„Unsere Zuversicht gründet auf dem, was wir leisten können. Woran wir glauben, dazu stehen wir.
Erstens. Wir glauben an die Würde des Menschen, seine Einzigartigkeit und seine Freiheit…“
(Regierungserklärung des Bundeskanzlers Helmut Kohl vor dem Deutschen Bundestag, „Koalition der Mitte: Für eine Politik der Erneuerung“, 13. Oktober 1982)
Helmut Kohl hat 16 Jahre lang als Bundeskanzler die bundesdeutsche Politik geprägt. Stets waren ihm insbesondere Frieden und Freiheit die wichtigsten Ziele. In Erinnerung bleibt er vor allem wegen seiner Verdienste um die deutsche Wiedervereinigung und um die Europäische Union. Im Wesentlichen konzentrieren sich die heutigen Konsequenzen seines Wirkens damit auf die erfolgreiche Verfolgung von Freiheitszielen – sei es durch den Fall der Mauer, sei es durch die Schaffung des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes. Auf internationaler Bühne darf die deutsche Politik der letzten Jahrzehnte, deren Weg Helmut Kohl maßgeblich vorgegeben hat, sich damit große Erfolge auf die Fahne schreiben, was die Verfolgung des Wertes der persönlichen Freiheit anbelangt. Dass Deutschland den Reisepass mit der größtmöglichen Reisefreiheit bereitstellt, wie der „Visa Restrictions Index“ jüngst berechnet hat (mit einem deutschen Reisepass können 177 Länder visafrei bereist werden – so viele wie mit keinem anderen Pass), ist kein Zufall, sondern eines der äußeren Zeichen der enormen Freiheitsspielräume, die in und seit der Ära Kohl für die Deutschen bewahrt und geschaffen wurden.
Da erstaunt es, dass Deutschland sich im Index politischer Freiheit im weltweiten Vergleich nur auf Platz 13 mit einem Punktwert von 8,6 wiederfindet. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Freiheit wird Deutschland (Stand: 2016) mit einem Index von 74,4 sogar nur auf Platz 17 geführt. Deutschland ist damit zwar in der Spitzengruppe beider Freiheitsindices, keinesfalls aber an der Spitze der Rankings.
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Diese mäßigen Platzierungen könnten vor allem in der Messung von Freiheit in den entsprechenden Indices begründet sein: Als Eckpfeiler der Messung der wirtschaftlichen Freiheit gelten der Heritage Foundation die Qualität der gesetzlichen Regeln (Eigentumsrechte u.a.), die Effizienz der staatlichen Regulierung, die Offenheit der Märkte, aber auch der Umfang der Staatseingriffe gemessen durch Staatsausgaben und Steuerlast. Dass diese Kriterien alle einen Einfluss auf unseren Wohlstand, auf unsere Selbstverwirklichung und unsere Lebensqualität haben, ist unstrittig. Ob sie so, wie sie gemessen wurde, aber in einen Freiheitsindex gehören, ist hingegen sehr wohl diskutabel.
Persönliche Freiheit ist der zentrale Wert moderner Gesellschaften. Sie gilt als Fixpunkt gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ordnungen. Freiheit bedeutet, dass Menschen ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen bewirtschaften. Sie geht somit einher mit Selbstverwirklichung. Doch Freiheit ist nicht identisch mit Selbstverwirklichung, denn zur Selbstverwirklichung sind neben der Freiheit sowohl entsprechende Ressourcen (Eigentum bzw. Besitz oder Wohlstand) notwendig als auch die Art der Beziehungen zu unseren Mitmenschen wichtig (Gesellschaftsordnung und persönliche Bindungen). Freiheit ist damit nur einer der Bausteine zur Selbstverwirklichung, allerdings ein sehr wichtiger. Erst recht ist Freiheit nicht mit Lebensqualität gleichzusetzen.
Freiheit bedeutet zunächst einmal ganz allgemein das Recht und die Möglichkeit, eigene Entscheidungen treffen und umsetzen zu können. Dies impliziert als Gegenteil zur Unfreiheit – dem Gefangensein – das Gefühl, nicht durch einen äußeren Zwang festgelegt zu sein. Unfrei ist dementsprechend, wer zu einer bestimmten Wahl gezwungen wird. So definiert Hayek (1991, S.13) Freiheit als einen Zustand der Menschen, in dem Zwang „von Seiten anderer Menschen so weit herab gemildert ist, als dies im Gesellschaftsleben möglich ist“. Zwang ist dabei laut Hayek eine Veränderung der Umgebung oder der Umstände eines Menschen durch jemand anderen, so dass der Mensch, um größere Übel zu vermeiden, „nicht nach seinem eigenen Plan, sondern im Dienste der Zwecke des anderen handeln muss“ (Hayek, 1991, S.27). Der Mauerbau in Deutschland etwa war eine Einschränkung der Freiheit – aber nicht wegen der damit verbundenen Staatsausgaben, sondern weil er Menschen zwang, entgegen ihrer eigene Pläne im Osten Deutschlands zu verbleiben. Dieser Zwang war unnötig, er hätte herab gemildert werden können.
