Wenn die neue Regierung das Ziel verfolgt, das Wachstumspotential Deutschlands nachhaltig zu erhöhen, dann hat sie einige steuerpolitische Baustellen zu bearbeiten. Die letzte wirklich große Steuerreform haben wir noch unter der Regierung Schröder erlebt, seitdem ist auf diesem Gebiet eine Menge liegen geblieben.
Das Problem der Standortqualität
Dass Deutschland nicht nur einen öffentlichen Investitionsstau hat, sondern auch an einer schon länger anhaltenden Schwäche privater Investitionen leidet, ist bekannt. Man sollte dies auch nicht als konjunkturelles Phänomen deuten; die Unternehmen halten nicht einfach Investitionen zurück, weil sie kurzfristig skeptisch bezüglich ihrer Kapazitätsauslastung sind. Vielmehr sollte man insbesondere im seit Jahren niedrigen Niveau ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland ein deutliches Alarmzeichen für eine strukturell schlechte Standortqualität sehen.
Hierzu tragen natürlich nicht nur steuerliche Faktoren bei. Hohe Energiekosten kommen hinzu und ein demographisch absehbarer Fachkräftemangel macht langfristige Investitionen auch nicht unbedingt attraktiver. Der Forschungs- und Entwicklungsstandort leidet außerdem unter Überregulierung und Technologieskepsis. Es geht also nicht nur um Steuern, aber eben auch um diese: Die alte Ausrede, dass hervorragende andere Standortfaktoren eine hohe Steuerlast kompensieren und rechtfertigen, zieht schlicht nicht mehr.
Reform der Unternehmensteuern
Im OECD-Vergleich leisten sich 2025 nur Portugal und Frankreich noch höhere Körperschaftsteuern als Deutschland, das mit dem durchschnittlichen Gewerbesteuer-Hebesatz auf einen Satz von 30,06% kommt. Nachbarländer wie Polen (19%) und Dänemark (22%) liegen sehr deutlich darunter. Die Koalition plant nun, ab 2028 die Körperschaftsteuer zu senken, und zwar um einen Prozentpunkt jährlich – bis 2032 das Ziel von 10% erreicht ist und, unveränderte Gewerbesteuerlasten angenommen, die Gesamtbelastung der Gewinne auf im Schnitt 25% sinkt.
Das ist nun bei weitem kein großer Sprung, sondern es ist ein Herantasten in Zeitlupe an ein wenig ambitioniertes Ziel. Wir landen damit im Mittelfeld der OECD-Länder. Die Zeit bis dahin soll mit einer Sonderabschreibung überbrückt werden: Investitionsgüter dürfen dann degressiv abgeschrieben werden, also im ersten Jahr 2025 mit 30% des Anschaffungswertes und 2025 und 2027 jeweils mit 30% des jeweiligen Restwertes. Danach geht es mit der üblichen linearen Abschreibung weiter.
Ob das helfen wird, ist auch unter Ökonomen strittig. Zweifellos macht die neue Regel Investitionen erst einmal interessanter. Wer ohnehin Investitionen plant, könnte es jetzt lohnend finden, diese vorzuziehen oder auch etwas größer als ursprünglich angedacht zu planen. Da es sich um ein auf drei Jahre begrenztes Instrument handelt, die langfristige Standortqualität am Ende aber nur wenig besser wird, kann man durchaus skeptisch sein, ob in spürbarem Ausmaß neue, zusätzliche Investitionsprojekte angereizt werden. Es gilt die alte Weisheit: Man kann die Pferde zur Tränke führen, aber saufen müssen sie selbst. Der Durst wird allerdings wahrscheinlich nur größer, wenn der Standort insgesamt attraktiver wird.
