Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
US-Einfuhrzölle treffen nun auch die EU

Am 1. Juni traten die von US-Präsident Donald Trump bereits Ende März 2018 erlassenen Zölle auf Stahl und Aluminium nun – trotz aller Bemühungen auf der politischen Ebene – auch gegenüber der EU in Kraft. Nachdem die EU sowie Mexiko, Kanada, Australien, Argentinien, Brasilien und Südkorea zunächst von den Zöllen in Höhe von 25 Prozent auf Stahl und 10 Prozent auf Aluminium verschont blieben, fiel diese Ausnahmeregelung nun für die EU sowie Mexiko und Kanada weg. Bei Kanada und Mexiko war der Aufschub mit den Nachverhandlungen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA (North American Free Trade Agreement) begründet worden, gegenüber der EU mit den laufenden politischen Verhandlungen bezüglich des anhaltend hohen Handelsbilanzdefizits der USA gegenüber der EU. Da beide Verhandlungen aus Sicht der USA zu keinen (kurzfristigen) Fortschritten führten, wurden nun die bisher geltenden Befreiungen für diese Länder aufgehoben.

Ziel der ergriffenen handelspolitischen Maßnahmen ist es, das Handelsbilanzdefizit der USA in Höhe von 863 Mrd. US-Dollar im Jahr 2017 deutlich zu reduzieren. Selbst wenn man auch die insgesamt positive Dienstleistungsbilanz mit berücksichtigt, beträgt das Handelsdefizit immer noch 566 Mrd. US-Dollar. Dabei ergeben sich zwei Fragen: Erstens, ob handelspolitische Maßnahmen wie die von Trump verhängten Zölle sinnvolle Instrumente sind, um das Handelsdefizit nachhaltig zu reduzieren, und zweitens, wie sich diese Maßnahmen im Rahmen der Welthandelsordnung rechtfertigen lassen. Gegenstand der weiteren Überlegungen ist die zweite Fragestellung, während bezüglich der ersten Fragestellung auf frühere Blog-Beiträge des Autors verwiesen werden soll.[1]

Die Welthandelsorganisation (WTO = World Trade Organisation) repräsentiert seit 1996 die Welthandelsordnung, deren Vorschriften für den Handel mit Waren im Rahmen des GATT Abkommens (1996) geregelt sind. Sie beruht dabei auf den allgemeinen Grundsätzen der Meistbegünstigung, Nichtdiskriminierung, Reziprozität und des Abbaus handelsbeschränkender Maßnahmen, mit deren Hilfe die in der Präambel niedergelegten Ziele einer Erhöhung des Lebensstandards, der Verwirklichung der Vollbeschäftigung, eines hohen und ständig steigenden Niveaus der Realeinkommen und der wirksamen Nachfrage sowie einer Steigerung der Produktion und des Handels mit Waren und Dienstleistungen aller Mitgliedsländer realisiert werden sollen. Das GATT enthält allerdings auch zahlreiche Ausnahmeregelungen sowohl vom Freihandelspostulat als auch von der Meistbegünstigung. Hierzu gehören insbesondere Anti-Dumping und Anti-Subventions-Maßnahmen (Artikel VI GATT), Maßnahmen zum Schutz der Zahlungsbilanz (Artikel XII GATT), Maßnahmen zur Förderung des industriellen Aufbaus in Entwicklungsländern (Artikel XVIII GATT), Maßnahmen im Rahmen der spezifischen Schutzklausel (Artikel XIX GATT), Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit (Artikel XXI GATT) sowie handelspolitische Präferenzabkommen (Artikel XXIV GATT).[2]

Präsident Trump beruft sich nun bei den Zöllen auf Stahl und Aluminium im Innenverhältnis auf § 232 des US Handelsgesetzes von 1962 und im Außenverhältnis auf Artikel XXI des GATT, die beide Zölle als Maßnahme erlauben, wenn die nationale Sicherheit durch internationale Handelsbeziehungen bedroht wird. Das GATT-Abkommen zählt an dieser Stelle explizit drei Maßnahmenbereiche auf:

  • Maßnahmen in Bezug auf spaltbare Stoffe oder Rohstoffe, aus denen diese erzeugt werden,
  • Maßnahmen, die den Handel mit Kriegsmaterial oder die Truppenversorgung mit anderen Waren betreffen und
  • Maßnahmen in Krisen- und Notzeiten.[3]

Von amerikanischer Seite wurde die Begründung für die Zölle durch den US-Handelsminister Wilbur Ross mit dem Argument weiter konkretisiert, dass man ohne eine starke Wirtschaft keine starke nationale Sicherheit erlangen könne.

