Reaktionen auf die Brexit-Entscheidung

Am 23. Juni 2016 fand das Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union (EU) statt. Dabei stimmten 51,9 Prozent der Wähler für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, also für den Brexit, und 48,1 Prozent für einen Verbleib in der EU. Die regionale Verteilung des Abstimmungsverhaltens fasst Abbildung 1 zusammen. Danach waren es insbesondere Nord-Irland, Schottland und der Großraum London, die mehrheitlich für einen Verbleib in der EU stimmten. Dies hat nach der Brexit-Entscheidung unmittelbar dazu geführt, dass Schottland über ein erneutes Austrittsreferendum aus dem Vereinigten Königreich nachdenkt.

Die Brexit-Entscheidung kam für viele überraschend, hatte man doch insbesondere vor dem Hintergrund der Ermordung der Labour-Abgeordneten Jo Cox einen – wenn auch knappen – Sieg des Remain-Lagers erwartet. Dafür sprachen auch die Umfrageergebnisse[1] in der Woche vor dem Referendum. Vor diesem Hintergrund reagierten insbesondere die Finanzmärkte am Morgen des 24. Juni mit heftigen Kursausschlägen.

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Nachdem die politischen (Rückzugs-)Reaktionen von Boris Johnson und Nigel Farage zunächst Zweifel daran aufkommen ließen, ob man das Ergebnis des Referendums wirklich umsetzen würde,  scheinen mit der am 14.7. erfolgten Ernennung von Theresa May zur Premierministerin Großbritanniens und der damit verbundenen Nominierung von Boris Johnson – dem schärfsten Befürworter des Brexit – zum neuen Außenminister sowie der Einrichtung eines Brexit Ministeriums unter der Leitung von David Davis die Weichen wohl eindeutig auf „Austritt aus der EU“ gestellt zu sein. Allerdings will man sich –  auch vor dem Hintergrund einer innenpolitisch einheitlichen Vorgehensweise – mit dem Austrittsantrag gemäß Art. 50 EU-Vertrag bis zum Ende dieses Jahres Zeit lassen. Dadurch wird die Ungewissheit über die zukünftigen handelspolitischen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU aber eher noch verstärkt.

Vor diesem Hintergrund führte der unerwartete Ausgang des Referendums – wie Abbildung 2 zeigt – dazu, dass das britische Pfund (GBP) am 24. Juni deutlich abgewertet wurde: Um etwa 8  Prozent gegenüber dem Euro und um etwa 11  Prozent gegenüber dem US-Dollar (USD). Nach einer kurzen Erholungsphase setzte sich dann der Abwärtstrend des GBP zunächst weiter fort, um im Folgenden jedoch wieder auf das Niveau der ersten Abwertungsreaktion zurückzukehren. Im Gegensatz dazu wurde der Euro nach anfänglichen Verlusten gegenüber dem USD bis heute um lediglich etwa 2,5  Prozent abgewertet, während er gegenüber dem Schweizer Franken in etwa seinen Wert gehalten hat (siehe Abbildung 3). Die Entwicklung des Schweizer Frankens mag zum Teil dadurch beeinflusst worden sein, dass die Schweizer Nationalbank nach eigenem Bekunden den Schweizer Franken in den Tagen nach der Brexit-Entscheidung durch Interventionen am Devisenmarkt geschwächt und damit im Gegenzug den Euro gestützt hat.

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In den Tagen vor dem Referendum war allerdings zunächst eine Aufwertung des GBP zu beobachten, die – wie zuvor erläutert – durch die Erwartung einer Remain-Entscheidung begründet war. Die darauf folgende deutliche und nachhaltige Abwertung des GBP ist hingegen insbesondere auf folgende Faktoren zurückzuführen:

  • Die allgemeine politische Unsicherheit durch den Brexit, zu der auch die Gefahr einer möglichen Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich beiträgt,
  • die Gefahr einer Rezession in Großbritannien, in deren Gefolge es zu sinkenden (Leit-)Zinsen kommen würde, und
  • das (stetig zunehmende) Leistungsbilanzdefizit Großbritanniens von gegenwärtig etwa sieben Prozent gemessen am BIP, das bisher durch private Kapitalzuflüsse finanziert wurde. Gehen diese Kapitalzuflüsse künftig vor dem Hintergrund der Brexit-Entscheidung (deutlich) zurück, so lässt sich ein Abbau des Leistungsbilanzdefizits nur über eine erhebliche Abwertung des GBP erreichen.

