Treiben NATO und Trump den Wohlstand in Deutschland?

Erhöht Aufrüstung den Wohlstand?

In diesen Zeiten der politischen Unsicherheiten wird in Deutschland, ebenso wie in den Staaten der NATO, aber auch weltweit, über die Erhöhung der Verteidigungsausgaben diskutiert. Die anzustrebende Höhe der Rüstungsausausgaben ist von der NATO für jedes Mitgliedsland auf 2 % seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) festgesetzt. Deutschland liegt mit rund 1,22 % unterhalb dieser Marke. Der NATO-Generalsekretär fordert deshalb eine Erhöhung des deutschen Verteidigungsbeitrages. Und der amerikanische Präsident Trump stößt ins gleiche Horn mit dem Zusatz, dass damit auch der Wohlstand in den NATO-Ländern steige („GDP increasing stimulating wealth“). Die Bundesregierung, wahrscheinlich auch die zukünftige, strebt an, tut sich aber schwer, ihre Verteidigungsausgaben dementsprechend zu steigern. Ein öffentlicher Disput ist ausgebrochen: Erhöhen gesteigerte Rüstungsausgaben den Wohlstand im Lande, oder ist das Gegenteil der Fall?

Hier soll nicht der Ort sein, über die Notwendigkeit einer solchen Ausgabenerhöhung im deutschen Verteidigungsbudget zu urteilen. Es ist dies eine Frage der militärpolit-strategischen Dimension und der innerhalb der NATO vereinbarten Verbindlichkeiten. Höhere Rüstungsausgaben, so ist die allgemein gängige These, erhöhen die äußere Sicherheit des Landes. Und wenn man äußere Sicherheit als Teil eines den wirtschaftlichen Wohlstand messenden Index‘ des Landes begreift, dann wird man sagen können, dass die NATO-Forderung der Steigerung von Rüstungsausgaben zugleich eine Wohlstandssteigerung in Deutschland impliziert.

Verteidigungsausgaben und Wohlstandsmessung

Diese simpel abgeleitete These ist natürlich nicht unproblematisch. Zunächst ist auf die grundsätzliche und alte Debatte hinzuweisen, wie Wohlstand gemessen werden soll. Da sind wir schnell bei der Aussagefähigkeit zum Beispiel des Wertschöpfungsaggregats Nettoinlandsprodukt (NIP) als Wohlstandsindikator eines Landes. Wohlstand aber, wie immer genau definiert, ist wohl am besten durch eine Vielzahl von Indikatoren abzubilden, in denen sicher auch militärische Aspekte eine Rolle spielen. Ob überhaupt und in welcher Weise solche Indikatoren dann zu einem aussagefähigen  Gesamtwohlstandsindex aggregiert werden können und sollten, ist ein hochkomplexes Thema des bekannten Aggregationsproblems, das ja schon bei dem in der wissenschaftlichen Ökonomik üblichen Übergang von der Mikro- zur Makrotheorie diskutiert wird. Ziemlich klar scheint allerdings, dass Wohlstand und NIP für ein Land im Allgemeinen positiv korreliert sind. Die empirische Evidenz spricht dafür, jedenfalls in marktwirtschaftlich organisierten Industrieländern mit geringen informellen Schattensektoren. Dabei kommt es allerdings darauf an, welches die realen Gründe für eine formale NIP-Steigerung sind.

Wenn nun das NIP als eine Art Wohlstandsmaß betrachtet wird, das bei steigendem NIP eine Erhöhung des wirtschaftlichen Wohlstands (und vice versa) signalisiert, dann muss konzeptionell auch über die Klassifikation von Rüstungsausgaben innerhalb der Komponenten des Aggregats NIP nachgedacht werden. Wie wirkt sich Aufrüstung, die von der NATO und von Donald Trump gefordert wird, innerhalb der Komponenten des Wohlstandsindikators in Deutschland aus?

Ist die Bundeswehr Staatskonsum oder Staatsinvestition?

Zunächst: Ebenso wie die Staatsausgaben für die zivile Produktion lassen sich auch militärische Ausgaben in Konsum, Investition und Vorleistungen des Staates einteilen. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage: Haben öffentliche Leistungen generell den Charakter von Vorleistungen oder Endprodukten (Konsum bzw. Investition)? Und wie sind insbesondere die Verteidigungsausgaben hier einzustufen? Die Klassifikation der allgemeinen staatlichen Dienste als Vorleistungen würde bedeuten, dass man diese als eine Art Produktionsvoraussetzungskosten (production promoting services) ansieht. Dabei bilden Verteidigungsausgaben als „defensive“ Ausgaben den notwendigen Rahmen, innerhalb dessen die private Produktion im Lande (fabric of society at large) gesichert werden kann.

