Die Grünen haben durchgesetzt, dass das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 im Grundgesetz verankert wird. Juristisch mag der finale Formulierungsvorschlag unproblematisch sein, politisch ist er es nicht.
Über das vergangene Wochenende hat eine Meldung aus den Verhandlungen zwischen Grünen, SPD und Union für Aufsehen gesorgt: Das Ziel, bis 2045 ein klimaneutrales Land zu sein, werde im Grundgesetz verankert. Solange nur diese Meldung, aber noch nicht die Formulierung im Gesetzentwurf durchgesickert war, gab es die Sorge, dass Klimaneutralität bis 2045 nunmehr explizit als Staatsziel im Grundgesetz verankert wird. Dies wäre ein sehr hoher Preis für die Zustimmung der Grünen zum Schleifen der Schuldenbremse gewesen.
Denn damit wäre potentiell die gesamte Wirtschaftspolitik unter Klimavorbehalt gestellt worden. Es hätte soweit kommen können, dass eine aktivistische Rechtsprechung diesen Vorbehalt in einer Weise ausnutzt, die faktisch Investitionen (öffentliche und private) verhindert und das Land auf einen Degrowth-Kurs führt. Die Kombination aus Wachstumsskepsis oder gar Negativwachstum und höheren Schulden- und Zinslasten hätte fatal sein können.
Ganz so ist es nun nicht gekommen. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 bezieht sich im neuen Artikel 143h des Grundgesetzes nun ausdrücklich auf das geplante Investitionssondervermögen im Umfang von 500 Mrd. Euro. Es wird also kein allgemeines Staatsziel. Im Wortlaut steht im Gesetzentwurf nun: „Der Bund kann ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 mit einem Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro errichten.“ Die Klimaneutralität wird also nur ein Zweck des Sondervermögens definiert.
Ist damit alles gut? Nicht ganz. Erstens hätte man den Artikel klarer formulieren können. Mit einer entsprechenden Intention kann man durchaus hineinlesen, dass auch die Infrastruktur dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 dienen soll. Damit wäre das gesamte Sondervermögen in dieser Weise gebunden. Investitionen, deren direkter Klimaeffekt strittig ist (z.B. in Sanierung von Autobahnen) könnten in langen Rechtsstreitigkeiten blockiert oder verzögert werden. Man hätte einfach explizit formulieren können, dass die 100 Mrd. Euro, die für den Klima- und Transformationsfonds vorgesehen sind, diesem Ziel dienen. Dann wären keine Missverständnisse möglich.
Bedenklich ist auch, dass in der aktuellen Form die Klimaneutralität bis 2045 das einzige ausdrückliche Ziel des Sondervermögens ist. Wieso nicht zwei gleichberechtigte Ziele formulieren etwa: „…Investitionen in die Infrastruktur zur Steigerung des Potentialwachstums und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“? Auch dies hätte eine Lesart des Artikels verhindert, die schlussendlich die Klimaneutralität bis 2045 als Ziel auf alle Investitionen anwendet.
Aber nehmen wir einmal an, dass alle diese Dinge juristisch keine Rolle spielen werden, und dass auch keine staatsfinanzierten NGOs versuchen werden, die aktuelle Formulierung als Hebel zu nutzen, um auf dem Klageweg einzelne Investitionen anzugreifen. Auch dann haben wir noch ein Problem.
Man schreibt Formulierungen nicht nur aus juristischen Gründen in offizielle Dokumente, sondern auch, um damit eine politische Wirkung zu erzielen. Gehen wir zur Veranschaulichung einmal kurz weg von der Grundgesetzänderung und schauen stattdessen auf die Europäische Mindestlohnrichtlinie. Diese fordert folgendes: Die EU-Staaten sollen sich quantitative Regeln geben, nach denen der Mindestlohn gesetzt wird. Als ein Beispiel dafür wird genannt, dass die Staaten sich einen „Referenzwert wie 60% des Bruttomedianlohns“ setzen könnten. Das ist aber nur ein Beispiel. In der tatsächlichen Wahl von Höhe und Art des Referenzwertes sind die Staaten rechtlich völlig frei.
Wenn man nun die politische Diskussion um diese Richtlinie und den Mindestlohn in Deutschland verfolgt, dann sieht man, wie immer wieder – auch von Fachpolitikern, die es besser wissen müssten – behauptet wird, dass die EU einen Mindestlohn von 60% des Medianeinkommens fordert. Das ist evident falsch. Es ist völliger Quatsch. Aber dass der Wert von 60% als ein nicht bindendes Beispiel in der Richtlinie steht genügt, um diese politische Wirkung zu entfalten.
Zurück zur Klimaneutralität im Artikel 143h des Grundgesetzes. Wenn die Formulierung zur Klimaneutralität bis 2045 nur der Zweckbindung des Sondervermögens dient, dann hätte es völlig ausgereicht, zu formulieren: „und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität“, ohne die Jahresangabe 2045. Damit wäre eindeutig klar, dass das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimainvestitionen genutzt werden darf.
Wozu also haben die Grünen insistiert, das Jahr 2045 zu erwähnen? Natürlich um politische Wirkung zu erreichen. Ähnlich wie beim politischen Missbrauch der europäischen Mindestlohnrichtlinie werden wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in allen möglichen politischen Debatten immer wieder den Hinweis hören, dass doch nun Klimaneutralität bis 2045 ein Ziel des Grundgesetzes sei und alle Politik sich daran messen lassen müsse.
Die Union hat sich also eine Formulierung aufzwingen lassen, die verfassungsrechtlich harmlos sein mag (wie harmlos sie wirklich ist, werden wir erst noch sehen), die aber politisch Debatten verändern kann. Und die es künftig noch schwerer macht, eine wachstumsorientierte Politik politisch durchzusetzen.
Und noch ein Nachwort, bevor mir wegen dieses Kommentars vorgeworfen wird, ich sei gegen Klimaneutralität. Das bin ich nicht. Aber Klimaneutralität fünf Jahre vor allen europäischen Nachbarn erreichen zu wollen ist erstens unnötig teuer für uns und zweitens vollkommen wirkungslos für das Klima – denn die Emissionen werden dann zwar nicht von uns, aber aus anderen EU-Ländern kommen. Ein Sonderweg Deutschlands dient hier allenfalls der Befriedigung klimapolitischer Eitelkeiten.
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Ein hervorragender Kommentar, auf den Punkt genau!
Dr. Peter Lämmel