Einkommensteuer und Sozialtransfers
Weiterer Reformbedarf besteht bei der Einkommensteuer. Die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland sind Personengesellschaften, deren Gewinne nicht der Körperschaft- sondern der Einkommensteuer unterliegen. Auch hier reduzieren hohe Steuerlasten den Anreiz und den Spielraum für Investitionen. Zwar gibt es inzwischen ein Optionsmodell, mit dem Personengesellschaften sich entscheiden können, wie Kapitalgesellschaften besteuert zu werden. Dieser Schritt ist aber faktisch oft mit hohen Hürden verbunden, die für kleinere Unternehmen, die großen Verwaltungsaufwand nicht leisten können, schwer zu nehmen sind. Wie die ebenfalls im Koalitionsvertrag versprochene Verbesserung des Optionsmodells aussehen wird, ist noch offen.
Wichtig ist angesichts der demographischen Lage natürlich auch die Ausweitung des Arbeitsangebots. Anstatt aber mit einer Steuersenkung und einer Abflachung des Tarifs klar und einfach die Anreize für Mehrarbeit zu erhöhen, hat man sich im Koalitionsvertrag auf „gezielte“, also kleinteilige und in der praktischen Durchführung sicher auch nicht ganz unproblematische Maßnahmen geeinigt.
Überstundenzuschläge sollen steuerfrei werden. Um den daraus entstehenden Anreiz zur Verringerung der Regelarbeitszeit zu bremsen, will man sich nicht an individuellen Arbeitsverträgen, sondern an der tarifvertraglichen Normalarbeitszeit orientieren. Nun ist es aber natürlich so, dass auch diese sich ändern kann. Der Anreiz für die Arbeitgeberseite, sich auf Tarifverträge mit geringerer Regelarbeitszeit zu einigen, ist jedenfalls damit ein wenig gestiegen.
Außerdem kann es innerhalb der Stellen Umschichtungen geben: Statt eine neue Stelle zu schaffen, kann es lohnender und für Arbeitgeber wie -arbeitnehmer lukrativer sein, die bereits aktiven Stelleninhaber mehr Überstunden machen zu lassen. Wie immer bei den „gezielten“ Maßnahmen: Je kleinteiliger sie sind, desto mehr Ärger machen die unerwünschten Nebeneffekte.
Unzureichend adressiert werden im Koalitionsvertrag auch die Effekte, die über das Steuer- und Transfersystem hinweg insgesamt entstehen. Das Phänomen der Grenzbelastungen, die stellenweise durch Transferentzug über 100% gehen, ist lange bekannt. Es zu lösen, würde eine mutige und große Reform des Transfersystems aus einem Guss erfordern. Im Koalitionsvertrag sind zwar einige moderate Reformen beim Bürgergeld angesprochen, aber der große Wurf wird vermutlich weiter ausbleiben.
Sündenfall in der Mehrwertsteuer
Was die Koalitionäre geritten hat, den Umsatzsteuersatz in der Gastronomie auf 7% zu senken, wird (jedenfalls im Sinne ökonomischer Rationalität) für immer ihr Geheimnis bleiben. Man kann hier mit Einnahmenausfällen von mindestens 3,5 Mrd. Euro pro Jahr rechnen, denen keine Effizienzgewinne gegenüberstehen. Im Gegenteil: Für mehr (administrative wie ökonomische) Effizienz wäre es wünschenswert, die Ausnahmen in der Mehrwertsteuer weitestgehend abzuschaffen anstatt sie noch auszuweiten.
Wie dumm diese Maßnahme ist, kann man sich leicht klarmachen, wenn man die Opportunitätskosten dieser Steuersenkung überdenkt. Die Ermäßigung der Gastro-Steuer adressiert kein einziges der dringenden wirtschaftspolitischen Probleme des Landes. An anderer Stelle eingesetzt, sei es als kleine Steuersenkung in der Einkommensteuer, oder als Ausgabe im Bildungssystem, könnte diese Summe viel mehr bewirken.
Fazit
Die steuerpolitische Agenda der neuen Koalition enthält keinen großen Wurf. Es sind viele kleine zaghafte Schritte, die leider oft auch eher gut gemeint als gut durchdacht sind. Das wird nicht reichen, um den Investitionsstandort Deutschland nachhaltig attraktiver zu machen und die privaten Investitionen entscheidend anzukurbeln.
Serie: „Was Schwarz-Rot verspricht„
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