Die entgegengesetzte Position findet sich in der Auffassung, dass Staatsleistungen Endproduktcharakter besitzen. Verteidigungsausgaben sind dann als Komponenten des NIP zu behandeln. Und das heißt: Aufrüstung erhöht den am NIP gemessenen Wohlstand eines Landes. Es wird fingiert, dass diese Leistungen von den öffentlichen Haushalten ohne Gewinn erzeugt und von ihnen selbst konsumiert werden. Verteidigungsausgaben sind dann also Staatskonsum.

Dieser Ansatz hat sich in allen westlichen Staaten grundsätzlich durchgesetzt, obwohl er aus theoretischer Sicht wenig Anklang finden kann, denn es ist doch unstrittig, dass zumindest ein Teil der Staatsleistungen – auch und insbesondere Verteidigungsausgaben – als intermediäre Leistungen für die Produktionsunternehmen eines Landes anzusehen sind: Äußere Sicherheit garantiert die inländischen Produktionsvoraussetzungen zur Erzeugung von Wertschöpfung. Letztere sind dann notwendige, aber doch auch prinzipiell „bedauernswerte“ Ausgaben (regrettable necessities). Aus dieser Sicht wäre es wohl sinnvoll, auf der Basis eines sog. Specific approach-Kriterienkatalogs die Abgrenzung zwischen Vorleistungen und Endprodukten des Staates vorzunehmen: Ist die Bundeswehr dann eine Vorleistungsorganisation für den Staatskonsum oder ist sie eine Staatsinvestition oder auch beides?

Bis 2010 galt sie als beides: Die militärischen Ausgaben wurden sowohl als Vorleistungen als auch als Investition behandelt: Flughäfen, Kasernen, Lazarette etc., die man auch zivil nutzen kann, als Investitionen, militärische Waffen als Vorleistungen. Seit 2014 allerdings werden auch letztere als Investition klassifiziert, weil – als Kriterium für Investitionen – ihre Nutzungszeit allgemein über ein Jahr hinausgeht. Damit sind Rüstungsausgaben generell Bestandteil des NIP und haben dieses nach der Umstellung logischerweise auch formal erhöht. Eine reale Wohlstandserhöhung ist damit natürlich nicht verbunden.

Das führt uns zurück zur Aussagefähigkeit des NIP als Wohlstandsindikator speziell in Bezug auf die von der NATO geforderte Aufrüstung und die verschiedentlich daraus öffentlich gemachten Statements, dass sich mit der Aufrüstung doch auch der Wohlstand im Lande erhöhe, was man am gestiegenen NIP ja direkt ablesen könne. Darin liegt ein hier noch nicht angesprochenes Grundproblem, das sich in der Frage äußert: Findet die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung der Menschen ausschließlich durch zivile Güter statt oder auch durch militärische? Da es hierzu keine empirisch verlässlichen Untersuchungen gibt, kann man die Frage wohl nur auf der Basis axiomatischer Setzungen beantworten:

Unterstellt man dann, wie dies in der theoretischen Ökonomik üblich ist, dass die Präferenzfunktionen der Menschen ausschließlich auf zivile Güter ausgerichtet sind, d. h. dass ihr persönlicher Nutzen nur aus zivilen Konsumgütern gespeist wird, dann kommt nur ein NIP unter Ausschluss von Rüstungsausgaben für wohlstandsrelevante Aussagen infrage. Damit werden Rüstungsausgaben dann als kompensatorische Ausgaben für die Sicherstellung der äußeren Sicherheit gesamtwirtschaftlich als Aufwand und nicht als Ertrag angesehen, der sich im NIP direkt niederschlägt. Aufrüstung lässt sich dann also nicht als wohlstandserhöhende Komponente im gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungsaggregat ausweisen. Man kann dies, wenn man will, als Sperre gegenüber einer systematischen Überschätzung des Wohlstandsgewichts des statistisch erfassten NIP durch Rüstungsausgaben ansehen.

Äußere Sicherheit als ziviles Konsumgut

Das widerspricht keineswegs dem Ansatz, den potentiellen Ertrag von Rüstung  über andere rüstungsrelevante Wohlstandsindikatoren außerhalb des NIP zu evaluieren. Da könnte sich zeigen, zum Beispiel durch Befragungen, dass Rüstung und Aufrüstung einen positiven Wohlstandseffekt haben, der dann allerdings von den subjektiven Einschätzungen der Sicherheitslage eines Landes durch seine Bürger bestimmt würde, die die äußere Sicherheit als ziviles Konsumgut empfinden. Die angesichts der Sicherheitsdiskussion in Deutschland laufenden Bürgerbefragungen offenbaren, dass Letzteres in hohem Maße der Fall ist. So stimmt es wohl, dass Sicherheit nicht allein eine Frage der Statistik ist, also der Komponenten des NIP, sondern überwiegend des subjektiven Gefühls der Bürger.

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