Damit wird aber auch deutlich, wie dünn das argumentative Eis ist, auf dem man sich von Seiten der USA bewegt. „Art. XXI GATT ist in begrifflicher Hinsicht so stark dem Ermessen der einzelnen Vertragspartner überlassen, dass er keinen Beitrag zu einem freiheitlichen und offenen Weltmarkt leistet. In allen bisherigen Streitverfahren bestätigte das GATT, `every country must be the judge in the last resort on questions relating to its own security`“.[4] Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die bisherigen Streitigkeiten nahezu ausschließlich Exportbeschränkungen [Boykott von (kriegführenden) Staaten] betrafen und nicht wie im gegenwärtigen Fall die Importe eines Landes, bei denen eine Bedrohung deutlich schwerer zu begründen ist. Zum einen, weil die Importe durch einen Zoll in der Regel nicht komplett unterbunden werden und damit die grundsätzliche „Gefahr“ weiterhin bestehen bleibt, und zum anderen, weil es sich bei den betroffenen Ländern – mit Ausnahme von Russland und China – um politisch befreundete Länder handelt, die zum Teil sogar Bündnispartner im Rahmen der NATO sind. Demzufolge erscheint die Begründung der von Präsident Trump eingeführten Zölle äußerst fadenscheinig und wohl kaum mit den Vorschriften und schon gar nicht mit dem Geist des GATT vereinbar.

Vor diesem Hintergrund stellt sich weiterhin die Frage, wie die EU auf das Vorgehen der USA reagieren sollte. In den zurückliegenden Wochen bestand eine Strategie – insbesondere vertreten durch den deutschen Wirtschaftsminister Altmeier – darin, bilaterale Verhandlungen mit den USA über die Höhe der gegenwärtig geltenden Zollsätze zu führen. Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht in der Regel ein Vergleich der nationalen Durchschnittszölle oder sogar der spezifischen Zollsätze auf einzelne Produkte bzw. Produktgruppen. Wie die nachstehende Übersicht 1 zeigt, gibt es dabei durchaus (deutliche) Unterschiede. Darüber hinaus ist zu erkennen, dass der Agrarbereich in beiden Ländern deutlich höher geschützt wird als der Industriegüterbereich, dass aber der durchschnittliche mit Importwerten gewichtete Zollsatz auf Industrieprodukte nahezu gleich hoch ist.

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Bei diesen Überlegungen gilt es jedoch zu beachten, dass die in den Jahren von 1949 bis 1993 durchgeführten multilateralen Zollrunden im Rahmen des GATT – und damit auch die 1993 zuletzt abgeschlossene Uruguay-Runde, auf deren Ergebnisse die aktuellen Zollsätze weitgehend basieren – de facto auf bilateralen oder trilateralen Verhandlungen beruhen, die nach einer Einigung (im kleinen Kreis) über die Meistbegünstigung auf alle Vertragspartner des GATT übertragen wurden.[5] Somit stellt das heute geltende Zollgeflecht das Ergebnis vielfältiger Verhandlungen – in vielen Fällen primär zwischen den USA und der EU – dar, dass auf dem Prinzip des gegenseitigen Gebens und Nehmens beruht! Dabei war und ist es keineswegs beabsichtigt, die Zollsätze einzelner Produktgruppen (über aller Länder) einander anzugleichen. Darüber hinaus basiert die multilaterale Welthandelsordnung aufgrund des Prinzips der Meistbegünstigung darauf, dass die einzelnen Mitglieder – abgesehen von klar definierten Ausnahmesituationen – auf die einmal ausgehandelten Zugeständnisse vertrauen können.

Wollte man den USA auf dieser Basis bei einzelnen Zollpositionen – wie etwa Pkw, bei denen gemäß Übersicht 1 der Zollsatz in der EU höher liegt als in den USA – „entgegenkommen“, so wäre dies vor dem Hintergrund der Meistbegünstigung nur auf multilateraler Ebene möglich. Die Zollsenkung käme also nicht nur amerikanischen sondern zum Beispiel auch asiatischen Anbietern zugute. Auf bilateraler Basis sind Zugeständnisse hingegen nur im Rahmen eines Präferenzabkommens möglich. Doch selbst der Abschluss eines TTIP light (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen der EU und den USA, das man möglicherweise auf den Abbau handelsbeschränkender Maßnahmen begrenzen könnte, würde mit Sicherheit Jahre dauern und daher für die (kurzfristige) Klärung des gegenwärtigen (Handels-)Konflikts eher ungeeignet sein.

