Bezahlbarer Zugang zu einer „gleichberechtigten und qualitativ hochwertigen Bildung“ für alle Kinder weltweit ist das ambitionierte Ziel, das sich die UN bis 2030 gesetzt haben. Die Erfüllung dieses Ziels sehen heute viele Organisationen in Gefahr, da sich in einigen Entwicklungsländern eine zunehmende Zahl privater Bildungsanbieter etabliert, die zum Teil mit Unterstützung nationaler Regierungen staatliche Schulangebote verdrängen. Die Kritiker dieser Entwicklung führen allerdings aus ökonomischer Sicht zweifelhafte Argumente an und verkennen dabei möglicherweise die eigentliche Gefahr, die von einer flächendecken Bildung aus privater Hand ausgeht.
Franchise-Schulen aus dem Silicon Valley
Die größte Kette von Primarschulen auf dem ökonomisch wie rhetorisch neu entstandenen „Edupreneur“-Markt trägt den Namen Bridge International Academies (BIA). BIA wirbt mit englischen Lehrplänen, günstigen Monatsbeiträgen und hoher Bildungsqualität. Das von Facebook Gründer Mark Zuckerberg mitfinanzierte Unternehmen ist in Ländern aktiv, in denen die Qualität der staatlichen Schulen stark unter der mangelnden Ausbildung und der hohen Abwesenheitsquote der Lehrkräfte leidet.
Das erklärte Ziel von BIA ist es, Kindern in Subsahara-Afrika über ein Franchise-Schulsystem mit großen Skaleneffekten durch einheitliche Schulgebäude, Uniformen und Unterrichtsmaterialien den Zugang zu bezahlbarer Bildung zu ermöglichen. Über bereitgestellte Tablets werden die Arbeit der Lehrkräfte überwacht, Lehrmaterialien zur Verfügung gestellt und Fortschritte des Unterrichts von einer Zentrale aus überprüft. Bevor sie ihre Arbeit als Lehrkraft an einer Bridge-Schule beginnen können, erhalten Bewerber einen dreiwöchigen Einführungskurs in die vereinheitlichten Lehrpläne und digitalen Technologien zur Unterrichtsgestaltung.
Eine ökonomische Perspektive
Ökonomen haben die öffentlichen Debatten häufig zuträglichen Eigenarten, stets in Opportunitätskosten sowie anhand institutionell-komparativer Ansätze zu denken. Erstere schärft in dieser Debatte den Blick dafür, dass es sich bei Bildung keineswegs um ein „freies Gut“ handelt. Für die Bereitstellung von Bildung müssen notwendigerweise knappe Ressourcen aufgebracht werden und wo dies der Fall ist, lohnen sich Effizienzbetrachtungen.
Ein institutionell vergleichender Denkansatz fordert indes eine pragmatische und ideologisch unaufgeladene Perspektive auf die Frage, wie eine private Bereitstellung von Schulen bewertet werden kann: Die Wirkung privater Schulen darf nicht mit einem idealtypischen „Nirwana“ verglichen, sondern muss stets mit Blick auf die real existierenden Alternativen betrachtet werden. Bridge-Schulen seien „nicht perfekt, aber besser als alles, was wir haben“ – dieses Zitat einer Kenianerin legt nahe, dass auch Menschen vor Ort eine solche Sichtweise zu teilen scheinen.
Bildung als staatliche Kernaufgabe?
Dass Schulbildung bei uns als staatliche Kernaufgabe verstanden wird, darf nicht als selbstverständlich erachtet werden. Vielmehr ist unser heutiges Verständnis von Schulbildung das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses von Bildung als integraler Aufgabe der Familie über die Erfüllung zentraler Bildungsaufgaben durch die Kirche hin zu einem öffentlich finanzierten und zentral organisierten Schulbildungssystem mit Schulpflicht.
Beschäftigt man sich mit der Frage nach der logisch begründbaren Rolle des Staates im Bildungswesen, kann eine ökonomische Kategorisierung des Gutes „Bildung“ helfen: In der ökonomischen Literatur wird Bildung zumeist als Mischgut aus privatem und öffentlichem Gut verstanden, bei dem der individuelle Nutzen sowohl aus dem eigenen Konsum als auch aus dem Konsum der anderen Gesellschaftsmitglieder entsteht.
Die Rolle des Staates im Bildungswesen hängt nun aus ökonomischer Perspektive im Wesentlichen davon ab, für wie relevant man das Marktversagen aufgrund des öffentlichen Charakters des Gutes einschätzt und inwiefern eine staatliche Bereitstellung im Sinne eines politischen Steuerungsprozesses eine effiziente Ressourcenallokation im Bildungssystem bewirken kann.
Die Kritik der Privatisierungsgegner…
Aus der Kritik von internationalen Lehrergewerkschaften und UN-Organisationen lassen sich im Wesentlichen drei Kernargumente isolieren, von denen allerdings bei genauerer Betrachtung keines wirklich stichhaltig erscheint.
Erstens sei eine private Bereitstellung von Bildung anstelle einer staatlichen „moralisch falsch“. Schulbildung müsse prinzipiell in staatlicher Hand sein und dürfe nicht zum „Spielball der Kapitalisten“ werden. Dieses Argument zielt insbesondere auf die Profitorientierung der privaten Anbieter ab, wobei allerdings offen bleibt, woraus sich ein solches „moralisches Prinzip“ ableiten lässt.