Bei der Verfolgung des individuellen Ziels der Selbstverwirklichung sind aber auch und unbedingt die Wünsche und Bedürfnisse anderer Mitglieder der Gesellschaft mit zu beachten. Eine Nichtbeachtung dieser Wünsche und Bedürfnisse kann bei Interessenskonflikten zwischen Gesellschaftsmitgliedern schnell dazu führen, dass das Ausleben eigener Freiheitsspielräume für andere Gesellschaftsmitglieder in einer Zwangssituation endet. Die berechtigten Wünsche und Bedürfnisse der Anderen sind daher  in einer gesetzlichen Rahmenordnung zu verankern. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen schützen die Interessen anderer, sie bieten ihnen Sicherheit. Eine Politik der Freiheit kann damit keine Laissez-faire Politik sein; sie ist automatisch mit staatlichen Regeln, mit Staatsausgaben zur Überwachung dieser und mit Steuereinnahmen zur Finanzierung der Ausgaben verbunden. Das umfangreiche Vertragswerk zur Garantie des europäischen Binnenmarktes mit all seinen Richtlinien und Verordnungen ist hierfür ein gutes Beispiel – Freiheit ist ohne staatliche Regeln nicht möglich.
Damit existiert jedoch ein Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und gesellschaftlicher Ordnung beziehungsweise der durch die Ordnung garantierten Sicherheit. Zum einen benötigt Freiheit die Sicherheit einer Gesellschaftsordnung. Nur, wer in seinem Freiheitsspielraum von einer Ordnung geschützt wird, kann sich ohne Zwang durch andere entscheiden. Zum anderen aber stehen sich Freiheit und Ordnung konträr gegenüber, soweit die dem Einen gegebene Freiheit zur Beeinträchtigung der Freiheitsspielräume des Anderen führt. Eine stabile Rechtsordnung ist der Freiheit daher dienlich, doch können die dafür notwendigen Regeln und Instrumente wiederum eine Einschränkung der Freiheit mit sich bringen. Die Quantität von Regulierung und Staatsausgaben kann daher das Ausmaß an Freiheit einer Gesellschaft nicht abbilden.
Ordnende Regeln sind auch nicht per se als Einschränkungen der Freiheit zu verstehen. Die Reaktion auf Anreize, welche eine Ordnung vorgibt, ist nicht identisch mit der Abwesenheit von Entscheidungsfreiheit. Wie jedes anderes Wesen passt sich der Mensch immer den Bedingungen seiner Umgebung an. Entscheidungen hängen immer auch vom sozialen Kontext ab. Selbst die Präferenzen des einzelnen Individuums (auch wenn in der ökonomischen Theorie gerne als fest gegeben unterstellt) werden ebenfalls von sozialen Faktoren beeinflusst. Altman (2006, S.686) führt hierzu folgendes Beispiel an: Wenn ein Mensch die Ehe mit einem bestimmten Partner eingehen möchte und Kartoffelchips gegenüber Karotten bevorzugt, die Ehe aber nur dann funktioniert, wenn der Mensch sich anpasst und Karotten statt Kartoffelchips isst, so ist es denkbar, dass der Mensch die Ehe mit Karotten einer Situation ohne Ehe, aber mit Kartoffelchips bevorzugt. Der soziale Kontext – die Partnerwahl – ändert bei der Auswahl zwischen Karotten und Kartoffelchips das gewählte Optimum. Beide Optionen sind jedoch möglich; es existiert keine Zwangslage. Die damit verbundene Entscheidung ist Ausdruck des freien Willens und stellt keinen Zwang durch die Ehe dar. Soziale Einbettung negiert insofern in hier in keiner Weise die Möglichkeit oder die Realität des freien Willens, da der freie Wille immer nur in einem sozialen Kontext diskutiert werden kann. Wichtig ist stets, dass die Gesamtentscheidung frei getroffen wurde.
Diese Verquickung von Freiheit mit den sozialen Rahmenbedingungen von Entscheidungen macht es so schwierig, Freiheit richtig vermessen zu wollen. Wo fängt unnötiger Zwang an, wo sind Regelungen zur Gewährleistung eines Zusammenlebens in Freiheit notwendig? Insofern sind die Versuche, mittels Indices Freiheit abzubilden, als vermessen zu bezeichnen und zum Scheitern verurteilt.
Mein Gefühl sagt mir, dass im Vergleich zu den frühen 80er Jahren unsere persönliche Freiheit deutlich angestiegen ist. Dies verdanken wir zu einem nicht unerheblichen Teil der Politik von Helmut Kohl. Dafür ein Danke schön!
Quellen:
Hayek, F. A. von (1991): Verfassung der Freiheit, Tübingen, 3. Auflage
Altman, M. (2006): Human agency and free will: choice and determinism in economics, International journal of social economics, Jg. 33, Heft 10, S. 677-697
Heritage Foundation (2016): Â „Index of Economic Freedom 2016“, URL: http://www.heritage.org/index/download
The Economist Intelligence Unit (2016): „ Democracy Index 2016“, URL: http://felipesahagun.es/wp-content/uploads/2017/01/Democracy-Index-2016.pdf
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