Eine multilateral wirkende Zollsenkung hat China jüngst mit Blick auf die USA bei Pkw angekündigt. Dort will man den Zollsatz von gegenwärtig 25 Prozent signifikant reduzieren – was immer dies im Einzelnen bedeutet. Diese und weitere Marktöffnungsangebote sind allerdings nicht neu, sondern wurden bereits im Sommer 2017 angekündigt und nun nur noch einmal medienwirksam bekräftigt. Die multilaterale Wirkung hat unter anderem aber auch dazu geführt, dass die Aktienkurse deutscher Automobilunternehmen deutlich stiegen, da auch sie in den Genuss der Handelserleichterungen kommen würden. Auf bilateraler Ebene hat hingegen Südkorea – im Rahmen von Nachverhandlungen des bestehenden Freihandelsabkommens – Handelszugeständnisse ebenfalls im Automobilbereich gegenüber den USA eingeräumt und wurde dafür im Gegenzug in begrenztem Umfang dauerhaft von den Zöllen auf Stahl und Aluminium ausgenommen (Zollquoten). In beiden Fällen stand die Automobilindustrie im Vordergrund der Diskussionen, weil dieser Bereich den größten Beitrag zum bilateralen Handelsbilanzüberschuss dieser Länder gegenüber den USA beiträgt. Offen bleibt allerdings, ob die Preiselastizität der Nachfrage nach amerikanischen Automobilen hinreichend hoch ist, um durch die Zollsenkung einen bedeutenden Anstieg der Nachfrage auszulösen.

Eine Senkung der EU-Importzölle auf amerikanische Automobile befürwortet seit Neuestem auch die deutsche Automobilindustrie, um auf diesem Wege dem drohenden Handelskrieg mit den USA zu entgehen. Die „Gefahr“ zunehmender Importe aufgrund gesunkener Zölle auf amerikanische Automobile wird dabei sicherlich weit geringer eingeschätzt als die Verluste, die mit einem Zollanstieg von gegenwärtig 2,5 Prozent auf bis zu (angedrohten) 25 Prozent für europäische bzw. deutsche Automobile beim Export in die USA einhergehen würden. Dabei stehen aber primär deutsche Interessen im Vordergrund, denn das zuvor erläuterte multilaterale Vorgehen, das durch die Meistbegünstigungsklausel erzwungen wird, führt dazu, dass insbesondere Frankreich und Italien diesem Vorschlag skeptisch gegenüberstehen, da sie um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer eigenen Automobilindustrie – insbesondere gegenüber Anbietern aus Asien – fürchten. Dieses Beispiel zeigt darüber hinaus das Dilemma der EU, sich in handelspolitischen Fragen aufgrund divergierender nationaler Interessen auf eine einheitliche Linie zu einigen.

Aus der Sicht der EU bleibt als adäquate Reaktion auf die von den USA verhängten Zölle wohl in erster Linie die Klage vor der WTO im Rahmen eines Streitschlichtungsverfahrens. Die Grundidee eines solchen Verfahrens ist es dabei nicht, die Vertragsverletzung durch ein Land (mit Ausgleichszöllen) zu ahnden, sondern die Vorteile, die sich aus dem Vertragswerk ergeben, zu wahren. Parallel dazu hat die EU bei der WTO im Rahmen der Schutzklausel (Art. XIX GATT) Ausgleichszölle gegenüber den USA in Höhe von (zumeist) 25 Prozent auf Orangensaft, Whiskey, Tabak, Jeans, Erdnussbutter, Motorräder und zahlreiche weitere amerikanische Produkte angezeigt[6], die Anfang Juli in Kraft treten sollen. Gleichzeitig und ebenfalls gemäß Art. XIX GATT hat die EU Handelsbeschränkungen zum Schutz der EU-Anbieter von Stahl und Aluminium beantragt, um steigende Importe aufgrund von Umlenkungseffekten zu unterbinden.[7] So zeigen erste Untersuchungen nach der Einführung von Zöllen auf Stahl und Aluminium durch die USA, dass entsprechende Einfuhren aus Russland und der Türkei nun auf die Märkte in der EU drängen und im Verhältnis zum Vorjahreszeitraum um 139 Prozent bzw. um 76 Prozent gestiegen sind.