Mit dem zweiten Argument verleihen Kritiker ihrer Befürchtung Ausdruck, dass unter der privaten Bereitstellung von Schulen die Qualität der Bildung leide. Die regelmäßig erscheinenden und für privatwirtschaftliche Projekte typischen Investorenberichte, erstellt an der US-amerikanischen Eliteuniversität Cambridge, legen allerdings das Gegenteil nah: Die Fehlzeiten der Lehrkräfte konnten massiv reduziert werden und die meisten Bridge-Schüler schneiden bei den Abschlussprüfungen besser ab als die Schüler auf den staatlichen Schulen. Insofern sich hieraus tatsächlich Aussagen über die Qualität der Bildung ableiten lassen, scheint diese an den privaten Schulen durchaus höher zu sein als an den staatlichen.
Das dritte Argument kritisiert, dass die private Bereitstellung von Schulen einen gesellschaftlich segregierenden Effekt habe, indem die Kinder, deren Eltern sich die Schulgebühren nicht leisten können oder die in ihrer Nähe keine Bridge-Schule finden, keine Bildung erhalten. Allerdings sollte an dieser Stelle wiederum nicht der Fehler gemacht werden, Vergleiche mit einem idealtypischen, momentan aber leider noch utopischen Zustand anzustellen, in dem alle Kinder Zugang zu kostenloser, qualitativ vergleichbarer Bildung haben. Vielmehr sollte in diesem Zusammenhang gewürdigt werden, dass es explizit zum Geschäftsmodell der BIA gehört, die Schulgebühren so niedrig zu halten, dass auch die „Ärmsten der Armen“ die Möglichkeit haben, ihre Kinder in die Schule zu schicken.
… geht am eigentlichen Kernproblem vorbei
Die Schwäche der genannten Argumente bedeutet allerdings nicht, dass von der Bildungsprivatisierung in Entwicklungsländern tatsächlich keine Gefahr ausgeht. Umso verblüffender ist es, dass das folgende Problem in der öffentlichen Debatte so wenig Aufmerksamkeit erhält.
Um die Gefahr zu erkennen, sollte der Blick weniger auf das Setting, also die Bereitstellung und Organisation der Schulen, gerichtet werden. Vielmehr muss darüber diskutiert werden, was eigentlich in den Klassenzimmern geschieht und ob Bildung insbesondere im Grundschulalter nicht mehr ist als reine Wissensvermittlung. Es muss diskutiert werden, ob sie nicht auch eine entscheidende Kulturkomponente beinhaltet, die es bei der Lehrplanentwicklung zu berücksichtigen gilt und bei der Skepsis angebracht sein kann, ob ein einzelnes US-amerikanisches Privatunternehmen ein angemessenes Angebot für einen so diversen Kontinent entwickeln kann und will.
Insbesondere bei jungen Menschen im Grundschulalter erfüllt Schulbildung nicht nur den Zweck, Lesen und Schreiben sowie die Grundrechenarten zu erlernen. Es geht ganz grundsätzlich um die Herausbildung einer individuellen Persönlichkeit, um die Schaffung einer Grundlage für ein selbstverwirklichtes Leben, darum, Neugierde zu wecken und zum eigenständigen, kreativen Denken anzuregen. Es geht darum, Orientierung in einer komplexen Lebenswelt zu bieten, die Voraussetzungen zu schaffen, um eigene Normen und Wertvorstellungen herauszubilden und moralische Urteilskraft zu erlernen, um in sich frei und unabhängig zu werden. Es geht gleichzeitig um das Erlernen grundlegender sozialer Kompetenzen, um das Miteinander im Klassenverbund, in einer Gesellschaft. Kurz: Um die „Erziehung zur Mündigkeit“ (Kant).
Ist eine solche Art der Schulbildung, bei der ganz im Sinne des humboldtschen, neuhumanistischen Verständnisses von Bildung das Erlernen „formalen Wissens“ zweitrangig ist, kulturunabhängig überhaupt denkbar? Ist die Festlegung einer „kanonischen“ Grundschulbildung, eines überregionalen, überzeitlichen sowie vor allem überkulturellen Bildungskanons, über den an der Westküste der USA entschieden wird, global sinnvoll? Oder birgt nicht gerade der Aspekt einer ausbleibenden Diskussion über Lehrinhalte die eigentliche Gefahr, die von privaten Bildungseinrichtungen unter westlicher Leitung ausgeht?
Eine Rahmenordnung für Privatschulen
Es könnte entgegengehalten werden, dass bei Bildungsfragen grundsätzlich normative Setzungen bezüglich der Bildungsinhalte unvermeidbar sind. Möglicherweise ist die hier geschilderte Sicht auf Bildung selbst schon einer westlichen, kontinentaleuropäischen Perspektive geschuldet. Nichtsdestoweniger, oder eben gerade deshalb, muss die lokale Bevölkerung bei der Entscheidung darüber, was ihren Kindern beigebracht wird, aktiv miteinbezogen werden. Nationale Regierungen müssen ihre Rolle bei der Gestaltung eines Bildungssystems ernst nehmen und sollten die Verantwortung nicht ohne weiteres an private Akteure aus einem völlig anderen Kulturkreis delegieren. Sowohl hinsichtlich des Settings und der Umstände, unter denen Schulen organisiert werden, als auch hinsichtlich der Lehrinhalte sollten nationale Regierungen einen angemessenen Ordnungsrahmen schaffen, innerhalb dessen dann durchaus private Akteure agieren können. Wenn dies gelingt, können die Vorteile privat geführter Bildungseinrichtungen und marktwirtschaftlicher Prinzipien genutzt werden, ohne dass sie im Widerspruch zu internationalen Entwicklungszielen stehen.
Hinweis: Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 10/2017 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
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