Eine Reform von Hartz IV ist in aller Munde. Die einen wollen das System verschärfen, die anderen entschärfen. Die einen glauben an die natürlichen Kräfte des Arbeitsmarktes, die anderen sehnen einen sozialen Arbeitsmarkt herbei. So wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der eine entsprechende Gesetzesinitiative auf den Weg bringen will.
Dem Politiker schwebt vor, Lohnkostenzuschüsse zu zahlen, damit 150.000 Langzeitarbeitslose in der Wirtschaft, für Kommunen oder gemeinnützige Einrichtungen arbeiten können. Ob dadurch perspektivisch eine Integration in ein nicht-gefördertes Beschäftigungsverhältnis gelingt, ist umstritten. Gert G. Wagner und Ronnie Schöb sind unterschiedlicher Meinung, ob ein sozialer Arbeitsmarkt eher Segen oder Fluch ist.
Pro: Prof. Dr. Dr. h.c. Gert G. Wagner
Prof. Dr. D r. h.c. Gert G. Wagner ist Max Planck Fellow am MPI für Bildungsforschung in Berlin, Senior Fellow am DIW Berlin und Research Associate des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesell schaft (HII G ) in Berlin. Gert G. Wagner ist Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen und Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung. Er gibt hier seine persönliche Meinung wieder.
Hauptargumente
Der Unterschied zum jetzigen System besteht darin, dass im sozialen Arbeitsmarkt eine unbefristete Stelle geboten und damit Langzeitarbeitslosen ihre persönliche Würde zurückgegeben wird, die ihnen durch Stigmatisierung und ständigen Druck des Hartz-IV-Systems zumindest teilweise genommen wurde. Und selbst schlecht bezahlte Jobs erhöhen die Lebenszufriedenheit.
Empirie
Hartz IV hat zu einer unguten Polarisierung der Gesellschaft beigetragen. Und ob es wirklich im Hinblick auf die Arbeitschancen Langzeitarbeitsloser gewirkt hat, ist unklar, da für den kräftigen Anstieg der Zahl der Arbeitsplätze viele Ursachen verantwortlich sind, insbesondere die durch den Euroraum exportgetriebene gute Konjunktur.
Probleme
Beim sozialen Arbeitsmarkt geht es über den Umgang mit Langzeitarbeitslosen hinaus darum, dass Gesellschaft und Staat endlich einsehen, dass man den Staat nicht beliebig abmagern und alles dem freien Markt überlassen kann. Die Kommunen würden lediglich einige der Stellen, die im Zuge der neoliberalen Idee vom schlanken Staat weggefallen sind, wieder aufbauen. Das erzielte Einkommen ist auch nicht leistungslos, sondern wird für einfache, aber sinnvolle Arbeitsplätze ausbezahlt. Das hat nichts mit einem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun, durch das 80 Millionen Menschen nur im Wolkenkuckucksheim eine Basis-Absicherung bekommen, die pro Jahr etwa eine Billion Euro kosten würde.
Politikvorschläge
Denen, die in die Grundsicherung fallen, kann durch einen sozialen Arbeitsmarkt geholfen werden, auf dem Kommunen unbefristete Vollzeitstellen anbieten. Bedarf für solche Stellen gibt es genug und auf Dauer – etwa im Bereich der Gebäudeverwaltung, Schulen und Pflege.
Contra: Prof. Dr. Ronnie Schöb
Prof. Dr. Ronnie Schöb ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsinteressen zählen die Arbeitsmarktpolitik, die Reform des Sozialstaates sowie die Lebenszufriedenheitsforschung. Schöb ist u.a. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium.
Hauptargumente
Ein sozialer Arbeitsmarkt unter staatlicher Regie institutionalisiert die „Marktferne“ und zementiert die staatliche Abhängigkeit der Betroffenen. Soziale Inklusion sieht anders aus.
Empirie
Die Hartz-Reformen in Verbindung mit der bereits zuvor einsetzenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes setzte auf Fördern und Fordern und brachte so seit 2005 viele Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit. Die Zahl der arbeitslos gemeldeten Arbeitslosengeld II-Empfänger ist seit 2005 um 37 Prozent gefallen.
Probleme
Durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat die Politik des Förderns und Forderns ihre Wirkung weitgehend eingebüßt. Erste Evaluierungen zeigen, dass der Mindestlohn bislang zwar keine Arbeitsplätze vernichtet hat, aber dafür rund 60.000 Neueinstellungen verhinderte. Die Langzeitarbeitslosen, die jetzt keine Arbeit mehr finden, sollen nun eine dauerhafte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhalten, die tariflich oder zumindest zum Mindestlohn vergütet wird. Damit entfällt jeder Anreiz, aus dieser öffentlichen Beschäftigung zum gleichen Lohn in einen regulären Job zu wechseln. So gibt der Sozialstaat sein Ziel preis, alle in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Politikvorschläge
Will man die finanzielle Situation der Langzeitarbeitslosen verbessern und ihnen soziale Teilhabe ermöglichen, so sollte man Hinzuverdienstmöglichkeiten für gemeinnützige Arbeiten im geringfügigen Umfang fördern: Solidarisch aufstocken statt solidarischem Grundeinkommen! Will man hingegen an der Idee des Förderns und Forderns festhalten, wird man den Weg Frankreichs gehen müssen und den Mindestlohn bezuschussen. Das aber wird sehr schnell sehr teuer.
Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg. Es erschien in Heft 6 (2018) der Fachzeitschrift WiSt.
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