Längerfristig könnte sich dieser Abwärtstrend des GBP noch verstärken, wenn deutlicher wird, wie die neu verhandelten Regelungen zwischen Großbritannien und der EU auf den Handel und insbesondere die Investitionen wirken werden.[2] Entsprechende Prognosen erwarten daher zum Teil eine (weitere) Abwertung bis hin zur Parität zwischen dem GBP und sowohl dem Euro als auch dem USD. Da die zuvor erläuterten Entwicklungen für die verbleibenden EU-Mitglieder hingegen von wesentlich geringerer Bedeutung sind, fiel die (bisher  erfolgte) Abwertung des Euro gegenüber dem USD deutlich geringer aus als die Abwertung des GBP.

Ähnlich wie an den Devisenmärkten, hat die Brexit-Entscheidung auch an den Aktienmärkten zunächst einen Einbruch mit sich gebracht, der gemäß Abbildung 4 beim STOXX 50, dem europäischen Leitindex, mit etwa 11 Prozent am stärksten ausgeprägt war. Im Gegensatz dazu war der Einbruch beim Dow Jones, dem amerikanischen Leitindex, und dem britischen Leitindex FTSE 100 mit etwa 5 Prozent am geringsten. Während alle Aktienindizes in der Zwischenzeit das Vor-Referendums-Niveau wieder fast erreicht oder sogar leicht überschritten haben, weist der FTSE 100 mit etwa 5 Prozent einen unerwarteten Kursanstieg auf.

Abbildung 4 lässt weiter erkennen, dass auch an den Aktienmärkten zunächst ein allgemeiner Kursanstieg im Vorfeld des Referendums aufgrund der Remain-Erwartung zu beobachten war. Überraschungs- und unsicherheitsbedingt folgten dann jedoch deutliche Kursverluste nach dem Brexit-Ergebnis. Die überraschend schnelle Erholung des FTSE 100 ist wohl zum einen dadurch bedingt, dass in diesem Index in erster Linie Unternehmen enthalten sind, die international agieren und daher von der Brexit-Entscheidung selbst nur in geringem Maße getroffen werden. Zum anderen profitieren diese Unternehmen von der deutlichen Abwertung des GBP, die die internationale (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen verbessert und damit Gewinnmöglichkeiten eröffnet. Und last but not least hat die Bank of England als Folge des Brexit-Entscheids eine Lockerung ihrer Geldpolitik in Aussicht gestellt, die – wie das Beispiel der Europäischen Zentralbank lehrt – die Aktienkurse (zumindest temporär) steigen lässt.

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Betrachtet man im Gegensatz zum FTSE 100 jedoch den weiter gefassten FTSE 250 Index so zeigt sich – wie in Abbildung 5 zu sehen – ein deutlich anderes Bild. Da im FTSE 250 in größerem Umfang mittelständische Unternehmen enthalten sind, die in der Regel stärker auf nationale Märkte orientiert sind, ergibt sich hier – trotz einer gewissen Erholung von anfänglichen Verlusten – immer noch ein deutlicher Kursrückgang im Verhältnis zum Zeitpunkt vor dem Referendum.

Eine noch stärkere Abwärtsbewegung zeigt sich hingegen bei den britischen Bankaktien (siehe Abbildung 6). Während die Kursverluste in den ersten Tagen nach dem Referendum bei der Royal Bank of Scotland 40 Prozent betrugen, haben sich die Verluste gegenwärtig bei etwa 20 bis 25 Prozent eingependelt. Für diese Entwicklung ist insbesondere die Erwartung verantwortlich, dass der Brexit die Finanzinstitute der Londoner City am stärksten treffen wird.  Ähnlich wie im allgemeinen Aktienindex ist es jedoch auch hier die stärker international ausgerichtete HSBC Gruppe, die anfängliche Verluste sogar in Gewinne von etwa 5  Prozent umkehren konnte.

