetary Policy Making in Japan. China Economic Review 19, 2, 183-196.
Hoffmann, Andreas / Schnabl, Gunther 2008: Monetary Policy, Vagabonding Liquidity and Bursting Bubbles in New and Emerging Markets – An Overinvestment View. The World Economy 31 (2008), 9, 1226-1252.
Hoffmann, Andreas / Schnabl, Gunther 2009: A Vicious Cycle of Financial Market Exuberance, Panics and Asymmetric Policy Response. Mimeo.
Schnabl, Gunther 2009: Asymmetrische Makropolitiken, ausgesetzte Regelmechanismen und lahme Wachstumsperspektiven. Wirtschaftsdienst 89 (2009), 10, 660-664.

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