Als Helmut Kohl 1998 aus dem Amt gewählt wurde lag das auch daran, daß viele Wähler zwar nicht begeistert von seinem Konkurrenten waren, aber doch endlich einen Wechsel wollten. Nach sechzehn Jahren im Amt erwartete man keine neuen Impulse mehr von ihm. Allen historischen Leistungen zum Trotz betrieb er seinen letzten Wahlkampf auf verlorenem Posten. Die Überdrüssigkeit der Wähler war dabei die eine Seite der Medaille, die andere Seite war eine déformation professionelle bei Kohl selbst. Man bleibt nicht sechzehn Jahre im Amt des Bundeskanzlers, ohne von der mit dem Amt einhergehenden Machtfülle und den Kämpfen um die Macht verändert zu werden. Man kann das in den verschiedenen Kohl-Biographien nachlesen, ebenso wie in den Biographien anderer Spitzenpolitiker mit sehr langen Amtszeiten. Meistens sind es keine Veränderungen zum Guten.
Angela Merkel ist nun zwölf Jahre im Amt, aber Ermüdungserscheinungen sind kaum zu leugnen. Das politische Angebot programmatisch auf ein „Sie kennen mich“ zu reduzieren zeugt eher von intellektueller Trägheit als von konzeptionellem Elan. Der letzte Wahlkampf der Union hat mit seiner inhaltlichen Leere den Eindruck unterstrichen, daß diese Trägheit in der Partei dominant wurde. Profitierend von einem schwachen Gegenkandidaten erhielt die Union zwar nochmals die Mehrheit, aber sie verlor doch dramatisch an Wählerstimmen ““ zur FDP, aber leider auch zur AfD.
Vieles davon war auch absehbar, aber in der Union erschien es geradezu undenkbar, anstelle der Amtsinhaberin eine andere Kandidatin oder einen anderen Kandidaten aufzustellen oder auch nur den Ansatz eines innerparteilichen Wettbewerbs um die Kandidatur zuzulassen. Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht, und der Kanzler wird wieder nominiert, bis er verliert oder selbst nicht mehr will. Diese Regel mit wenigen Ausnahmen zeugt von der Fähigkeit der jeweiligen Amtsinhaber, ernsthafte Konkurrenten rechtzeitig zu erkennen und mit den zur Verfügung stehenden politischen Instrumenten zu schwächen.
Es ist eine Mischung aus Anreizen und Zugriff auf Ressourcen, die hier entscheident ist. Ein politischer Königsmord ist immer ein riskantes Unterfangen; scheitert er, dann ist die Karriere oft gefährdet. Innerparteiliche Mehrheiten gegen einen Amtsinhaber zu organisieren ist aufwendig und kaum vollkommen diskret zu bewerkstelligen. Es ist im Zweifelsfall attraktiver, zu warten, bis ein anderer das Risiko auf sich nimmt als Winkelried eine politische Bresche zu schlagen und sich dann, wenn der Putsch gelungen ist, auf die Seite der Gewinner zu bewegen. Das wiederum führt zu einem „war of attrition“: einem Spiel, in dem sich zwar viele Beteiligte eine Veränderung wünschen, aber niemand selbst einen Anreiz hat, diese Veränderung herbei zu führen. Auf der anderen Seite stehen Amtsinhaber, die über die nötigen innerparteilichen Ressourcen verfügen, um Konkurrenten klein zu halten. Damit wiederum ist ein Optionswert verbunden. Man sichert sich die Möglichkeit, selbst den Zeitpunkt des Amtsverzichts zu bestimmen.
Das Standardargument gegen Amtszeitbeschränkungen ist, daß die Wähler jederzeit zeigen können, wann sie einer Kanzlerin oder eines Ministerpräsidenten überdrüssig sind. Die Überlegungen hier zeigen aber, daß es so einfach nicht ist. Auch ein ermüdeter Kanzler kann noch lange im Amt bleiben, solange die Oppositionsparteien ihrerseits nur schwache Kandidaten finden. Die wichtige Frage ist vielmehr, ob eine Amtszeitbeschränkung auch die Anreize innerhalb der Parteien verändert und beispielsweise dafür sorgt, daß diese bessere Kandidaten nominieren.
Eine Amtszeitbeschränkung könnte den innerparteilichen Wettbewerb stärken. Es ist leicht vorstellbar, daß damit auch ein konzeptioneller Wettbewerb von Ideen verbunden wäre, der ohne Amtszeitbeschränkungen unter der vom Amtsinhaber gepflegten innerparteilichen Friedhofsruhe leidet. Ist ein Amtsinhaber auch ideologisch motiviert, dann wird er selbst ein Interesse daran haben, fähigen Parteinachwuchs als Nachfolger aufzubauen und so die Wahlchancen der eigenen Partei auch nach dem eindeutig absehbaren Ende der eigenen Amtszeit zu verbessern.
Amtszeitbeschränkungen haben also einerseits den Charakter einer verfassungsmäßigen Selbstbindung der Wähler. Sie verbieten es den Wählern, auch den sympathischsten und fähigsten Kandidaten beliebig oft zu wählen, um die oben beschriebenen Risiken zu vermeiden. Sie ändern aber auch die Spielregeln der innerparteilichen Demokratie und können hier für einen dynamischeren politischen Wettbewerb sorgen. Viel hängt allerdings von den Motiven der gewählten Kandidaten ab. Sind diese auch ideologisch motiviert, dann haben sie ein Interesse daran, ihrer Partei auch gute Wahlaussichten über die eigene Amtszeit hinaus zu sichern. Agieren sie dagegen rein eigennützig, dann können allerdings auch Probleme mit Amtszeitbeschränkungen verbunden sein.
Die obige Argumentation gilt dann nur noch für gut organisierte Parteien, die grundsätzlich in der Lage sind, die aus ihren Reihen gewählten Amtsinhaber zu kontrollieren. Das ist typischerweise (aber nicht immer) in parlamentarischen Systemen so, in denen die Parteien eine zentrale Rolle einnehmen und ein Verlust der Unterstützung durch die eigene Partei auch einen Amtsverlust bedeutet. In präsidentiellen Systemen, in denen im Parlament keine Vertrauensfrage gestellt werden kann und in denen die Exekutive oft eine größere Machtfülle hat, ist das anders. Von ihren Parteien schlecht kontrollierte Amtsinhaber können leicht ihre letzte Amtszeit nutzen, um eine Politik zu betreiben, die beispielsweise ihren eigenen privaten Interessen nutzt. Wenn die Drohung mit Abwahl in der letzten Amtszeit nicht mehr bindet, fehlen zunächst einmal Instrumente zur Disziplinierung des Amtsinhabers.
Will man Amtszeitbeschränkungen, so muss man daher darauf achten, daß diese in weitere, unterstützende politische Institutionen ingebettet sind. Alles, was die Kontrolle des Amtsinhabers in seiner letzten Amtszeit verbessert kann hilfreich sein. Nicht zuletzt auch die Möglichkeit der direkt-demokratischen Kontrolle für den Fall, daß ein nicht mehr durch Abwahldrohung disziplinierter Amtsinhaber in manchen Sachfragen zu weit vom Pfad der Tugend abweicht. Ist dies gewährleistet, dann können Amtszeitbeschränkungen ein sinnvolles Instrument zur Belebung des politischen Wettbewerbs sein. „Sie kennen mich“ sollte in einer lebendigen Demokratie niemals das letzte Wort sein.
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