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Abbildung 7 zeigt darüber hinaus, dass die Brexit-Entscheidung nicht nur die britischen Bankaktien auf Talfahrt brachte, sondern auch andere (kontinental-) europäische Bankaktien. Von den hier betrachteten Werten traf es dabei die italienische Unicredit am stärksten, die zeitweise Verluste von bis zu 35  Prozent zu verkraften hatte, die sich allerdings gegenwärtig auf 20  Prozent reduziert haben. Aber auch deutsche, französische, spanische und schweizer Banken erlitten deutliche Kursverluste, von denen man sich bisher nur zum Teil geholt hat. Der Grund für diese Verluste ist wohl in erster Linie die enge Verflechtung der Finanzmärkte. Die besonders deutlichen Verlusten der italienischen Unicredit sind hingegen in erster Linie auf die bereits vor dem Referendum bekannt gewordenen Probleme italienischer Banken aufgrund notleidender Kredite in Höhe von insgesamt etwa 360 Mrd. Euro zurückzuführen.

Die Probleme italienischer Banken sind aber keineswegs neu und in ihrem Kern hausgemacht. Schon beim ersten Stresstest der EZB waren neun von 15 italienischen Banken durchgefallen. Auch auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos im Januar 2016 wurde das Problem der italienischen Banken diskutiert. Zu diesem Zeitpunkt verhandelte Italien aber bereits seit längerem mit der EU-Kommission über mögliche Lösungen. Dazu gehört auch, dass die italienische Regierung – unter Umgehung der Haftungskaskade im Rahmen der seit dem 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Bankenunion – versucht, die in Not geratenen Banken mit Hilfe staatlicher Rettungsmaßnahmen zu sanieren. Dies hat nicht zuletzt politische Gründe: Italienische Banken haben in den letzten Jahren im großen Umfang Bankanleihen an private Haushalte (Kleinanleger) verkauft, die bei einer Abwicklung gemäß den Richtlinien der Bankenunion zu einem Vermögensverlust vieler Sparer führen würde. Dies hätte wiederum einen deutlichen Popularitätsverlust der gegenwärtigen italienischen Regierung zur Folge, der seinen Höhepunkt in einer Abwahl haben könnte. Der Brexit-Entscheid hat diese Probleme allenfalls akzentuiert und erneut in den öffentlichen Fokus gerückt, er bildet aber keineswegs die Ursache der Probleme.

Abschließend zeigt Abbildung 8, dass es als Folge des Brexit-Entscheids zu erheblichen Umschichtungen an den Finanzmärkten gekommen ist. Während aufgrund der eingetretenen Unsicherheit die Aktienkurse zunächst deutlich einbrachen, führte die Flucht der Anleger in (vermeintlich) sichere Staatsanleihen zu steigenden Kursen und deutlich (weiter) sinkenden Renditen in diesem Bereich.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es nach dem überraschenden Brexit- Entscheid zunächst zu heftigen Reaktionen an den Finanzmärkten gekommen ist, die die Unsicherheit zum einen über das weitere (politische) Vorgehen und zum anderen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung in Großbritannien und der EU widerspiegeln. Dabei mag es kurzfristig auch zu überschießenden Effekten gekommen sein. Mittel- und längerfristig sind zudem weitere Anpassungen zu erwarten wenn deutlich wird, wie der Brexit-Entscheid die Konjunktur und das längerfristige Wachstum insbesondere Großbritanniens beeinflussen wird.

[1] Vgl. hierzu: http://ig.ft.com/sites/brexit-polling/

[2] Vgl. hierzu: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=19345

2 Antworten auf „Reaktionen auf die Brexit-Entscheidung“

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