Die nun eingeschlagene Strategie, auf der einen Seite ein Streitschlichtungsverfahren im Rahmen der WTO zu beantragen, um den ursprünglichen Vertragszustand (ohne neue Zölle) nach Möglichkeit wieder herzustellen, sowie kurzfristig Ausgleichszölle zu beantragen entspricht einem legalen und ordnungspolitisch adäquaten Vorgehen im Rahmen der multilateralen Welthandelsordnung. Die first-best Lösung wäre sicherlich eine Rückkehr auf die Ausgangsposition. Ob ein entsprechendes Urteil der WTO zustande kommt und insbesondere ob der amerikanische Präsident ein entsprechendes Urteil akzeptieren und umsetzen würde, erscheint jedoch höchst fraglich. Für eine solch skeptische Einschätzung spricht zudem, dass die USA ergänzend zu der Einführung von Zöllen auf Stahl und Aluminium in zunehmendem Maße auch auf Anti-Dumping Maßnahmen etwa gegen Produzenten von Stahlseilen außerhalb der USA zurückgegriffen haben. Daher steht zu befürchten, dass sich der nun eingeläutete Handelskrieg weiter aufschaukeln wird und am Ende alle Beteiligten Wohlfahrtseinbußen erleiden. Während die bisher von Amerika eingeführten neuen Zölle zunächst nur etwa 1,2 Prozent an den gesamten Wareneinfuhren der USA und etwa 0,2 Prozent des Welthandels betreffen, hat die EZB in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht[8] Überlegungen für denjenigen Fall angestellt, dass der gesamte Welthandel im Rahmen eines Handelskriegs mit zusätzlichen Zöllen in Höhe von 10 Prozent belastet wird. Die darauf basierenden Simulationen kommen zu dem Ergebnis, dass der Welthandel im ersten Jahr um bis zu drei Prozent und das globale Wachstum um bis zu einem Prozent sinken würde. Der Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität wäre dabei in den USA stärker als in der EU.

Ökonomisch gesehen wäre es vor diesem Hintergrund möglicherweise klüger, (bestimmte) Zölle von Seiten der EU einseitig – allerdings auf multilateraler Basis – zu senken, da selbst ein solches Vorgehen per Saldo zu gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinnen führen würde. Die damit einhergehende Umverteilung zugunsten der Konsumenten und zulasten der – in der Regel besser organisierten und mit einem höheren politischen Einfluss versehenen – Produzenten[9], politisch-strategische Erwägungen wie etwa die Abschreckung von potenziellen Nachahmern sowie die Divergenz der Interessenlagen innerhalb der EU werden ein solches Vorgehen aber eher ausschließen. Längerfristig sollte jedoch auch der Weg über eine Wiederaufnahme der multilateralen Verhandlungen im Rahmen der WTO (Abschluss der Doha-Runde) oder über ein Präferenzabkommen mit den USA weiter verfolgt werden – wenn es dann nicht schon zu spät ist und die Welthandelsordnung in der altbekannten Form gar keine Bedeutung mehr besitzt[10] sondern sich das Recht des (ökonomisch) Stärkeren im internationalen Handel durchgesetzt hat.

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[1] Vgl. hierzu ausführlich: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=20860 sowie http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=20889

[2] Vgl. hierzu ausführlich: Senti, Richard, WTO – System und Funktionsweise der Welthandelsordnung, Zürich 2000, S. 154ff.

[3] Vgl. Senti (2000), S. 446.

[4] Senti (2000), S. 448.

[5] Vgl. Senti (2000), S. 227ff.

[6] Zu Einzelheiten vgl.: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2018/may/tradoc_156909.pdf

[7] Vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-4006_en.htm

[8] Vgl. EZB, Wirtschaftsbericht 3/2018, S. 27ff, online abrufbar unter: https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/EZB_Wirtschaftsberichte/2018/

2018_03_ezb_wb.pdf?__blob=publicationFile

[9] Zu den Wirkungen des internationalen Freihandels siehe etwa: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=20192

[10] Vgl. hierzu auch: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=22571

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